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Abschied von Kalübbe – Die beiden Krähen schicken einen Gendarmen – Onkel Eduards letzter Streich – Auf Wiedersehen!
In dem kleinen Torwärterhaus mit seinen fünf Stuben bist du dann noch geboren, mein Sohn Paul, den alle heute noch nur Paulemann nennen, obwohl du längst ein großer Mann und mehrfacher Vater geworden bist. Du hast uns nicht die geringsten Schwierigkeiten gemacht, Paulemann – seit wir aus Schloß und Erbschaft gezogen waren, ging alles wieder glatt bei uns, innerlich und äußerlich, menschlich wie geldlich.
Ein paar Tage stand dein Bettchen noch neben dem von Hanne Lindstaedts Sohn – der nicht lange mehr Lindstaedt heißen sollte, sondern zu seinem Vater Kalübbe zog, mit der Hanne. Ich sehe den Administrator Kalübbe noch bei mir in der Stube sitzen, von der noch im Bett liegenden Karla nahm unterdes die Hanne Abschied ...
Jaha, sprach Herr Kalübbe und spielte aufgeräumt mit seinen waschledernen Handschuhen, deren helle Farbe kräftig von seinen dunkelbraunen Händen abstach. Das haben wir uns auch nicht träumen lassen am letzten Silvesterabend, daß wir uns so bald schon trennen würden, Herr Schreyvogel.
Wie ich höre, sagte ich lächelnd, hat Ihnen die neue Besitzerschaft ein recht vorteilhaftes Angebot gemacht? Wollten Sie denn gar nicht in Gaugarten bleiben? Schlimmer als der Onkel Eduard können Frau Holtfreter und Herr Steppe eigentlich auch nicht sein.
Ich weiß doch nicht, sprach Kalübbe bedenklich. Zwei Herren sind alleweil schlimmer als einer. Und nun noch dazu ein Frauenzimmer als Chef! Es ist Ihre Tante, Herr Schreyvogel, aber gerade heraus: sie ist eine wahre Giftkruke!
Tante Frätzchen! stimmte ich innig zu. Aber meine Frau ist auch ein Frauenzimmer, und sie war doch auch Ihr Chef!
Oh, mit Ihrer Frau ist es etwas anderes! rief Kalübbe schnell. Ihre Frau ist ein Ausnahmefall!
Ich möchte gerne wissen, sagte ich nachdenklich, wie meine Frau Sie damals eigentlich herumgekriegt hat, Herr Kalübbe. Sie müssen es gewußt haben, daß es nicht gutgehen konnte mit der Schuldenmacherei! Hat Ihnen denn das Herz nicht geblutet, da Sie wußten, Sie mußten das Gut verlieren –?
Das wissen Sie nicht, Herr Schreyvogel? rief Kalübbe überrascht und wurde dann rot. Wie Ihre Frau uns herumgekriegt hat, den Schwöger und mich, daß wir alles mitmachten und nie bremsten und Ihnen gegenüber dichthielten?! Nun wie wohl –?
Und er sah mich mit seiner ganzen, sofort wiedergewonnenen Überlegenheit humorvoll zwinkernd an.
Ich weiß doch nicht ... sagte nun ich etwas verlegen. Denn was ich dachte, mochte ich nicht so ohne weiteres aussprechen.
Mit Geld, mein lieber Herr Schreyvogel! Geld war die Binde über unseren Augen, mit Geld hat sie uns den Mund versiegelt! Ein zehnfaches Jahresgehalt, bar auf den Tisch gezahlt, das war der Zauberschlüssel! Darum bin ich ja auch in der schönen Lage, Herrn Justizrat Steppe ein kühles ›Dankeschön‹ zu sagen, eine Domäne zu pachten und mein eigener Herr zu werden.
Ich habe es mir beinahe gedacht ... sagte ich ein bißchen verlegen.
Natürlich! lachte er. Die Schreyvögel flattern verhältnismäßig selten in der Welt herum, die froh sind, ihr Geld los zu werden. Ich gehöre zu der anderen Sorte Federvieh, die den Schnabel nicht voll kriegen können.
Nun, Sie verstehen's auch besser anzuwenden, sagte ich.
Wenn es nicht zu viel wird, ja, sprach Kalübbe nachdenklich. Ich glaube, drei Millionen, oder auch nur eine, würden mich ebenso verrückt machen. – Aber nun sagen Sie aufrichtig, Herr Schreyvogel, sind Sie mir gar nicht böse, daß ich mitgeholfen habe, Sie um Ihr Hab und Gut zu bringen?
Nicht die Spur, Herr Kalübbe. Ich bin froh ...
Na, dann ist's ja gut. Und was ich Ihnen noch sagen wollte, Herr Schreyvogel, ich habe gehört, Sie gehen wieder in die Versicherungsbranche: was ich auf meiner Klitsche zu versichern habe, machen Sie, das steht fest!
Furchtbar nett, Herr Kalübbe!
Gottlob, daß Sie kein Weinreisender werden. Ich würde um Ihretwillen zum Säufer! – Achtung, da kommen die beiden Krähen!
Ja, da kamen sie – ganz Gaugarten nannte sie schon nur die beiden Krähen. Tante Frätzchen und Steppe liefen nebeneinander durch das jetzt stets offenstehende Tor. Sie tuschelten eifrig miteinander, aber sie vergaßen nicht, einen scheelen Blick auf das Torhaus zu werfen, das ihnen wie ein Dorn in der Haut stecken mußte. Die beiden neuen Besitzer von Gaugarten waren immer unterwegs, am frühen Morgen, am späten Abend, in der Nacht – immerfort tauchten sie überraschend auf, in den Ställen, auf dem Feld, hinter den Säcken der Futterkammer hervor.
Allen mißtrauten sie, aber jedes dem anderen am meisten. Nie sah man sie allein. Wenn das eine loslief, lief das andere nebenher, sprach das eine, hörte das andere verkniffen zu und sprach dann schnell sein Wort hinterdrein.
Bald gab der Justizrat seine Praxis auf, um sich ›ganz dem Gut widmen zu können‹. Zu Anfang haben die beiden uns wohl nur einen Possen spielen wollen, sie haben uns zwacken wollen mit hohen Prozenten und vielen Ängsten. Dann, als Karla sich nicht ängstigen ließ, sondern das Gut sofort preisgab, haben sie es gekauft, billig, zu zwei Dritteln seines wirklichen Wertes. (Für solch großes Objekt sind die Käufer rar.) Sie haben all ihr Erspartes, ihr Ergaunertes, Erwuchertes, Zusammengegeiztes dabei hergeben müssen – und da ist wohl die Angst über sie gekommen um ihr schönes Geld!
Nein, sie haben sich nicht geheiratet, wie es eigentlich alle erwarteten – dafür haben sie einander wohl zu sehr mißtraut. Sie waren zusammengeschmiedet durch ihr Geld – sie waren Millionäre, aber sie haben jämmerlicher gelebt als der Ärmste, sich nie etwas gegönnt, allen mißtraut, sich an nichts gefreut ...
Wir haben nichts mehr mit ihnen zu tun gehabt, trotzdem wir bei jedem Urlaub in das Torhaus zogen. Wenn wir sie noch sahen, gingen sie an uns vorüber ohne Gruß. Sie kannten uns nicht mehr, sie haben uns wohl sehr verachtet, weil wir diesen Besitz, um den sie so sehr leiden mußten, kampflos und gerne aufgegeben haben. Wie und wann sie gestorben sind, weiß ich nicht zu sagen. Schließlich haben wir einmal, als viel Krankheit und Not in der Familie war, das Torhaus verkaufen müssen, seitdem sind wir nicht wieder in Gaugarten gewesen.
Ich habe eben gesagt, wir haben nichts mehr mit ihnen zu tun gehabt. Aber das ist nicht ganz richtig, denn einmal, kurz nachdem sie Gaugarten übernommen hatten, haben sie uns noch den Landjäger ins Haus geschickt. Der Landjäger war etwas verlegen und sehr ärgerlich. Er hatte wohl schon manchen solchen Weg gehen müssen auf eine Anzeige der beiden alten Leute hin, die Silber und vieles andere im Schloß vermißten. Ich hätte dem Landjäger den Namen Strabow nennen können, aber ich hatte keine Lust, und Sicheres wußte ich auch nicht.
So sagte ich ihm nur, er könne gerne alles bei uns nachsehen, aber er lehnte es unwillig ab.
Es ist die reine Wilde-Gänsejagd, sagte er. Die verstecken alles voreinander, und nachher können sie es nicht wiederfinden und beschuldigen jeden. Jetzt haben sie schon keinen Dienstboten mehr im Schloß, alles haben sie zugesperrt, nur noch in zwei Stuben hausen sie ...
Ich habe aber wirklich nichts dagegen! Sie können überall nachsehen, wir haben nichts aus dem Schloß mitgenommen.
Ich glaube es Ihnen auch so, Herr Schreyvogel. Das wäre doch auch lachhaft: Sie geben Millionen auf und stehlen sechs silberne Löffel. Wenn Sie hier nur das Protokoll unterschreiben wollen.
Nachher erzählte ich Karla von diesem Besuch. Sie lag in ihrem Bett, war aber schon wieder völlig munter. Als ich fertig erzählt hatte, sah sie mich einen Augenblick lächelnd an. Dann sagte sie: Du hast etwas Falsches unterschrieben, Maxe. Ich habe doch etwas mitgenommen aus dem Schloß ...
Ich war ein wenig verwirrt.
Na ja, sagte ich schließlich, wir können es ja noch immer zurückschicken. Ein bißchen peinlich ist es freilich ...
Ich gebe es aber nicht zurück, Maxe! rief sie. Ich habe es richtig mit Absicht gestohlen, und ich werde es auch behalten ...
Karla –!
Da, geh an den Schrank! Hinter den Kleidern steckt es.
Schon als ich es herausnahm, wußte ich, was es war.
Das Bild ... sagte ich.
Ja, das Bild vom Onkel Eduard, nickte sie. Das wollen wir doch behalten. Wenn es auch nicht richtig ist, ich verantworte es! Das ist nun alles von der Erbschaft, was uns bleibt. Wir hängen es in unserer neuen Wohnung auf, und wenn wir es dann ansehen, erinnert es uns an – alles! Er kann uns nichts mehr tun, der böse Onkel Eduard ...
Ich hielt das Bild, ich nahm die Leinwand ab ...
Das strenge böse Gesicht mit dem lippenlosen Mund kam zum Vorschein ... rasch sah ich zu der zeigenden Hand hin, die uns gestört hatte ...
Ja, der Finger ist weg, und die Hand ist auch halb weg, das haben wir Kleibacke zu verdanken! sagte Karla. Und: Oh, Max, paß doch auf –!
Aber leider hatte ich schon nicht aufgepaßt, das Bild entfiel meiner Hand, schlug gegen eine Stuhllehne, der dicke Goldrahmen, der – wie es von Onkel Eduard nicht anders zu erwarten gewesen war – aus bronziertem Gips bestanden, zerbrach ...
Da lag das Bild ...
Oh, Maxe –! rief Karla.
Dem Bild ist nichts geschehen, sieh selbst, Karla, sagte ich eifrig. Nur der Goldrahmen ist hin. Er war aber kein wirkliches Gold ...
Unrecht Gut gedeihet nicht, lachte Karla. Nun, einen neuen einfachen Rahmen werden wir schon erschwingen können. – O Gott, was hast du, Max?
Das, worauf der Finger gezeigt hat, sprach ich feierlich. Zwischen den Trümmern des Rahmens hatte ich einen zum Röllchen gedrehten, mit einem roten Faden umschlungenen Brief gefunden. Da, Karla!
Sie sah mich, ganz blaß geworden, an.
Der böse Onkel Eduard – will er uns denn nie in Ruhe lassen –? flüsterte sie, nahm aber den Brief nicht.
Ich bedachte mich einen Augenblick, dann löste ich den Faden.
Wir wollen mal die Aufschrift lesen, sagte ich.
Nur nicht, bat Karla angstvoll.
Aber es war wirklich nichts Besonderes.
»An meine Erben. Das zweite ›o‹ in ›porto‹« stand darauf.
Was meint er nur damit? fragte Karla.
Erinnerst du dich nicht, Karla? sagte ich. Der Brief damals, den wir verbrannt haben, im Schützenhaus? Da hat er uns zum Schluß etwas geschrieben, es war ein lateinischer Spruch: Omnia mea mecum porto. Ich habe ihn auswendig gelernt und mich beim Fiete erkundigt. Alles, was ich besitze, trage ich bei mir, heißt das.
So weit sind wir ja nun wirklich, sagte sie böse. Aber das kann er unmöglich vorausgeahnt haben.
Vielleicht doch – er hat die Schreyvogels gekannt und hat gewußt, was Reichtum für sie bedeutet!
Und was heißt das? Das zweite ›o‹ in ›porto‹? Verstehst du es, Max?
Nein ... oder doch! Oh, wir Schafe, sagte ich und stürzte mich auf die Reste des Rahmens. Überall haben wir gesucht, wohin der Finger wohl zeigt, aber an den Rahmen haben wir nicht gedacht!
Nun, wir haben wohl weniger gesucht, das waren mehr die Kleibacke und Strabow, sagte Karla trocken und immer noch ein wenig böse.
Siehst du, Karla, rief ich. Was wir für Verzierungen auf dem Rahmen gehalten haben, das sind Buchstaben. Hier auf dem Stück, das heißt deutlich ›mea‹ ...
Du bist ja mächtig eifrig, Maxe!
Und der Finger wird eben auf das zweite ›o‹ in ›porto‹ gezeigt haben, sagte ich wieder. Nein, das Stück finde ich nicht mehr. Das ist in tausend Splitter ...
Ich wandte mich von meiner Suche ab und Karla zu. Jetzt erst fiel mir so recht auf, wie blaß sie war. Der Brief lag vor ihr auf der Bettdecke.
Und was nun? fragte sie.
Ich sah den Brief an. Ich wußte wohl, was sie meinte.
Entweder können wir das Bild mit dem Brief doch noch ins Schloß zurückschicken, sagte ich.
Sie bewegte verneinend den Kopf.
Nein, sagte sie. Das Bild möchte ich trotzdem gerne behalten. Onkel Eduards Anblick wird – uns gut tun.
Oder wir lesen jetzt den Brief.
Möchtest du das gerne –?
Oder wir stecken ihn ungelesen ins Feuer.
Brächtest du das übers Herz –?
Gib her, das Scheusal, sagte ich. Gleich sollst du es brennen sehen!
Aber es ist vielleicht ein Trostpreis drin vom Onkel, sagte Karla. Irgendein bißchen. Er hat doch so etwas geschrieben, daß er es hiermit wirklich gut mit uns meinte.
Brennen soll es! rief ich. Wir brauchen keinen Trost und keine Preise. Gott, Karla, ich fühle mich jetzt so froh und frei, nun wollen wir nicht noch einmal von vorne anfangen. Onkel Eduard ist jetzt wirklich tot für uns, tot, gestorben, begraben ... Und wenn ich dir erst noch das Allerletzte gebeichtet habe –
Du sollst mir aber nichts beichten, Max. Auch das ist alles tot, gestorben, begraben. O Gott, bin ich glücklich, Maxe! Jetzt ist die schreckliche Zeit wirklich vorbei!
Gib den Brief her, Kerlchen! Erst soll der Brief weg –!
Nein, Maxe, den Brief läßt du mir. Ein bißchen muß ich dich doch zwacken. Diesen Brief, Maxe, nehme ich in allergeheimste Verwahrung, zur Eröffnung in – nun, sag schon ...
Zu unserer silbernen Hochzeit!
Nein, sagen wir in zehn Jahren. Das ist schrecklich weit hin, wenn du bedenkst, was wir in diesem einen Jahr alles erlebt haben. Bis dahin ist nicht mehr die Rede von ihm. Aber, Maxe, ich kenne dich doch; wenn ich dir anmerke, du denkst wieder an den Brief oder siehst den Onkel Eduard nur sehr nachdenklich an ...
Nie!
... Dann weiß ich, es ist wieder was nicht in Ordnung. Und dann ... und dann ...
Was dann, Karla?
... Verbrenne ich den Brief, aber ungelesen!
Einverstanden, Karla! Und nun –
Und nun, liebe Nachkommenschaft, sind wir wirklich am Ende. Last und Lust des Reichtums sind vorüber, die Arbeit fängt wieder an, das gute Alltagsleben. Kleiner Mann und Großer Mann tauschen ihre Rollen nicht mehr, der Rausch ist vorbei ... Er war unrühmlich wie alle Räusche. Aber er ist nun vorbei ...
Aber wenn du, liebe Nachkommen- und Leserschaft, noch durchaus wissen willst, was in Onkel Eduards o-Brief stand, nun, darüber läßt sich vielleicht noch reden und schreiben. Bei dieser Gelegenheit würdest du nämlich erfahren, daß dein Urahn Max Schreyvogel nicht länger die gleiche traurige Figur gespielt hat wie in diesen Aufzeichnungen, bei denen die Rollen gar zu sehr vertauscht waren.
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