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14. Kapitel

Einsamkeit der Reichen – Die mißlungene Abendgesellschaft – Gemeinsames Weinen – Das Hagel-Mikroskop

 

Wenn Karla und ich zu Abend gegessen hatten, sahen wir noch einmal zu unserer kleinen Mücke hinüber. Sie lag dann schon in ihrem Bett, und wir sagten ihr gute Nacht, argwöhnisch bewacht von Fräulein Kiesow, die sehr darauf hielt, daß die Kleine nicht ›aufgeregt‹ wurde.

Dann gingen wir zurück in unser trostloses Hotelzimmer aus Eiche und Samt, starrten einander an, blätterten in Zeitschriften und warteten gähnend darauf, daß es halb zehn wurde, eine Zeit, zu der wir unserer Ansicht nach mit Anstand ins Bett gehen konnten.

In den ersten Palast-Hotel-Tagen war alles natürlich überwältigend neu gewesen, aber kaum hatten wir uns eingewöhnt, so vermißten Karla und ich schon unsere Freundschaft. Es kam uns so seltsam vor, daß sie sich gar nicht um uns kümmern sollten, um uns, die doch solchen Glücksfall erlebt hatten.

Wir gingen der Sache nach und erfuhren, daß unsere Freunde genau wie alle beliebigen Bittsteller abgewiesen worden waren: Herr und Frau Schreyvogel sind zu beschäftigt. Sie können vorläufig niemanden empfangen.

Wir lehnten uns auf, Herr Matz, Herr Hutap, der Hotelportier, alle bekamen ihr Teil zu hören. Und dann luden wir unsere ganze Freundschaft ein, zu einem pompösen Abendessen im Palasthotel, in unseren ›Privatsalon‹.

Ich sehe dich noch, Karla, wie du mit geröteten Wangen eifrigst umherliefst, wie du nach Konfekt schicktest, wie du kunstvoll eine Obstpyramide für den Nachtisch aufbautest, wie du Knallbonbons besorgen ließest und Luftschlangen. Es sollte ein sehr vergnügter Abend werden, die Freunde sollten es wirklich einmal sehr gut haben ...

Dann kamen sie also herein: Meta Schulze und Ingrid Stöcker, Lotte Bartels, Toni Kupinski und Paulus Hagenkötter – kamen herein in Licht, Eiche, Samt, Pracht. Wir setzten uns an die lange, weiß gedeckte Tafel, und der o-beinige Ober Fridolin servierte untadelig. Aber es wurde immer weniger gesprochen, und ich sah, wie Paulus Hagenkötter auf den Frack des Kellners und dann auf seinen allerbesten Sonntagsanzug schaute. Die Freundinnen ließen den Blick nicht von Karlas Kleid (mit Ausnahme von Meta Schulze, die als Lehrerin auf Kleidung gar nichts gibt), und kein Sekt und kein Trinkspruch konnten ein Zehntel von der unbekümmerten Laune aufbringen, die bei Blümchen und Bratäpfeln in unserer Mansardenstube geherrscht hatte.

Als dann nach aufgehobener Tafel Karla zu unseren Gästen sagte, es hätte hoffentlich allen, allen recht gut geschmeckt, und was sie lieber wollten, Obst oder Käse – da sagte Meta Schulze trocken, sie hoffe, wir wüßten noch einen vernünftigeren Zweck für unser Geld als Völlerei. Siebzehn Kindern in ihrer Klasse würde ein warmes Milchfrühstück sehr gut tun.

Karla war empört, ich sah, wie sie ganz weiß wurde. Aber sie bezwang sich und versuchte unsere finanzielle Lage auseinanderzusetzen, daß wir vorläufig noch auf Pump lebten, daß wir aber später gerne etwas für diese Schulkinder tun würden ...

Darüber wurde Meta Schulze immer spitziger und erklärte, sie könne so etwas nie verstehen. Wenn man Sekt auf Pump nehmen könne, so doch wohl auch Brötchen und Milch und Butter! Aber das habe sie schon immer gelesen, daß die reichen Leute im Moment nie Geld hätten, sondern stets auf später vertrösteten. Wir hätten das Reichsein wohl ziemlich schnell gelernt ...

Karla aber riß die Geduld und sie schrie, daß Meta bloß neidisch sei. Sonst äßen wir auch nicht so üppig, wir hätten es aber mit unseren Gästen gut gemeint. Das Reichsein sei uns selbst oft ekelhaft und lächerlich, mit dem Ober und all dem feinen Getue ...

Bis Karla und Meta alle beide in Tränen ausbrachen und Karla ihre zweitbeste Freundin, die Toni Kupinski, bat, ihr doch beizustehen. Ob es denn nicht nett gewesen sei?

Toni aber sagte kühl, sie verstehe von solchen Dingen nicht genug, sie sei Weißnäherin und müsse jetzt nach Haus ...

Worauf Karla wütend aufstand und schrie: Neidisch seid ihr bloß alle, neidisch! Neidisch!

Laut aufweinend lief sie ins Schlafzimmer. Ich lief ihr natürlich nach, und da hielten wir uns dann beide in den Armen und trösteten einander und bestätigten einander, daß wir es bloß gut gemeint hatten und daß die ganze Bande neidisch und keiner Träne wert sei ...

Dabei aber weinten wir immer weiter und kamen vor Heimweh nach unserer Mansardenwohnung und nach der früheren Unbekümmertheit und nach der alten Freundschaft fast um. Oh, was waren wir doch herrlich jung und ungeschickt und unerfahren, als wir da auf unserem pompösen, mietweise überlassenen Ehebett aus Eiche und Seide saßen, als wir uns allmählich die Tränen vom Gesicht wegküßten und uns zuschworen, nicht anders zu werden – trotz Neid und Geld!

Schließlich hatten wir uns leidlich beruhigt, und gewaschen kehrten wir in unseren Salon zurück. Da aber waren alle unsere Gäste verschwunden, und nur mein Freund Paulus Hagenkötter saß noch einsam da. Er zog nachdenklich an einem seiner langen, knochigen Finger nach dem andern, daß die Gelenke knackten, und sagte, uns versonnen mit seinen blassen blauen Augen ansehend: Ihr müßt das nicht tragisch nehmen. Es sind eben bloß Weiber!

Und trotzdem Karla doch auch ein Weib ist, schwieg sie diesmal zu solcher Lästerung.

Ich aber wollte es besonders gut machen mit dem alten Freund. Ich holte aus dem Schreibtisch die fünfhundert Mark, die ich bis dahin eifersüchtig bewacht hatte, gab sie ihm in die Hand und sagte: Hier Paulus, das ist für deine Erfindung – der Nußknacker, du weißt doch.

Karla protestierte nicht, denn er war immerhin unser allerletzter Freund.

Paulus aber schüttelte den Kopf, lächelte und sagte: Nein, nein, den Gedanken an den Nußknacker habe ich längst aufgegeben, so was ist alles bloß Tändelei. Jetzt, wo wir so viel Geld zur Verfügung haben, wollen wir auch etwas Richtiges erfinden, was uns Ehre macht und so viele Millionen einbringt, daß deine ganze Erbschaft dagegen ein Dreck ist!

Erst tat er geheimnisvoll und ließ sich eine lange Weile fragen und drängen, schließlich aber rückte er doch mit seiner neuen Erfindung heraus. Und ich muß sagen, es war wirklich eine fabelhafte Idee! Ich wäre nie auf so etwas gekommen!

Sogar Karla war diesmal – fast – überzeugt: Wenn es nicht bloß schon erfunden ist, Paul!

Das ist noch nicht erfunden! Diese Idee habe ich als erster gehabt! sagte er stolz.

Es war aber so, daß er auf den Gedanken gekommen war, die geschliffenen Glaslinsen in den Mikroskopen seien eine viel zu teure Sache, die man eigentlich ganz einfach und billig ersetzen könne ...: Durch einen Stoff, Max, den jeder Mensch überall zur Hand hat, in beliebiger Menge, der gar nichts kostet!

Er sah uns triumphierend, ich aber sah ihn bewundernd an. Auf so etwas wäre ich nie gekommen, überhaupt nur an so etwas wie Mikroskope zu denken, wäre ich nie gekommen. Ich glaube, ich hatte bis zu dieser Stunde noch niemals ernstlich über Mikroskope nachgedacht! Und nun sie sogar zu verbessern!

Wasser! sagte Paulus Hagenkötter feierlich. Wasser, das es überall auf der Erde gibt. Ein Tropfen Wasser, statt des Objektivs in das Mikroskop eingeführt, nimmt die Gestalt einer Linse an!

Er beobachtete die Wirkung seiner Worte.

Man muß das natürlich noch im einzelnen durchkonstruieren, wie der Tropfen eingeführt und festgehalten wird, aber die Grundidee ist da! Die Linse aus Wasser! Das ist ein Umsturz für die ganze optische Welt, mein lieber Max! Karla! Ich habe nachgefragt, Mikroskope kosten sogar über zweihundert Mark, so hat mir Herr Bäsch am Markt gesagt. Wir werden Mikroskope zu zehn Mark liefern, und unsere Linsen werden unzerbrechlich sein.

Er wurde immer wärmer, er knackte nicht mehr mit den Fingern, sondern er fuhrwerkte mit den Händen durch die Luft, die Begeisterung hatte ihn erfaßt.

Denkt euch einmal, der kleinste Mann kann sich ein Mikroskop leisten. Allein kann er all seine Nahrungsmittel untersuchen – wieviel Krankheiten werden da schon vermieden! Der Bauer untersucht seinen Boden – findet die schädlichen und die nützlichen Bakterien, weiß, wie er düngen muß! Der Schmied untersucht das gelieferte Eisen, der Kaufmann das Mehl aus der Mühle. Wenn eure Mücke Halsschmerzen bekommt, bringt ihr ein bißchen Belag von den Mandeln unter euer Mikroskop und wißt sofort, ob es Diphtherie ist, braucht euch nicht mehr grundlos zu ängstigen ...

Und was würden die Versuche kosten, bis solch Mikroskop fertig ist? fragte Karla, etwas abgekühlt durch die letzte Anregung Hagenkötters.

Ich habe keine Ahnung, Karla. Zehntausend Mark. Oder zwanzigtausend Mark. Das spielt ja keine Rolle den Summen gegenüber, die wir damit verdienen werden. Denkt einmal, Geld verdienen und doch Segen stiften, das ist gerade das Allergrößte an meiner Idee!

Er sah uns nachdenklich an.

Ich habe gedacht, wir werden es ›Hagel‹-Mikroskop nennen, das ist die erste Silbe von meinem und die letzte von deinem Namen. Ich finde, es klingt sehr einprägsam: Hagel-Mikroskop. – Wenn es dir natürlich lieber ist, setzte er eilig hinzu, können wir auch die erste Silbe von deinem und die letzte von meinem Namen nehmen. Das wäre dann ›Schreyter‹-Mikroskop. Aber ich finde das nicht so gut. Die Leute würden Schreyter meistens mit einem ›i‹ schreiben, und das wäre dann doch nicht dein Name. Aber wie du willst, da du das Geld gibst, hast du zu bestimmen. Ich bin ohne Ehrgeiz. Nur Gutes stiften möchte ich.

Noch lange redeten wir über das Hagel-Mikroskop, wir erwärmten uns gewissermaßen daran. Es war nach den Enttäuschungen mit der sonstigen Freundschaft wirklich ein Labsal.

Und als Paulus Hagenkötter schließlich ging, war es doch nach zwölf geworden. Die fünfhundert Mark trug er bei sich. Wir hatten beschlossen, daß er sich sofort ein Mikroskop kaufen und mit den Tropfenversuchen beginnen sollte. Ich aber hatte es übernommen, das ganze Projekt Herrn Justizrat Steppe vorzutragen und ihn um Finanzierung anzugehen.

*

 


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