Katharina Elisabetha Goethe
Briefe – Band I
Katharina Elisabetha Goethe

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104. An Fritz von Stein

Frankfurth, den 9. September 1784

Lieber Sohn!

Ungeachtet Sie dieses Schreiben durch die Post ehnder würden erhalten haben, so konnte es dem Ueberbringer dieses ohnmöglich abschlagen, der mich sehr ersuchte, ihm etwas mitzugeben. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen vor die Schilderung Ihrer mir so lieben und interessanten Person – besonders freut es mich, daß Sie Ihr Gutes und Nichtgutes schon so hübsch kennen. Bravo! lieber Sohn! das ist der einzige Weg, edel, groß, und der Menschheit nützlich zu werden; ein Mensch, der seine Fehler nicht weiß, oder nicht wissen will, wird in der Folge unausstehlich, eitel, voll von Pretensionen, – intolerant, – niemand mag ihn leiden, – und wenn er das größte Genie wäre, ich weiß davon auffallende Exempel. Aber das Gute, das wir haben, müssen wir auch wissen, das ist eben so nöthig, eben so nützlich, – ein Mensch, der nicht weiß, was er gilt, der nicht seine Kraft kennt, folglich keinen Glauben an sich hat, ist ein Tropf, der keinen festen Schritt und Tritt hat, sondern ewig im Gängelbande geht und in seculum seculorum – Kind bleibt. Lieber Sohn, bleiben Sie auf diesem guten Wege, und Ihre vortrefflichen Eltern werden den Tag Ihrer Geburt segnen. Es ist ein großes Zeichen Ihrer Liebe und Freundschaft, daß Sie eine genaue Beschreibung von meiner Person verlangen, hier schicke ich Ihnen zwei Schattenrisse, – freilich ist an dem großen die Nase etwas zu stark, – und der kleine zu jugendlich, mit alle dem ist im Ganzen viel Wahres drinnen. Von Person bin ich ziemlich groß und ziemlich korpulent, – habe braune Augen und Haar, – und getraute mir die Mutter von Prinz Hamlet nicht übel vorzustellen. Viele Personen, wozu auch die Fürstin von Dessau gehört, behaupten, es wäre gar nicht zu verkennen, daß Goethe mein Sohn wäre. Ich kann das nun eben nicht finden, – doch muß etwas daran seyn, weil es schon so oft ist behauptet worden. Ordnung und Ruhe sind Hauptzüge meines Charakters, – daher thu' ich Alles gleich frisch von der Hand weg, – das Unangenehmste immer zuerst, – und verschlucke den Teufel |: nach dem weisen Rath des Gevatters Wieland :| ohne ihn erst lange zu bekucken; liegt denn Alles wieder in den alten Falten, – ist Alles unebene wieder gleich, dann biete ich dem Trotz, der mich in gutem Humor übertreffen wollte. Nun, lieber Sohn, kommen Sie einmal und sehen Sie das Alles selbst mit an, – ich werde Alles anwenden, um Ihnen Freude und Vergnügen zu verschaffen.

Seyn Sie versichert, daß ich ewig bin
Ihre
wahre Freundin und treue Mutter
E. G.


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