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Den 24ten Aprill 89.
Lieber Herr Gevatter!
Die unerwarttete ankunft Ihres Lieben Briefes hat mir viel Vergnügen verursacht – mir wards, als trätte ein alter guter Freund in meine Stube – und spräche: Da bin ich wieder. Die Vergleichung gefält mir – meine Einbildungskraft wird mir beystehen – Sie sitzen in der bekandten Wohnstube – das Band meiner Zunge wird loß – und ich hebe an meinen Spruch. Wenn Thalien und Melpomenen an mir etwas gelegen war; so mögen sie ihre Häupter mit Flohr verhüllen und ihre Leichname in Trauer gewand einwicklen. Die Ursachen dieser großen Revolution laßen sich her sagen wie – ein pater noster wer nur das mindeste Gefühl hat kan der es ansehn, daß ein Mensch von der plumpsten Sorte – deßen eigendlicher Beruf porteschäschentragen wäre, deßen heulenden Organ ihn zum Nachtwächter qualivicirte – daß ein solcher den guten biedern Wolf im Otto spielt! Ein gewißer Herr Großmann stellte diesen treuen diener so auserordentlich brav dar, daß bey singung der Romanze kein Auge trocken blieb – bey dem Vierschröterischen Wolf – lachte alles überlaut – Muß es nicht alle Ilusion stören, wenn Madam Beck die wenig Zähne mehr hat in den Beyden Billiet das Rösgen macht – ich will ihren sonstigen Talenten dadurch gar nicht zu nahe tretten – aber ein Rösgen ist sie doch warlich nicht – In diesem Thon könte ich Ihnen noch viel vorerzählen – aber zu was nutzt es, zu was fromt es – soviel ist ausgemacht, daß die vortreflichsten Stücke bißhieher wegen dem fortgehen der geschicktesten Leute entweder gar nicht, oder sehr elend sind gegeben worden. Ein gantzes Schock neuer Menschenkinder sind zwar angelandet – da ich aber diese Meße noch mit keinem Fuß im Theater war; so kan ich von ihren Talenten oder nicht Talenten auch nichts sagen. Da ich überzeugt bin, daß mein Lieber Herr Gevatter schweigen kan – und also von allen diesen Nachrichten keinen gebrauch als vor Sich Selbst macht; so kan ich auch von Koch offenherzig reden. Er scheint mir ein guter Mann zu seyn, scheint keinen üblen Carackter zu haben, aber träge, unordtenlich, manchmahl wißen die Schauspieler nicht was übermorgen gespielt wird – in der garterobe soll eine Confusion herschen die ohne gleichen ist – einige Rollen spielt er brav – den Siegfried in der väterlichen Rache – guthertzige Alte – aber zu jungen Rollen ist sein Cörperbau zu starck, seine Stimme zu hohl und Rau und äußerst unangenehm z.E. als Hammlet, als Posa im Don Carlos ist er mir unausstehlich, auch als Tellheim ist er ungenißbar. Stegmann ist jetzt der Liebling des hiesigen und Mainzer publicums – er ist opern director – hat jetzt gute Singstimen – Madam Helmuth – Madam Schick – Madam Walther – er läßt die opern recht einstudiren – und wenn Koch doll würde, so giebt er keine Neue biß die Leute sie aus dem Fundament hertrillern können – da nun Koch es mit dem Schauspiel just umgekerth macht – und die Leute mit den Rollen keine Zeit gelaßen wird, so folgt gantz nathürlich, daß alles in die Oper läuft – und beym Schauspiel lehre Bänke in menge sind. Weil nun Stegmann dadurch der Kaße mehr einbringt als Koch; so ist leicht zu begreifen, daß er hir u in Maintz sehr gut angeschrieben ist – auch hat er sich auf 12 Jahr aufs neue anwerben laßen. Da ich so lange nichts von Ihnen gehört hatte; so waren mir die dramaturischen Blätter von Herrn von Kniege ein wares Freudenfest. Leben Sie wohl! Grüßen Ihre Liebe Frau Lotte und alles was Ihnen lieb ist von
Ihrer wahren Freundin
E. Goethe.