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Wie meine Bauern kannegießern

Solche aufregende Geschichten gab es nicht viele; war aber eine da, so wurde sie mit aller möglichen Heftigkeit in dem Wirtshause und in den Häusern besprochen. Meine Bauern gehörten unter die, denen die äußere Welt ganz fremd war. Es gab bloß zwei Zeitungen im Dorfe, eine hielt der Gemeindeschreiber, die andere der Schulmeister; der Statthalter hatte das Amtsblatt. Doch bezahlten alle was sie lasen, und machten es nicht wie ich G .. R... kenne, die keine Zeitung bezahlen, aber die Zeitungen anderer Leute auffangen und lesen. Die Zeitungen wurden aber selten ganz gelesen, weil ihnen die Gschrift zu rein war, und was sie lasen, begriffen sie oft nicht, und sagten aufrichtig, daraus könnten sie wieder nichts machen. Daraus kann man schließen, daß ihnen die Bundesrevision eben nicht am Herzen lag; sie wußten gar nicht, was damit gemeint sei, und meinten, si hätten des Gstürms afe gnue. Auch von den Badener Konferenzbeschlüssen begriffen sie nichts, und glaubten, es sei darum zu tun, daß die Bistümler Religion changierten. Das trag nüt ab, meinten sie; si heige doch nicht viel davon, oder gar nichts, gäb die seie katholisch oder reformiert. Als es aber hieß, die Leute müßten fort, und man bekomme Einquartierung, da wurde gewaltig räsonniert, und da sagten sie: «Die D. Brüllhüng, die's zwängt heige, die sölle jetzt ga; aber die zöge de dNase schön z'rück, und hocke rüihig daheim; das syg chumlig, aber nit billig; wer den Brei anrühre, der söll ihn auch auffresse; aber die, wo am meisten brülle, die syge denn die ärgste Schyßer, we's druf a chömm». Doch ließen sie die jungen Leute gelassen ziehen, packten ihnen Würste ein, und die Ermahnung, si sölle nit meyne, sie welle geng z'vordrist sy. Und als die Einquartierung kam, taten die Weiber Fleisch über ganze Häfen voll, Brönz wurde gerüstet, an manchen Orten Wein, und so gut und wohlmeinend, als man konnte, wurde traktiert allenthalben. Man war noch einige Tage recht glücklich im Erzählen alles dessen, was man gesehen, gehört, und was man den Soldaten gegeben habe. Besonders viel wurde von dem Hauptmann gesprochen, der sei gar e ryche u-n-e guete, aber e wenig e dumme gsy, es syg gar lustig gsy, wie-n-er mit ne gspillt heig i dr Gaststube, u wie si ne bschisse heige, u wie ne no um Mittinacht dr Frater (andere sagten der Feldwebel) us em Bett greicht heig, u wie si ihm nume Häiseli gseit heige usw. Das fanden die Leute gar lustig, ich aber fand es sehr traurig; denn was soll ein solcher Hauptmann mit seiner Compagnie, deren Narr er ist? Was denken die andern Offiziere, wenn sie mit der ganzen Compagnie ihn zum Narren halten helfen? was kann da für eine Subordination statt finden, wie Ordnung in Krieg und Frieden? Solche untaugliche Offiziere sah ich leider mehrere; ich könnte etwas von ihnen erzählen, und wie mich die Soldaten gedauert.

Große Politiker waren also meine Bauern nicht; um eine Menge Tagesfragen bekümmerten sie sich nicht, sobald sie nicht in ihr tägliches Leben einschlugen und in ihren Sack; und mit den letztern hatten sie es eigen. Das Straßengesetz und das Militärgesetz nimmt dem Lande bedeutende Lasten ab, und wälzt sie der Staatskasse zu. Aber die großen Erleichterungen brachten meine Bauern gar nicht in Anschlag, wie sie es verdienen, und werden in wenig Jahren die abgenommene Last ganz vergessen, ganz vergessen, daß sie einmal gmeinwerchet auf den Straßen. Das Gmeinwerk nahm kein bar Geld aus dem Sack, wurde abgemacht in Zeiten, wo Geld und Menschen nicht besonders beschäftigt waren; man brummte wohl darüber, fuhr aber denn doch nicht ungern hin. Es gab da bei der Menge der Arbeitenden manchen lustigen Spaß. Das Militärgesetz beschlug vorzüglich die jungen Leute; die waren gezwungen, um die nötige Armatur anzuschaffen, etwas weniger zu vertrinken von ihrem Gelde; jetzt haben sie desto mehr für den Wirt, und die Alten haben keine Erleichterung. Und wenn die Soldaten bei Musterungen nicht den Sold bekommen, an den sie gewohnt, so werden sie sich wüst gebärden, sagen: «I sch…ß uf dVerfassig», und ds Brichte wird nit helfe, und die Offiziere werden ihre liebe Not haben, und wenn sie den Oberst gerne prügeln möchten, so fangen sie bei ihrem Knecht an. Der Bauer, der nicht rechnen kann, rechnet also dem Staate solche Erleichterungen gar nicht mit der gehörigen Dankbarkeit an; er rechnet nur das an, was er erhält; und was er alle Jahre neu erhält, und was ihm Geld erspart. Wenn zum Beispiel die großen Summen, welche durch die gemachten sogenannten Erleichterungen der Staatskasse nun auffallen, dem Land jährlich hätten bar ausbezahlt werden können für Arme, für Schulen, für gemeinnützige Unternehmungen aller Art, so bin ich überzeugt, man hätte diese Art von Erleichterung weit dankbarer aufgenommen, weit tiefer und länger empfunden als jene. Bei dem Austeilen hätte man anfangen sollen, nicht bei dem Abschaffen. Übrigens muß ich aufrichtig bekennen, daß ich nicht begreifen kann, wie eine republikanische Behörde ein Gesetz geben kann, infolge dessen das Land nach und nach entwaffnet, aus den Häusern die eigenen Wehren schwinden und die Lust an Wehr und Waffen ertötet wird; denn nur eine eigene Wehre wird einem lieb, und man wächst mit ihr zusammen, nicht mit einer vom Staate geliehenen. Wenn diesem Gesetz nicht so tiefe oder hohe Grundsätze zum Grunde liegen, daß ich sie nicht begreifen kann, so wäre man versucht, an sehr kleinlichen Eigennutz oder eine sehr kurzsichtige Sucht nach kleinlicher Popularität zu denken.

Desto größern Lärm machten die Bewegungen, die im Schulwesen versucht wurden; sie waren in Häusern und in der Gaststube die beständig vorliegenden Behandlungsgegenstände, an denen die Weiber mit Leib und Seele Anteil nahmen, und, wie ich unter der Hand von sicherer Hand vernahm, soll in den Schulkommissionen auf gleiche Weise geredet worden sein, wie es die Weiber und Großätti und Großmüetti zu Hause taten. Der erste Anstoß zu diesem Lärm wurde von einer Seite her gegeben, wo bei großer Unkunde des Volkscharakters eine Leidenschaftlichkeit herrscht, die über sich und die eigenen Zwecke alles außer acht läßt, was wahre Vaterlandsfreunde sonst in Obacht zu nehmen pflegen. Bei der erbitterten Hastigkeit, womit diese Zwecke verfolgt werden, wiederholt sich aber die Geschichte jenes halbblinden Reisenden, der von Frauenkappelen nach Bern wollte, und sich endlich nach vielem Schimpfen über den langen Weg auf der Brücke von Gümmenen befand. Derselbe, der Reisende nämlich, bürdete der Regierung die Schuld seiner Verirrung auf, und schimpfte beständig, ihre Wegweiser taugten nichts, weil man trotz derselben verirren könne. Daß er halbblind und unbesonnen sei, hatte er sein Lebtag nicht glauben wollen, und nie gemerkt, daß seine eigene große Nase es sei, die ihm vor den Augen stund, ihm alle Aussicht nahm, und die er bald für die Welt selbst ansah, bald für den Wegweiser der ganzen Welt.

Nach einigen unzeitigen, unklugen Zeitungsartikeln, einigen übereilten Reformationen in einigen Schulen und einigen andern zufälligen nur in dieser Verbindung bemerkbaren Vorfällen ertönte auf einmal unter dem sogenannten gemeinen Volk das Geschrei, wie aus dem Boden hervorgewachsen: man wolle nichts von der Religion, man wolle sie abschaffen und die Natur einführen in den Schulen, statt der Religion. Ich kann mir kaum denken, daß vor bald vierzig Jahren das Geschrei: die Franzosen kommen, so ängstlich geklungen habe, als diese Notseufzer. Das Volk im Kanton Bern ist aber ein eigenes Volk; es schreit selten so laut, daß man es auch außer dem Dorfe vernimmt (ich rede vom sogenannten gemeinen Volk). Es schreit beim Brunnen, beim Abendsitzen, in Wirtshäusern, aber immer aus alter Gewohnheit mit halblauter Stimme, so daß die, welche nicht beim Brunnen stehen, nicht an den Abendsitzen mit sitzen oder in den Wirtshäusern nichts davon hören, oder nur undeutlich, daher denen, welche ihnen erzählen, nicht glauben, und, wenn sie anderer Meinung sind, sogar meinen, jene hätten es selbst erfunden. So bezeichnete im Großen Rat von Bern einer die Klagen über das zunehmende Branntweintrinken und die Vermehrung der Wirtshäuser als Lügen der Wirte und Geistlichen. Merkwürdig bleibt, daß die Geistlichen verhöhnt werden, wenn sie vor einem Übel warnen, und Taugenichtse gescholten, daß sie das eingerissene, durch andere mutwillig in ihrem Dünkel eingeführte Übel nicht verhütet. Es ist nicht diese Volksstimme, die man meint, wenn man hohen Ortes sagen hört: das Volk will es. Es schreit also nicht laut, rottet sich nicht zusammen, beginnt nicht Mord und Unruhe; aber es waffnet sich mit einer stillen, unbezwinglichen Hartnäckigkeit, die halt stettig, ohne auf Gründe zu hören, nicht will, oder nur der Gewalt weicht, und mit einem unergründlichen Mißtrauen, welches hinter allem Fallen, Fallstricke, böse Absichten, hinterlistige Versuche wittert. Es läßt befehlen, schimpft darüber, verläßt sich darauf, daß auf die Handhabung der Gesetze nicht besonders geachtet wird, macht im stillen was es will, und betrachtet mit Blicken, in denen man lesen kann: Du wirsch nit alles welle zwänge, einen jeden, von dem irgend ein Befehl kommt.

Die Weiber schimpften unter sich bis zum Weinen; die Männer brummten den Baß dazu, schlugen mit den Fäusten auf den Tisch. Nei b. D. mr tüe's nit, mr hei o no neuis z'bifehle, zwänge löh mr is nit, u mi Bueb soll dFragi lehre, u nüt angers; er brucht nüt vo dr Natur zwüsse, u mr dole's nit, daß alles uf dNatur zoge werd, u dMeitscheni bruche des Gchribels nüt; es treyt nüt ab, u macht se nume gwundrig, daß sie de Manne ga schnause; we si ds Druckte lese cheu u dFragi, so sy si lang gschichti gnue. Dann wurden Gräuel erzählt, wie ein Schulmeister lehre, die Sonne stehe still und die Erde gehe um sie herum, wie ein anderer dFragi einen ganzen Winter nicht überhört habe, aber von der Schweizergeschichte brichtet, von der man doch weder im alten noch im neuen Testament etwas lese, und die zum Seligwerden nichts abtrage; wie man Bücher einführen wolle, wo von einer Geiß und Gitzi die Rede sei und nicht von Jesus Christus. Zu dem allem nickte der Schulmeister, der eben nichts von der Schweizergeschichte, nichts von der Natur wußte, und nichts davon lernen wollte, beifällig mit dem Kopfe, und unterhielt das Feuer mit bedenklichem Kopfschütteln und bedenklichen Worten, so viel er vermochte, und meinte, man sei lang wohl beim Alten gewesen, man werde beim neuen kaum seliger werden.

Einer erklärte einst an einem Sonntag abends im Wirtshause die Schulen geradezu jetzt für überflüssig. Ehedem hätten oft zwei einander geheiratet, die beide nicht lesen konnten; da wäre ihren Kindern eine Schule nötig gewesen; jetzt aber könne doch meist das eine oder das andere lesen, und also ihre Kinder auch lehren, und da könne man die Kinder bei Hause behalten; sie verheye keiner Schuh, und lernen nichts Uwatligs. Ein anderer behauptete, die Schulen trügen je länger je weniger ab, je mehr man ein Geschrei darüber mache, und je mehr Lohn man dem Schulmeister geben müsse; was das komödisch sei, lerne man nicht mehr. Ehedem habe man doch noch hexen können; jetzt müsse man stundenweit laufen, ehe man jemand finde, der es verstehe. Aber auf selligem halte man jetzt nichts mehr; die Neuen hätten keine Religion, das sei doch allbets nicht so gewesen. Nun ging allen das Maul auf und über den Verfall der Religion begann ein allgemeiner Jammer. Einer brichtete von der neuen Lehre, die nun aufkomme, und gar von einer neuen Bibel, die man einführen wolle; ein anderer dies, ein anderer jenes, und alle schüttelten die Köpfe. – Ich war sonst sehr behutsam, und schwamm nicht gegen den Strom, ich ließ den Sturm vorbei, und suchte allmählich einzulenken; aber jetzt wurde es mir zu bunt, und ich begann mit vernünftigen Gründen ihnen zu zeigen, daß die Religion keine Gefahr laufe, daß man im Gegenteil die Leute recht christlich machen wolle, indem man sie vernünftig zu machen suche, daß die Geschichte der Menschen und die Lehre der Natur nicht von Gott abführen, sondern beides Zeugen seien der Macht und Güte Gottes, daß das alte Testament die Geschichte enthalte des Volkes Gottes, welche jeder Jude kannte, daß wir nun aber auch ein Volk Gottes seien, dem sich Gott vielfach geoffenbaret, daß wir also auch unsere Geschichte kennen sollten. Aber man ließ mich nicht zu Worte kommen; von den Gründen sprang man zu den Personen über, zu einzelnen, die einzelnen bekannt waren. Von dem einen wußte man, daß er nie das Abendmahl genieße, von dem andern, daß er ein liederliches Leben führe, Weib und Kinder vergesse, oder, um liederlicher leben zu können, weder Weib noch Kind auf seinen Namen haben wolle. Von einem andern wollte einer, als er einmal vor «Orlizenz» war, wie er sagte, leichtfertige, gottvergessene Reden gehört haben, und dazu habe er damals ausgesehen wie ein rechter Fötzel. Ich redete nun wieder dagegen recht warm und führte ihnen zu Gemüte, daß man nie vom einzelnen auf das Ganze schließen dürfe, und auch nicht vom Schein auf die Wahrheit. Man habe Talente nötig, Männer von Kenntnissen und Einsicht; da könne man nicht auf alles sehen und wenn vielleicht auch einzelne nicht so recht christlich wären, was ich aber nicht wisse, so hätten sie doch auf das Ganze kaum den Einfluß, daß für die Religion etwas zu fürchten wäre. Allbets sei es damit noch weit schlimmer gewesen als jetzt, sie sollten sich nur recht erinnern. Es sei doch noch besser, gar nicht in die Kirche zu gehen, als die Beine über einen eingemachten Stuhl hinauszuhängen und mit dem Augenglas während dem Abendmahl allen hübschen Mädchen nachzusehen.

Als ich endlich außer Atem einen Schluck aus meinem Glase tat, begann bedächtlich ein junger Mann, der sonst nicht viel sprach, mir folgendes zu entgegnen: Ob die Alten Religion gehabt haben, oder liederlich gewesen, darnach hätten wir nicht zu fragen; sie zählten sich nicht zu uns, gaben sich nicht für unsere Muster aus. Sie waren unsere Herren, und in ihrem Interesse war es, unsere Herren zu bleiben so lange als möglich. Mag nun dieses Interesse auch ihre einzige wahre Religion gewesen sein, so lehrte es sie doch, uns bei dem Glauben zu behalten, daß die Obrigkeit von Gott eingesetzt sei; es lehrte sie, uns zu geduldigen Christen zu erziehen, wenn auch nicht um der Religion, doch um des Gehorsams willen.

Jetzt sind aber alle gleich, der Schultheiß nicht mehr als der Kaminfeger; so kann jeder sich mit dem andern zusammenstellen, kann jeder denken: Was dem erlaubt ist, ist mir nicht verboten; je höher einer steht, desto mehr kann er zum Beispiel dienen, und wenn er ein schlechtes gibt, so wird er um so mehr Leute verführen. Jetzt haben wir keine Herren mehr, das Vaterland ist unser Gemeingut, es ist nur etwelchen zur Verwaltung anvertraut. In meinen Geschäften werde ich aber mein Hab und Gut nicht Leuten anvertrauen, die keine Religion haben, die liederlich sind, die ein Spielball ihrer Lust sind; sie bieten mir keine Sicherheit dar, wie flüssig sie auch reden können; sie werden zuerst zu sich sehen, und an andern Spitzbuben zu werden, macht ihnen eben kein großes Gewissen, wenn es ihnen komod ist. Soll ich dann solchen Leuten das Vaterland anvertrauen, Leuten, die in keinem ehrbaren Dorfe Sittenrichter werden könnten, wo man noch nicht den Brauch hat, den Bock zum Gärtner zu machen? Was die Alten waren und machten, ging mich nichts an; was aber die Neuen sind, und was sie machen, und ob sie Religion haben, geht mich an; denn haben sie keine, so wollen sie mir auch die meine nehmen und untergraben.

Da fuhr ich ihm in die Rede, und warf ihm vor, wie er sagen könne, die Alten hätten vielleicht nicht mehr Religion gehabt, aber sie den Untertanen gelassen, und die Neuen wollten sie nun nehmen; dazu sehe ich keinen Grund, als daß er eben ein Schwarzer sei. Mir war daran gelegen, daß ein solches Mißvergnügen nicht Wurzel fasse. «Meiß», sagte er, «du willst nur disputieren, du begreifst das besser als ich. Wir wählten die Alten nicht; ob sie Religion hatten oder nicht, ging uns eben nichts an; hingegen war ihnen komode, wenn wir etwas Religion hatten; sie dachten: würden wir gewöhnt, Gott zu gehorchen, so würden wir auch besser Menschen gehorchen können, zahmere Lämmer sein. Haben die Neuen keinen Glauben, so müssen sie uns den unsern schwächen, untergraben, gleichgültig machen; denn sonst wählen wir sie nicht mehr, so lange wir noch auf Religion etwas halten. So lange die Religion uns lieb ist, die wir von unsern Vätern geerbt haben, so lange wollen wir von denen, die diese Religion schützen sollen, daß sie diese Religion auch selbst besitzen, und sie für ihr teuerstes Eigentum halten; sonst werden sie dieselbe allen Feinden preis geben, werden ganz eigentlich an ihrem Untergange arbeiten; denn sie fühlen wohl, daß sie die sind, welche als Spreu, das ins Feuer gehörte, bezeichnet werden, wenn die gewaltige Wurfschaufel unter die Völker fährt.» – Wenn dem also sei, entgegnete ich, so sei ja das der beste Beweis, daß die Neuen Religion hätten, weil doch noch mit Recht ihnen durchaus kein Vorwurf gemacht werden könne, daß sie anderer Religion zu nahe treten, daß sie jemand sie nehmen wollten. Da fing nun das Geschrei von vornen an, über die Natur und das Buch von der Geiß und dem Gitzi, und die Aufführung einzelner und ihre Reden, und wir jagten uns den ganzen Abend recht hitzig im Kreise herum, und ich brachte nicht nur nichts ab, sondern schadete mir auf lange Zeit, und hätte mich bald um den alten Kredit disputiert. Das alte Mißtrauen gegen mich, von den Weibern angeregt, erwachte wieder; man fürchtete, ich möchte auch von der neuen Lehre angesteckt sein, und gerade deswegen insgeheim hieher gesandt, um sie unter der Hand einzuführen. Man fing an zu forschen, was ich eigentlich die Wirtskinder lehre, und fand mit großem Schrecken, daß sie von Wilhelm Tell und von Winkelried redeten, und daß sie wußten, daß die vierfüßigen Tiere vier Beine, und die Vögel Fecken und Federn hätten. Da schlichen die Weiber wieder ins Haus, riefen die Wirtin neben aus, und flüsterten ihr zu, ich sei auch einer von denen, und wie sie mich doch nur im Hause behalten möchten. Ich verführe ihre Kinder; so habe des Wirts Christi zum Joggi gesagt, es gäb schwarzi Mönsche, u us dene chönn me Christe mache, u doch wüß jo n-ieders Ching, daß nume der Tüfel schwarz syg, u daß dä ke Christ werde chönni; aber Christe well me z'Tüfle mache. Der Wirtin ward wirklich bange, und sie wußte nicht recht, woran sie war. Die Kinder gehorchten weit mehr, waren reinlicher, manierlicher und recht gschicht, so weit sie sich darauf verstund und darauf acht zu geben sich Zeit nahm, was selten geschah. Aber dReligion, dReligion sei doch die Hauptsache von allem, meinte sie, als sie mit zitterndem Herzen mich zur Rede stellte; dReligion sei doch die Hauptsache, und hatte sich doch bis dahin mehr um die Löcher in den Hosen der Kinder, als um ihre Religion bekümmert, und nicht darnach gefragt, ob sie eine oder keine hätten. «Anneli bet!» und wenn es beten konnte, so war sie zufrieden.

Nun ließ ich die Kinder erzählen allerlei schöne Geschichten, die ich sie gelehrt über die Vorsehung Gottes und seine Leitungen in Lohn und Strafe. Die Wirtin fand sie recht schön, aber dReligion sei doch die Hauptsache! Ich ließ die Kinder aus dem Leben Jesu erzählen, was sie davon fassen konnten. Ja, das könne man im Testament auch lesen, meinte sie, aber dReligion müsse man doch dabei haben. Nun ließ ich die Kinder Fragi aufsagen; da war sie zufrieden, und gab das Zeugnis: Sie hätte es doch gedacht, ich hätte auch Religion und lehrte sie die Kinder; sie wolle es den andern Weibern sagen. Sie tat es, aber lange ging es, bis ich mir das alte Zutrauen wieder erworben hatte. Mit der größten Behutsamkeit mußte ich vermeiden, über diesen Gegenstand mich zu erwärmen; sobald ich nur von weitem die Partie derer nehmen wollte, deren Religion in Zweifel gezogen wurde, so las ich auf den Gesichtern die wiederkehrende Meinung, ich sei auch einer von denen. Daher gelang es mir auch nicht, das Mißtrauen, das sich einmal festgesetzt hatte, erregt durch unberufenes und unbefugtes Einmischen derer, welche unglücklicherweise wähnten, sie allein verstünden alles, und könnten in einer Republik befehlen und durchsetzen gerade wie auf ihrem Zwinghof, zu tilgen. Bei jeder Gelegenheit, bei jeder Verordnung kam es zum Vorschein, und allemal hieß es: Wenn sie Religion hätten, so ginge es nicht so, so geschähe dies nicht, würde jenes nicht befohlen; und in stillschweigender Hartnäckigkeit ließ man befehlen, und tat, was man wollte, und sagte: «Sie werde nit alles welle zwänge». Welch heillosen Nachteil dieses brachte in die beabsichtigten Fortschritte in der Republik, konnte ich nur daraus schließen, wenn ich berechnete, wie weit das gegen mich erzeugte Mißtrauen in meinem kleinen Dörfchen mich zurückbrachte. Dieses Mißtrauen wurde noch dadurch befestigt, daß die Mitglieder der Regierung nicht nur in den Zeitungen, sondern selbst im Großen Rate einander verdächtigten, im Kote herumzogen, ich weiß nicht, ob ganz aus guter Aufrichtigkeit, oder um sich groß zu machen, wie es auch im gemeinen Leben geschieht. Es ist ein rechtes Elend, mit welcher Pöbelhaftigkeit einige Heldchen sich gebärden, um vielleicht zu imponieren und terrorisieren, oder wahrscheinlicher ihre Unwissenheit zu bedecken, mit dem groben Geschütz. Ich hätte gedacht, die Leute im Großen Rate sollten klüger sein als das gemeine Volk; und doch wissen gar viele aus diesem, was das für einen Eindruck auf die Kinder macht, wenn die Eltern vor den Kindern einander alles Leids vorhalten, und eins das andere verdächtigt und ausschimpft. Beide verlieren den Respekt, und die Kinder fangen auch an, ihnen zu sagen, was ihnen in das Maul kömmt. Da kann man lange predigen: Ehre Vater und Mutter! sobald sie sich nicht selbst ehren. Was nützen da Achtungsgesetze, wo es scheint, als ob man Verdächtigungen viel ungestrafter im Großen Rat von sich geben könne, als in irgmd einer Kneipe, das heißt, wenn man von der Majorität ist.

Wer von Natur unsauber ist, will die andern auch unsauber haben; wegen der Gleichheit und Freiheit gelang es ihm, und wer aus Zufall oder Gunst verschont wurde, den rühmt die Allgemeine, das heißt sie zeigt mit dem Finger auf ihn, als ob sie sagte: Dä het no nüt, gät dem o; und flugs ist auch er überschüttet von Kopf bis zu den Füßen, und wenn es niemand tat, so tat sie es selbst. Wenn nun Mann für Mann so recht im Kote herumgetrölt, so gleichsam im Dreck vergoldet ist, daß man keinen saubern Faden mehr an ihm sieht, und jedermann die Nase zuhält und sagt: Pfitusig! da kommen dann aus dem Hintergrunde parfümierte, nach allen Schmöckwassern riechende, schön gebürstete, saubere Herren und Herrlein, strecken gar freundlich ihre gewaschenen Tätzchen dar und sprechen: «Gfalle mir ech nit viel besser, und schmöcke mir nit besser als die Mistfinken da?» «Das wohl», wird man sagen, «aber es isch ech nüt z'traue.» Und dann werden sie weiter sprechen schön und glatt und wohl schmöcke dazu, und wer weiß, was dann das Volk macht; wenigstens weiß ich, was die Weiber machen würden, und die haben in unserm Vaterlande auch viel zu sagen, wenn schon nicht öffentlich, doch hinter dem Umhang.

Kaum hatte das Schulwesen etwas versurrt, so kam das Wirtschaftswesen an die Tagesordnung, und es wurde gar grimmig räsonniert. Unser Wirt führte da ein großes Wort, aber bei weitem nicht das größte; Weiber und Gemeindräte schrien eben so sehr dagegen, allenthalben, wo zwei oder drei beisammen waren.

Die Weiber räsonnierten: Jetzt, wo nur ein Wirtshaus sei, wüßten sie doch, wo ihre Männer wären, und könnten guggen, was sie machen; wenn aber zwei oder mehrere seien, so wüßte man nie, wo man sie suchen solle, und in den neuen würde man vielleicht auch nicht eine so komode Gaststube haben, wo man alles sehen könne zu den Fenstern ein. Trini jammerte, ihr Mann gehe jetzt schon viel ins Wirtehaus, und wenn es zwei geben sollte, so würde er noch einmal so viel gehen. Stüdi quälte sich am meisten darüber, daß es zwei Wirtinnen geben solle, man hätte an dieser zu viel. Stüdi war eifersüchtiger Natur und herzwüst. Am meisten schrien die Weiber in den Dörfern, wo gar keine Wirtshäuser waren bis dahin, und ihre Männer ruhig alle Abende zu Hause blieben. Sie behaupteten: die Gelegenheit mache Schelme; je näher man das Wirtshaus habe, desto mehr sei man darin; man solle nur dort und dort sehen, wo die meisten Hudeln seien. Sie führten Dörfer an, wo Knechtlein des Abends ins Wirtshaus gingen, und alle ihre Kleidleni bei den Krämern noch schuldig seien. In einem solchen Dorfe saßen sie zusammen, um eine Vorstellung zu machen, daß sie keines begehrten; sie saßen mehrere Abende zusammen und redeten ohne Unterlaß, aber alle auf einmal, so daß sie immer recht vergnügt heim gingen, aber ohne Beschlüsse gefaßt zu haben, und allemal wieder da anfangen mußten, wo sie es gelassen das letztemal, und allemal hörten sie wieder auf, wo sie angefangen. So kam die Konzession für eine Pinte ins Dörflein, ehe eine Eingabe gemacht war; da sollen die Männer eine böse Nacht gehabt haben, und man behauptete, die meisten hätten eine gute Stunde des Morgens früher zu füttern angefangen als gewöhnlich. Die Gmeinsmanne schrien auch gar laut: Je mehr Wirte seien, desto teurer werde man alles haben müssen; jeder wolle gelebt haben, wolle reich werden; je weniger man verkaufe, desto mehr Profit müsse man nehmen. Ein ganzes Dorf hätte kaum vermocht einen Wirt zu mästen; wie es dann übelgehen müsse, wenn man zwei oder drei zu mästen habe. Wer solle am Ende die Armen erhalten? e mal nit dRegierig, die sellis mache; man verspreche immer und halte nichts. Sie hätten jetzt schon genug Hudeln, und doch scheuten sich noch viele ins Wirtshaus zu gehen, aus Furcht, Vorgesetzte oder solche anzutreffen, die steuern müßten. Wenn aber in jeder Ecke eine Pinte sei, wo sie sicher wären, niemand anzutreffen, da solle man dann sehen, wie es gehen werde; und noch dazu, wo jeder machen könne, was er wolle, und wirten, so lange er wolle, und die Polizei nur ein Maul habe, um zu fressen und zu trinken, aber keine Augen, um zu sehen. Man solle nur sehen, wie es gehe im Sch.-Graben, wo vier oder fünf auf einmal wirten wollten, und wirklich wirteten, ehe sie Bewilligung hatten; denn Ordnung sei keine mehr, und die, welche sie halten sollten, hätten wohl zehn Finger, aber sie luegten durch alle. Man solle im Sch.-Graben nur sehen, da dünke es einem, man sehe an den Kindern wirklich schon ein ganz verwildertes Wesen.

Der Wirt blies die gleiche Melodie, aber in einer andern Stimme. Er meinte, es sei darauf abgesehen, die gegenwärtigen Wirte zu Hudeln zu machen, welche ihre Wirtshäuser teuer angenommen hätten. Man werde sehen, wie einer nach dem andern geldstagen müsse, wenn ihm Geld abgekündet werde; es müßte einer ein Esel sein, wenn er ein altes Wirtshaus teuer kaufen wollte, während er wohlfeil ein neues errichten könne. Aber die, welche solche Gesetze machen, suchten den Profit für sich. Die einen seien Weinhändler und wollten größern Weinverbrauch: andere möchten gerne selbst Wirte werden, oder hätten Söhne, Tochtermänner, Schwäger usw., die wirten möchten; darum hätten sie ein solches Gesetz gemacht, das gar niemand verlangt habe. Wäre Gerechtigkeit im Lande, so wäre zugleich ein Gesetz gemacht worden, daß keiner von denen, welcher zum Patentsystem gestimmt, lebenslänglich eine Wirtschaft errichten oder ausüben dürfe, und keiner seiner Verwandten während zwanzig Jahren; da hätte man sehen können, ob das Patentsystem auch herausgekommen, ob Vaterlandsliebe oder Privatliebe es aufgerichtet.

Am Ende kamen alle darin überein, es müsse halt alles neu sein, nichts Altes sei mehr gut. Wenn einem etwas Neues in Sinn komme, so brauche er nur recht laut zu brüllen, so meinten die andern, sie müßten auch nache gagge, sie seien sonst die Leidere; und so entstehe ein Gebrüll, daß einem die Ohren surren, und dann ein Gesetz, das niemand gefalle, ob dem es dem Tüfel gruse, und das am Ende niemand gemacht haben wolle, sondern jeder dem andern den Schmutz auf den Ärmel zu streichen suche. Die Seeländer schrien hüst, die Oberländer hott und die Oberaargauer hüsthott, und am Ende gehe es hüsthott, das heißt bald hott und bald hüst, bald in den Graben, bald in den Zaun. Wer hott gerufen, wolle nicht schuld sein, daß es in den Graben gegangen; wer hüst gesagt, nehme den Zaun nicht auf sich, und die Hüsthottler behaupteten, sie hätten gradaus gewollt, und wenn sie nicht gewesen wären, so wäre es viel z'übel gegangen. Und, sagten dann meine Bauern, wenn sie Religion hätten, so ginge das nicht so; aber wo keine Religion ist, da geht es halt nicht gut. Ich redete wieder ein und meinte, man könne doch im Großen Rat nicht dFragi aufsagen; sie täten es im Gemeindrat auch nicht. Ein Gesetz könne nie allen recht sein; man müsse der Zeit erwarten, um mit Grund urteilen zu können, ob es dem Lande Nutzen oder Schaden brächte, und gegen die Religion könne ich nichts darin sehen. «Los, Meiß», sagte einer «da gib nume lugg, es hilft dr alles nüt, we d' nüt gschiders z'brichte weist, so hör nume-n-uf und gang i ds Bett. Wenn sie Religion hätten, so würden sie nicht so wüst tun, einander nicht so verdächtigen und nicht so eigennützige Dinge machen.» Dann ging das alte Disputieren gewöhnlich von neuem an und die alten Sachen wurden wieder aufgewärmt. Hätte einer von denen, über welche sie so schimpften, nur eine Sekunde mit ihnen freundlich, manierlich, mit dem nötigen Takt sich unterhalten können, so würden sie gesagt haben: «Das ist doch e brave Herr; ja, we si all so wäri.» Schade, daß des Volkes beste Freunde diese Annäherung oft mutwillig versäumen aus angeborner Steifheit und Pomade. Des Volkes Feinde wissen sich diese Versäumnis zu Nutzen zu machen. Aber Takt bedarf es und Kenntnis des Volles, damit diese Annäherung den gewünschten Erfolg habe; wer das Volk nicht kennt, schießt grobe Böcke und kann leicht übel wegkommen.


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