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Die Hochzeitslimousine – Ich halte eine Rede – Verlassen von allen Freunden! – Herr Strabow und die gute Sitte in vornehmen Kreisen
Es rumpelt und pumpelt auf der Dorfstraße: der Gaugartener Wagen naht! Er ist völlig meines Onkels Eduard würdig! Hochbeinig, mit riesenhaftem Verdeck, innen weißer Atlas, außen schwarzes Leder, ist er so hoch, daß auch der längste Mann mit einem Zylinderhut auf dem Kopf in ihm sitzen kann.
O Gott, haben sie wirklich die Hochzeitslimousine geschickt! ruft Frau Friedemann aus.
Malchen! sagt der Kantor abwehrend.
Wieso heißt der Wagen denn so? frage ich mißtrauisch.
Sie wissen doch, erklärt Kantor Friedemann, ein wie genauer Mann Ihr Onkel war. Er selbst benutzte den Wagen nur wenig. Aber er hat ihn häufig, gegen Bezahlung natürlich, an die Gegend ausgeliehen, zu Kindtaufen und Hochzeiten, darum nennen ihn die Leute so.
Wir nahmen herzlichen Abschied von den Kantorsleuten, alles in allem hatten wir eine stille und glückliche Woche in ihrem kleinen Hause verlebt. Wir versprachen, sehr bald wieder bei ihnen einzuschauen und forderten sie auf, uns recht häufig zu besuchen.
Vergessen Sie uns nicht ganz in Ihrem Schloß! rief Frau Friedemann uns noch in den Wagen nach. Liebe Karla, es ist mir genau so, als schickte ich eine Tochter in die Welt!
Wir rumpeln und pumpeln in den Abend hinein. August Böök sitzt neben dem Chauffeur, und ich beobachte besorgt, wie der Chauffeur, der natürlich schon weiß, daß August auch zum Chauffeur bestimmt ist, mit keinem Wort auf Augusts Fragen reagiert. Nun, denke ich ein bißchen schadenfroh, es ist Augusts Sache, wie er mit dem zurechtkommt. Ich werde mir darüber nicht den Kopf zerbrechen!
Eine Hand stiehlt sich in meine. Karla sagt: Nun fängt das neue Leben richtig an. Wir wollen uns rechte Mühe geben, daß es auch gut wird, ja, Maxe?
Natürlich, Karla, sage ich und erwidere ihren Händedruck. Weißt du noch, wie wir vor einer Woche die Straße hier durch den Schnee gelaufen sind?
Bequemer als das Fahren in dieser Hochzeitslimousine war das Laufen bestimmt! lachte Karla. Mir tut hinten schon alles weh, dir auch?
So schnell wie möglich kaufe ich einen neuen Wagen, erkläre ich.
Darum sage ich es doch nicht, Maxe! Wir brauchen noch lange keinen neuen Wagen. Erst einmal wollen wir Gaugarten richtig kennenlernen. Darauf freue ich mich!
Du weißt, erinnere ich sie, wir müssen in der ganzen Nachbarschaft Besuch machen, dafür ist die Karre unmöglich. Wir wollen uns doch nicht lächerlich machen.
Ich glaube, sagt Karla, ich mache mich doch lächerlich. Wenn ich denke, ich soll mit all solchen feinen Leuten verkehren, und ich kann kein Wort Französisch oder Englisch, und mit den Fremdwörtern ist es auch nur soso – ich werde mich bestimmt schrecklich blamieren.
Werden wir alles noch lernen, erkläre ich mit Entschiedenheit. Wenn man nur will, kann man alles.
Glaubst du das wirklich? fragte Karla recht ungläubig.
Natürlich, sage ich entschlossen.
Oh, sieh mal, Mummi, Papa! Die haben Feuer in ihren Händen! rief die Mücke.
Fackeln sind das! belehre ich.
Wahrhaftig, im Eingangstor zum Park stand Herr Kleibacke mit einer brennenden Fackel in der Hand, und vom Tor an, die ganze lange Lindenallee bis zum Schloß standen Leute mit Fackeln und riefen, als wir langsam an ihnen vorbeifuhren, ein schwaches Hurra!
Das Mückchen tanzte von der einen Seite des Wagens zur anderen, um alles recht zu sehen, und Karla hielt meine Hand krampfhaft fest und flüsterte abgerissen: O Gott, ist das schön! Bin ich glücklich! Daß ich sowas erlebe! Wenn Mutter das noch gesehen hätte! Wir wollen bestimmt auch immer furchtbar nett zu den Leuten sein! – Und plötzlich: Du wirst bestimmt eine Rede halten müssen, Maxe!
Um Gottes willen! rief ich erschrocken. Bloß das nicht!
Am hellsten strahlte die Auffahrt in Fackelglanz. Da standen sie, das höhere Guts- und das hohe Schloßpersonal unter Anführung von Administrator Kalübbe. Der Wagenschlag wurde geöffnet, Mückchen wurde herausgehoben, Karla der Arm gereicht, ich stolperte hinterdrein.
Herr Kalübbe hielt mich und schüttelte mir herzlich die Hand, wobei er mir leider mit der Fackel gegen die Hosen fuhr, so daß ich zurückspringen mußte.
Aber das schadete nichts. Wir hatten uns gleich wieder bei der Hand, und Herr Kalübbe sagte mit seiner lauten Stimme, die weit in den blätterleeren Wald hinein schallte, daß er die junge Herrschaft im Namen ganz Gaugartens einschließlich Trassenheide, Schafstall und Kleinschönchen herzlich auf ihrem Besitz willkommen heiße. Wie die Jugend heute am Jahresende zur neuen Jahreswende hier ihren Einzug halte, sagte er fast dichterisch – es hatte ihm aber, wie wir später erfuhren, der Lehrer aufgesetzt –, so werde auch jetzt neues junges Leben, Blühen und Gedeihen seinen Einzug halten! Hoch leben die jungen Herrschaften Schreyvogel! Hoch! Hoch! Hoch!
Und sie schrien begeistert.
Karla brauchte mich nicht in den Rücken zu stoßen. Ich war ganz mitgerissen, so hatte ich es mir doch nicht vorgestellt, Gutsherr zu werden. Ich sprang auf die Brüstung der Auffahrt und schrie, wir seien ihnen herzlich dankbar, und wir freuten uns auch. Und wir wollten uns rechte Mühe geben und so nett wie nur möglich sein. Wenn sie Sorgen hätten, sollten sie nur zu uns kommen; wir würden es schon so einrichten, daß jeder es gut hätte ...
Ich sah, daß Herr Kalübbe das Gesicht verzog. Das dämpfte meine Begeisterung, und ich wußte nicht weiter. Unter dem atemlosen Stillschweigen aller überlegte ich krampfhaft, daß ich nun auch jemand hochleben lassen müsse. Aber ich kam nur auf den toten Onkel Eduard, und daß dies nicht ging, sah selbst ich in meiner augenblicklichen Geistesverwirrung ein.
Schließlich erbarmte sich Herr Kalübbe meiner und rief wieder mit seiner schallenden Stimme, Gaugarten sei der jungen Herrschaft herzlich dankbar für all die guten Vorsätze. Nun sollten sie nur in den Krug vorausgehen, wo zu Ehren des heutigen Tages Freibier und Tanz auf sie warteten. Er und vielleicht auch die junge Herrschaft, wenn sie nicht zu müde sei, würden bald nachkommen. Sie sollten es aber sachter als beim Erntefest mit dem Saufen angehen lassen. Die Nacht sei lang, und es müßten nicht die meisten schon vor zwölf Uhr blau sein!
Mit dieser etwas unfestlichen Mahnung schloß der eigentliche Empfang ab. Wir gingen jetzt alle, von Herrn Kalübbe geführt, in die große, zwei Stock hohe Halle des Schlosses, die strahlend hell erleuchtet war.
Hier wurden sie uns vorgestellt, die nun zu unserem Hause gehörten, eine verwirrende Menge von Gestalten, von denen sich an diesem ersten Abend nur ein paar mir einprägten: unsere säuerlich-süß lächelnde Hausdame Fräulein Kluge, der würdig-ernste erste Diener Karl Andreas Strabow und die verängstigte, scheue Frau Administrator Kalübbe, die an der Seite ihres großen, sicheren Mannes doppelt scheu und unsicher aussah.
Nun werden wir von Herrn Kalübbe gefragt, ob wir uns nachher beim dörflichen Tanz sehen lassen wollen, und wiederum braucht mich Karla gar nicht erst im Rücken zu zupfen. Ich weiß auch so, daß wir – nach unserer langen Reise – dafür zu müde sind, und bitte Herrn und Frau Kalübbe, uns zu vertreten.
Ich bin, nach meinen Erfahrungen mit Herrn Steppe, sehr überrascht, daß Herr Kalübbe meinen Entscheid sofort akzeptiert, ja, ihn sogar billigt.
Sie haben ganz recht, Herr Schreyvogel, es läuft doch nur auf eine fürchterliche Besäufnis hinaus. Ich schicke meine Frau auch nach Haus.
Frau Kalübbe empfängt diese Mitteilung mit gesenkten Augenlidern. Sie tut Karla leid, also geht Karla zu ihr hin und gibt ihr die Hand und spricht die Hoffnung aus, daß sie beide bald recht, recht gut miteinander bekannt werden, und daß sie Frau Kalübbe oft um Rat werde bitten müssen, so ungewohnt, wie ihr alles noch sei ...
Aber Frau Kalübbe bleibt auch bei diesen freundlichen Worten wie ein ängstliches Häschen. Sie sieht Karla nicht an, ja, sie versucht sogar, ganz sacht ihre Hand wegzuziehen.
Herr Kalübbe lacht und erklärt laut, seine Frau habe nicht die geringste Ahnung von Gaugarten und seinen Leuten –: Sie ist nur ein Pips und geht nie aus dem Hause. – Bedanke dich bei der gnädigen Frau, Pips!
Frau Kalübbe sagt gehorsam: Ich danke auch schön, gnädige Frau.
All dies hat sich unter den aufmerksamen Blicken der gesamten Schloßbewohnerschaft ereignet. Mich stört, daß sie eigentlich ein wenig gar zu intensiv auf uns starren. Es stört mich weiter, daß August Böök noch immer mit unserem Koffer an der Tür steht und daß keiner von all diesen jungen Leuten Anstalten gemacht hat, dem älteren Mann den Koffer abzunehmen.
Also gebe ich mir einen Stoß und sage zu meinem ersten Diener:
Wollen Sie bitte veranlassen, Herr Strabow, daß Herrn Böök seine Stube gezeigt wird und daß der Koffer auf unser Zimmer kommt –?
Es geht eine Bewegung durch all die Leute, ich weiß zwar nicht warum, aber sicher habe ich etwas falsch gemacht.
Nach kurzem Stutzen sagt Herr Strabow würdevoll: Anni, zeige dem Chauffeur sein Zimmer. Franz, bringe den Koffer zu den Sachen der gnädigen Frau.
Wir sehen August Böök mit dem Mädchen Anni aus der Halle entschwinden, der Koffer wandert treppauf. Karlas Augen haben einen seltsam verwirrten Ausdruck; ich errate, sie ist darum verwirrt, weil unser letzter Freund aus alter Zeit ihr entführt wird. Sie wendet sich an Herrn Kalübbe und fragt: Wohnt Herr Böök nicht hier im Haus?
Böök, antwortete Herr Kalübbe, Böök wohnt nicht im Schloß. Er wohnt hier dichte bei – im Kutscherhaus.
Damit verabschieden sich auch Kalübbes, und wir sind allein, mit unseren Leuten natürlich, aber zum erstenmal allein im Schloß.
Wenn ich jetzt die Zimmer zeigen darf, gnädige Frau? fragt Fräulein Kluge und lächelt, aber nicht freundlich. – Mathilde, nehmen Sie das Fräulein Eduarda bei der Hand. Hier, bitte, die Treppe hinauf.
Ich will mich ihnen anschließen, aber meiner bemächtigt sich Herr Strabow. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Herr Schreyvogel? Der junge Herr nehmen doch das Zimmer des alten gnädigen Herrn? Wir hielten es so für das richtigste.
Ich murmelte etwas davon, daß auch ich es für das richtigste hielte, und verzweifelt sehe ich Weib und Kind auf der linken Treppe entschwinden, während ich die rechte hinaufgeführt werde. Wir gehen einen langen Gang über einen roten Samtläufer – hier sind die Türen elfenbeinfarben gestrichen, aber ihre große Zahl erinnert trotzdem in fataler Weise an Hutaps Palasthotel. Schließlich, nach einer Wanderung, die mir endlos vorkommt (es scheint mir, als würde ich meilenweit von meiner Familie verschleppt), schließlich also öffnet Herr Strabow eine Tür vor mir und sagt höflich-ernst: Das Zimmer des Herrn Eduard Schreyvogel hochselig.
Verdammt noch mal! Er hatte es wahrhaftig nicht nötig, mich darauf hinzuweisen, daß dies des Onkel Eduard Schlafzimmer war, ich sah es auch so! Ein kahler hoher Raum mit einem einfachen eisernen Bett, mit einem weißgestrichenen Stuhl und Tisch, mit einem dünnen Binsenläuferchen und vor allem, vor allem mit einem Ungetüm von eisernem Geldschrank –: so hatte Onkel Eduard gehaust, so konnte nur der Onkel hausen – mir als Kontorist wäre es zu kahl und öde und blöde gewesen!
Ich sah Herrn Strabow an. Er stand unschuldig wie ein Lamm unter der Tür, aufmerksam und geduldig wartend, bis ich mit der Besichtigung des Zimmers fertig sein würde. Sein glatt rasiertes altes Gesicht sah mich nicht an, vielleicht fand er wirklich alles ganz richtig?
Ich schlug mit der Faust gegen den Geldschrank und fragte: Was ist denn darin?
Der Herr Onkel hochselig bewahrte darin seine Geschäftsbücher auf, erklärte Herr Strabow. Jetzt ist er leer. – Darf ich die Sachen holen lassen für den gnädigen Herrn? Es wird Zeit zum Umkleiden, um halb acht wird zum Essen gegongt.
Tun Sie das, Herr Strabow, sagte ich zögernd, und Herr Strabow verschwand.
Ich untersuchte das Zimmer, aber es war nicht viel zu untersuchen, es enthielt wirklich nicht mehr, als ich aufgeschrieben habe. Dafür entdeckte ich, daß es Gitter vor dem Fenster und dicke eiserne Riegel auf der Innenseite der Tür hatte. Onkel Eduard schien ziemlich besorgt um seine Sicherheit gewesen zu sein!
Schließlich fand ich noch eine Tür zu einem Nebenraum, eine kahle, weiße Zelle, aber doch mit Badewanne, Waschtisch, Spiegel und W. C. ausgerüstet. Das söhnte mich ein wenig damit aus, daß ich nicht doch ein anderes Zimmer von Herrn Strabow gefordert hatte.
Ich ließ gerade probeweise die Hähne im Badezimmer laufen und merkte befriedigt, daß der warme Hahn auch tatsächlich warmes Wasser von sich gab (was in Hutaps Palasthotel häufig nicht der Fall gewesen war), da hörte ich Herrn Strabow zurückkommen in mein Zimmer, und leises Kichern verriet mir, daß er nicht allein gekommen war. Es ist mir gar nicht recht, daß ich so oft an den Brief vom Onkel erinnern muß, aber ich dachte sofort wieder an ihn und was dort von Herrn Strabow geschrieben stand. Also trat ich unter die Tür. Aber ich sah natürlich nichts Unziemliches. Sondern ein paar junge Mädchen in schwarzen Kleidern mit weißen Tändelschürzen und weißen Häubchen auf dem Haar räumten unter Herrn Strabows Aufsicht meine Sachen in den Schrank. Bei meinem Anblick hörten sie sofort mit Kichern auf.
Es war mir ungewohnt, daß ich nun für junge Mädchen eine Respektsperson war. Aber ich war es – unter vollkommenem Schweigen wurden meine Sachen in den Schrank geräumt, und als die Mädchen dann das Zimmer verließen, machten sie einen Knicks in meiner Richtung und flüsterten guten Abend, ohne die Augen zu erheben.
Wir waren wieder allein, Herr Strabow und ich, und er schien Taten von mir zu erwarten. Ich aber dachte: Da wart man, steckte mir eine Zigarette an und ging im Zimmer auf und ab. Ich war entschlossen, dem Vormund Steppe nicht in der Person des Herrn Strabow einen Nachfolger zu geben.
Herr Strabow ging also nach einigem Warten wieder an den Schrank. Er schien unter den Anzügen zu suchen, dann sagte er zögernd: Gnädiger Herr entschuldigen – ich weiß natürlich nicht, ob alle Sachen schon hier sind, aber ich finde den Smoking des gnädigen Herrn nicht.
Herr Strabow, sprach ich, und ich fand, ich machte meine Sache ausgezeichnet, wenn wir Freunde werden wollen, nennen Sie mich nicht ›Gnädiger Herr‹. Ich heiße Schreyvogel, und so möchte ich auch gerne genannt werden.
Herr Schreyvogel verzeihen, sagte Herr Strabow und ließ den Blick seiner dunklen Augen würdevoll-ernst auf mir ruhen, aber diese Anrede ist Sitte bei den vornehmen Herrschaften hier auf dem Lande. Wenn Herr Schreyvogel natürlich befehlen –
Ich bitte Sie darum, Herr Strabow, sagte ich herzlich.
Wie Herr Schreyvogel befehlen. Ich werde es auch dem anderen Personal sagen.
Er holte tief Atem und sah mich zögernd an.
Und was ist noch, Herr Strabow? fragte ich ihn ermunternd.
Wenn ich mir die Freiheit nehmen dürfte, es ist wegen der Anrede, Herr Schreyvogel. Ich meine, wegen meiner Anrede. Sie ist so, wie Herr Schreyvogel sie sagen, hier auf dem Lande nicht üblich, wenn ich mir die Freiheit nehmen darf.
Wie ist sie denn üblich, Herr Strabow?
Ich werde einfach ›Karl‹ genannt. Privatim, erklärte er und wurde gewissermaßen ein wenig menschlicher, bin ich natürlich Herr Strabow, aber im Dienst werde ich nur Karl genannt.
Jetzt verstand ich das Lächeln der anderen bei meiner Anrede auf der Diele besser. Aber es ging mir gegen das Gefühl.
Sie könnten doch gewissermaßen mein Vater sein, Herr Strabow, erklärte ich also. Ich weiß nicht, es kommt mir irgendwie komisch vor ...
Es ist aber so Sitte, sagte er mit ernstem Nachdruck. Es ist nicht komisch.
Also schön, ich werde es versuchen – Karl.
Ich danke Ihnen, Herr Schreyvogel. – Wenn ich jetzt noch an den Smoking erinnern dürfte?
Ich besitze keinen Smoking, Karl!
Herr Strabow dachte nach, dann sagte er geduldig: Manche Herren nennen es auch Dinner-Jackett, Herr Schreyvogel.
Ich gab meiner Stimme einen unbekümmerten Klang: Ganz gleich, wie sie es nennen, Karl, ich besitze auch kein Dinner-Jackett! Wozu in aller Welt soll ich mich denn auch umziehen? Ich finde meinen Anzug völlig in Ordnung. Haben wir denn Besuch?
Das nicht, Herr Schreyvogel. Heute abend wird in kleinem Kreise soupiert. Aber es ist so Sitte hier auf dem Lande ...
Er sah mich wieder an. Ich war nicht ganz sicher, ob er sich nicht lustig über mich und meine Unerfahrenheit machte. Wäre ich sicher gewesen, ich wäre schon losgebrochen, aber vielleicht meinte er wirklich alles, was er sagte.
Nun, Herr Strabow – Karl, wollte ich sagen, Sie werden sich damit abfinden müssen, daß ich vieles nicht tue, wie es hier Sitte ist. Ich bin nicht gerade in solch einem Schloß aufgewachsen.
Ich versuchte zu lächeln, aber vor seiner würdig kühlen Miene starb mein Lächeln sofort hin. Ein Gedanke kam mir: Und ich bin auch ganz überzeugt, daß Onkel Eduard sich nie zum Abendessen in einen Smoking geworfen hat.
Der Herr Onkel hochselig ...
Er ist bestimmt nicht hochselig, Karl! Sagen Sie doch das nicht immer –!
Es ist eine Bezeichnung, Herr Schreyvogel, die –
Ja, ich weiß schon, sie ist hier Sitte auf dem Lande. Aber ich möchte sie nicht mehr hören. Ich bin überzeugt, Onkel Eduard schmort in der Hölle.
Herr Strabow schwieg, aber sein Schweigen war eisige Ablehnung.
Nun, was hat mein Onkel also zum Abendessen angezogen?
Der Herr Onkel selig – fing er mit unaussprechlicher Würde an.
Ich würde es ganz weglassen, Karl!
Der Herr Onkel – Pause – soupierte nie. Er nahm eine Tasse Lindenblütentee und eine Scheibe Röstbrot, wo er gerade war.
Und was hatte er dabei an?
Der Herr Onkel – Pause – trug dabei – einen Schlafrock. Aber der Herr Onkel – Pause – war ein hochbetagter Herr ...
Ferne ertönte der Gong, ich war froh über seinen Klang. Es war mir, als sei ich seit vielen Stunden von Karla getrennt, ich sehnte mich nach ihr.
Unter Herrn Strabows wachsamen Augen wusch ich mir noch rasch die Hände – er stand daneben, ein Handtuch über dem Arm –, und ich wollte ihm nicht schon wieder sagen, daß ich auch diese Sitte nicht schätzte, sondern mich lieber allein abtrocknete.
Gestatten, Herr Schreyvogel, sagte Strabow und nahm mich mit vorsichtigen Fingern beim Hals. Ihr Scarf ...
Ich starrte ihn verständnislos an. Er aber richtete mir meinen Schlips – ich hatte noch keine Ahnung, daß es in vornehmen Kreisen auf dem Lande Sitte ist, einen Schlips ›Scarf‹ zu nennen. –
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