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Wiedersehen mit Karla – Paulus besteht auf meiner Stellung – Böök überrascht mich mehrfach
Auf den Reiherberg kamen wir freilich doch nicht mehr, obgleich wir früh genug losgingen, sondern als wir bei Friedemanns am Kaffeetisch saßen und recht fröhlich miteinander redeten, sagte plötzlich Frau Friedemann: Es war mir doch ganz so, als hätte ich eben ein Auto gehört. Sie wird doch nicht gerade jetzt –
Und sie warf ihrem Manne einen hilflosen Blick zu.
Gerade dieser hilflose Blick aber machte es, daß keines von uns sich zu einem raschen Entschluß aufraffte. Sondern ganz wie die ertappten Sünder saßen wir alle in der Runde, unsere Fröhlichkeit war von uns gewichen, und wir starrten verzweifelt auf die geblümte Kaffeedecke ...
Paulus rührte gedankenvoll seinen Kaffee um und sprach: Ja, was ich eben noch sagen wollte ...
Er verstummte.
Der Kantor aber flüsterte fast scheltend zu seiner Frau: Wie kannst du uns auch so erschrecken, Malchen! Immerfort hört sie Autos ...
Da wir doch schon den schweren, vorsichtigen, langsamen Schritt auf dem Flur hörten!
Schon ging die Tür auf. Aus den erstarrten Gesichtern wurden recht überlebendige, am schnellsten war Frau Friedemann an der Tür und begrüßte wortreich den Besuch ...
Ich aber, ich gestehe es zu meiner Schande, schob mich halb hinter den Kantor, halb hinter Paulus, warf einen raschen Blick auf die Tür des Arbeitszimmers und erwog wirklich und wahrhaftig, ob ich nicht in aller Eile noch schnell ein bißchen vor meiner Frau ausreißen könnte –!
Oh, dies war aber wirklich, wie in den allerfeinsten Büchern, eine für alle Beteiligten äußerst peinliche Situation! Wußten sie doch alle, die Guten, daß die Eheleute Schreyvogel was miteinander gehabt und sich seit fast einem Vierteljahr nicht mehr gesehen hatten, daß sie in aller erdenklichen Scheidung des Ortes, des Leibes und des Geldes lebten! Und nun waren sie hier – wie wahrhaft peinlich! – durch Zufall in dieselbe Stube geraten und mußten vor einem Publikum, das so zu tun hatte, als wüßte es nichts, sich gehaben, als hätten sie nichts – scheußlich, scheußlich!
Lieber Himmel, wäre der Paulus nur dicker gewesen! Ober, Unter, Schellen, Herz, Grün, Eichel – nun geht Karla stracks auf mich zu! Habe ich geschwitzt! Hat mir das Herz geklopft!
Tag, Maxe! Endlich treffen wir uns mal wieder –! Siehst du aber großartig aus – ich glaube, so gut hast du in unserer ganzen Ehe noch nicht ausgesehen! Und die Stimmung –? Nur Geduld, mein Lieber, jetzt haben wir es bald geschafft – und wie!
Ich freue mich ja so – Karla! Du siehst großartig aus!
Na ja, ich fühl mich auch ganz gut! – Nein, keinen Kaffee, Frau Friedemann, erstens deswegen nicht – und dann muß ich gleich wieder zurück! Ich setze mich nur einen Augenblick in den Sessel. August hat den Motor gar nicht erst abgestellt. Bei mir sitzen sie nämlich und verhandeln wieder einmal, die halbe Steuer und die Sparkasse und die Bank und die ganze Juristerei. Als mir die Luft zu blau wurde und die Debatte zu hitzig, bin ich ihnen schnell mal ausgerissen. Eine halbe Stunde brauchen sie bestimmt, ehe sie merken, ich bin wirklich weg und dann bin ich auch schon wieder da!
Karla lachte, und nun fingen die anderen auch wieder mit Reden an. Die peinliche Situation war vorüber, ehe sie überhaupt peinlich geworden war.
Ich aber konnte nicht reden, ich konnte nur sitzen und Karla anstarren. Jawohl, sie war schwerfällig geworden, ich konnte es mir ja an den Fingern abzählen, daß es nun schon sehr bald so weit war! Aber das machte ihr gar nichts – sie sah einfach glänzend aus. Sie sprühte von Leben und Frische und Tatkraft, ihre Augen waren hell, ganz voll Licht von innen heraus ... Sorgen, Geldsorgen, eines Fiete wegen etwa –? Aber nicht die Spur, kein Gedanke daran! Wie sie eben gelacht hatte über das debattierende Bank- und Rechtswesen, als seien es Jungen, die sie für eine halbe Stunde allein bei ihrer Eisenbahn gelassen hatte! Oh, Karla, Karla – und ich habe dich mit einem blonden Puppengesicht mit gedrehten Löckchen betrügen wollen! Ich begreife es nicht – wie kannst du es begreifen? Zehnfach zu milde bist du mit mir. Du freust dich, daß du mich siehst, du hast dich wirklich gefreut – aber warum in aller Welt? Du hast keine Ursache dazu – ich aber alle! Alle! Alle Freude!!!
Höre, Paul! Du fährst schon heute abend? Morgen früh erst? Gut! August wird dich zur Bahn fahren, und vielleicht bringt dich Maxe? Ich bin so früh nicht mehr aus dem Bett zu kriegen – ja, Max, du wirst dich noch wundern, was du für eine faule Frau bekommen hast! Aber, Paul, heute abend dringst du noch zu mir vor, ein halbes Stündchen will ich noch mit dir reden! Nicht vergessen, Paul! – Jawohl, Herr Kantor, ich muß wieder los, schade, aber sonst verteilen die mein Fell ganz und gar unter sich! Halten Sie den Max stramm an der Arbeit, Ihr Buch muß eiligst fertig werden. In Kürze ist er wieder Hausvater und hat keine Zeit für Nebendinge. – Tjüs, Maxe – was ich noch sagen wollte: Am Sonnabend um acht haben wir im neuen Dorfkrug Einzugsschmaus, da muß du dabei sein! Hole mich um drei Viertel acht im Schloß ab! Und dann, dann geht es richtig los!
Sie sah mich mit vor Vergnügen funkelnden Augen an. Ein wenig grämlich sagte ich: Gerne, Karla. Wenn ich nur endlich wüßte, was losgeht, und was alles los ist!
Alles, Maxe! Tatsächlich alles! Habe ich dich sehr gequält? Na, laß man, du wirst schon sehen ... Tjüs, alle! Tjüs, Maxe!
Und sie küßte mich wahrhaftig vor allen Menschen rasch auf den Mund. Ja, Karla hatte etwas durch ihr Millionärsdasein gelernt, nämlich die Sicherheit, sie genierte sich nicht mehr den Deubel vor den Leuten!
Weg war sie!
Plötzlich redeten wir alle furchtbar eifrig, von ihr und der Mücke und dem neu erstandenen Dorf und dem werdenden Buch des Kantors. Wir redeten und redeten, die Zeit ging dahin. Wir vergaßen Reiherberg und Heimweg – es war doch wahrhaftig, als habe unser Leben einen neuen Schwung bekommen, und das alles bloß durch die unbehilfliche, schwerfällige Karla! –
Weißt du noch, Maxe, fragte mich Paulus Hagenkötter, als wir schließlich doch durch die Sommernacht heimwärts wanderten, wie ich mal ein umgekehrtes Licht erfinden wollte, das alle Zimmer dunkel macht?
Doch! sagte ich. Natürlich weiß ich das noch, Paulus. Es wäre eine schöne Sache, nur wohl leider nicht ausführbar!
Die Karla hat erfunden, wie man das Dunkle hell macht, antwortete er nachdenklich. Und das ist tausendmal mehr wert! Gott, hat die sich rausgemacht! Du wirst dir gewaltig Mühe geben müssen, Maxe! Sonst fällst du zu sehr ab ...
Will ich auch, Paulus! Nur, hier ist alles so schwierig ...
Es wird ja vielleicht nicht immer hier sein, Maxe, sagte Paulus Hagenkötter tröstlich.
Noch einmal fing er ähnlich davon an, als wir schon auf dem Bahnsteig standen.
Hör mal, Maxe, sprach er da und hielt meine Hand in der seinen, hast du dir das mal durch den Kopf gehen lassen mit so einer Stellung als Agent im Auto?
Zwanzigmal habe ich daran gedacht, Paulus! Aber du weißt ja –!
Na ja, schön. Ich muß jetzt wohl in mein Abteil. Also, ich halte dir für alle Fälle solch einen Posten frei.
Aber nein, Paulus, du weißt doch, wir ... Gaugarten –
Also auf Wiedersehen! Es war wunderschön, Maxe! Tausend Dank. Und ich werde Lilo von dir grüßen, trotzdem du mir keinen Gruß aufgetragen hast!
Ach, Mensch, sei doch nicht so! Natürlich, tausend Grüße! Und das mit der Stelle –
Halte ich frei!
Ich kann doch nicht! Du kriegst nur Unannehmlichkeiten ...
Frei ...
Der Zug fuhr schon.
Nein –!
Frei ...
Weg war er. Und ich ging vom Bahnsteig, ewig mit Blindheit geschlagen.
Der August Böök, neben dem ich dann nach Haus fuhr, war auch nicht willens, mir den Star zu stechen, trotzdem die Zeit unserer Feindschaft eigentlich wieder vorüber war. Wieso eigentlich, war nicht zu sagen. Wir hatten seit jenem schlimmen Tage, als er mich in den Schotter gefahren und später mit Leonore beim Heckenhaus überrascht hatte, kaum wieder ein Wort miteinander gesprochen. Nur hatte er angefangen, mich sehr höflich zu grüßen, und ich hatte seine Grüße ebenso höflich erwidert. Und daraus war in mir das Gefühl entstanden, es sei eigentlich alles wieder zwischen uns in Ordnung. Nachzutragen hatte ich ihm ja wirklich nichts!
Als ich jetzt vom Bahnsteig kam, fragte er sogar höflich: Na, Chef, wie ist's? Mal wieder selber fahren? Damit die Fahrerei nicht einrostet?
Ich überlegte einen Augenblick. Es war wirklich ein verlockendes Angebot. Nur wer selbst hinter dem Steuer gesessen hat, weiß, wie schwer es einem Fahrer wird, sich den Künsten anderer anzuvertrauen. Aber dann sagte ich doch: Nein, danke wirklich, Böök! Fahren Sie lieber selbst – mir ist heute nicht so!
August Böök war natürlich nicht der Mann danach, in einen zu dringen. Er stieg auf seinen Fahrersitz, ich nahm neben ihm Platz, und schon fuhren wir, ich recht in Gedanken über die Hartnäckigkeit, mit der Paulus Hagenkötter mir durchaus eine Stellung freihalten wollte. Er mußte doch einsehen, daß ich unmöglich – usw. Immer dieselbe ermüdende Leier.
Aber wie fuhr ich aus diesen leiernden Gedanken auf, als August Böök neben mir ziemlich unfreundlich sagte: Wird wohl die letzte Fahrt sein, die Sie mit mir machen, Chef! Kleine Pause. Dann: Am Sonntag hau ich nämlich in den Sack!
Was? rief ich erschrocken. Sie wollen weg, August? Wieso denn?
Habe einen Posten angenommen bei 'nem großen Zirkus, erwiderte August, noch immer recht brummig. Die kaufen da jetzt auch Automobile – Schlepper heißt das, mit denen sie ihre großen Zeltwagen ziehen.
Aber August! Gefällt es Ihnen denn nicht mehr bei uns? Sind Sie mit was unzufrieden?
Nein, jetzt nicht mehr, Chef. Aber – na ja, dies seßhafte Leben ist nichts für mich. Ewig dasselbe Zimmer und ewig dieselben Wege ... Ich denke schon, wenn ich hier lang fahre, jeder Baum und jeder Kilometerstein gähnt, wenn er mich vorbeikommen sieht. Jedenfalls gähne ich, wenn ich sie sehe.
Und er gähnte wirklich.
August, sagte ich vorwurfsvoll, wer soll denn meine Frau fahren? Sie hat doch bloß zu Ihnen Vertrauen! Sie hat doch nicht mal mit mir fahren mögen!
Die Chefin ist einverstanden, sagte August so kurz und brummig wie nur möglich.
Aber ...
Einverstanden, Chef! Da können Sie nichts machen, sprach August mit erhobener Stimme, und damit brach denn auch das Gespräch zwischen uns ab, genau wie er es wünschte.
Erst als ich beim Torhaus abgestiegen war, fragte ich ihn wieder: Da muß ich Ihnen wohl gleich Adieu und auf Wiedersehen sagen, August? Oder sehen wir uns noch?
Also machen Sie's gut! antwortete er und gab mir seine feste, harte Hand. Halten Sie sich weiter senkrecht, Chef. – Und dann, Chef, sagte er plötzlich und sah mich mit den dunklen Augen aus dem wettergegerbten Gesicht eindringlich an, von – der – anderen – Geschichte – Sie verstehen schon – würde ich der jungen Frau kein Wort sagen. Kein Wort. Sie weiß nämlich – von der – anderen – Geschichte – nichts! Hat sich wirklich kein Schweinehund gefunden, der den Mut gehabt hat ... Na, ich würde ihn auch ... Verstanden, Chef –?
Und er fuhr so plötzlich an, daß ich zurückspringen mußte.
Gleich hielt er wieder.
Wenn Sie der Chefin noch mal beipuhlen wollten, sagte er in einem ganz andern Ton, daß ich wahrscheinlich schon bald nach Breslau komme. Sie wissen doch noch, Chef? Der Kerl, der seine Latte bei uns gut hat? Von wegen gemeiner Briefe? Ist so, wie wenn er sie schon weg hätte! Sagen Sie das der Chefin!
Und damit fuhr er wirklich. Ich starrte ihm nach – wie ein Ochs! Es war doch wohl unmöglich, daß Karla wirklich nicht wußte ...
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