Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie ich eine bleibende Stätte finde

In mancherlei Gedanken war ich stundenlang fortgegangen; es war heiß, und mich dürstete. Ein großes Dorf lag vor mir. Die Straße war holprig, auf den Äckern wuchs spitzes Korn und mageres Gras, bei den Häusern war es aufgeräumt, aber die Mistgülle lief hin, wohin es ihr beliebte. Die Leute gafften mir verwundert nach, die Kinder grüßten nicht, dankten nicht, gränneten mich an, wenn es gut ging; die meisten aber wußten mir etwas nachzurufen. Vor dem Wirtshause zerrten zwei Buben und ein Mädchen einen jungen Hund beim Schwanz, und aus den Fenstern desselben rief eine muntere, runde, aber nicht große Frau: «Löt er mr dä Hung sy bal, oder i will ech!» Aber die Kinder fuhren getrost fort und die Wirtin kehrte sich nach der Stube zu, die Gäste zu bedienen. Ich wollte nun in der Wirtin Amt treten und abwehren, aber der ältere, Christi, sagte: «Ghei du di furt, du hesch is nüt z'bifehle, es geit di nüt a.» An meine gestrige Geschichte denkend, wollte ich nicht unnütz Händel anfangen, und ging hinein; ans Dableiben dachte ich diesmal gar nicht. In der Stube sah es reinlich aus; Schreiber war kein einziger da, hingegen mehrere vierschrötige Männer, einige Greise, die mit zitternder Hand ihren Wein einschenkten, keine jungen Leute. Die Wirtin sah mich etwas stober an, als eine, die nicht viel Fremde sieht, und fragte: «Womit chame-n-ufwarte?» Ein kleines Kind hing ihr am Kittel und schrie immer: «Müetti nimm mi, Müetti nimm mi!» Sie schrie ihm mehrere Male zu: «I cha di nit näh, i mueß dem Ma sy Sach gäh, lue wie-n-er e Schnauz het, er nimmt di, we d' nit schwygst.» Aber das kleine Mädchen schrie immer ärger, und die Mutter mußte es nehmen, und mit der andern Hand sich helfen, so gut sie konnte. Die Kleine mußte doch endlich wieder abgestellt werden; sie sah mich aus einer Ecke verschüchtert an, und wenn ich hinsah, so kehrte sie sich um; als ich nicht auf sie zu achten schien, schlich sie sich näher, kam zu meinem Habersack, niggelete an ihm, bis ich mich umsah, lief dann fort, und wiederholte das Spiel mehrere Male, bis sie endlich mir ein Stückchen Brot abnahm, und sogar dankte, als die Mutter ihr sagte: «Wie seyst, Anneli?» Da ich ihr noch ein Schlückchen Wein gab, war unsere Freundschaft geschlossen; sie setzte sich neben mich, und fragte alles mögliche, besonders nahm es sie wunder, warum ich einen so wüsten Schnauz habe und was ich mit ihm mache? Die Mutter hatte große Freude an unserer Freundschaft, obgleich sie alle Augenblicke sagte: «Gang ache, du plogst ne»; sie schien es gar nicht ungern zu haben, als sie vernahm, daß ich übernachten wolle.

Der Wirt kam endlich auch; ein guter Mann schien er zu sein, etwas phlegmatisch und unter dem Pantoffel seiner Frau. Die Lichter kamen; die Kinder mußten nach vielem Schreien und nachdem sie ihre Eltern, den Vater besonders, hundertmal gezwungen hatten, zu tun, was sie und nicht was er wollte, ins Bett. Man rückte näher zusammen. Die Leute änderten nicht stark; die meisten konnten stundenlang bei ihrem Schoppen sitzen und so haushälterisch mit dem Glase umgehen, daß man ihnen wohl ansah, es war ihnen weniger um den Wein zu tun, als darum, daß ihnen die Zeit vergehe. Das ging aber schwerfällig zu; ihren Stallbestand und wie sie melken, hatten sie sich bald erzählt. Die Witterung war abgehandelt, ebenfalls die Zeit, wenn man zu mähen anfangen wolle. Der Wirt hatte nach guten Kälbschenen gefragt und die Wirtin nach der Gäste Weiber und Kinder, und ob es bei dem oder diesem noch lange gehe, bis er müsse Kindbetti haben. Das Gespräch stockte; schon sagte hie und da einer, er wolle ustreyche und ga luege, was sis Muetterli mache, es werd afe Längizyti ha. Da seufzte ein alt Kudermannli und sagte, ihm pressiers nüt hei, er wett, er chönt die ganze Nacht da hocke, und machte ein Gesicht dazu trüb- und stiefelsinnig. Natürlich fragte man ihn, was es de gäb, daß er nit hei mög? Er munkelte lange, ehe er sagte, es syg unghürig bi-n-em. Da wurden auf einmal zehn oder fünfzehn wieder lebendig und ebensoviel Nasen fuhren gwundrig über den Tisch hinein und jede wollte die nächste sein, und alle fragten: «Was isch de, was geit de, was hesch de?» Da sagte er, er dörf's schier nit säge, aber wenn si's niemerem säge welle, so well er's säge. Verständlich versprachen alle das tiefste Stillschweigen und freuten sich alle dabei aufs höchste, ihren Weibern was bsonders heimkramen zu können. Da fing er an zu erzählen: Im vorigen Jahr, bald nach Vrenetag, wo sein Meitschi sei unterwiesen worden, habe es angefangen. Sein Meitschi sei gar es fromms und schüchs, und dürfe keinen Buben ansehen; auch habe es schon manchmal gesagt, es wolle sein Lebtag keinen Kilter haben. Da sei es einmal an einem Sonntag abend an die Haustüre, die er selbst mit einem Riegel verschlossen, gekommen und habe sie geöffnet, er wisse nicht wie, durch den Hausgang gerasselt, wie wenn es eine lange Kette nachschleppe, und habe gar wunderliche Töne von sich gegeben. So sei es die Stege auf gegangen in des Meitschis Gaden; dort habe es noch rumort, dann sich still gehalten, bis der Hahn gekräht und sei darauf wieder mit dem gleichen Gerassel fortgegangen. Nun wären sie voller Schrecken ins Gaden gelaufen, da hätten sie das Meitschi gar blechs gefunden; es hätte aber von allem auch nicht einen Ton gehört. Seither komme es in der Woche zwei bis dreimal, fast immer Sonntags oder Samstags abend, gehe immer den gleichen Weg; das Mädchen höre immer nichts und sehe doch alle Tage leider aus. Sie hätten schon viele Sachen probiert, unter die Schwelle das Vaterunser und den Glauben vergraben kreuzweis übereinander, aber es helfe alles nicht. Einmal habe er eifrig gebetet, Mut bekommen und guggen wollen, und das Muetterli habe das Unservater immer vorwärts und rückwärts beten müssen; aber der Gwunder sei ihm vergangen, er habe einen Nasenputsch bekommen, daß ihm fast der Atem vergangen, und die Nase sei geschwollen, wie wenn er in einen bösen Luft gekommen. Wer weiß, ob sie nicht rot oder blau geblieben, wenn er nicht bei einer Frau, die auch etwas könne, Rustig genommen hätte?

Das fanden nun alle gar verwunderlich und aus der einmal geöffneten Gespensterdrucke flog nun eins nach dem andern heraus; und ohne daß man nötig gehabt hätte, eine Reihenfolge einzuführen, wußte jeder etwas und manchmal redeten aus innerem Drange lange zwei auf einmal, bis man einen schweigen hieß, um den andern desto andächtiger hören zu können. Ein etwas schwerfälliger Mann erzählte, nachdem er lange umsonst versucht, zu Worten zu kommen: Er hätte seine Frau anfangs nicht nehmen wollen, weil er geglaubt, es seien noch andere zu ihr gegangen und das Kind sei nicht seins. Endlich habe er sie doch genommen, und als es ums Kindbetten zu tun gewesen, habe man ihn gerufen, da er eine halbe Stunde von ihr gewohnt. Es sei im Winter gewesen und gar kalt. Als er gekommen, habe die Hebamme gesagt: er habe so wüst getan; sie wolle jetzt sehen, ob das Kind seines sei oder nicht; er solle das Hemd ausziehen, sobald sie es befehle, und in das noch warme wolle sie das Kind empfangen; wenn es ihm dann nicht lieber werde, als er sich selbst, so könne er dann denken, was er wolle. Ich mußte es geben; sie murmelte noch allerlei und wickelte das Kind hinein, das jämmerlich schrie. Es gefiel mir wohl; aber gegen Morgen mußte ich fort ohne Hemd, denn ich hatte kein anderes anzuziehen; es fror mich entsetzlich. Ich war einmal, als das Grundeis ging, um ein Päckli Tubak mehrere Scheibenschütze weit barfuß gelaufen, aber das war nichts dagegen. Ich lief, was ich konnte: da dünkte mich, ein klein Kind laufe oder schwebe neben mir, ein ganz kleines Kind in einem langen, langen Hemde, und ich glaubte des Kindes Stimme zu hören, aber es war eine, wie eines alten Mannes Stimme, und es schrie erbärmlich: «O Ätti, lauf nit so, o Ätti, häb mi lieb!» Und ich lief immer geschwinder, das Kind schrie immer erbärmlicher, ich fror immer fürchterlicher, das Herz schien mir vor Angst und Kälte zu gefrieren, jedes Haar an mir zum Eiszapfen geworden zu sein. Als ich endlich mein Haus erreichte, da war kein Kind mehr zu sehen; vor Schrecken und Kälte konnte ich mich lange nicht erholen. Aber das Kind wurde mir auch das liebste von sechsen, es glychet den andere gar nüt und mir nüt und der Muetter nüt und ist doch das lüstigst von allen.

Ein anderer erzählte, wie in gewissen Nächten ein Leichenzug den Berg herabkomme, wie er immer an dem gleichen Orte halte, um zu spannen. In dem Zuge gingen viele Leute, gestorbene und solche, die noch lebten; man kenne alle deutlich, man könne ihnen nachsehen bis zum Kirchhofe; da komme ein alter Pfarrer aus dem Grabe im Leichenhemde; an seinem Schädel sei kein Fleisch mehr, in den Augenhöhlen keine Augen; die Finger klapperten dürr aneinander, daß man es von weitem höre. Der gehe dem Zuge in die Kirche voran, der Pfarrer im weißen Hemde, die andern alle in schwarzen Mänteln, und vor dem Taufsteine lese er schauerlich aus hohlem Munde das Leichengebet; aber so wie er Amen sage, verschwinde alles; man höre nichts mehr als ein wunderlich Getön unter dem Böden und in der Luft; darauf gebe es immer strub Wetter.

Alle saßen da mäusestille; schauerlich war ihnen zu Mute und kühl gramselte es ihnen den Rücken auf. Da schlug es zehne, und der Luft ging hohl durch die Bäume. Herr Jeses, schon zehni, sagten sie, wir müssen heim; sie schüttelten sich, aber keiner durfte aufstehen. Du kommst mit mir, sagte der eine zum andern; nein, du kommst mit mir, du hast näher diesen Weg; neben meinem Hause vorbei geht aber der bessere, meinte ein anderer. Endlich machten sie aus, daß sie so viel als möglich zusammen gehen wollten; es sei wegen der Gesellschaft, meinten sie; keiner bekannte seine Furcht. Aber nun durfte keiner zuerst zur Türe hinaus; es verbarg sich immer einer hinter dem andern. Die Wirtin solle voran gehen mit dem Licht, rief einer; aber die war auch nicht schnitzig; endlich rief einer, es sei gar finster draußen, der Wirt müsse eine Laterne geben; dem Bach nach sei der Weg gar bös. Nun märteten Wirt und Wirtin lange, wer die Laterne in der Küche holen solle. Zuletzt kam es an die Frau, und zagenden Schrittes und klopfenden Herzens zogen die Mannleni endlich ab mit der Laterne, die jeder tragen wollte.

Ich hatte still geschwiegen und zugehört; das Ding kam mir gar lustig vor und um so merkwürdiger wegen dem Gegensatz zum vorigen Abend. Zwei Orte nicht weit von einander, an dem einen plumper Unglauben, an dem andern dicker Aberglauben, und vielleicht Aberglauben und Unglauben noch näher beisammen als die Orte. Doch, ich bekenne es aufrichtig, gefiel es mir hier weit besser; da ließe sich was machen, dachte ich, wenn man mit Klugheit zu Werke gehe. An dem einen Orte war dummer Eigendünkel, an dem andern dumme Vorurteile. Ein solcher Eigendünkel ist nun gar nicht zu besiegen und zu belehren; er verachtet alle Menschen, besonders wenn mehrere der gleichen Art beisammen sind. Vorurteile sind auch nicht zu überwinden. Sobald man sie verletzt und geradezu angreift, so schlägt man sie noch tiefer ein; aber sie lassen sich umgeben, und beim aufrichtigen natürlichen Menschen läßt sich in ihm selbst eine Kraft wecken, welche die Vorurteile zu bekämpfen, auszutreiben beginnt. Daran scheitern die meisten, welche die Völker beglücken wollen, daß sie entweder die Vorurteile des Volkes nicht kennen oder nicht achten und schonungslos sie anfeinden, sich rücksichtlos darüber aussetzen. Das empört allmählich das Volk; es hält nur um so fester, was man ihm nehmen will, und mitten im begonnenen guten Gang wird es stettig, bäumt sich, schlägt aus, entreißt sich den Zügeln seiner unbesonnenen Führer und eilt dem alten Stalle zu. Und die Führer stehen dann verdutzt da, kratzen in den Haaren wie abgesetzte Reiter und klagen über Verblendung und Undankbarkeit und unzerstörbare Beschränktheit. Sie merken nicht, daß ihre eigene Beschränktheit schuld ist an allem. Wie des Volkes Sinn allerdings beschränkt ist durch Vorurteile, so war der Führer Sinn beschränkt auf einige unreife Theorien, welche die Zeit ausgebrütet, aber noch nicht geläutert hatte, die ihnen eingetrichtert worden waren, die sie nicht halb begriffen hatten. Diese Theorien selbst zu läutern vermochten die guten Leute auch nicht, denn ihnen fehlte der chemische Apparat dazu, die Philosophie und die Geschichte; aber um so versessener waren sie darauf, je weniger sie sie durchgangen, gerade wie das Volk auf seine Vorurteile. Solche gute Leute haben zum Beispiel nichts studiert als die französische Revolution, und diese nur von 1788 bis 1789, und meinen nun, akkurat so müsse es auch bei uns gehen. Wenn aber Theorien und Vorurteile gegen einander geschlagen werden, wie Stahl und Stein, ohne Vorsicht, so nehmet Arme und Beine in acht, liebe Leute, denn es gibt Feuer. Aber das ist das Schlimmste, daß solchen Sapienzbüchsen bös predigen ist. Eben weil sie glauben, sie hätten die Weisheit alleine, so hören und lesen sie keine Predigten; und wenn ihnen zufällig eine in die Hände oder vor die Ohren kömmt, wo sie meinen, es sei auf sie gestichelt, so werden sie taub und denken gleich ans Eintreiben, reden von Dummköpfen oder schlechten Leuten. Das sind gerade die Leutchen, welche den Namen Ketzer erfanden und Ketzergerichte und noch jetzt Ketzer verdammen und verbrennen möchten, trotzdem daß alle Inquisitionen abgeschafft sind in protestantischen Landen. Bald hat man politische, bald geistliche Ketzer, je nachdem die Leute Brillen tragen. Diese Bauern da hörten aber gerne Predigten, hörten andere Leute auch gerne, besonders wenn sie kurzweilig zu erzählen wußten. Mit ihnen schien mir etwas zu machen und gerade das eine Gaststube zu sein, in der ein vernünftiger, kluger Mann willkommen war und nützlich sein konnte. Auch die Wirtsleute gefielen mir nicht übel; es waren ehrliche Leute, die sich mit ihrem Gewerbe alle Mühe gaben, dabei aber mit dem besten Willen eine Kinderzucht handhabten, daß es einem schwarz wurde vor den Augen. Die Kinder waren munter, vielversprechend, sieben an der Zahl, von fünfzehn bis zu einem Jahre; und daß das nachjüngste Anneli hieß und schon meine Freundin war, das weckte manche schlummernde Empfindung. Ich beschloß daher, wenigstens einige Tage zu rasten und die Sachen mir genauer zu betrachten; ich fürchtete mich noch vor jenen Dingen, die nicht alle Tage zum Vorschein kommen.

Am folgenden Morgen war ich früh auf und merkte noch niemand im Hause; ich durchstrich daher die Umgebung, fand sie von der Natur begünstigt, von den Menschen aber noch nicht benutzt. Man sah es dem Lande überall an, daß hier jeder Bauer seinen Pflug noch im gleichen Loche führe, wie der Ätti und Großätti. Große Stücke Landes lohnten kaum die Mühe des Mähens, und auch die Baumgärten waren nicht im Salb, wie man zu sagen pflegt, weil die Bauern den Sommer über das Vieh auf die Weide trieben und über Nacht es draußen ließen. Nun wunderte ich mich nicht mehr über die magern Äcker; der Weidgang bringt einen gar langen Misthaufen, aber keinen breiten und hohen zuwege. Endlich kam ich heim. Die Wirtin kam eben hervor und rüstete ihr und mein z'Morgenesse, und während ich meines zu mir nahm, kam die Magd und wischte die Stube. O, was das lieblich ist, in einer Gaststube zu sitzen und z'Morge z'esse mitten unter den duftigen Staubwolken, welche der Besen der pfausbäckigen Magd aufwirbelt, bald einen Fuß, bald den andern, bald beide aufheben zu müssen und endlich doch noch zu hören: «Göt e wenig uf dSite, so cha-n-i zueche.» Und wenn man dann wieder sitzen kann, wie es da oben auf dem Kaffee so schön herumschwimmt, allerlei in buntem Gemisch; und wie er so küstig und appetitlich geworden, und wie man dann dazu so melodisch husten muß in den Kaffee hinein, daß einem die Därme im Leibe fast entzwei gehen! Wer hat das nicht schon erlebt und erinnert sich nicht in süßer Wonne an die gehabten Genüsse? In der Nebenstube fing es an sich zu regen, wie in der Arche Noahs. «Müetti, wo isch mis Gloschli?» «He, suech's, es wird öppe dert liege.» «Müetti, dsBäbi het mi Strumpf vrnistet!» «Es soll dr ne sueche! Gang leg dSchueh a», rief dann auch die Mutter einem zu, das halbnackt zum Vorschein kam, «i wott nit, daß d' barfis da ume laufst!» «I weiß nit, wo si sy!» «Wo hesch se nächti abzoge?» «He, dert, aber si sy nümme dert!» «Jakobli, hesch du am Hansli siner Schueh, oder hesch se nüt gseh?» «Nei, Müetti, aber i weiß nit, wo mi Hoseträger isch, i cha ne nit finge!» «He, suech e, er wird wohl a-me-n-Ort sy.» Drinne tönte es: «Das isch mis Strumpfbang, la mer's si, wotsch mer's lah oder nit?» Dann ging es an ein Zerren, endlich an ein Heulen, bis die Mutter rief: «Löt e-n-angere sy oder i säge's em Vatter!» Vater und Mutter setzten sich endlich an ihr Essen und ein Kind nach dem andern kam. Aber eins rief: «I wott nit Kaffee, i wott Milch!» «He, Mädi (die Magd), gib ihm Milch, du wirsch wohl no meh dusse ha.» «I wott nit vo dem Brot, i wott vo äym», sagte ein anderes. «Sä da hesch», sagte die Mutter. «Muetter, i wott nit Rösti, i wott Chäs zu mym Brot.» «Lue, mis Buebi, mr hei o ke Chäs, mr hei nume Rösti.» «Aber i wott drum Chäs, i wott nit Rösti.» «Nei, du überchunst hüt nüt angers, de Nomittag gib i dr de villicht.» «He, was wotsch doch mit ihm chäre», sagte der Vater, «gib du ihm Chäs, so schwygt er, es ist dert im Schäftli no-n-es Bitzli, das gester überblibe-n-isch.» Und die Mutter stund auf, nahm den Käs, brachte ihn und sagte: «Da, mis Buebi, hesch Chäs, schwyg mr jez.» Und der Bub schwieg richtig. So ging es in einem fort, bis abgegessen war. Da sagte die Mutter: «Jetzt lehrit neuis, nät dBücher.» Aber die einen liefen fort und die andern sagten: «Mr meu nit lehre, mr cheu de im Winter no gnue.» Die Mutter befahl noch einmal, aber der Vater sagte: «Was wotsch doch geng mit ne chäre, hör doch uf so zchäre; hesch nit ghört, sie wei jo nit.» Und die Mutter gab lugg, und die Kinder liefen wohin sie wollten, die einen dem jungen Hund nach, der sich heulend vor ihnen flüchtete, die andern in Gras und Garten herum und rupften Blumen ab. Nun, dachte ich bei mir selbst, da geht es gut, da hast du ein gut Stücklein Arbeit, wenn du diese zuchtlose Herde bändigen und zum Gehorsam bringen willst. Aber ich beschloß, es zu versuchen.

Ich frug an, um ein paar Tage dazubleiben, und erbot mich, meine Schriften zu hinterlegen. Aber es waren treuherzige Leute, die Wirtin meinte: He, do säg niemer nüt, i chönn do blybe, so lang i well. Ich knüpfte wieder die gestrige Freundschaft mit meinem Anneli an und schien um die andern Kinder mich gar nicht zu kümmern. Wir plauderten zusammen; es erzählte, was es wußte; auch ich mußte erzählen, seine Fragen beantworten usw. Ich lernte es einige kleine Künste, ganz unbedeutende Dinge, die es aber ganz glücklich machten, von mir fort zu den andern trieben, ihnen dieselben zu zeigen. Diese ließen sich von weitem herbei, eins um das andere, erst auf zehn Schritte und am Ende bis ich mich nicht mehr rühren konnte. Am Abend war ich als ein neues Wesen in ihr Kinderleben eingetreten, und schon durch das Wenige, was ich ihnen erzähle hatte, begann für sie ein neuer Zeitabschnitt. Aber schon am Abend fühlte ich, daß es Zeit sei, meinen Willen dem ihrigen entgegen zu setzen, sie zu gewöhnen, unwillkürlich den ihrigen dem meinen unterzuordnen. Die guten Kinder hatten gar keinen Begriff von einer höhern Beschränkung ihres Willens. Bei den Eltern konnten sie alles erzwingen; untereinander gab es gerade deswegen beständig Streit, weil jedes seinen Willen haben wollte. In diesen Fällen gewann den Streit dann das jüngste, oder das, welches am besten schreien konnte; oder wenn die Eltern nicht anwesend waren, das stärkste. Sie wollten auch mir befehlen und Christi sagte: «Wotsch das mache e-n-angere na, oder i säge's em Vater.» Am folgenden Morgen begann ich alle meine Gefälligkeiten an Bedingungen zu knüpfen, so leicht als möglich; aber wenn ich etwas tun sollte, so mußten sie auch etwas leisten, und was ich einmal gesagt hatte, dabei blieb es, auch wenn sie zetermordio schrien, der Jakobli mir die Faust machte und die Mutter mit einem schiefen Seitenblick auf mich sagte: «I hätt bald gnue Brüels.» Auf diese Weise brachte ich sie sogar zum Lernen, und weil ich bei dem sogenannten Lernen, das heißt Lesen und Buchstabieren, bei ihnen war, ihnen erklärte; weil ich mit ihnen, wie sie meinten, Spaß trieb, sie die Buchstaben abmalen (wie sie sagten), sie zählen ließ, ihnen zeigte, wie man die ausgesprochene Zahl auch abmalen konnte, so hatten sie an dieser lebendigen Beschäftigung die größte Freude und zählten und malten drauf los, wo sie nur gingen und stunden. So lernten sie alle Tage; und wenn ich erzählen mußte, wickelte ich ihre Unarten in Geschichten ein, wo sie entweder die Nutzanwendung selbst fanden, oder ich sie bei gegebenem Anlaß mit Nutzen machen konnte. Das wirkte auf die Kinder gar bedeutend ein; denn sie hatten gar keine Vorstellung, daß man Geschichten ersinnen könne; sie meinten, es sei alles punktum so gegangen, wie ich es vorbringe. Die Eltern sahen diesen Dingen ganz verwundert zu; sie konnten gar nicht begreifen, wie das kam. Die Mutter meinte: «Du mast di doch afe gmüeihe mit ne; es düecht mi, du söttisch sturm werde; du hättist sölle Schuelmeister werde, du hättist e bessere gäh as üse; zue dem cha me se nit i dSchuel bringe und sie lehre i Gottsname nüt; es düecht mi, sie syge geng am glyche-n-Ort; sie hei i dr Wuche meh glehrt, als fern dr ganz Winter; es sött eine meine, du wärisch mit Hung agstriche, so hange sie dr a.» Und der Vater sagte: «I bigrife gar nit, wie d's o machst, daß sie dr folge; mi isch o geng an-ne und bifihlt ne, aber es isch geng ds glyche, sie wei i Gottsname nüt folge. Es isch drum hützutag gar e bösi Welt, da isch kei Ghorsam meh; u de cha üser eis si nit so mit ne gmüeihe, mr hei nit Zyt, ne geng nah z'luege, mr hei anderi Sache o z'tue.» Dann sagte er auch wohl zu den Kindern: «Warum cheut dr ihm so folge, u üs nit, das isch nit brav von ech.» Und die Mutter meinte: «We sie nume afe öpperem folge, su chöme sie eim doch vor de Füeße weg.» Zu diesem allem sagte ich wenig; es war noch nicht an der Zeit, Vorlesungen über Kinderzucht zu halten; ich hütete mich wohl, ihnen ihre Fehler zu sagen, oder ein Kind anders zu strafen, als dadurch, daß ich ihm etwas nicht tat, was es wollte. Hätte ich Hand an eins gelegt, so wäre die Herrlichkeit aus gewesen und es hätte geheißen: «Du bruchst se nüt z'schloh, es sy üsi Ching, sie gange niemere nüt a; we sie dr mit recht sy, su chast ja gah.»

Es verging aber schon selten ein Morgen, daß die Wirtin mir nicht ein Gläschen einschenken wollte. Hatten sie nachmittags im Stübli ihren Kaffee, so wurde mir immer ein Kacheli anerboten, und wenn es die Alten vergaßen, so ruhten die Kinder nicht, bis ich auch da war; und wenn der Wirt von einem Lauf heimkam und einen Schoppen für sich holte, so sollte ich immer Bescheid tun. Was der Mann in Verwunderung geriet, als er einmal die Mühe nahm, zu sehen, was die Kinder lernten, als er sah, daß sie schon einige Zahlen machen konnten, und viel schönere als er, und er meine Handschrift bemerkte! es fehlte nicht viel, er hätte geglaubt, dahinter stecke Hexenwerk. Er kriegte aber auf einmal gar einen großen Glauben an die Fähigkeit seiner Kinder. «Unter tusige», meinte er, «wären keine, die i so churzer Zyt sövli glert hätti». Ich hatte bei weitem nicht den ganzen Tag bei den Kindern zugebracht, sondern nur soviel davon, daß ihre Freude an dem, was ich mit ihnen trieb, immer lebendig blieb. In der Zwischenzeit hatte ich an meiner Lebensgeschichte zu schreiben angefangen. Es ging mühselig zu, und zwei halbe Tage war ich gesessen, ehe ich mit mir einig werden konnte, wo und mit welchem Wort ich beginnen solle; als vier Tage vergangen waren, war ich erst mit der ersten Seite fertig. Da wollte mir der Mut vergehen; ich fürchtete, mein Lebtag nicht fertig zu werden, und was nützte dann meine Mühe? Ich konnte doch nicht alles aufschreiben; so mußte ich erst sinnen, was des Schreibens wert sei, und wenn ich damit fertig war, so mußte ich wieder sinnen, wie ich das Ausgewählte auch setzen müsse, damit die Leute es verstünden und lesen möchten. Ich zwang mich zum Fortfahren, und siehe, an der zweiten Seite hatte ich nur drei Tage, und an der dritten nur noch zwei; da merkte ich, daß die Sache am Ende doch gehen werde, wenn ich mir Zeit dazu nehme und an einem ruhigen Ort sei. Da es mir auch in der Gaststube zu glücken schien, wie ich dann erzählen will, so beschloß ich, mit meinen Leuten mich auf festen Fuß zu setzen; es hatte bisher niemand von uns dem andern etwas gesagt, ich nicht vom Fortgehen, sie nicht vom Dableiben. Eines Abends, da keine Gastig da war, frug ich, was ich schuldig sei; ich wolle bezahlen. Wie da die Leute erschraken! «Du wirsch doch nit furt welle so uf's mol», meinten die Alten. Und die Kinder fingen an zu schreien: «mr löh di nit, mr löh di nit»; und Anneli, das mein Herzkäfer war, hing mir an den Hals und weinte, so daß ich nicht zu Worten kommen konnte. Ich sagte, daß es mir bei ihnen gar nicht erleidet sei, und ich eben nirgends etwas hätte, daß ich fort müßte; aber ich vermöge doch nicht so mein Lebtag in einem Wirtshaus zu sein und nichts zu verdienen; wenn ich schon was Weniges hätte, so müsse ich doch auch dem Kreuzer nach, sonst gäbe ich am Ende ein alter Lump; sie sollen mir daher meine Ürti machen; ich könne dann sehen, wie viel mir noch übrig bleibt. Ich pressiere präzis nicht fort; es wäre mir wohl bei ihnen, aber Mus gehe über Suppe.

Die Wirtin winkte dem Wirt ins Stübli; unterdessen lärmten die Kinder fort; Anneli warf mir vor, ih hätt gar nit bruche z'cho, we-n-ih scho furt well. Sie brachten mir eine Rechnung, bei der sie nicht viel mehr in Anschlag gebracht, als den Wein, den ich getrunken, und sagten, wenn es mich zu viel dünke, so könne ich ja geben was ich wolle. Ich protestierte dagegen und behauptete, sie kämen zu kurz, das Essen sei ja gar nicht angeschlagen. «He», meinte die Wirtin, «we du z'friede bisch, su sy mr's o, du hesch o viel ta a üse Chinge, es sy ganz angeri; es düecht mi mengisch, mr heige e keni meh, so rüeihig isch me vorne. I weiß nit, wie d's o gmacht hesch; we d' furt geisch, isch's grad wieder im Alte, u de isch erst nüt derby z'sy. We d' nüt angers hesch, su blib bi-n-is, mr vermeu dr nüt z'gä, aber du bruchst is o nüt z'gä, du chast mit is esse; wie mir's hei, chast's o ha; wo sövli esse, chunt's nit druf a, geb eis meh oder minger syg». «Jo, u z'verdiene git's o geng öppis», meinte der Wirt; we-n-i öppis z'schrybe ha, so will dr's zahle; ih bi froh, we mer's machst, u no menge angere git dr z'schrybe; mi isch susch zum Schuelmeister gange, dä isch aber gar e türe, u het de geng öppis mit eim z'branze. Jo, u wer weiß, ob nit chöntisch bald Gmeindschryber werde; üse isch afe alt, u d'Auge böse-n-em. Dr Schuelmeister het o druf passet, aber si begehre ne nüt; si säge, er versumti z'viel a der Schuel, u wer de z'viel im Wirtshus», sagte die Wirtin. Das waren Bedingungen und Aussichten, die sich hören und sehen ließen. Also in meiner Gemeinde konnte ich nicht Polizeidiener werden, und hier schon die Anwartschaft auf die Gemeindschreiberstelle, die mich zur wichtigsten Person in der Gemeinde machen würde; denn auf den Schreiber kommt es in manchem Dorfe und noch an gar manchem Orte in der Welt das meiste an. Und eine Frau hatte dieses Fündlein gemacht, hatte es sich damit auch in den Kopf gesetzt; und wenn Weiber sich etwas in den Kopf setzen, ist dann nicht auch große Hoffnung, daß es geschieht?

Wir wurden des Handels bald einig. Ich konnte bei ihnen aus- und eingehen, und essen umsonst; was ich dagegen zu tun hatte, schrieben sie mir nicht vor; sie dachten, das werde sich von selbst verstehen, daß ich ungefähr mache was bis dahin, und so geschah es auch. Was das für ein Jubel war unter den Kindern, als sie die Gewißheit hatten, daß ich bleiben werde! Nein, dachte ich, das Leben ist doch schön.


 << zurück weiter >>