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Der Mann führte mich das Tal hinauf, an der Talwand empor durch Weiden, Haberäcker der Egg zu. Er fragte mich ernst, aber nicht böse, nach meinem frühern Leben, versprach mir gute Tage, wenn ich folgsam sei und arbeitsam, und auf dem Wege noch klopfte er an einem Hause an und hieß den Schneider kommen, denn so verhudelt wollte er niemand im Hause haben. Auf der Egg stunden zwei mächtige Bauernhäuser, umgeben von kleinern Gebäuden, beide blank gewaschen, umgürtet mit sorgfältig geschichteten Scheiterbygen, gewaltigen Einfahrten, aber kleinen Gärten, Gärten mit engen Weglein von großem Buchs eingefaßt, in welchem Kraut die Menge, auch einige Rosenstöcke und Pfingstnägeli waren; auf der Ladenwand und einer Bank unter einem der obern Fenster stunden Meienstöcke, wo der beliebte Rosmarin, die bedeutungsvolle Myrthe nicht fehlten. Unter dem weit ausreichenden Dache sprudelte der reiche Brunnen und im reinlichen Troge warf das Wasser seine Bläschen, Bürgen seiner Güte. In den vielen Fenstern spiegelte sich golden die Abendsonne, und vor den Häusern saßen Weiber, Kraut rüstend, und Mannen, das Pfeiflein rauchend; auf der Terrasse spielten Kinder und zum Brunnen gingen schwere Kühe, zuweilen einen schwerfälligen Satz versuchend, und wiehernde Rosse bäumten sich am Zügel. An dem ersten der Häuser schritten wir mit kaltem: Guten Abend! vorbei, dem zweiten zu, das etwa zweihundert Schritte davon lag, beide hoch auf der Egg, überschauend die beiden Seiten des Berges und das an denselben in sanftem Abhang weithin sich dehnende Land, überschauend das schöne Tal und über demselben die weißen Berge mit den roten Backen in der Abendröte, und auf der andern Seite hinaussehend in weite Ebenen, durch welche im weißen Bett ein trügerischer Strom sich schlängelt, bis an den blauen Berg hin, hinter welchem die wüsten Leute wohnen, die nie zufrieden sind und immer alles regieren wollen. Von dem zweiten Hause her sprangen Kinder uns entgegen, rufend: «Gueten Abe, Großätti, wo hest dr Chram?» und der Großätti packte aus, Weggen und Lebkuchen, und die Kinder jubelten und betrachteten mich mit großen Augen, bis wir am Hause waren. Dort saß auf der Bank die muntere dicke Großmutter, die schönen runden Arme, die am Handgelenk in einer tiefen Falte endigten, übereinandergeschlagen, zwei große, schlanke Meitscheni wie Milch und Blut neben ihr beschäftigt, und wünschten guten Abend, und die Großmutter sagte: «Chum hock, Ätti, und zell is, wie's hüt gange syg, u was da für ne Bueb hest; i ha gmeint, du wellist kene meh?»
Aber aus der Haustür, hinter welcher die weite Küche sich öffnete mit zwei großen Feuerplatten zu beiden Seiten der Heli (der Raum unter der Decke einer Küche, die keinen Rauchfang hat), in welcher sechs lange und breite Speckseiten, Würste, Fleisch, Hamme freundlich saftig lächelten, klang eine helle klare Stimme: «Dr Großätti soll z'erst yche cho, i ha-n-ihm ds Kaffee dänne deckt!» und der Stimme nach guckte ein längliches schönes Gesicht mit heitern braunen Augen; es folgte eine schlanke Gestalt, wie alle andern reinlich angezogen, mit blendend weißem Hemde und reinen Händen, die den Ätti willkommen hießen. Und der Großvater folgte gerne dem Söhniswyb in die große reinliche Stube, vergaß aber doch den armen Bueben nicht, sondern sagte: «Mareili, hest dem Bueb nit o öppis z'esse, er ist hungerig und het hüt no nüt g'ha.» «Wohl fryli, Großätti», sagte Mareili, «aber chumm u nimm du afe.» Und emsig schenkte sie ihm ein und blies ihm vom geblümten Milchhafen das Dicke oben ab in sein Chacheli, tat ihm Zucker hinein, wie er auch einredete, sie mache es ihm zu süß, stellte das kernichte Brot aus der Tischdrucke vor ihn und neben dasselbe gelben Emmentalerkäs mit den großen wässerigen Augen, wartete ihm dann ab, ging und kam immer zur rechten Zeit, daß Großvater auf nichts warten und nie selbst einschenken mußte. Und als er fertig war, rief sie: «Chumm Bueb und nimm o!» Ich erhielt nun auch meinen reichlichen Teil und zuweilen die Ermahnung: «Nimm bis gnue hesch!» Als ich fertig war, mußte ich vor das Haus und der Großmutter erzählen, wo ich gewesen, was ich getrieben, ob ich in die Schule gegangen, was ich arbeiten könne? Mareili fragte mich nur eine Sache: ob ich etwa Läuse habe?
Es war ein großes Bauernwesen, das mich umfing, wie man keines außer der Schweiz und außer dem Kanton Bern selten sieht; ein Bauernwesen, in dem es nobler und reicher zuging als auf manchem Edelsitz. Der Großvater und seine Frau waren ein schönes altes Paar, die Töchter schöne Mädchen, der Sohn kränklich, nicht rüstig, seine drei Kinder aber Ebenbilder ihrer Mutter, und diese war die Seele des Hauses, und diese Seele wohnte in einem anmutigen kräftigen Körper, der in jedem Gelenke eine Springfeder zu haben schien; vier Knechte und zwei Mägde bildeten das Gesinde und von Taglöhnern und Handwerksleuten ward das Haus nie leer. Der Schneider löste den Schuhmacher ab, dieser den Sattler; nach diesem kam der herumziehende Schmied, der Korber, und die Nähterin wurde fast nie fertig. Im Stalle wieherten wenigstens sechs Pferde, brüllten acht bis zehn Kühe, und, wenn der Küher kam, ein halbes Hundert und mehr. Das Gut war sehr groß, sein Ertrag bedeutend, und doch würde ohne Gülten der Bauer nicht haben bestehen können, oder hätte den Ruhm seines Hauses einbüßen müssen. Geld wurde aus nichts gezogen als aus Korn, Futter und etwas aus dem Stall, Gespinnst und Anken; Milch wurde keine verkauft. Der Hausbrauch war ungeheuer. Bettler um Bettler klopften an ihre Türe und jeder erhielt seine Gabe. Zur Zeit der ländlichen Feste, Sichleten, Fasnacht, kamen sie nicht einzeln sondern in Scharen, Küchli zu betteln. Als einmal eine vorwitzige Magd fragte, ob nicht das ganze Dorf ausgezogen sei, denn sie möge fragen wen sie wolle, woher er komme, so heiße es immer: von -bach; so antwortete ihr derselbe: «Alle bis an den Pfarrer und den Statthalter; die kämen aber morgen, heute hätten sie noch die Schuhe plätzen müssen.» Mit einer eigenen Maschine wurde ein ganzer Tag lang Teig gebrochen, ein ganzer Tag lang geküchelt; mächtige Ankenhafen wurden leer, und fast unter den Händen schwand den Schwitzenden die Frucht ihres Schweißes, und bis alle Hausbewohner sich satt gegessen, bis jeder Tauner noch etwas eingebunden hatte, um es heim zu tragen, schwanden Berge der braunen, duftenden Küchlein. Fast alle Nächte waren Bettler da über Nacht, oder Hausierer; alle Sonntage kamen, durch den Fleischgeruch gelockt, Arme und aßen da zu Mittag; Kranken und Kindbetterinnen schickte man ins Haus; und selten eine Woche verging, daß nicht ein schlotternder Kindbettimann erschien, um eins oder das andere mit stammelndem Munde zu Gevatter zu bitten, und nie wurde die Bitte abgeschlagen. Wenn dann das Neujahr kam, so brauchte es ganze Stücke Tuch, um den Hoffnungen der Paten zu genügen. So war es gewesen in diesem Hause durch manches Geschlecht, und diesen Ruhm wollte das gegenwärtige nicht verlieren. Aber wenn die Rede war, dem Schulmeister den Lohn zu verbessern, so konnte man nicht begreifen, warum er sich nicht mit dem begnügen könne, was schon Vater und Großvater ihm gegeben? Es war allemal eine Freude, wenn er hinauf kam, und wenigstens ein Brot trug er allemal heim; aber zur Erhöhung seines Lohnes hätte man im Hause nie gestimmt. Kam man zu bitten um irgend eine gemeinnützige Sache, fand man auch nicht geneigtes Gehör. Man könne nicht für alles geben, hieß es; man sei einem ohnehin alle Tage vor der Türe und man müsse die Hand immer im Sack haben. Nur wenn der andere Bauer bereits gegeben oder unterschrieben hatte, sagte man nicht ab; denn von diesem wollte man sich nicht übertreffen lassen. Diese Nachbarschaft war der Wermut in dem Becher ihres Glückes; es bestand eine Nebenbuhlerschaft, welche manchen Tag vergiftete. Brav war man an beiden Orten, reich auch, und offenen Streit gab es nie; man war einander sogar behülflich und die Weiber brachten einander in allen Kindbettene Kram. Allein jedes Haus wollte das berühmtere sein, und jede Frau die bessere Bäuerin, die tüchtigere Hausfrau. Es war recht lustig zu sehen, wie zuweilen an einem recht heißen Nachmittag das eine der dicken alten Weiber hinaus aufs Feld ging an irgend eine schwere Arbeit, und da bystete und berstete, nur um der Nachbürin zu zeigen, daß es die rüstigere sei und nit so-n-e fule Hung; wie die andere, das zu Hause merkend, brummte, selbst fluchte über diesen Streich, sagend, sie sei nicht so-n-e Donners Naar! und wie sie dann einige Tage darauf etwas Ähnliches machte, und an die andere das Brummen und Fluchen kam.
Gar mancher Bettler stand unten am Berge verlegen still, werweisend, in welchem Hause er übernachten solle? Er fürchtete, die Übergangenen würden böse, nicht sowohl, weil er nicht zu ihnen gekommen, als weil er zu den andern gegangen; so ging es manchem Hausierer und manchem, der zu Gevatter bitten wollte. Die Dienstboten beiderseitig konnten sich in acht nehmen, daß sie nicht bei einander sich stellten oder gar mit den Meisterleuten redend gesehen wurden. Es wurde als ein ordentlich unglückliches Ereignis betrachtet, wenn eine Magd oder ein Knecht den Dienst verließ, um in das Nachbarhaus überzugehen.
Hier nun sollte ich wohnen, zum Knecht mich bilden. Ich war stark genug dazu, wohlgewachsen und arbeitete mit Lust; denn ich war ehrgeizig und trachtete nach dem Lob meiner Meisterleute. Sie hatten mich sogleich doppelt kleiden lassen, gaben mir gut zu essen und redeten wohlwollend mit mir; der Großvater sagte manchmal: «Stell di recht, so gisch wieder e Bueb». Auch lernen mußte ich. Sie hatten mit Schrecken bemerkt, daß ich kaum noch buchstabieren konnte, und nun mußte ich, wenn es tunlich war, des Morgens und Abends ein Buch nehmen und lernen. Bald das eine, bald das andere war mein Lehrmeister; am liebsten hatte ich dabei Mareili, die Sohnsfrau. Sonst hielt man auch hier nicht viel auf großer Gelehrsamkeit. «Je gelehrter, desto verkehrter», sagte man oft, wenn von Verbesserung der Schulen die Rede war; aber Lesen, das hielten sie doch für notwendig, und für eine Schande, einen so großen Buben im Hause zu haben, der es nicht konnte. Ich lernte auch mehr als früher. Ich war älter und wollte nun lesen lernen; zudem war gewöhnlich jemand da, der mich abhörte und verbesserte, das schützte mich vor Langerweile.
Sobald das Dreschen vorbei war, mußte ich in die Schule. In derselben ging es nun freilich etwas anders zu, als in der frühern; Apfelgeschichten gab es keine; aber gar viel lernte man doch nicht. Der Schulmeister war Gemeindschreiber, und fast alle Tage wurde er mehrere Male aus der Schule gerufen, oder mußte ganze Tage ausbleiben; er war der Allesmacher in der Gemeinde. In seiner Abwesenheit hielt sein dreizehnjähriger Bueb Schule, der sich mehr einbildete als ein Königssohn, und wie ein türkischer Sultan nach Willkür regieren wollte mit seiner langen Rute. Die ältern Kinder gehorchten aber nicht, sondern machten was sie wollten, und weil er da nichts abbringen konnte, wandte er sich mit doppeltem Grimme an die Kleinen und tyrannisierte die, daß immer einige mit einander heulten. Da ich auch unter ihnen saß, und nur ein Bueb war, so ließ er sich auch an mich; dafür prügelte ich ihn einmal tüchtig durch. Das klagte das geprügelte Söhnlein, und dessen Vater prügelte mich nun wieder unter Schein Rechtens, und machte mir daheim auch nicht gut Spiel, da er bei jeder Gelegenheit anbrachte, ich sei ein böser hartnäckiger Bueb; so-n-e herte syg ihm nit bald i d'Finger cho; er chönn nüt mit mer mache; wenn er scho der Linger ob mer zerschlöih, i plär nit. Er hielt Rechnen und Schreiben für gar hohe Künste, denen nur ein Genie gewachsen sei. Von den Mädchen wurde selten eins in dieselben eingeweiht; etwa wenn der Ammann ein Töchterlein hatte oder der Statthalter, so kamen sie an den Schreibtisch.
Sobald eins die Buchstaben kannte und machen konnte, so schrieben sie ab aus der Kinderbibel, und wenn der Schulmeister es gar gut meinte, so diktierte er ihnen aus einem kleinen von Fliegen punktierten Heftchen etwas über die Sprache. Alle halbe Stunden kam man eine Zeile weit; denn das erste und zweite Mal, wenn er etwas vorsagte, hörten die Buben gar nicht zu; dann schrieb keiner mehr als einen Buchstaben auf einmal, und steckte den Kopf auf die Tafel seiner Nachbarn, zu sehen was die gemacht, und diese sahen wieder auf die der andern; ob diesem Kopfzusammenstrecken hatte man wieder vergessen, was man eigentlich schreiben sollte, und mußte wieder sagen: «Schumeister lies no einisch.» War man endlich von einem Punkt zum andern gekommen, so wurde korrigiert. Entweder gab der Schulmeister ihnen das Büchlein in die Hände, um selbst zu korrigieren, oder sie mußten die Tafeln wechseln; der Schulmeister oder ein Knabe buchstabierte Wort für Wort vor; nach diesem Buchstabieren sollte jeder seine Fehler verbessern, und angenommen war, es geschehe also; denn es wurde nie nachgesehen, ob denn wirklich alles verbessert sei oder nicht. Das nahm einen halben Tag ein; den andern Nachmittag hieß es: «Schrybet das Thema i eui Schrift!» und das brauchte wieder einen halben Tag. Mit dem Rechnen ging es ungefähr auch so. Der Schulmeister machte eine Rechnung vor, die Schüler machten sie nach, etwa vier oder fünf von der gleichen Sorte, bis sie das Nachmachen in Griff bekamen; das Zahlensystem kannte keins. Kein Kind wäre imstande gewesen, ohne zehnmal abzusetzen, ohne mit allen andern den Kopf zusammen zu stecken, die kleinste Rechnung zu machen; und doch rechneten sie an den Examen Brüche und Heustöcke wie Schnupf. Alle Winter mußte man von vornen anfangen und wenn man am Hintersten war, so wußte man das Vordere nicht mehr; ein Jahr nach dem Austritt aus der Schule war das meiste ganz vergessen. Daher hieß es allgemein: Schreiben und Rechnen trage dem Bauer nichts ab; er vergesse es doch wieder, da ihm solche Dinge zu wenig zuhanden kämen. Und der Schulmeister bestätigte die Meinung mit großem Ernst und Nachdruck, er wußte wohl warum. Es ist nicht unvorteilhaft, in einer Gemeinde einzig rechnen und schreiben zu können; da fließt gar mancher Batzen und mancher Schoppen wird bezahlt.
Ich kam natürlich nicht zu Schreiben und Rechnen; das waren für Ärmere verbotene Künste, besonders für Güterbuben; aber ich lernte doch lesen und kam noch vor Ende des Winters in die Kinderbibel, von der ich wenig begriff. Mir kam es gar nicht mehr in den Sinn, daß die Worte einen Sinn hatten, daß man etwas dabei denken könne, sondern ich meinte, sie stünden nur da, um buchstabiert, gelesen oder ausgesprochen zu werden; daher wußte ich nie, was ich gelesen, und der Schulmeister fragte auch nicht darnach. So las ich die Kinderbibel manchmal durch und wußte doch von Jesu gar nichts, und nichts nahm mich wunder. Ungern ging ich nicht in die Schule; ich erwarb mir unter den Kameraden ein gewisses Ansehen, und die als Mistjunge erworbene Unerschrockenheit machte mich zum Anführer in vielen Streichen. Besonders hatte ich meine Lust an meinem Zimißsäckli. Mareili füllte es reichlich mit Milch, Brot und Äpfeln; ich wurde um dasselbe von Bauernkindern beneidet, und konnte gar oft noch andern, ärmern, die kein Brot hatten, mitteilen; das tat mir gar wohl.
Aus diesem allem wird man schließen wollen, ich sei endlich doch an ein recht gutes Ort gekommen, werde es da recht gut gehabt und eine brave Erziehung erhalten haben, so daß ich nicht Ursache hätte, mit dem Verdingen oder Verteilen so unzufrieden zu sein. Wartet nur, ihr guten Leute, es wird schon anders kommen. Habt ihr denn schon vergessen, daß vier Knechte und zwei Jungfern und manchmal gar noch zwei Spinnerinnen im Hause waren; wisset ihr nicht, daß viel Diensten viel Leiden den Meisterleuten bringen, und was glaubet ihr, wird der Bueb nicht noch viel mehr leiden müssen?
Wenn zuweilen ein Roman in ein Bauernhaus sich verirrt, der Sohn oder die Tochter ihn hinunterschlingen und dann der Mutter erzählen von einem Königshof, dem König und der Königin und den Fratzen allen, vom Minister und den Hofmarschällen bis zu dem Ofenheizer und dem Hühnermädchen, wie das alles so schlechte Leute seien, wie sie den König und die Königin betrügen, jedes das andere auszubeißen suchen, und sie einander von oben bis unten die erbärmlichsten Streiche spielen und der Schlauste und Schlechteste gewöhnlich oben an komme, so sperret die gute Bäuerin Mund und Nase tennstorweit auf; über den breiten Rücken lauft ihr ein ordentlicher Schauder auf, und sie seufzt andächtig: «Gottlob, so ist's doch bei uns nicht, da sy mer doch ganz angeri Lüt.» Würde die gute Frau, statt die Nase aufzusperren, sie in ihr eigenes Hauswesen stecken, so würde sie mit noch größerem Erstaunen sehen, daß es in demselben akkurat gleich hergeht im Kleinen, wie dort im Großen, und daß da akkurat die gleichen Leute seien, nur mit dem Unterschied, daß sie dort Sterne auf der Brust und Diamanten auf den seidenen Kleidern haben, hier aber auf der Brust ein Heer von Suppen- und Milchtropfen und an den Zwilchhosen Kühdreck. So geht es, wenn man den Leuten immer eine andere Welt vormalt, als die, in welcher sie leben, dann kennen sie jene und diese nicht, seufzen über jene und verbessern ihre eigene nicht, die nicht besser ist, kennen die Schliche an einem Königshof, aber die im eigenen Hause nicht; denn selbst sehen und erkennen können die meisten Menschen nicht; sie sind blind geboren, den Star muß man ihnen stechen. Mancher im Unrat geboren merkt ihn nicht, bis man ihm die Nase darauf stößt und ihm sagt: Das stinkt; dann sagt nur noch die Hälfte nach: Ja, das stinkt; ein Viertel sagt: Ich rieche nichts, und der andere Viertel behauptet gar: Du lügst, das riecht wohl. So geht es in der Welt. Aber jetzt will ich wieder von den vier Knechten und den zwei Mägden und den Taglöhnern allen reden, unter denen ich auf jenem, nicht Königshof, sondern Bauernhof lebte. Ihr werdet, wenn ihr nicht zu den zwei letzten Vierteln gehört, wohl merken, daß es auf den beiden Arten von Höfen nicht gar so verschieden zugeht, wie ihr glaubt.
Der Dienst auf unserm Hof war gut und gesucht, das Essen gut, die Arbeit nicht übertrieben, die Behandlung vernünftig, und in Krankheiten wurde keines zum Hause hinausgestoßen, sondern ihm getreulich abgewartet. Das Betragen der Meisterleute war ernst und gesetzt; daher wurde ihnen auch die gebührende Achtung erwiesen und man war nie im Zweifel, welches Meister oder Knecht sei. Die Diensten wurden nie in die Geheimnisse des Hauses eingeweiht; nie geschah es, daß die Glieder der Familie vor den Diensten haderten, geschweige daß sie vor den Diensten über einander geklagt, sie zu Vertrauten gemacht hätten (wie es an Orten, wo dieses geschieht, zugeht, könnte ich auch erzählen). Trotz diesem allem, trotz dem Respekt, den man den Meisterleuten äußerlich erwies, waren doch die sämtlichen Diensten eine Bande Verbündeter gegen die Meisterleute, und dennoch wieder unter sich selbst in beständigem Streit, in nie ruhendem Krieg begriffen, und dieses alles meist so heimlich, daß die Meisterleute es selten oder nie merkten. Arbeiteten die Diensten alleine, so wurden vor allem die Meisterleute verhandelt, die Schwächen eines jeden hervorgerupft, besonders mußte Mareili, welches die Haushaltung führte, herhalten. Bald sollte es das Brot in der Suppe, bald den Schmutz im Kraut gespart haben; unter der alten Frau habe man es viel besser gehabt, aber die dürfe nichts mehr sagen; Mareili gelte jetzt beim Alten mehr, als die eigene Frau; sie flattiere ihm aber auch darnach. Ein Herrenfressen für die ganze Dienerschaft war, wenn man irgend einen kleinen Zwist unter der Familie bemerkte; da steckte man die Köpfe zusammen und fragte einander: «Hesch oh ghört, hesch oh gseh?» Wollte eins etwas mehr tun als gewöhnlich, besondern Fleiß anwenden zu einer Sache, so putzten ihm die andern ab, und hielten ihm vor, es wolle sich nur wert machen auf Kosten der andern. Am meisten schimpften sie über die große Wohltätigkeit, weil sie wähnten, es gehe ihnen deswegen desto mehr ab, und so viel Küchelschnitte die Bettler bekämen, so viel weniger erhielten sie. Daher aßen sie auch gewöhnlich an den Fleischtagen auf den Geiz hin, daß ihnen fast die Bäuche zersprangen, und rühmten dann, sie heige's em Mareili g'reiset; es heig nit z'donnersviel chönne i Chuchischaft trage.
Auch wurde den Töchtern regelmäßig aufgepaßt, was für Kilter sie hätten und diese dann verhandelt; oder waren die Töchter mit bei der Arbeit, so wurden zweideutige Reden geführt, welche die Mädchen nicht ungerner hörten als andere. War man auch einig gegen die Meisterleute, so war man wieder um so uneiniger unter sich. Erst glaubte ein jedes, ihm werde zu viel aufgeladen, die andern hätten gut, es allein bös; jedem traute man zu, es suche den Meisterleuten sich besonders wert zu machen, was nach ihrem Glauben die größte Sünde war; und hatte man gar Ursache zu glauben, eines verrätsche die andern, so hatte es Ursache genug zum Beten. Endlich waren noch alle liebsüchtig und daher auch eifersüchtig. Die Meisterleute hatten die Liebschaften unter den Diensten nicht gerne; um so geheimer trieb man sie, und da sie nicht spionierten, so blieb ihnen manches geheim, was sonst allgemein bekannt war. Die Mägde glaubten, die Knechte seien für sie da, und wurden bitterböse, wenn sie weiter gingen; die Knechte duldeten nicht gerne fremde Kilter; aber wiederum wurden die Mägde unter sich uneinig, weil jede den haben wollte, der zu der andern ging, und fast so die Knechte. Am meisten beneidet von allen war die Meisterjungfer, welche in der Küche helfen und, besonders des Morgens, für das Volk kochen mußte. Man mißgönnte ihr den Schatten der Küche, wenn die andern an der Sonne sein mußten, und die Brosamen aus dem Kuchischaft, die ihr zufielen; deswegen suchten sie wieder die Knechte, weil sie solche Brosamen zuweilen als Lockvögel für ihre Kilter aufsparte und die Glücklichen mit einem Stück kalten Speck, einem Zopfen Wurst oder einem alten Küchli regalierte. Weil sie am Morgen am spätesten herauskam, so hatte man die beste Gelegenheit, sie auszumachen. Da hieß es: Mareili werd ihr wohl no es Kacheli Kaffee gäh; man nähm o no eis; d'Erdöpfelbitzli, wo sie hüt-e-morge kochet heig, heige g'chüehdreckelet, daß es eim ganz erschüttet heig; me heigs vo witem g'schmöckt, daß der Melcher bi're g'lege syg. Alle diese Reden vernahm die Meisterjungfer wieder; denn eben um einen Zopfen Wurst oder ein altes Küchlein gab es immer Verräter. Am bösesten über sie war natürlich die andere Magd, welche nicht solche Herrlichkeiten zu verteilen hatte, und nur mit den Kiltern vorlieb nehmen mußte, welche die andere nicht wollte. Sie kaufte, wenn ihre Verzweiflung am höchsten stieg, wohl zuweilen einen Schoppen oder eine Halbe Branntwein, um der eigenen Liebenswürdigkeit nachzuhelfen; und das Mittel half richtig, solange der Branntwein währte. Mit welcher Schlauheit die, welche es mit einander hielten, sich zu treffen wußten, um ein vertrautes Wort zu reden oder eine Abrede zu nehmen, bald beim Heurüsten, oder bei den Schweinställen, oder beim Betten in dem Knechtenstüblein, davon will ich nicht reden, ich würde zu weitläufig werden. An allem diesem nahmen mehr oder weniger die Taglöhner teil, und spielten die Mittelspersonen; doch suchten die meisten einen Mittelweg, um es mit niemand zu verderben. Regelmäßig wurde im Laufe des Jahres einer zum Sündenbock erwählet; manchmal hatte man deren auch zwei. Auf diese wurde alle Schuld geschoben, an ihnen rieb sich ein jedes, mit ihnen hatte man immer zu zanken, und doch an allem Zank sollten sie schuld sein. Durch alle möglichen Kunstgriffe, mehr als durch bestimmte Worte, lenkte man die Aufmerksamkeit der Meisterleute auf sie, brachte sie um deren Gunst, bis sie entlassen wurden, um Friede im Hause zu haben. Die Annahme neuer Diensten war für die Bleibenden ein neuer Spielraum neuen Treibens, und ein jedes hatte jemand im Auge, den es gerne hergebracht hätte. Vettern und Basen wurden aufgestiefelt, sich zu melden, und gelegentlich sie angerühmt; aber auch Bekannte von den Tanzböden her, geheime Liebchen suchte man einzuschwärzen. Wider eine sich meldende hübsche Nebenmagd wußte die bleibende hunderterlei vorzubringen, und die Knechte machten auch das mögliche, um keinen hereinzulassen, der sie ausstechen konnte und manch Trinkgeld wurde deshalb gespendet; das alles geschah mit einer Schlauheit, daß die Meisterleute es selten merkten.
Unter diesen Dienstboten sollte ich nun arbeiten lernen, um einmal wieder ein Bauer zu werden. Ich arbeitete gerne; ich war über mein Alter stark und anschlägig und wollte gerne den Meisterleuten gefallen. Daneben mußte ich posten, wenn es etwas zu posten gab, und nicht etwa eins der Meisterleute zufällig oder gerne ins Dorf ging. Ich hatte eine Art Selbständigkeit, die sich nicht von jedem hudeln ließ, sondern Trotz entgegensetzte unverdienter und unbefugter Behandlung, und, zurückgeschüchtert an meinem ersten Verdingort, konnte ich es nicht mehr zeigen, am allerwenigsten sagen, wie lieb mir Menschen waren. Das ist für jeden Menschen ein großes Unglück, besonders wenn er es recht gut sagen und zeigen kann, wenn er zornig ist und haßt. Aber das ist eine Merkwürdigkeit, daß echter Haß sich weit leichter zeigt als echte Liebe (ich rede hier nicht von unverdorbenen Kindern). Der Liebe schämt man sich, des Hasses nicht, eben kein Beweis für christliche Gesinnung. Nun sollte ich auch der Diener von allen sechs Dienstboten sein. Dem Melker sollte ich helfen beim Futterrüsten, Grasen, Melken, dem Karrer beim Striegeln und Misten, den beiden andern beim Holzen oder Schnefeln; der Meisterjungfer sollte ich Wasser tragen und den Schweinen misten, der andern B'schütti in den Garten stoßen, jäten und wischen. Ich hätte fast wie der liebe Gott allgegenwärtig sein sollen; denn half ich dem einen, so rief mich der andere; kam ich nicht, so war der eine bös, ging ich, der andere. Postete ich für die Meisterleute, so hatte jedes der Diensten auch etwas zu verrichten. Die Meisterjungfer wollte Hofmannstropfen, von denen sie eine große Liebhaberin war, die andere, wie gesagt, manchmal einen Schoppen Branntwein, der Melker Tabak, der Karrer Schuhnägel usw. Das meiste sollte ich bringen, daß es niemand merke; oft konnte ich es nicht im Vorbeigang nehmen, sondern mußte einen Umweg machen oder warten, verspätete mich so, und wurde gefragt, warum ich so lange wegbleibe.
Natürlich wollte ich die Schuld nicht über mich allein nehmen, sondern sagte den Meisterleuten geradezu: «Ich mußte dem Stüdi Hofmannstropfen bringen, dem Lisi einen Schoppen Branntwein». Diese Entschuldigung rechtfertigte mich bei den Meisterleuten, erbitterte aber die Diensten; sie meinten, ich hätte alle Schuld auf mich nehmen und schweigen sollen. Oft sandten sie mich für sich selbst weg; fand man mich dann lange nicht, und stellte mich zur Rede, wo ich herumgelaufen, so sagte ich wieder die Wahrheit, wie sehr es mir verboten war; ich wußte nicht, warum ich um Melkers und Karrers willen die Gunst der Meisterleute verlieren sollte. Wie gesagt, waren beständige Parteiungen in unserm kleinen Hofstaate, Fraktionen wie in einem großen Reiche, die beständig wechselten. Die gegenseitige Rache ließ sich am meisten dadurch aus, daß man einander Sachen ausbrachte und vorhielt, die man lieber geheimgehalten hätte, und, wenn man recht böse war, so suchte man diese Dinge bis vor die Ohren der Familie zu bringen. Nun sagten die Diensten einander diese Dinge nicht gerne eigenmündig, aus Furcht, man halte ihnen Gegenrecht; da sollte ich dann alles vorbringen, was vorgebracht werden sollte; da lief mir eins hier nach, das andere dort. Die Meisterjungfer wollte, ich solle über Tisch dem Karrer vorhalten, er sei erst am Morgen um 5 Uhr heimgekommen usw. Anfangs tat ich es auch, erhielt aber Prügel zum Lohn, und zu gleicher Zeit hielten sie dafür, ich hinterbringe alles von freien Stücken den Meistersleuten, so daß sie mich plagten, wo sie nur konnten. Das hatte die Folge, daß ich nichts mehr von ihnen annehmen wollte. Ich sagte ihnen alles Posten geradezu ab, es sei denn, die Meistersleute hätten es ihnen erlaubt; ich sprang nicht von einem zum andern, und wenn ich an einer Arbeit war, konnte man mir lange rufen, ich sah mich nicht um; ich sagte jedem, was ich für gut fand, aber nicht mehr auf fremde Eingebung.
Sie wollten mich dressieren mit Schlägen und Schimpfen, allein umsonst. Mit aller Störrigkeit meines Charakters hielt ich ihnen entgegen; gegen Schläge wehrte ich mich, schimpfen vergalt ich; sie vermochten nichts bei mir abzubringen, während ich gegen jedes Glied der Familie die Dienstfertigkeit selber war. Da wandte sich der ungeteilte Haß der ganzen Kuppele mir zu; sie hielten mich für einen Augendiener, für den Judas im Hause; ich war ihnen überall im Wege und untauglich für die Stelle eines Buben in einem solchen Hause, der allen alles sein soll. Ich wurde der allgemeine Sündenbock, an allem sollte ich schuld sein, nicht nur an allem Streit, sondern war eine Arbeit nicht fertig, so hatte ich nichts getan; war eine Kuh lahm, so hatte ich sie beim Brunnen mit der Gabel gestochen; hatte die Untermagd Maienzeug im Garten für Unkraut angesehen und ausgerauft, so sollte ich es getan haben; hatte die Meisterjungfer angebräntet, so sollte ich in ihrer Abwesenheit geschaltet, neues Holz angelegt, ein zu starkes Feuer gemacht haben. So war kein Tag Friede, und sooft der Großvater heimkam, hörte er Klagen über mich. Und wenn er dann sagte, er könne das nicht begreifen; sooft er oder eins der Seinigen dabei sei, mache ich meine Sache recht gut, so hieß es, das sei eben das Böse, daß ich ein solcher Augendiener, Heuchler sei; sobald mich niemand von ihnen sehe, sei ich ein ganz anderer, tue nichts, stelle nichts als Streit an, weise alle gegeneinander auf, und habe beständig über die Meisterleute zu räsonnieren und sie auszuführen. Alles glaubte man nicht; allein etwas blieb immer haften, und das unaufhörliche Klagen machte am Ende doch maßleidig. Es ist für einen Meister nichts unlustigeres, wenn er abends müde nach Hause kömmt, als ein Gekähr zu finden, komme es nun von Weib, Kindern oder Diensten. Zudem war mein Unglück, daß ich den Meisterleuten nicht zeigen und sagen konnte, wie lieb sie mir seien, daß meine Dienstfertigkeit nicht komme aus Augendienern, sondern aus wahrer Liebe, was ein himmelweiter Unterschied ist, aber von vielen nicht kann unterschieden werden, und gerade auf dem Lande nicht, indem man auf Worte allzuviel hält und allzuviel hört, und nicht Verstand genug hat, Werke zu deuten, das heißt zu begreifen, aus welcher Quelle sie hervorgehen. Mareili einzig ahndete den richtigen Zusammenhang und nahm mich in Schutz soviel sie konnte; vielleicht hätte sie mich da erhalten, obgleich die andern oft sagten, das beständige Zanken sei ihnen erleidet, und ich müsse fort, damit man Ruhe habe, wenn nicht eine Begebenheit den Ausschlag gegeben hätte.
Mareili hatte ein Kind erhalten, an dem ich große Freude hatte, aber noch größere, als Mareili zum ersten Male wieder in die Küche kam und ich ihr «guten Tag» sagen konnte. Die Taufmahlzeit wurde im Hause gehalten, und alle Hausgenossen erhielten ihren Teil davon und waren lustig. Eine der Töchtern und Mareilis Bruder waren zu Gevatter gestanden; wir vermuteten, er werde nach ländlicher Sitte bei ihr schlafen; zu ihrer Stube ging eine etwas steile Treppe außerhalb des Hauses hinauf. Es war in den kurzen Tagen; wir wußten, der Gevattersmann wolle früh fort, und mußten sein Roß füttern. Man hatte eine allgemeine Neugierde gezeigt, wo er liegen werde, und geäußert, das sei leicht zu erfahren, wenn man gugge, ob er die Stege herabkomme. Ich schrieb mir dieses hinter das Ohr, und strich am Morgen um die Treppe herum. Die Tür ging auf, ein Mensch kam heraus, die Tochter blieb unter der Türe; wie jener auf die Stege trat, fiel er mit großem Gepolter um und herunter. Nach allgemeinem Brauch lachte ich laut auf, schwieg aber sogleich, als der unten Liegende nicht aufstand, sondern schmerzlich stöhnte. Das Meitschi kam herab; ich lief herzu, und es fand sich, daß der Gefallene einen Fuß verstaucht und sonst mehrere Quetschungen davongetragen hatte. Das ganze Haus kam auf die Beine; man trug ihn hinein, und jeder fragte: «Wie ist das o gange?» Er behauptete, man habe ihm auf die Stege runde Hölzer gebeizt; als er auf sie getreten, sei er mit ihnen heruntergerollt, und habe sich nicht mehr halten können. Man sah nach und fand allerdings noch zwei Mäßb'stryche, die wahrscheinlich dazu gedient hatten.
Bösliche Absicht lag also am Tage, und als man werweisete über den Täter, erinnerte sich das Meitschi, daß es mich lachen gehört. In der ersten Hitze schien schon alles bewiesen. Ich wurde beschieden, und als ich gerufen wurde, zäpfelten die Knechte und Mägde miteinander. Meine Schandtat wurde mir vorgehalten; aber lange begriff ich nicht, was man eigentlich von mir wolle; als ich es endlich merkte, bekannte ich unverhohlen, was ich gewollt und getan; von weiterem aber wollte ich nichts wissen. Die frühern beständigen Anklagen, die gegenwärtigen Verdachtsgründe machten mir böses Spiel. An manchem Ort hätte man mich geschlagen, bis ich zur Rettung des Rückens mich unschuldig als Täter bekannt; hier tat man es nicht; man sagte nur, man habe endlich genug und kenne meine Verstocktheit. Mein Gott, auf den Knien hätte ich bekannt, wenn ich es getan hätte! Mareilis Augen, welche dem Bruder Überschläge machte, und die von Zeit zu Zeit wehmütig zu mir redeten: Hab' ich das um dich verdient? zerfleischten mir nicht nur den Rücken, sondern auch das Herz. Sie sprach kein Wort zu mir; hätte sie es getan, ich hätte ihr auf eine Weise meine Unschuld beteuert, daß sie mir gewiß geglaubt; zu den andern aber sprach bei mir nicht die Liebe, sondern das beleidigte Gerechtigkeitsgefühl, das bittere Gefühl des Verkanntseins, und sie glaubten mir nicht und nahmen für Trotz, was gekränkte Unschuld war. Als ich aus dem Verhör kam, nahmen mich die Diensten in Empfang und behandelten mich mit mancher Stichelrede als den Täter, sie, von denen eines es selbst getan, entweder aus Bosheit, um Mareili zu kränken, oder bestochen von einem Nebenbuhler.
Es ward also beschlossen, um Fried und Ruhs willen an der nächsten Bettlergemeinde mich wieder abzuliefern. Ich litt schwer in mir. Ich meinte es doch so gut, und niemand wollte es glauben; ich liebte so gerne und man haßte mich; über mein Herz ging Frost um Frost; sie töteten die Liebe nicht, aber ihre Blüten, die offene muntere Freundlichkeit; und Sauersehen war die Freundlichkeit, ein größeres Unglück für die Sauersehenden, als die meisten begreifen. In stillem, finsterm Ingrimm verstrich die Zeit meines Dortseins, und mancher Mitschüler mußte meine innere Bitterkeit durch tüchtige Schläge büßen. Nur am Morgen meines Abgehens taute mein Herz auf. Man hatte mich noch brav kleiden lassen, denn das erforderte die Ehre des Hauses, und es rührte mich auch nicht, als ich den tüchtigen Bündel schnürte; ihn auf dem Rücken, trat ich in die Wohnstube, um den Großvater abzuholen, und sagte ein kaltes: B'hüet ech Gott! nicht einmal: Vergelt's Gott. Da kam Mareili aus der Nebenstube. Plötzlich übermannte mich eine innere Wallung; aus den Augen stürzten Bäche von Tränen; schluchzend ergriff ich seine Hand und stammelte: «Zürn doch recht nüt!» aber mehr konnte ich nicht sagen; weinend aus Herzensgrund strauchelte ich fort.
Und meine Erschütterung hielt man für Bekenntnis!