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Wie man, ohne zu erben, kann helfen teilen

Einige Tage nach des Vaters Begräbnis kamen viele Männer ins Haus. Einer hatte immer eine Feder hinter dem Ohr und eine in der Hand; man sagte ihm «der Schreiber». Ein anderer war ein dicker Mann mit einem Maul, in welchem man einen vierspännigen Wagen kehren konnte, ohne ihn hinten herumzuheben, und Zähnen, welche gewiß die härteste Nuß aufbeißen konnten; er hieß der «Gemeindsausgeschossene». Dieser Mann soll etwas Merkwürdiges an sich gehabt haben; sein Magen und sein Gewissen sollten nämlich eins und imstande gewesen sein, alles ohne Magenweh zu verdauen, was zum Maul einmochte und was die Zähne zerbeißen konnten. Man denke, wie komod! Noch andere waren da, den einen sagte man «Schätzer»; es waren die nämlichen, welche geschätzt, was Vater sel. übernommen hatte; den andern sagte man, ich weiß nicht wie.

Diese brachen nun die angelegten Siegel auf, nisteten in allem herum, und ich dachte bei mir selbst: das müßten aparti g'wundrig Leute sein, daß sie alles in die Hände nehmen, aufschreiben und gar noch sagen, was jedes Stücklein wert sei. Der Mutter kam es nicht so wunderlich vor; nur disputierte sie immer mit den Männern: die Sachen seien mehr wert, als sie aufschrieben. Dann sagte der Mann mit dem zusammengewachsenen Magen und Gewissen: «Fraueli, häb du nume nit Kummer, ih will scho zu dr luege, es kostet di numme minger.» Das konnte ich damals wieder nicht begreifen, daß diese Sachen alle noch etwas kosten sollten; waren sie doch die unserigen und von manchem Stück hatte ich gesehen, wie es der Vater bezahlte.

Die Mutter kochete ihnen ein gutes Mittagessen und sparte dabei Fleisch nicht. Die Mannen ließen es sich auch gut schmecken, und als die Mutter alles aufgetragen hatte, fragte sie die Schätzer, wie sie den Tod ihres Mannes so schnell vernommen, daß sie schon eine Stunde nachher zum Versiegeln dagewesen? Der Bauer sei gekommen und hätte sie geschickt, antworteten sie. Ein Vater war von vier Kindern weggestorben; der Bauer war zum Teil schuld an seinem Tode, sah ihn blutend, bewußtlos ins Haus tragen, und woran dachte er? An den bald verfallenen Lehenzins, an möglichen Verlust oder Vorteil, der aus diesem Tod ihm werden könnte. Hatte der Mann wohl ein Herz im Leibe, oder keins?

Endlich mahnte der Schreiber wieder an die Arbeit zu gehen; der Ausgeschossene meinte aber: sie welle emel no näh, der Tag syg noch läng und was me hüt nit machi, chönn me morn mache; und mit aller möglichen Behaglichkeit zermalmte er ein Stück Fleisch nach dem andern. Das gefiel der Mutter schon nicht, und als der Bauer des Nachmittags sich auch herzuließ unter dem Vorwande, er müsse doch zusehen, daß man seine Sachen nicht auch schätze und mit dem Ausgeschossenen besonders freundlich tat, gefiel es ihr noch weniger; sie wurde mißtrauisch. Als es nachtete, brach man mit Schätzen ab; der Schreiber ging seine Wege. Die andern hieß der Bauer in seinen Stock hinüberkommen, vorgebend, ihnen den Lehnbrief zu zeigen und das Verzeichnis der in Schätzung gegebenen Dinge, das nur in einem Doppel ausgefertigt war, das der Bauer hinter sich hatte, weil der Vater sel. es halt nicht besser verstund. Als der Mann mit den guten Zähnen lange nicht wieder kommen wollte, das Kaffee zu nehmen, das ihm die Mutter gerüstet hatte, schöpfte sie Verdacht und schickte eines der Kinder vor das Fenster, zu guggen, was man in der Stube mache? Es berichtete, man habe Papier auf dem Tische liegen, Hamme, Käs, eine große Strohflasche und Brot, neben dem Bauer liege auch ein Säckeli; was man aber rede, könne es nicht verstehen.

Das eben hätte die Mutter gerne gewußt, konnte es auch von dem Ausgeschossenen nicht vernehmen, so fein sie tat. Der war besonders freundlich, fast wie eine Katze ehe sie die Kräuel einhängt, trank Kaffee, als ob er den ganzen Tag nichts gehabt, trank noch einen guten Schnaps vor dem z'Bett gah und am Morgen mußte man lange auf ihn warten, um an die Arbeit gehen zu können. Als man endlich mit unserer Sache fertig war, forderte der Bauer, daß man zugleich auch die Abschatzung der Sachen vornehme, die ihm gehören. Er brachte das Verzeichnis zur Hand. Stück für Stück wurde visitiert, und Stück für Stück fast in Abgang gefunden, sogar Wägen, an welche der Vater sel. vier neue Räder hatte machen lassen. Da fing meine Mutter doch an zu räsonnieren und begehrte verzweifelt auf; aber der Ausgeschossene sagte: «Fraueli! das verstahst du nit; da dem Statthalter und dem Vorsteher mueß me glaube, es isch si a-n-ere Frau nüt z'achte.» Dann fehlten eine Menge Sachen, die auf dem Verzeichnis standen, besonders am Ende desselben. Von den einen behauptete der Knecht, sie nie gesehen zu haben, von den andern, der Bauer hätte sie selbst weggenommen; er sei immer dagewesen und hätte genommen ohne zu fragen, was ihm beliebte, es weitergeliehen und nur wieder gebracht, was er wollte. Da sagten die Mannen: «Bürschli, nimm di in acht, was d'redst; chasch 's bewise?» Und das Bürschli erschrak und schwieg.

So wurde die Abschatzung gemacht und vom Ausgeschossenen gutgeheißen! Als endlich alles fertig war und die Mannen fortwollten, forderte meine Mutter in verbissener Wut noch Geld, um die Haushaltung zu führen. Der ganze Rest der Erbschaft war noch vorhanden gewesen; denn der Vater dachte nicht ans Anlegen und diesen hatte der Ausgeschossene zu Händen genommen. Man spöttelte erst: sie werde wohl noch Geld haben. Die Mutter verstund zwar damals nicht, was sie damit meinten; allein sie begehrte so tüchtig auf und sagte ihnen so derbe Wahrheiten ins Gesicht, daß man, um sie zu g'schweigen, ihr einige Neutaler gab.

Dagegen schickte ihnen die Mutter Wünsche auf den Weg nach, die ich nicht nachsagen will.

Nun regierte die Mutter einige Wochen das Haus; das Lehen war in vierzehn Tagen zu Ende. Niemand sagte uns etwas; wir wußten nicht, was anfangen; denn ob dem Streit hatte man jegliche Abrede vergessen. Da kamen eines Morgens wieder Mannen, wieder einer mit einer Feder hinter dem Ohr und einer in der Hand, wieder der Ausgeschossene und andere mit ihnen, und dann noch einige Leute, aber nicht viele. Wir wußten nicht, was es geben sollte, und vernahmen endlich, es werde eine Versteigerung abgehalten über etwas Feldgeräte, Schafe, Schweine und ein Kalb und eine Kuh, welche uns gehörten.

Daß die Sachen versteigert wurden, war ganz recht, allein man hätte es uns doch kundtun und dafür sorgen können, daß die Steigerung bekannt würde; aber man tat absichtlich das Gegenteil. Die Mutter machte ihre Bemerkungen; allein sie erhielt zur Antwort, man könne nicht einen Expressen für sie auf der Straße haben, wäre sie übrigens gestern in der Kirche gewesen, so hätte sie es vernommen.

Was sollte man dagegen sagen? Man mußte es sich gefallen lassen, unsere Sachen unter die wenigen Leute, ich mag fast nicht sagen versteigern, sondern verteilen zu lassen. Dem Ausgeschossenen fiel die Kuh und das Kalb zu; der Bauer erhielt das meiste Feldgerät usw. Mutter sagte ihnen nun, sie merke wohl, warum sie wohlfeil geschatziget; allein, was half es; ein guter Magen verdauet eben alles. Als die Steigerung aus war, wurde die Mutter angewiesen, auf einen bestimmten Tag vor dem Gemeindrat zu erscheinen, um den Erfolg des Beneficiums zu vernehmen, und was mit ihr und den Kindern vorzunehmen sei. Mein Lebtag werde ich nie vergessen, in welchem Zustande meine Mutter heimkam. Wut, Betrübnis wechselten miteinander ab; bald fluchte, bald weinte sie und rief dann dazwischen: «O Benz, das ha-n-ig a dir verdienet.» Endlich am andern Morgen konnten wir erst vernehmen, wie es ihr ergangen. Zuerst habe man da abgelesen, was für Schulden und was für Vermögen die Schreiberei aufgemacht. Es sei ihr fast gschmuechtet, als sie gehört, was der Bauer forderte an Abschatzung, dann noch für das nicht vollendete Holzen, an welchem der Vater gestorben, und endlich noch den ganzen letzten Lehenzins, da sie doch bestimmt wisse, daß Benz hundert Kronen auf Rechnung daran bezahlt, jedoch sich nichts Schriftliches habe geben lassen. Aber zornig sei sie erst geworden, als sie die Kostennote des Ausgeschossenen hätte ablesen hören, für Lauf und Gang und ausgegebenes Geld gerade so viel, als Kuh und Kalb gekostet, ja, auf der Kostennote hätte er noch angesetzt gehabt vier Franken, für die versteigerte Kuh und das Kalb heimzutreiben. Doch hätte sie alles ablesen lassen bis ans Ende, wo es sich gefunden, daß nach dieser Rechnungsweise die Schulden das Vermögen um einige zwanzig Kronen überstiegen.

Nun hätte man sie gefragt, ob sie Geld habe, den Überschuß gut zu machen, sonst müsse man den Geldstag anrufen. Sie habe darauf gesagt, das sei eine Lumpe-Rechnig. Erstlich habe der Bauer keine Abschatzig und nicht den ganzen Lehenzins zu fordern, sondern hundert Kronen weniger; zweitens sei es mit der Steigerig auch nicht recht zugegangen, und sie wisse gar nicht, was der Ausgeschossene denke, so viel anzusetzen; was er bei ihr gefressen und gesoffen, das müßte sie ihm jetzt noch dreifach bezahlen, und zwar hab' er g'fresse, daß er es wohl acht Tage habe machen können. Aber sie merke gar wohl, er und der Hausbauer seien einig zusammen geworden und hätten eine Teilig verabredet, als die Hamme auf dem Tisch gestanden und das Säckeli neben dem Bauern. Sie habe kein Geld, wolle aber auch keinen Geldstag; die ehrenden Gemeindsväter sollen die Rechnig besser untersuchen und daraus tun, was erlogen sei oder übertrieben; dem Ausgeschossenen wolle sie gern einen Strick bezahlen, und einen, der ihn daran führe; aber Kuh und Kalb wolle sie ihm nicht auf ihre Kosten in den Stall liefern. Auch seien die noch vorhandenen Vorräte und Effekten weit mehr wert als da geschrieben stehe; allein man werde wieder teilen wollen an einer zweiten Steigerig. Sie habe wohl gemerkt, setzte sie hinzu, daß es viele g'lächeret habe und man dem Ausgeschossenen ihre Sticheleien gegönnt; aber man habe ihr doch gesagt: «Frau, du hast ein böses Maul, das sehen wir jetzt und haben schon lange davon gehört. Du willst jetzt andere hineinstoßen und wirst wohl selbst Schuld sein, daß zu wenig Geld da ist. Die hundert Kronen hast wohl du geschwind auf die Seite gemacht und nicht der Bauer.» Herr Jeses, jetzt erst merkte ich, daß ich verleumdet worden war, als hätte ich zwischen dem Tod meines Mannes und dem Versiegeln Geld auf die Seite gemacht. Da wurde ich erst recht böse. Wenn einer von euch einen guten Blutstropfen im Leibe hätte, sagte ich, so würde er mir so was nicht zumuten; wenn einer Frau auf solche Weise der Mann von vier Kindern wegstirbt, so sinnet sie nicht an solche Sachen, wenn ihr das Herz brechen will vor Jammer und Elend. Ich hätte noch viel mehr gesagt; aber man hieß mich schweigen und abtreten.

Als ich wieder hineinkam, wurde mir eröffnet, die Gemeinde müsse den Geldstag anrufen; die Gemeinde könne nicht prozedieren, wenn niemand das Fehlende oder den Prozeß übernehmen wolle, ober die Gläubiger mit ihren Forderungen nachließen. Das letztere werde nicht der Fall sein, ergänzte der Ausgeschossene; er habe zuviel versäumt zu Hause und noch großen Schaden; der Bauer werde auch nicht wollen; wir hätten ihm den ganzen Hof verderbt, und die Schreiberei habe ihr Bestimmtes. Dann, fuhr man fort, solle ich sagen, wo ich hinwolle und wie die Kinder unterzubringen seien; fänden sie keinen Platz, so könne ich einstweilen in den Spital; die Kinder wolle man auf die Güter tun. Ich sagte ihnen, sie sollen nur machen, was sie vor Gott verantworten können, kurz, ich sagte so viel, daß ich nicht mehr alles weiß. Ich sah wohl, daß ich einige erbarmte und daß sie merkten, die Sache sei nicht richtig; allein sie hatten es, wie es im Sprichwort heißt: Was dich nicht beißt, das kratze nicht; was dich nicht brennt, das blase nicht.

So erzählte die Mutter; wir hörten und weinten; von allem begriffen wir wenig, als daß wir auseinander zu fremden Leuten sollten; darüber konnten wir uns fast nicht trösten. Wir machten allerlei kindische Anschläge, um beisammen bleiben zu können; allein wir hatten nicht die Kräfte zur Ausführung, und die Mutter war nicht die Frau dazu.

Die Mutter machte sich darauf auf die Beine und lief zum Landvogt, ihm ihr Elend zu klagen. Sie schimpfte zuerst über den Bauern, über den Ausgeschossenen, über den Gemeinderat, in ihrem Eifer dann über das Beneficium, über das Aufschreibamt; das alles sei nur ersonnen, um arme Witwyber zu kujinieren und um ihre Sache zu bringen. Der Landvogt war kein böser Mann; aber wer etwas über die Regierung sagte – und dazu rechnete er auch den Tadel irgendeines Gesetzes oder einer Verfügung– der hatte es bei ihm verspielt, den nannte er einen übeldenkenden Menschen, der keine Religion habe; denn göttliche und oberkeitliche Gebote schienen ihm gleich wichtig. Er hatte auch den Verstand nicht, zu unterscheiden, daß ein Weib in vielen Dingen Recht haben, in andern im Eifer zu weit geführt werden könne, weil es sich darauf nicht verstehe, ohne geradezu ein schlechtes Mensch zu sein. Übrigens wußte eigentlich jedermann, daß man diesen Verstand dem Landvogt nicht zumuten dürfe; allein, was vergißt ein zornig Weib nicht alles! Nun, mein Landvogt, der anfangs hören zu wollen schien, fuhr tüchtig z'weg, als das Weib so redete; wenn es nicht plötzlich schweige, so lasse er es acht Tage bei Wasser und Brot an Schatten tun; er wolle es lehren, so von seinen gnädigen Herren und Oberen zu sprechen; daraus sehe er am besten, daß alle ihre Reden nur Verleumdungen seien. Auch kenne er die Vorgesetzten gar wohl; das seien lauter gutgesinnte Leute und meiner gnädigen Herren getreue Untertanen; er wett wohl gern, es wären alle Leute so gut denkend, wie der Ausgeschossene; dann wäre mehr Religion und mehr Respekt gegen die hohe Obrigkeit in der Welt. Wenn sie sich noch einmal unterstehe, ins Schloß zu kommen, so lasse er sie mit dem Landjäger der Gemeinde zuführen. «Und jetzt pack di!» waren seine letzten gnädigen Worte.

Mutter machte sich wohl fort, aber nicht erschrocken, sondern vollends ertaubet. Schnurstracks lief sie zu einem Agenten, erzählte ihm ihre Not, und wollte von ihm, daß er die Schelmen alle, die unter einer Decke lägen, verklage. Der Agent hörte aufmerksam zu, fragte nach vielen Dingen, nach den Schriften zum Beispiel, endlich so ganz nebenbei, sie werde Geld haben, um den Handel zu treiben. Die Mutter meinte, Schriften brauche sie keine; die werden schon zum Vorschein kommen; er solle nur klagen; wegen dem Gelde solle er nur ganz unbesorgt sein; sie werde ihn bezahlen, sobald der Handel gewonnen sei. Der Agent sagte nicht viel darauf, als sie solle in einigen Tagen wieder kommen; er werde die Sache genauer untersuchen. Als die Mutter wieder kam, putzte er ihr tüchtig ab, daß sie mit Lügen zur Annahme eines Lumpenhandels ihn habe verführen wollen; die Sache sei keinen faulen Rappen wert. Da strich sich die Mutter ganz niedergeschlagen fort, und glaubte die ganze Welt gegen sich verschworen. Als sie weinend ihrer Wege ging, traf sie eine alte Bekannte; diese fragte nach ihrem Elend. Mutter leerte ihr das Herz und was ihr jetzt der Agent gesagt, der ihre letzte Hoffnung gewesen sei.

«Ja», sagte die, «da kann ich dir wohl sagen, warum dä so gegen dich aufbegehrt. Ich war am letzten ... Wochenmarkt und hatte in ..... Stübli für einen Batzen Suppen und einen halben Schoppen; dort war der Bauer, der Ausgeschossene und hatten eine Halbe. Da kam der Agent auch; sie brachten es ihm, und er mußte zu ihnen sitzen. Sie redeten viel miteinander, aber süferli, ich konnte nichts verstehen, und ließen noch mehr Wein kommen, auch Essen auftragen, und der Agent aß und trank mit ihnen. Ich mußte nun fort und als ich bei ihnen vorbeiging, hörte ich, daß der Bauer sagte: «He, uf e-nes paar Neutaler chunnt's de notti nit a.» Damals habe ich nicht gewußt, was das zu bedeuten habe; jetzt kommt's m'r z'Sinn; sie haben den Agent g'spickt, daß er dich abputzen solle und fortjagen. Wenn ich dir guts Rats bin, so gib die Sach' auf; es ist ein Donnersschelm wie der andere, und es kratzet keine Krähe der andern die Augen aus. Such du Platz für dich und deine Kinder zur rechten Zeit, das ist das beste, was du machen kannst. Komm, wir wollen da noch eine Halbe trinken, du vergissest dein Elend vielleicht darob und kannst di öppe tröste.»

Bei der Halbi schwatzten die Weiber, wie Weiber bei einer Halbi schwatzen, das heißt noch einmal so viel als sonst. Die Freundin erzählte der Mutter, was der Ausgeschossene eigentlich sei, wie er seine eigenen Geschwister bestohlen, als ihr Vater gestorben, wie er sich auf das Bestechen gut verstehe, wie er bei dieser Gelegenheit es bewiesen usw. Da wollte meine Mutter über den Gemeindrat ausfahren, als ob derselbe mit den andern gemeine Sache mache. «Nein, da mußt du nicht ungerecht sein», sagte die Freundin, «am Gemeindrat sitzen meistens brave Männer; ich will zwar nicht sagen, daß nicht auch drin sitzen, die machen, was sie können, wenn es sich ihnen schickt. Aber der Gemeindrat hat gar viel zu tun und große Verantwortung, und ein jeder sieht doch dann am Ende zu sich selbst; denn die meisten müssen ihre Weiber daheim ein wenig fürchten, und da machen sie vor allem aus, daß sie ungeschlagen daraus kommen. Am meisten fehlen sie freilich darin, daß sie solche Leute zu Ausgeschossenen machen; aber wenige von ihnen tun es gerne; sie haben Schaden dabei, weil sie sich schämen, unverschant aufzumachen; da schießen sie oft die aus, welche es nicht ungern machen, weil sie einen Profit darin sehen. Freilich wissen sie wohl, daß nicht alles mit rechten Dingen zugeht; allein es scheut sich doch jeder vor ihnen, öffentlich aufzutreten. Du weißt, man macht sich nicht gern unwert. Verschmerz jetzt die Sache und gib den Mannen gute Worte in der Gemeindstube, und wenn du einen allein siehst von den bessern, so erzähle ihm die Sache; du wirst sehen, er gibt dir Recht, und redet dir ein andermal, wenn du etwas willst, z'best».

Die Mutter befolgte zum Teil die guten Räte. Sie fand für sich selbst Platz bei einem Bruder, der auch wieder Krämer war und seine Frau verloren hatte. Meine Geschwister wurden von Göttene oder Gotten genommen; mich allein wollte niemand. Ich hatte keine Götti mehr; Großvater und Vater waren gestorben. Meine Großmutter war ihrer Sohnsfrau selbst im Wege, geschweige daß sie mich hätte nehmen dürfen. Es blieb also der Mutter nichts übrig, als wieder in die Gemeinde zu gehen und anzuhalten, daß man mich übernehmen möchte. Es ging ihr auch, wie die Freundin vorausgesagt hatte. Man erkannte das vielfache Unrecht, das sie erlitten, insgeheim an, gab ihr gute Worte und versprach, mich bis zur nächsten Bettlergemeinde gut zu versorgen.

Nun ging die Sache ihren raschen Lauf. Der Geldstag wurde angerufen, eine zweite Steigerung gehalten. Mit Angst und Not rettete die Mutter ein Bett, das sie in ihrer ledigen Zeit hatte machen lassen. Eine arme Familie war mehr in der Welt; die Großkinder eines reichen Bauern waren Bettler und warteten auf die Bettlergemeinde, um versorgt zu werben. Wer trägt die Schuld, daß sie Bettler wurden? Sind eigentlich die Armen allein schuld, daß so viele Arme sind? Woher die wachsende Zahl der Armen kommt, ist den meisten Menschen ein Rätsel! Haben denn die Menschen noch immer Augen und sehen nicht, Ohren und hören nicht, einen Verstand schwer zum Begreifen?

Die Stunde der Trennung schlug. Wir Geschwister hatten einander geliebt; was wir fühlten, wie wir weinten, kann jeder denken, der selbst fühlen und weinen kann; beschreiben will ich es nicht. So wurde ich ein Güterbub und war acht Jahre alt.


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