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Wie ich aus einem Rekrut zu einem Mann werde

In ein solches Regiment trat ich ein. O, so ein Rekrut ist ein armselig Ding! So lang man auf dem Wege zum Depot ist, geht es, wenn man etwas Geld hat und sich nicht mit der magern Kost, bei welcher zu Gunsten der Obern der Brotkorb hoch gehängt ist, begnügen muß. Sobald man aber unter die Hände der Instruktoren fällt, geht der Tanz an. Alle möglichen Ehrentitel, unter denen Bauernlümmel der reputierlichste ist, muß man hören vom Morgen bis an den Abend; und wer vorher nicht exerzieren konnte, der wird herumgestoßen, das Gewehr ihm in den Armen herumgerissen, daß er ringer seine zwanzig auf den H... nehmen würde. Ist er mit dem Exerzieren fertig, so fallen die über ihn her, welche früher als er da waren und einen Teil der Schule durchgemacht haben; wer nur eine Woche früher eingerückt ist, glaubt schon das Recht zu haben, auf den Ankömmling mit Stolz herabzusehen, sich seiner zu seinem Vorteil zu bedienen. Auf das Rupfen ist es natürlich abgesehen bei allen, und wer mit den Instruktoren und Kameraden in Wein und Schnaps sich abfinden kann und will, der kauft sich von mancher Plage los.

Das wollte ich nun aber nicht. Gleich am ersten Tage erbitterten mich die Schimpfwörter, das Stoßen der Befehlenden, das Betragen der Kameraden; jemanden, der mich böse gemacht, dem zahlte ich keinen Wein, das wäre mir durchaus unmöglich gewesen; ich hätte mich eher zu Kraut und Rüben verhacken lassen. Am folgenden Morgen ging es noch ärger, und ich wurde noch böser, wurde auch in der Erbitterung ungeschickter, was das Übel nur vermehrte. Ich räsonnierte; man hieß mich einen bösen Kopf, une mauvaise tête, den man ringgeln müsse; ich verging mich, wurde gestraft, konnte längere Zeit nicht in die Kompanie treten, und als ich es endlich konnte, ward ich dort tüchtig empfohlen auf der einen Seite, und zweitens wirklich störrisch im höchsten Grade auf meiner Seite, so daß es nicht anders als böse gehen konnte. Beim Exerzieren bekam ich immer Tadel oder Strafe. Ich war groß und fiel daher in die Augen, auch wenn man kein besonderes Auge auf mich gehabt hätte. Niemand machte mich mit den kleinen Vorteilen beim Putzen der Montur und Armatur bekannt; alle hatten ihre Freude daran, wenn ich am meisten dabei schwitzte, am längsten daran machte, und doch am Ende alles am schlechtesten hatte. Auf dem Fechtboden stieß und schlug der Fechtmeister mich tüchtig, lehrte mich nichts, stellte mich immer heraus als einen, mit dem nichts anzufangen sei, weil ich ihm weder eine Flasche zahlte, noch einen Franken in die Hand drückte; und doch wurde ich nun auch vor die Klinge genommen. Ich wollte gegen einen Neckenden einst meine Faust brauchen; da bedeutete man mir, es sei hier eine andere Mode, ich müßte heraus. Mein Gegner war kein geübter Fechter, auch nicht stark, glaubte aber sich sicher und mir weit überlegen. Mir klopfte das Herz vor dem blanken Eisen doch ein wenig; als ich es aber einmal in der Hand hatte, da schien ein eigener Geist in dasselbe zu fahren; es war, als würde es lebendig in meiner Faust; die Erbitterung trug das Ihrige dazu bei; ungewohnte Hiebe und Stöße, ein eiserner Arm, der jede Parade durchgehauen hätte, wenn die Streiche nicht meist flach gefallen wären, brachten meinen Gegner außer Fassung, und bald hatte er eins über den Arm erhalten, an dem er einstweilen genug hatte. Nun wurde ich froh und stolz und meinte, beim Regiment die gleichen Siege zu erfechten mit der Klinge, wie zu Hause mit der Faust; aber ich täuschte mich. Man ließ mir nicht lange Zeit zum Stolz; bessere Fechter verbanden sich, den Bauernlümmel zu züchtigen; ich mußte wieder aufs Terrain, erhielt eine Schlappe, und dann wieder eine, und wieder eine. So führte ich ein wahres Höllenleben, und fühlte auch eine wahre Hölle in mir; denn ich mußte regelmäßig den Kürzern ziehen. Mit kaum vernarbten Wunden auf der Brust beging ich einen Insubordinationsfehler gegen einen Unteroffizier im Dienst; ich wurde krumm geschlossen. Hätte ich den Zustand meiner Brust gezeigt, es wäre kaum geschehen; allein man hätte mir eher die Zunge ausreißen können, ehe ich mit einem Wort je einen Grund zum Nachlaß von Strafen vorgebracht hätte. In dieser Stellung brachen meine Wunden auf, entzündeten sich, und eines Morgens fand der Wächter mich im heftigsten Fieber. Man schloß mich auf, fand bald die Ursache des Übels und brachte mich ins Spital. Lange lag ich dort zwischen Tod und Leben; endlich kam ich wieder zum Bewußtsein, aber lange nicht zur Kraft. In meinen Träumen hatte ich oft eine große Gestalt an meinem Lager gesehen und sie herausgefordert, oder mich herausgefordert geglaubt; ihr Erscheinen machte mich allemal unruhiger. Nun beim Bewußtsein sah ich sie wieder vor mir stehen, mit großen, ernsten Augen, einem grauenden Schnurrbart, einem Munde, der nur Patronen beißen zu können schien, einen Mann mit einem wahren Schlachtengesicht, und einer Haltung, als ob er vor seinem Kaiser präsentiere.

«Nun, Kamerad», sagte er, «diesmal kömmt es noch nicht an dich; es hat geheißen: Rund vorbei! Aber sage mir, was hat dich so wild gemacht in deinen Träumereien; was hast du da immer zu schlagen und zu fluchen gehabt?» Es ging lange, bis er ordentlich Antwort bekam; aber meine Krankheit hatte mich weich gemacht, und zudem sah aus dem schwarzbraunen Gesichte eine solche Gutmütigkeit mich an; sie war mir so seltsam und tat mir so wohl, daß ich nicht widerstehen konnte. Ich erzählte ihm nach und nach meine Lage, so weit ich sie übersah. Als ich fertig war, brach er aus: «Tonnerre de Dieu, ja, das sind ganz die Lumpenkerls, die Pflastertreter, die noch nie Lunte gerochen; ehemals ging es anders: Foudre, du wärest Korporal, Gotthelf, wenn ein anderer noch beföhle; aber du bist auch ein Lümmel, hast ihnen das Heft in die Hand gegeben, kannst scheints nichts, hast nichts gelernt?» Ich entschuldigte mich, daß mich niemand etwas gelehrt, niemand mich hätte brichten wollen. «Bist doch ein Lümmel», sagte er, «hast du jemand bestochen, daß er dich brichte?» Auf mein Nein sagte er: Da siehst du den dummen Kerl; beim Regiment, so wie es jetzt ist, muß man sich einkaufen, erst mit Geld, dann, wenn es sein muß, mit der Klinge. Ehemals da kaufte man sich vor einer Zwölfpfünder-Batterie ein, oder in einem Schanzgraben, mais aujourd'hui! In jedem Regiment sind ein paar, die davon leben, Anfänger für ihr Geld einzureiten; für ein paar Francs wärest du dem allem los gewesen. Mais diable, ich hätte es auch so gemacht und die Fuchsschwänze nicht mit Geld geschmiert, ces misérables! Aber ich will dich brichten ohne Geld, und du mußt ein ganzer Bickel werden; du gefällst mir; gerade so einer war ich auch. Attendez seulement. Dafür mußt du alles besser wissen und besser können als sie alle, und das alles kann dich niemand besser lehren, als der alte Bonjour, der im Lager von Boulogne dem Kaiser das Pferd hielt, und bei der Beresina lange von ihm angesehen wurde. Ja, wir kannten uns, ich und er!»

Auch er war im Spital an aufgebrochenen Wunden, die ihn jedoch nicht im Bette hielten und an keiner Bewegung hinderten; ich sah, daß man allenthalben mit einer Art Respekt ihn behandelte oder ihm aus dem Wege ging, daß er ungescheut redete, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Sobald ich nur in etwas mich erholt hatte, fing er seinen Unterricht bei mir an theoretisch und praktisch; den letztern begann er beim Knöpfeputzen. In wenigen Tagen wußte ich mehr, als ich während drei Jahren, die ich beim Regiment gewesen, gelernt hatte. Bald konnte ich in seiner Begleitung an die frische Luft. Ich konnte mich nicht satt hören, wenn er zu erzählen anfing von allen den Feldzügen, denen er beigewohnt, von allem ausgestandenen Wunderbaren, von großen und kleinen Kugeln, die wie Spreu sie umflogen, von Sonnenglut, in der sie zerschmolzen, von des Winters Kälte, in der sie erstarrt; alles das ausgemalt in die Einzelheiten hinein, wie nur ein Augenzeuge sie auffaßt. Und über alles sprach er, nicht nur wie einer, der dabei gewesen, sondern auch wie einer, der darüber zu Rate gesessen; er konnte alle Warum lösen, und zeichnete in den Sand alles so lebendig ab, was sein Mund erzählte, daß ich glaubte, selbst dabei zu sein. Er sprach von Dingen, von denen ich nie etwas gehört, von Ländern und ihrer Lage, von denen ich nichts geahnt; er sprach von Länge- und Breitegraden, nach welchen man die Stelle der Länder auf der Weltkugel bestimmt, und erklärte mir das so faßlich, daß ich darüber erstaunte und alle Tage wißbegieriger wurde, und mehr lernte, als alle Tage meines Lebens vorher, und der Alte hatte immer größere Freude an mir, und verdoppelte seine Anstrengung. So wie meine Gesundheit es erlaubte, begann er den Fechtunterricht mit hölzernen Säbeln; er erstaunte über meine natürliche Fertigkeit dazu, trotz meiner gegenwärtigen Schwäche, und konnte nicht warten, bis sie an mir den alten Bonjour fühlen würden. Er war unstreitig der beste Fechter im ganzen Regiment und behauptete immer, nur einer, der seiner Waffe Meister sei, sei ein rechter Soldat; alle andern seien nur Lückenbüßer und Pulverfutter; und nur der, welcher auf den Säbel in seiner Faust trauen könne, habe Mut und verdiene befördert zu werden; und wenn auch das nicht geschehe, so hänge doch davon der Respekt ab, den jeder genieße. Ein Offizier, der nicht fechten könne, mahne ihn gerade an eine Frau, die nicht kochen, ein Mädchen, das nicht tanzen könne. Um so verwunderter war ich, als er einmal an einem stürmischen Tag, nachdem er vernommen hatte, daß ich nicht schreiben und rechnen könne, mit Schreibzeug heranrückte und mich dahinter pflanzen wollte. Ich weigerte mich, behauptete, ich sei zu alt dazu, werde es mein Lebtag nicht brauchen, und wolle bei der Klinge bleiben. Aber mein Alter wurde böse und meinte: Zu etwas Gutem sei es nie zu spät; er wäre noch älter gewesen, als er es gelernt, und wenn ich es im Dienste wohin bringen wolle, so müßte ich schreiben und rechnen können. Ich machte wieder Einwendungen und meinte es im Dienste nicht weiter bringen zu können und zu wollen, als bis ich die Hiebe wieder ausgeteilt, die ich empfangen, und das könne füglich in den Monaten noch geschehen, die ich laut Kapitulation noch zu dienen hätte. Was ich noch werden könne und würde, das wisse er nicht, sagte er, aber das sei des Mannes Pflicht, sich tauglich zu machen zu allem Nützlichen, damit, wenn er nichts werde, nie er selbst, sondern nur unser Herrgott schuld sei daran. Ich käme ihm wie ein schlechter Kerl vor, wenn ich den Dienst verlassen wollte, in dem ich nur der Lümmel gewesen, jetzt, nachdem er mich zu etwas Rechtem gemacht; wenn ich schon nicht avanciere, so würde ich jetzt ganz andere Zeiten haben als früher, und wo er mir helfen könne, da sei er da; übrigens wisse keiner, was es noch geben könne. Sobald ein schöner Nachmittag sei, wollten wir ins Freie, und er werde mir dann etwas erzählen, nach welchem ich nicht Lust haben werde auszutreten, und ein Lümmel zu bleiben mein Leben lang.

Er wurde wieder heiter, und wir setzten uns ins Freie hinter eine Flasche. Recht bequem hatte es sich der Alte gemacht, und nachdem er alles hatte, was er bedurfte, und so gestellt, wie es ihm am besten zur Hand war, begann er mir zu erzählen, was ich nur in aller Kürze wiedergeben will. «Ich war ein wilder, gottloser Bube, war aber auch gottlos erzogen und gottlos geprügelt worden. Sobald ich zu Kräften kam, prügelte ich wieder, und als einst meine Stiefmutter halb tot am Boden lag, da lief ich fort; ich glaubte sie tot. Ich konnte weder lesen noch schreiben, wußte lange nicht was anfangen, war ein Strolch, und als ich vor Hunger fast darauf ging, und zum Stehlen zu dumm war, da lief ich endlich der Trommel nach und ward Soldat. Ich war wild und stettig wie du; allein wir lagen nicht in Garnison, sondern im Felde, da geht es ganz anders. Ich war verwegen, voran bei jedem kühnen Streich, aber auch bei jedem schlechten. Brennen und rauben, und noch anderes, was ich nicht sagen mag, war meine Burgerlust; je größer das Wehegeschrei um mich her, desto mehr lachte mir das Herz im Leibe; hatte ich doch auch oft so geschrieen und rings um mich alle gelacht. Zudem war unser Regiment durch einige hinterlistige Mordtaten erbittert, und überhaupt ist der Schweizer, wenn er einmal losgelassen ist, ein unghürigs Tier. So trieb ich es lange, und stund bei den Kameraden in gewissem Ansehen; denn in der Not konnte jeder auf mich zählen; einigen schien vor mir zu grauen, aber ich spottete ihrer.

«In Kalabrien war es, daß wir einmal ein Städtchen und mit demselben einige Nonnen- und andere Klöster, mit dem Säbel in der Hand, einnahmen. Wir taten wie gewohnt, und ein herzzerreißendes Geschrei erschütterte in einem Nonnenkloster die Mauern, wo wir eben unsere Teufelslust hatten. Auf einmal schlug eine gewaltige Stimme scheltend auf uns ein; es war unser Hauptmann, der vor nicht langem zu uns versetzt worden, und von seinem Mute uns heute die erste Probe abgelegt hatte. Wir waren des Abwehrens nicht gewohnt, achteten nicht auf ihn. Er gebot noch einmal; wir gehorchten nicht; nun schlug er auf uns ein mit flacher Klinge, daß mir noch jetzt die Ohren surren. Ich wollte mich wehren; da traf er mich über dem Handgelenk, daß ich glaubte, mit dem Säbel entfalle mir auch die Hand, und in wenigen Augenblicken war die stille Behausung von uns Unholden geräumt. Während wir so schnöden Mutwillen trieben und uns zerstreut hatten, kehrte der Feind mit Verstärkung zurück, überraschte uns. Nun natürlich ein Gewirre, das nur der begreift, der es erlebt. Der Feind war mitten in der Stadt, ehe man ihn bemerkt hatte, in allen Häusern unsere Soldaten vereinzelt, nirgends ein kompakter Widerstand. Voll Schrecken ergriffen viele die Flucht, andere mit sich fortreißend, den Glauben an die Möglichkeit eines Widerstandes verlierend; und wo der aufgegeben ist, ist alles verloren. Da erschien mein Hauptmann wieder und stemmte der Flucht sich entgegen, doch umsonst; er war noch nicht eine bekannte Erscheinung unter uns, die im Felde fast unwillkürlich wirkt. Da schritt er durch die Flüchtlinge dem Feinde entgegen, hieb dem vordersten der Feinde eine Wunde quer durchs Gesicht, und mit einer aufgegriffenen Flinte wehrte er sich gegen die Nachdringer. Flüchtlinge eilten an ihm vorbei; da kam auch ich, eine kostbare Monstranz in den Händen, und wollte dem andern Tore zu. Als ich den Kämpfenden sah, fiel mir auf einmal ein, man könnte sich doch also noch wehren, noch sei nicht alles verloren; ich sprang ihm bei, das Vorige ganz vergessend; mir folgten andere, das gleiche denkend. Wir hielten den Feind auf; die Überraschung verflog, die Flucht stand; die Flüchtlinge erhielten wieder Besonnenheit, mit dieser ihre alte Überlegenheit; bald war die Stadt wieder unser. Das ist, was der alte Krieger vor dem jungen voraus hat, nicht den Mut, nicht das Feuer, nicht die Einfälle, sondern die unerschütterliche Fassung, die nicht vergißt, was noch möglich ist.

«Als wir uns am Abend auf dem Markte zum Appell aufstellten, kam der Hauptmann die Fronte hinunter und sagte laut zu mir: ««Bonjour, heute hast du ein braves Stückli gemacht; es ist aber auch das erste von dir, das ich gesehen habe; komm nachher zu mir, ich habe mit dir zu reden.»» Mit Worten, die schärfer waren als sein Säbel, sagte er, wie ihm alles mißfallen, was er bisher von mir gesehen, wie ich ihm als ein grundschlechter, gottloser Bursche vorgekommen; daß ich ihm aber nach erhaltener Züchtigung zu Hülfe gekommen, das sei ein Zeichen, daß ich besser sei als ich scheine, daß sich noch etwas aus mir machen lasse. Er sei mir Dank schuldig, und wenn ich glaube gehorchen zu können, so wolle er versuchen, mich zu einem rechten Menschen und wahren Soldaten zu machen; bis dahin sei ich nur ein Räuber und Mordbrenner gewesen. Es regte sich in mir gar seltsam und wunderlich; so hatte noch niemand zu mir gesprochen, und ein unbekanntes Etwas in mir machte mir eng und heiß. Der Hauptmann sah, daß der Brand in meinem Gesichte erglühe aus tiefer Scham, und nahm mich zu seinem Burschen an.

«Mein Hauptmann war ein eigener Mann. Von der Pike auf hat er gedient; eine Heldentat unter den Augen der Kommandierenden hatte ihn zum Offizier gemacht; später war er zum Hauptmann aufgerückt. Als er meine Unwissenheit, meine Gottlosigkeit merkte, kam er auch einmal, als wir ruhig lagen, mit Tintenfaß und Feder angerückt, samt einem Buche; ich machte es wie du. Da kapitelte er mir tüchtig ab, und meinte, das sei eben die niederträchtigste Geschichte in der Welt, daß die wenigsten Menschen dafür sorgten, tüchtig zu sein für das, wozu sie nicht bloß berufen würden, sondern wozu sie sich drängten, oder was sie doch wenigstens wünschten. Jeder lebe seiner Bequemlichkeit, Lust, Trägheit, und werde er etwas und könne nichts, so schäme er sich nicht einmal, schiebe erst die Schuld und dann die Arbeit auf andere und nehme getrost Ehre und Geld für sich; und wenn einer etwas nicht werden könne, weil er nicht das Nötigste wisse (was aber glücklicherweise für die meisten selten untersucht werde), so fange er ein Zetergeschrei an über Unrecht, das von Anfang der Welt an an ihm begangen worden. Unteroffizier werde ich doch zu werden wünschen, und vielleicht noch mehr; denn das sei kein braver Soldat, der nicht ein höheres Ziel im Auge habe; aber nie könnte ich mit Ehren etwas werden, ohne etwas zu können. Viel leichter würde ich in solchem Zustande Offizier als Unteroffizier, so wie man unwissend durch und durch zu Hause auch eher Landvogt werde als Schreiber, eher Ratsherr als Weibel. Allerdings gebe es manchen Haupt, mann im Regiment, der keine Kompanie-Rechnung machen, sie auch nicht prüfen, von dem man nichts wisse, als daß er seinen Namen schreiben könne. Er selbst hätte bei seinem Avancement seinen Namen auch nicht schreiben können, sich aber da gar bitter geschämt und tief gefühlt, was ihm alles fehle. Sein Stolz sei erwacht; er hätte nicht mit seinen Eltern, den schlechten Schulen sich entschuldigen mögen; denn das hätte in seinen Augen ihn nie entschuldigt, eine Stelle zu bekleiden, für die er unfähig gewesen, und ein rechter Offizier müsse mehr können als Gewehr beim Fuß kommandieren und im Notfall den eigenen Degen brauchen; auch hätte er es nicht ertragen können, daß man ihn ausgelacht oder bemitleidet. Da hätte er in seinem Geiste sich aufgemacht und an manchem stillen Abend, in mancher stillen Nacht, wenn die Kameraden schliefen oder schwärmten, und mitten im Feldlager das Versäumte nachgeholt.

«Da frug ich ihn, wenn er alles nachgeholt, warum er dann noch immer so fleißig studiere und zeichne? ««Bonjour»», sagte er, ««ich werde wohl nie General; aber wenn ich es werden sollte, so will ich vorher tüchtig dazu sein; ich könnte dann vielleicht weder Zeit noch Kraft mehr haben, es nachzuholen: sorgt man in der Zeit, so hat man in der Not.»» Das brachte mich zur Arbeit, und in kurzem weiter, als ich je gedacht, und seither habe ich oft gedacht, wie schade es sei, daß mein Hauptmann dieses nur mir, und nicht auch andern gesagt. Aber nicht nur meine Unwissenheit, sondern auch meine Gottlosigkeit ärgerte ihn. ««Höre, Bonjour»», sagte er, ««ein Soldat ohne Religion ist ein wildes Tier und ein unglückliches Tier. Ich war auch nicht viel besser als du»», erzählte er mir dann; ««ich meinte, das point d'honneur sei des Soldaten Religion. Nicht lange war ich Offizier, als wir eine heiße Schlacht schlugen in weitem Felde, an dessen Grenzen Graben und Hecken sich hinzogen. Ich stund auf dem rechten Flügel, unter den Voltigeurs. Wir hatten harten Stand, besonders gegen Artillerie und Reiterei, die uns in die Flanke nehmen wollte. Wir stunden wie Schweizer. Da drang das Centrum vor, durchbrach das feindliche; wir wollten auch vorwärts, wollten den siegenden Freunden nach. Die Massen drangen vor, die Jäger schwärmten aus; da geriet ich zwei Husaren unter die Klinge und sank mit vier schweren Wunden bewußtlos hin. Nacht war's, als das Bewußtsein mir nach und nach wieder aufdämmerte. Ich fühlte zuerst das peinlichste Gefühl einer unendlichen Schwäche, dann den Brand einer glühenden Zunge, nun erst das Brennen der Wunden. Ich wußte nicht, wo ich war. Es ächzte, stöhnte um mich her; Seufzer, gewaltig erschütternd, schauerlich, weithin tönend, zu gewaltig für Menschenbrust, drangen klagend durch die Nacht. Ich rang um die entschwundene Erinnerung; aber die Nacht, die Schwäche, das beginnende Fieber lähmte die Anstrengung. Da blitzte es durch die Nacht, und in des Blitzes langem Scheine sah ich um mich ein Schlachtfeld, sah die winselnden Menschen, die stöhnenden Pferde, sah weit hin unter den Leichen und Sterbenden Gestalten sich bewegen. Ich hoffte Rettung. Da sah ich sie Leichen und Sterbende ausziehen ohne Erbarmen, sah sie des Himmels Blitz als Licht zu ihrem Werke brauchen, sah sie immer zahlreicher auf dem verlassenen Schlachtfeld, sie, die Schakals und Hyänen Europas, sie, die mit den Flüchen und dem Blute der Sterbenden, denen sie lebendig ihre letzte Hülle, ihr letztes Kleinod genommen, beladenen Marodeurs. Und näher schwärmten sie zu mir heran, und deutlicher sah ich ihr ruchlos Treiben; über sie rollte gewaltig Gottes Donnerwagen, aber sie hörten ihn nicht. Aber auf mich sank das furchtbarste Entsetzen. Meine Zunge, meine Wunden brannten immer fürchterlicher. Menschen vor mir, aber nicht Retter; die Zunge wollte rufen, todesängstlich sah das Auge die nahenden Gestalten, und hemmte den Ruf. Rettung wünschte ich, nur von Menschen hoffte ich sie; aber die einzigen, die ich sah, brachten den Tod. Zwischen den Donnerschlägen hörte ich schon das Flehen der Gequälten, Hohngelächter der Unmenschen, sah im Blitze bittende Hände emporgehoben, sah diese Hände verstümmeln um des blinkenden Geldes willen. Dem Tode hatte ich oft ohne Bangen entgegengesehen, aber nie in dieser Gestalt mir ihn gedacht. Die entsetzlichste Angst klemmte mir das Herz zusammen; sie hinderte eine wohltätige Ohnmacht, die Angst wurde immer tötender; seufzen durfte ich nicht, beten konnte ich nicht. Doch diese Tiger kamen nicht zu mir; sie kamen heran, bis das Blut mir in den Adern stockte; dann schien ein gewisses Etwas zwischen mir und ihnen zu sein, und weiter ins tiefe Feld hinein verloren sie sich. Es hatte des Herrn Hand zwischen mir und ihnen einen tiefen Graben gezogen. So ist des Herrn Hand oft rettend zwischen dem Menschen und seinem Verderben, und der Mensch sieht seinen Retter nicht. Und einsam war ich wieder, aber nun traten die Schrecken der öden Einsamkeit, die Qualen des Verschmachtens ein. O, sie sind furchtbar, diese Qualen, und zu Jahrhunderten werden die Minuten! Grauenvoll war das Leuchten der Blitze über die Toten hin, und vernichtend die Stimme des Himmels durch das irdische Gewimmer. Da rauschte es über mir; neben mir; kühle schwere Tropfen fielen auf die heiße Stirn, ein schöner Gewitterregen brauste über das Leichenfeld. Gott hatte meine Leiden gesehen; er netzte seinen Finger und kühlte die brennende Zunge mir. Eine unbegreifliche Erquickung durchschauerte mich. Es war nicht bloß der Leib, der in süßer Kühlung neues Leben fand; es waren nicht bloß die Bande des Schreckens, des Entsetzens, die sprangen und frei die Seele gaben, nein: in meinem Herzen, das bis dahin nur Irdisches empfunden, empfand ich nun Gott, empfand sein Dasein, sein Erbarmen, seine Liebe. Das waren unbeschreibliche Augenblicke; das Herz sprang mir auf und legte sich offen vor Gottes Angesicht, und Gott wandte sich seither nicht wieder von ihm ab. Ich wurde ein anderer Mann, und auch ein besserer Soldat; denn der rechten Christenkraft, in Liebe, Vertrauen und Geduld, ist keine andere gleich.»»

«So sprach mein Hauptmann. Sein Wort, sein Beispiel machten mich in Bälde ebenfalls zum Christen, und Gottlob, ich bin es geblieben. Das Christentum allein hat mich aushalten lassen, was ich ausgestanden. Ich schloß an meinen Hauptmann mich immer inniger an; er ward mir alles auf Erden; für ihn zitterte ich im Kugelregen, im Getümmel des Gefechtes, nie für mich; seinen Federbusch hielt ich immer im Auge, es war meine Fahne. Mehrere Male verwundet kamen wir doch glücklich aus Spanien, und ich als Unteroffizier. Es ging nach Rußland hin. Wir glaubten uns glücklich, der Glut, dem Gifte, den Dolchen Spaniens entronnen zu sein; wir gedachten der Schrecknisse nicht, die unser warteten. Sie brachen über uns ein wie Zorngerichte Gottes: die fürchterliche Kälte, der fürchterliche Hunger, die fürchterlichen Bauernsensen, die fürchterlichen Kosakenlanzen. An der Beresina standen wir im Feuer zweier Armeen, verloren alles dort und viele Tote; aber die Schweizerehre brachten wir gerettet und neu bewährt über den mordenden Fluß. In unsäglichem Jammer schleppten wir uns Wilna zu.

«Fürchterlich getäuscht mußten wir dort, ohne uns nur ordentlich erwärmt zu haben, weiter. Mein Hauptmann hatte alles für die Seinigen getan, für sie gewacht, gearbeitet in unerschütterlicher Fassung; aber er wurde immer schwächer; alle meine Kräfte reichten kaum hin, ihn zu unterstützen. Er wollte mich fortsenden, wollte, daß ich mich rette; aber lieber das Leben ließ ich als den Hauptmann. Endlich brachte ich ihn halbtot nach Königsberg, doch nur, damit er ruhig in einem Bette sterben könnte, vom Fieber ergriffen. Mich setzte er zum Erben seines kleinen Vermögens ein; aber im Schmerz über seinen Verlust fühlte ich diese Wohltat nicht. Ich fand mich wieder ein beim Regiment, sah den Kaiser untergehen, sah ihn wieder kommen, sah ihn zum zweitenmal, verließ den Dienst nicht; ich wollte dem Hauptmann Ehre machen, als sein würdiger Zögling, und nach Hause zog mich nichts. Ich kam in die Garde, verlor dort die Schnüre wegen Mangel an Respekt vor einem Blancbec, und verließ doch den Dienst nicht; denn ich weiß, was ich weiß.»

Ich sah den Alten fragend an; da beugte er sich zu mir über und fuhr leise fort: «Ich will noch Kapitän werden und du sollst mein Sergeant werden; denn ich weiß, was ich weiß. Ich weiß, daß der Kleine wieder kommt; er ist zweimal gekommen, das dritte Mal darf er nicht fehlen. Er ist nicht tot, er hat sich nur Verborgen, weil die Engländer ihn vergiften wollten; aber er wird kommen, wenn die rechte Stunde schlägt. Und wenn er wieder kommt, muß ich auch da sein; da wird er zu mir sagen: Bonjour, Kapitän Bonjour. Und da werden die großen Tage wieder kommen von Marengo und Austerlitz, und wer weiß, ob ich nicht an einem derselben an der Spitze des Regimentes sterbe? Und dann wird er sagen: Es ist schade um den Oberst Bonjour, ich hätte ihn zum General gemacht. Siehe, darum bleibe ich und habe alles ertragen, habe fort und fort gelernt, was ich nur konnte in den wenig ruhigen Stunden, die wir haben, damit ich auf dem Platze sei, wenn er kommt, damit ich der Rechte sei, wenn er mich brauchen will. Siehe, darum mußt auch du bleiben, mußt auch du etwas lernen, damit du zu Schanden machen kannst, die dich hassen, damit du in dir selber das Gefühl hast, mehr zu sein, als man dich gelten läßt, und daß, wenn die rechte Zeit kommt, du bereitet bist. Was der Hauptmann an mir getan, das will ich an dir auch tun, will dich zu einem Kerl machen, wie im ganzen Regiment keiner mehr ist, und dann wird der Kleine sagen: Colonel Bonjour, das hast du brav gemacht.»

So plauderte der Alte noch lange fort, erzählte immer geheimnisvoller von den besondern Träumen, die er gehabt, von Ahnungen und Erscheinungen, und redete immer begeisterter von den kommenden Herrlichkeiten, die er sich für ihn und mich versprach, wenn all das Lumpenpack zum Teufel gejagt sei. Mich riß er fort auf den Schwingen seiner Träume; ich glaubte an ihre Erfüllung, ich versprach Fleiß und Gehorsam und habe das Versprechen gehalten. Er hatte mir eine Aussicht eröffnet, an der ich mich labte, die mir Kraft gab, vieles zu erlernen, was man sonst in meinem Alter unmöglich glaubt. Die Träume blieben Träume; aber doch haben sie mich zu einem Mann gemacht, der seinem Schöpfer keine Schande macht. Darum träumt nur, liebe Leute; aber ob dem Träumen verträumt das Leben nicht, sondern ob dem Träumen lernet ringen nach einem hohen schönen Ziele, nach der Vervollkommnung eurer selbst.

Nach einem Vierteljahr kam ich aus dem Lazarett, ein ganz anderer Mensch. Mut und Selbstbewußtsein hatte ich wieder erhalten, eine sichere Haltung, ein gemessenes Betragen gewonnen. Meine Hässer fanden die alten Blößen nicht. Im Dienst war ich ohne Tadel; außer dem Dienst fand man aber doch die alten Gelegenheiten, mich zu necken; aber ich war eben nicht mehr der alte, sondern teilte nun aus, was ich empfangen hatte, und mein Alter hatte Mühe, zu verhüten, daß ich nicht ein Händelsucher wurde. Er sagte mir oft, es sei niemand verächtlicher, als der, sich seiner Überlegenheit bewußt, Schwächere quälen wolle; solche hätte sein Hauptmann nicht in der Compagnie gelitten. Der Soldat müsse sich vor keiner blanken Waffe fürchten, aber auch nie dieselbe ohne Not gegen Kameraden ziehen. Des Schwächern sich anzunehmen sei Pflicht, und das das schönste Vorrecht für einen guten Fechter, wenn er andere schirmen könne; das erwerbe auch den schönsten Respekt. Es geschah, daß ich mehrere Male mit Franzosen mich schlug, meist mit den langen, gewaltigen Grenadieren zu Pferde, mit denen wir lebten wie Hund und Katze. Es war eine Freude zu sehen, den Schweizer mit dem kurzen Briquet dem Franzosen mit der langen Latte (so nannte man ihre langen Säbel) gegenüber, wie rasch die Sache gewöhnlich sich ausmachte und wie lang hin der Franzose fiel, oft auf den Tod verwundet; denn die Streite zwischen Franzosen und Schweizern waren meist giftiger Natur. Es war eine Freude, mit dem kurzen Säbel, in welchem die ganze Kraft des Armes bis an dessen Spitze lag, zu fechten gegen so lange Ungetüme, welche auch der stärkste Arm nicht sicher und schnell genug regieren kann. Die langen Säbel scheinen großen Vorteil zu versprechen, scheinen den Körper zu schirmen und hinter diesem Schirm um so sicherer weit hinaus Wunden schlagen zu können. Aber der Schweizer hat einen eigenen Instinkt, auf den Leib dem Feinde zu rücken, an ihn anzudringen; ist einmal der erste Aushieb ausgehalten mit Kaltblütigkeit, was hilft dann der lange Säbel gegen den kurzen, der auf den Leib will?

So zogen die Franzosen gegen die Schweizer gewöhnlich den kürzern und werden ihn immer ziehen, wenn man den Schweizer auf den Leib rücken läßt, wohin es ihn treibt. Es trugen auch die Schweizer ihre Briquets mit einer Keckheit durch die Straßen von Paris und vor den Barrieren herum, die nur aus dem Bewußtsein, seiner Waffe Meister zu sein, entspringen kann. Ein Regiment Soldaten, zusammengesetzt aus lauter einzelnen, von denen jeder seiner Waffe vertrauen darf, jeder einzelne ein ganzer Mann für sich ist, ein solches Regiment ist unüberwindlich. Das machte die alten Schweizer unüberwindlich! Warum vernachlässigt man diesen Satz aber, und besonders in der Schweiz, übt die Soldaten meist nur als Teile des großen Ganzen; warum, frage ich, wirkt man nicht mit allen Mitteln, namentlich durch Musterungen dahin, daß auch der einzelne als Mann selbständig gebildet wird, für sich allein stehen, allein hervortreten kann im Notfalle? Warum wirkt man nicht dahin, daß er Freude hat an seiner Waffe, daß sie sich ihm zu jeglichem Dienste in die Hand schickt und im Augenblicke der Gefahr ein zuverlässiger, treuer Freund bleibt? Aber dafür müssen auch die Offiziere etwas anders mit ihren Degen anzufangen wissen, als sie mit der einen Hand am Griff, mit der andern an der Spitze zu halten, mit krummen Ellbogen und krummen Knien vor ihren Zügen her stolpernd.

Der Alte hatte alle Tage größere Freude an mir und schloß sich an mich, wie der Vater an den Sohn. Durch mancherlei Künste brachte er es dahin, daß ich bei meiner erneuerten Kapitulation in seine Compagnie kam. Weil wir hier zu gleicher Zeit Dienst zu tun und zu ruhen hatten, so wurden wir um so unzertrennlicher, unsere Zeit um so besser angewendet. Er wurde an mir zum förmlichen Schulmeister. Schreiben, Rechnen wurden allmählich absolviert, da ich so viel konnte als er selbst; dann teilte er mir mit, was er von der Mathematik, Geographie, Geschichte verstund; wir lasen Bücher zusammen, die er irgendwo aufgetrieben hatte, oft das wunderlichste Zeug. Am liebsten war es mir, wenn er in stillen Stunden, manchmal auf der Wache, wenn alle schliefen, oder an einem Sonntag nachmittags irgendwo im Freien sein Herz aufschloß und mich zu Gott hinführte, den er kindlich verehrte, nicht mit der Zunge, sondern von ganzem Herzen und ganzem Gemüte. Wie er dann beredt wurde, wenn er sich all der wunderbaren Führungen und Bewahrungen Gottes erinnerte, erinnerte, wie manches Menschen er sich um Gottes willen erbarmet, wie oft nur das Vertrauen auf Gott ihn mutig und gefaßt erhalten, und wie ganz anders die Welt und all ihr Treiben in ihm sich abspiegle, seit sein Hauptmann ihn zu einem Christen gemacht, wie ganz anders, als da er noch mit sinnlichen Augen aus einer heidnischen Seele schaute. Aber am merkwürdigsten war, wie er seinen irdischen Gott und seinen himmlischen, den Allvater und den großen Kaiser, in Verbindung brachte, beide Hand in Hand schlagen ließ, von dem einen sein irdisch, von dem andern sein ewig Heil erwartete. Das waren glückliche Stunden für mich, die ein neues Leben in mir schufen, fortführten, was Anneli angefangen, und mir wieder eine Aussicht zeigten hier und dort. Um dieses Aneinanderschließens, unserer einsamen Gänge und der Gespräche wegen, die niemand begriff, wurden wir mit mißtrauischen Augen angesehen. Man wollte wittern, wir brüteten ob geheimen Plänen, gehörten einer geheimen Gesellschaft an; da man aber trotz allem Spähen auf nichts kommen konnte, so begnügte man sich, uns genau zu beobachten. Vielleicht hätte man uns verabschiedet, aber wir beide waren die Zierde unserer Compagnie und ohne Tadel in unserer Aufführung. Mancher französische Stabsoffizier stund vor uns still und sagte: Bougre, quels beaux soldats! Bei den Kameraden stunden wir in einer Art scheuen Achtung. Mancher Ankömmling hatte uns Ruhe zu verdanken, wenn wir, bei Quälereien gegen ihn, stille stunden und ernst darein schauten; sie wußten, in solchen Dingen verstund ich keinen Spaß, und die besten Fechtmeister scheuten mein Briquet und den Arm, der es führte. Und wenn unsere Suppe zuweilen zu schlecht wurde, so brauchte ich nur zu sagen, ich werde, wenn das nächste Mal sie nicht besser sei, selbst eine einschneiden, so wurde es besser.


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