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Es traten nämlich eines Sonntags drei Menschen in die Gaststube; die beiden ersten waren gut, doch etwas schlottrig angezogen und hatten ein halbgelehrtes Ansehen. Der eine war schwarzbraun, der andere flachshaarig; der eine trank seinen Wein aus einem Weinglas, der andere aus einem Bierglas. Hinter diesem kam die dritte Figur; ob klein oder groß, schlank oder dick, sage ich nicht. Diese Figur hatte etwas Protektorartiges und doch etwas Untertäniges, beides so ungefähr halb und halb, und auf dem glattgeriebenen, gedankenschwer aussehensollenden Kopf einen weißen Strohhut und unter demselben einen unter dem Kinn zulaufenden Bart, wie man sie jetzt auch bei vielen Schneidergesellen sieht. Die Arme waren in feines Tuch gesteckt, sahen um die Ellbogen etwas steif aus; Manschetten guckten aus den Ärmeln hervor und wegen den Manschetten steckten die Hände nicht in den Seitentaschen des Rockes, sondern waren in glacierte Handschuhe gesteckt, und führten einen altväterischen Stock, doch nicht mit goldenem Knopf, aber gut verschlungenem langem Bande. Um die Hüfte wäre die Figur gerne schlank gewesen; desto schlanker waren die Beinchen in den angestreckten Hosen und die langen, langen Füße, die selten unter einem Schreibtisch Platz hatten. Sie setzten sich, nachdem sie mit zum Teil bebrillten Augen und die Hände in die Seiten gestemmt, die Anwesenden gemustert und halblaut allerlei geweltschet hatten, an einem Tische nieder und begannen mit den Bauern eine Unterhaltung in einer Sprache, von der man nicht recht wußte, war es berndeutsch in hochdeutsch verwandelt, oder hochdeutsch in berndeutsch. Einer wollte später behaupten, man rede gerade so ums Schwabenland herum. Der Mann mit dem bedenklichen Gesicht und dem weißen Hut redete nur mit, wenn er den Dolmetsch machen mußte. Sie frugen, wie man zufrieden sei mit der gegenwärtigen Regierung. Meine Bauern, diplomatisch vorsichtig, wie sie waren, zuckten die Achsel und brauchten die gewöhnliche Redensart: man müsse zufrieden sein, daß es nicht noch schlechter ginge; besser könnte es aber auch gehen. Jene lachten auf und sagten, das meinten sie auch, aber kaum schlechter; die neuen Regenten seien gerade wie die alten, sie hätten das Volk vergessen und dächten nur an sich. Man solle nur bedenken, was in der Verfassung versprochen worden und was man gehalten. Das Volk sei unterdrückt, ja, und von Lasten erdrückt. Habe man etwa den Zehnten abgeschafft, wie in der Verfassung versprochen worden und der ehrenfeste und treue W. von U. so bündig auseinander gesetzt aus den Büchern Abrahams? Habe der Staat die Armen übernommen, wie verheißen worden? Hätten sie etwas von den reichen Stadtgütern erhalten, die im Lande zusammengestohlen worden? Von dem allem sei nichts geschehen und werde nichts geschehen, so lange diese Volksverräter an der Spitze stünden; aber die müßten 'runter; es gebe noch andere Leute, die es mit dem Volke besser meinten. – Die Bauern horchten hoch auf; das Ding gefiel ihnen, jeder rechnete schnell nach, wie viel ihm das jährlich ziehen müßte; und daß das alles verheißen sei, zweifelten sie keinen Augenblick, bewiesen jene zwei Volksfreunde es ja mit der Verfassung, die ihnen noch nie so schön und verständlich ausgelegt worden war.
Sie gaben ihren Beifall zu erkennen, doch nur mit halben Worten und ließen einige Äußerungen laufen gegen einzelne Regenten. Nun war jenen Herren noch mehr angeholfen; der Weißhaarige kam in neues, größeres Feuer, während der Schwarzbehaarte unvermerkt hinausging. Er rückte den Bauern immer näher; aus dem Bierglase verschwand der Wein immer schneller; er kümmerte sich aber gar nicht darum, welches seine Flasche sei; er schenkte sich ein aus jedem Schoppen, jeder Halbi, welche er fassen konnte; und wenn die Wirtin die Eigentümer fragte, ob sie noch eine geben solle, so sagte der Begeisterte: «Versteht sich!» Er verstieg sich immer höher und erklärte ihnen den eidgenössischen Verfassungsrat, wie die ganze Schweiz eins werden, alle Kantönlein 'runter müßten; dann müsse man die neuen Regenten ausjagen und bessere wählen, wo man sie finde, seien es Griechen oder Türken, Italiener oder Polaken; dann müsse man allen Tyrannen den Garaus machen, Deutschland, das herrliche, frei schlagen und dem verfluchten Frankreich den Krieg erklären. Mit den Augen sahen meine Bauern ihrem Wein nach, wie der verschwand; mit den Ohren hörten sie viele Dinge, die sie nicht verstunden, aber doch von Polaken und Krieg, und von beiden wollten sie nichts. Ihr voriges Zutrauen verschwand. So sehr ihnen der erste Teil gefallen hätte, so sehr mißfiel ihnen der zweite und obendrein besonders die ungenierte Gütergemeinschaft. Einer meinte, der Krieg, der sei ihm gar nicht anständig; er hätte zwei Buben unter den Auszügern, die er lieber daheim hätte als im Krieg, wo sie sterben könnten; und dann sei es noch gar nicht gewiß, daß man gewinne; er kenne die Franzosen, das seien Teufelsbuben. Er sei kein rechter Schweizer, meinte der Redner, ein echter Schweizer gebe ein Dutzend Söhne hin für die gute Sache und frage nicht nach Haus und Gut, wo es sich um die Freiheit handle, übrigens könne nur ein dummer Kerl am Sieg zweifeln, wo solche Leute an der Spitze seien; der berühmte P. Prediger sei es, der die Proklamationen schreibe, und ein noch berühmterer Landwirt, der mit jenem P. Prediger jetzt wie zwei Finger an einer Hand sei, werde den Proviant liefern. Das seien aber auch Patrioten!
Der Proviant mahnte ihn an den Wein und seine Hand haschte schnell nach einer Flasche. «Uhä!» sagte der Eigentümer und hielt sie oben fest; «we d' Wy treiche wotsch, su heb selber.» «Verfluchter Bauernlümmel, willst du gehen lassen?» fuhr der Durstige wild auf und hob die Faust. «Schlach nur zue, du bisch o vo dene Donnere eine, wo dLüt ufreise, für chönne z'schmarotze; me sott ech z'tod schla wie dFleuge». «Was, du Hund, du gönnst mir den Tropfen Wein nicht, du Esel, weißt gar nicht, was Freiheit ist!» Aber sie hatten nun genug Esel, Hund, Lümmel gehört; eine Menge Ehrentitel gaben sie ihm zurück und schoben ihn der Tür zu, wie wild er sich gebärden und um sich schlagen mochte. So wie man an dieselbe kam und die Wirtin dienstfertig öffnete, kam durch den Gang her ein anderer arger Lärm. Der zweite Herr, der aus dem Spitzglase getrunken hatte, wehrte sich, so gut er konnte, gegen drei Mägde mit Besen und Scheitern, die wütend auf ihn zuschlugen und ihm alle Schande sagten. Während der eine in der Stube die Bauern und ihren Wein bearbeitete, war der andere den Mädchen nachgeschlichen, besonders dem ältesten Kind im Hause, hatte Unziemliches versucht und wurde trotz seiner begütigenden Gebärden durch das Weibervolk selbst gezüchtigt. Die beiden Gesellen wurden zuerst einander in die Arme und dann zum Hause hinausgeworfen. Der dritte Herr wollte seine Gefährten schützen; allein mit seinen Handschuhen, Manschetten und dem schönen Stock und den ebenrecht gekrümmten Ellbogen hatte er so viel zu tun, hatte solche Mohren, seinen Rock durch Berührung mit dem Halblein zu verschaben, daß er nicht zum tätlichen Treffen kommen konnte. Desto lauter wollte er seine Stimme erschallen lassen, aber er brachte sie nie in den rechten Kommandoton, höchstens zu dem Gekreisch, zu dem ein Schreiber sich steigern kann, wenn er einen Kopisten ausschimpfen will. Nur einzelne seiner Worte drangen vernehmbar durch das Getümmel, als: «Lümmel! Ich! Sekretär! Grobian! Präsident! Schlechte Wirtschaft! Departement! Verklagen! Pack!» Diese Worte imponierten aber nicht; er wurde mitgestoßen, und unter der Haustüre erhielt er einen Stoß von unsichtbarer Hand, daß er mit seinen unsicheren Beinen die Treppe hinunter und sein weißer Hut auf einen Misthaufen flog.
Vor dem Hause belferten die beiden ersten gräßlich von Schweinhunden und in Verschiß tun, und es war mir, als ob sie auch mit dem berühmten Brönz-Ludi, der, wenn er alles bekäme, was er nicht hat, alles in der Welt hätte, und der, wenn man den Zehnten nehmen würde von den Löchern in den Hemden und von den Plätzen auf den Hosen, der natürliche Verfechter der Zehntaufhebung sein müßte – es war mir, als ob sie mit diesem Gewaltsmann drohten und seinem Gewaltshaufen den auserlesenen Stadtburgern von B., die an der Trappeten wohnen und in der Kreuzgasse und in andern vornehmen Quartieren, und sonstigem Gesindel. Unterdessen hatte der dritte mit grimmiger Wehmut seinen weißen Hut betrachtet und die braunen Flecken daran. Er hätte sie gerne abgewischt, aber er wußte nicht mit was, mit dem Ärmel, mit dem Schnupftuch? Ach, Tinte und Faß! wo blieb dann der mühselig errungene Wohlgeruch? Grimmig und verlegen versuchte er es mit Nußbaumblättern. Da gab es grüne Flecken statt der braunen und noch einmal so große; da entwand sich seiner geschnürten Brust ein mächtiger Wehlaut und dieser Wehlaut tönte wie: «Saukerls! Regierungsrat! Morndrige Sitzung! Kühdreck! Staatsperson! Lumpenpack!» Das verstund einer und antwortete mit Schnuder- und Hudelbuben, und ein zweiter hetzte seinen großen Rämihund auf sie; da gaben sie Fersengeld, und man sah sie nicht wieder. Das seien ihm Donnersbuben, meinte ein alter, dicker Bauer, der auch Hand angelegt und ob der ungewohnten Anstrengung schier nicht schnupen konnte. Die hätten doch anfangs so schön tun können, daß man ihnen alles glauben müssen; es sei aber recht gut, daß sie gezeigt, wer sie eigentlich seien, wie es in der Bible heiße; Wölfe in Schafkleidern, die hätten die Kräuel zu früh hervorgelassen, sonst hätten sie einen noch können verführen. Seiner Lebtag wolle er solchen Hudelbuben nicht mehr glauben, von denen man nicht wüßte, woher sie kämen und wer sie wären und ob sie etwas hätten. Das sei denen nur darum zu tun, die Leute hinter einander zu reisen und währenddem gingen sie einem hinter den Wein und hinter dMeitscheni und am Ende hinter alles, was man hätte. Er konnte nicht begreifen, wie witzigere Leute ganz gleich reden wie die und gemeine Sache mit ihnen machen. Dahinter müsse etwas stecken, das er nicht begreif». «Bei dem allem ist es aber schade, daß es nicht so kömmt wie sie im Anfang versprachen», fiel einer ein; «ich habe mich schon gefreut und wollte daraufhin meiner Alten eine Halbe vom Bessern heimbringen, jetzt kann sie warten; wenn ich keine Zehnten und Tellen mehr zahlen müßte, so brächte es mir wenigstens 150 Kronen jährlich und wenn wir noch teilen könnten, vielleicht ein paar tausend Pfund.» «Du Narr, glaubst du, das Teilen käme an uns?» polterte einer. «Hast du gesehen, wie die teilen? Hat er dir deine Halbe nicht fast allein ausgesoffen? Du kriegtest nicht nur nichts, sondern müßtest noch geben, was du hast, und deine Buben in Krieg schicken, und deine Meitscheni wären auch niene sicher. Wenn mehr so einer kömmt, so wollen wir ihm grad von Anfang, ehe er uns die Gringe groß und das Maul wässerig gemacht hat, das seine schoppen, daß er das Reden vergißt.» «Aber», sagte eine ängstliche Seele, «der Hoffärtigste scheint ein Herr von der Regierig zu sein oder ist Schreiber, der könnte uns wüste Ungelegenheit machen, oder es uns eintreiben, wenn er obenan käme oder gar unser Regierungs-Statthalter würde.» Sie sollten nur nicht Kumnnr haben, sagte der seither eingetretene Landjäger, ein alter Veteran. Das sei nur so ein Sekretari gewesen, der nicht viel zu bedeuten hätte, wie breit er sich auch mache; der werde in Bern kaum ein Wort davon sagen. Und weit bringe es ein solcher Sekretari selten, wenn sie schon täten, als ob sie die Flöhe husten hörten und das Gras wachsen sehen. Sie könnten nur in die Feder fassen, was andere ersinnen, und Tabellen machen. Gewöhnlich wüßten sie aber nicht einmal, was in diesen Tabellen sei, geschweige das, was außerhalb derselben wäre. Daher könnten sie nichts weniger als regieren (regieren heißt aber nicht regentelen), was man an den Wenigen sehe, die es zu Regenten gebracht. Wenn sie aus ihren Tabellen unter die Leute kämen, so täten sie wie 80jährige Großmütter, die mit Stögelischuhen auf dem Eise spazieren wollten.
«Nein», sagte der Landjäger, «vor dem habt keinen Kummer; der wird niemandem bös oder gut Wetter machen, als höchstens seinen Kopisten, wenn er schreibt wie ein Huhn und dann mit ihnen aufbegehrt wie ein Kothähneli.»
Nach diesem Troste wurde noch ein halber Schoppen mehr zu Gemüte gefaßt und dann fröhlich heimmarschiert, um den Weibern die vollbrachten Heldentaten zu verkünden, und was so ein Sekretari für eine himmelschreiende Kreatur sei.