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Die Nachbarschaft macht sich bekannt – Lächelnder Bankkassier – Flucht eines Millionärs
Niemand, der eine richtige Frau Gemahlin zur Frau hat, kann ihr höflicher und eifriger eine Tür öffnen, als ich für Karla die Drehtür der Landschaftlichen Bank in Bewegung setzte. Natürlich hatte ich als Kontorist der Vira schon viele Male zur Bank gehen müssen, aber eben immer als Angestellter, nie in eigener Sache. Außerdem hatte ich stets zur Handelsbank gemußt, die das Institut der Gewerbetreibenden und des Handels ist. Die Landschaftliche Bank mit ihrer weißgoldenen Schalterhalle kam mir viel imposanter vor.
Ich hängte den Rehbraunen auf einen Haken neben einen veritablen Pelz, den Fahrpelz eines Rittergutsbesitzers – wie ich einer war. Karla nickte mir mit leicht zugekniffenen Augen Mut machend zu, und ich trat, den grünlichen Scheck in der Hand, an den Kassenschalter. Mein Weib blieb mir zur Seite und sah gespannt zu.
Vor uns war nur ein dicker Herr mit langem weißgelblichen Vollbart, wahrscheinlich die Füllung für den veritablen Fahrpelz. Er hatte eine etwas angreiferisch burschikose Art, mit dem blassen, ernsten Kassierer zu reden: Nee, junger Mann, drehen Sie mir bloß keine Hunderter an! Was glauben Sie, was ich mit Hundertern auf meiner Klitsche anfange?! Kein Aas wechselt die, kein Aas hat je einen Hunderter besessen, kein Aas kann mit einem Hunderter was anfangen. Immer klein machen, junger Mann, klein machen wird bei mir groß geschrieben!
Keine Miene verzog sich in dem Gesicht des Kassierers, weder Beifall noch Mißbilligung war darauf zu lesen. Mit unglaublicher Schnelligkeit zählte er Scheine auf, schob Geldrollen durch das Fenster – Bitte sehr! sagte er schon zu mir.
Ich murmelte etwas wie ein Guten Tag, das ohne Antwort blieb, und reichte ihm meinen Scheck durch das Fenster. Der alte Herr neben mir stopfte sein Geld in eine Aktentasche und sah mich dabei flüchtig an.
Der Kassierer blickte auf den Scheck, ich fühlte förmlich, wie es ihm einen Ruck gab. Er warf einen Blick auf mich, dann wieder auf den Scheck, nun zurück auf mich – und lächelte ...! Das ganze ernste, blasse Kassierergesicht war ein höfliches, gewinnendes Lächeln ...!
Herr Schreyvogel! sagte er und reichte mir die Hand durch das Fenster. Gestatten Sie, daß ich Ihnen unser herzlichstes Beileid ausspreche – zu dem schweren Verluste ... Ihr Herr Onkel ... Er sah mich gehalten traurig an, ich sah ihn gehalten traurig an, von der Seite sahen uns Karla und der alte Herr zu ...
Schon lächelte der Kassierer wieder.
Gestatten Sie, daß ich Sie im Namen unseres Institutes als Kunde begrüße ... Unser Herr Direktor Kunze hat auch den Wunsch, Ihnen vorgestellt zu werden ...
Mit lauter Stimme: Herr Lehmann, Herr Schreyvogel-Gaugarten ist soeben gekommen ... Wollen Sie bitte Herrn Direktor Kunze benachrichtigen ...
Alle Gesichter, an allen Pulten, aus allen Schalterfenstern sahen zu mir hin. Ich glaube – aber hier übertreibt vielleicht meine Erinnerung –, es gab sogar welche, die aufstanden, um mich besser sehen zu können. Ich schämte mich schrecklich, ach, ich wäre am liebsten ausgerissen! War ich denn ein anderer geworden, seit heute früh elf Uhr, oder seit Karla den Namen Eduarda gerufen hatte? Nie hatte sich ein Mensch auf der Straße nach mir umgedreht, nie einer von mir besonders Notiz genommen. Und jetzt starrten sie mich alle an wie das große Wundertier, nein, wie den Menschenaffen im Zoo – ekelhaft! Aber doch so respektvoll –!
Gnädige Frau, gestatten Sie, daß ich auch Ihnen unser allerherzlichstes Beileid, hörte ich den Kassierer noch sagen – da hatte sich der alte Rauschebart schon meiner bemächtigt.
Was, Sie sind der Erbe vom Onkel Eduard?! rief er schallend. Mensch, das ist ja ein Witz –! Gott, wenn ich das meiner Frau erzähle –! So ein Witz! Der olle eingetrocknete Hering und Sie junger Mann ...
Er lachte, daß er blaurot und atemlos wurde, Tränen traten ihm in die Augen.
Ich wurde wirklich sehr ärgerlich. Ich bitte doch sehr –! sagte ich fest.
Der Dicke besann sich sofort. Entschuldigen Sie bloß, sagte er noch atemlos vom Lachen. Haben Sie denn den Eduard Schreyvogel gekannt? Nee? Natürlich nicht! Sie würden selber lachen, wenn Sie sich als Erben von dem ollen Geizkragen sähen! So ein verschrumpelter oller Hering – ja, selbstverständlich: de mortuis nil nisi bene. Latein gehabt? Nee, natürlich nicht! Ich bin auch in Untertertia kleben geblieben – was brauchen wir Landwirte auch Latein? Die Hauptsache, wir verstehen was von der Landwirtschaft!
Davon verstehe ich auch nichts, sagte ich fest und ärgerlich. Dieser Herr war mir höchst unsympathisch.
Nee, natürlich nicht, habe ich mir gleich gedacht! Brauchen Sie auch gar nicht! Sie haben ja einen ausgezeichneten Administrator, Herrn Kalübbe. Werde ihm auf der Rückfahrt gleich erzählen, daß ich Sie kennengelernt habe. Ist natürlich gespannt wie ein Flitzbogen, wer der neue Herr ist ...
Ich glaube, ich muß wirklich, sagte ich ratlos.
Gnädige Frau ...!
Wahrhaftig, der Dicke bückte sich, fischte Karlas Hand und hielt sie in seinen Bart hinein; nach den Bildern hatte ich mir einen Handkuß eleganter und appetitlicher vorgestellt. (Ach, ich hatte mir so manches Feine viel feiner vorgestellt, als ich es dann kennenlernte!)
Gnädige Frau, auch Ihnen mein herzlichstes Beileid! Ich erzähle Ihrem Gatten grade, wir werden Nachbarn sein. Von Kanten-Escheshof –, aber mein Hof ist bloß eine Klitsche gegen Ihr Gaugarten! Meine Töchter werden glücklich sein über eine so reizende junge Nachbarin ... Reiten Sie –?
Karla verneinte empört.
Nee, natürlich nicht, habe ich mir gleich gedacht! Aber das kommt schon, haben ein paar vorzügliche Schinder im Stall! – Wann werden Sie denn nach Gaugarten übersiedeln, Herr Schreyvogel, hoffe auf recht angenehmen nachbarlichen Verkehr. Gottlob, daß wir junges Blut in die Gegend kriegen! (Er brabbelte immer weiter.) Wir haben da auch so eine kleine Sache zu besprechen, Herr Schreyvogel, Grenzregulierung, Ihr Onkel wollte immer nicht ran, aber jetzt, wo ein vernünftiger junger Mann regiert ...
Direktor Kunze, flüsterte ein kleiner fetter Mann mit bleichem Gesicht mir zu. Ich freue mich, Herr Schreyvogel, Sie im Namen meiner Bank ... Es ist zwar ein höchst trauriger Anlaß, der Sie zu uns führt, gestatten Sie, mein herzlichstes Beileid ...
In meinem Kopf drehte sich das bekannte Mühlrad immer schneller. Ich spähte entschlossen, fest entschlossen nach der Drehtür. Ich wußte nicht, ob es üblich ist, daß Millionäre von ihren Bankdirektoren und Gutsnachbarn weglaufen, aber wenn es auch nicht üblich war, ich war fest entschlossen, der erste Millionär zu werden, der entlief ...
Ich sah nach der Drehtür. Ich winkte Karla mit den Augen. Karla hörte auf den dicken Herrn von Kanten, er erzählte ihr immer noch was von unserer Grenze ... Der Direktor Kunze redete von Pfandbriefen, die niedrig verzinslich seien, von sehr empfehlenswerten Industriepapieren mit einer viel höheren Rendite ... Der Kassierer steckte mir einen Haufen Geldscheine in die Hand ...
Ich sah wieder nach der Drehtür ... Draußen schienen sich wahrhaftig Menschen anzusammeln, ich sah wohl schon Gespenster ...
Ich muß wirklich, sagte ich. Karla, wir müssen fort!
Sie beantwortete den Blick.
Ich nahm mir nicht die Zeit, das Geld einzustecken. Ich riß den Rehbraunen vom Haken, daß der Aufhänger platzte, im gleichen Käfterchen der Drehtür flüchtete ich mit Karla aus der Bank. Wir liefen hinaus –
Und liefen direkt in die Linse eines Fotoapparates! Licht flammte auf ...
Der Millionär! riefen ein paar. Der lachende Erbe!
Wir liefen über den Markt, es war uns nicht nach Lachen zumute. –
Am nächsten Morgen sahen wir schon unser Bild im Radebuscher Kurier, unserm Heimatblatt. Darunter stand: ›Herr Max Schreyvogel und Gattin, unsere Mitbürger. Bisher einfacher Kontorist des Vira-Versicherungs-Konzerns, jetzt Erbe eines Millionenvermögens und des Rittergutes Gaugarten mit den Vorwerken Trassenheide, Schafstall und Kleinschönchen‹.
Das stand unter dem Bilde, und diese Unterschrift war auch sehr notwendig. Denn ohne sie hätte man glauben können, das Bild eines fliehenden Bankräubers vor sich zu haben: mich bleichgesichtig, ein Bündel Scheine in der einen Hand, über dem Arm den Rehbraunen! Und Karla, die sich wieder einmal nicht recht überlegt hatte, was sie tat, die aus einer Zornstimmung heraus dem Fotografen die Zunge gezeigt hatte –!
Was sie lange, lange schwer bereuen sollte! Denn so ging sie nun durch die Blätter des deutschen Zeitungswaldes, viele Wochen und Monate lang ...
Immer wieder kam uns so ein Bild zu Gesicht – uns und allen, allen andern!
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