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Kein guter Auftakt – Beschämende Erinnerungen – Es darf nicht sein – Aberwitzige Listen eines Betrunkenen
Aber nicht Karlas gute Wünsche, sondern mein böses Lachen bestimmte unsere Gaugartener Zeit.
An einem Morgen erwache ich. Durch die offenen Fenster der Bibliothek höre ich die Vögel im Park zwitschern und lärmen, wie sie es nur am allerfrühesten Morgen tun ...
... Der Bibliothek! Wieso liege ich am frühen Morgen in der Bibliothek –?! Nicht in meinem Schlafzimmer, nicht im Bett, sondern – ich reiße mühsam die verklebten Augen auf –, sondern herabgeglitten vom Ledersofa der Bibliothek auf dem Teppich, in Kleidern und Schuhen –?! Ja, wieso –?
Ich fahre mit der Hand nach der Stirn, sie schmerzt, mein ganzer Schädel ist ein wüster, bohrender Schmerz. Aber noch widerlicher ist dieser ekelhafte, abgestandene Geschmack in meinem Mund! Wieso?
Das helle Zwitschern der Vögel im Park, die frische, kühle Luft, die von draußen hereinweht, sie machen, daß ich mich noch schmutziger, älter, verkommener fühle. In meinem schmerzenden Kopf will eine Erinnerung erwachen. Blitzartig schließe ich die Lider. Dunkel soll es sein in mir! Nichts will ich wissen!
Aber die Erinnerung bohrt und preßt, ein Bild erscheint. Ich sehe mich sitzen auf dem hohen Barschemel, den Whiskybecher in der Hand. Ich höre mich prahlerisch reden. Die Mädchen starren bewundernd, ich gebe an, ach, wie ich angebe, voll von Dünkel, Nichtigkeit und Alkohol!
Und plötzlich redet eine andere Stimme in mein betrunkenes Prahlen hinein, eine scharfe, männliche Stimme: Und wenn Sie auch ganz aus Geld gemacht sind, junger Mann, darum sind Sie doch bloß ein jämmerlicher kleiner Schweinehund!
Und eine Hand berührt klatschend meine Backe.
Nein! Nein! stöhnte ich, auf meinem Perser vor dem Ledersofa liegend. Es ist nicht wahr! Es kann ja nicht wahr sein! Das bist du doch nicht, Max! Das kann dir doch nicht geschehen sein! Es ist bloß ein böser Traum, der dich quält!
Ich stoße mit den Füßen diesen Traum von mir. Die Hände zu Fäusten geballt, mit fest zusammengepreßten Zähnen versichere ich mir, daß ich das unmöglich gewesen sein kann, ich, Max Schreyvogel, Besitzer des adligen Gutes Gaugarten mit den Vorwerken Trassenheide, Schafstall und Kleinschönchen! Es ist unmöglich, daß ein fremder Herr solch einen Mann in der Bar wegen unerträglicher Ruhmrederei und Stänkerei öffentlich geohrfeigt hat.
Das bist du nicht gewesen! versichere ich mir immer wieder. Das ist doch unmöglich!
Aber die Erinnerung läßt nicht nach, zu bohren. Je wacher ich werde, je mehr sich der Alkoholdunst in meinem Schädel lichtet, um so eindringlicher versichert sie mir: Natürlich bist du das gewesen, Max! Wer denn sonst? Nachher ist ja August Böök in die Bar gekommen; der Kellner rief ihn, als du, von der leichten Ohrfeige umgeworfen, weinend auf der Erde lagst! Der Kellner und August haben dich ins Auto geschleppt, und du hast allen Geld schenken wollen, hast ihnen, wieder unter Tränen, versichert, du seiest doch ›eigentlich‹ gut!
Das mußt du alles noch sehr gut wissen, auch wie der August dich im neuen Wagen nach Haus gefahren hat. Dann hat August dich nicht allein die Treppe hinaufschaffen können, so hat er den Fitz geweckt, und die beiden haben dich gemeinsam hierher in die Bibliothek getragen und auf das Ledersofa gelegt – damit Karla nichts merkt! Das weißt du doch alles sehr gut, tu bloß nicht so –!
Und ich versuche doch, mich weiter zu verstellen. Ich halte die Hand über die Augen und flüstere mir immer wieder zu: Das kann nicht wahr sein! Es ist bloß ein Traum. Nein, ich will nicht ...
Und doch weiß ich gut: es ist so! Jetzt, nachdem mein Hirn sich erinnert hat und der erste Anfall wütender, verzweifelter Scham vorbei ist, kommt die zweite Periode: ich versuche zu überlegen, wie ich die Folgen dieser Nacht vertuschen kann.
Was die Leute von mir reden werden, ist mir egal! Und was Fitz und August von mir denken und die anderen hier im Schloß – das kümmert mich auch nicht. Aber Karla, Karla darf um keinen Preis etwas erfahren!
Die anderen mögen von mir sagen und glauben, was sie wollen, aber für Karla möchte ich noch immer der Max von ehedem sein, den sie achtete und liebte. Wenn mir diese Achtung und Liebe auch nicht mehr rechtmäßig zukommen, lieber will ich sie unrechtmäßig genießen, als sie ganz verlieren!
Ich sehe auf die Uhr. Die Uhr zeigt halb zwei. Sie steht, vielleicht ist sie in dem Augenblick stehengeblieben, als ich vom Barschemel fiel nein, daran will ich nicht mehr denken! Ich brauche all meine Gedanken, um die Folgen der Nacht vor Karlas Augen zu verbergen.
Ich stehe auf. Die Sonne ist noch nicht über die Parkbäume hinaufgestiegen, es ist also kaum vier! Welch Glück –: so habe ich vollkommen Zeit, alle Spuren zu verwischen!
Tiefsinnig starre ich auf den Perser. Zuerst muß ich den Perser wieder glatt legen, dann die Kissen und Decken vom Ledersofa auf ihre angestammten Plätze zurückbringen. Hiernach muß ich unter dem Sofa nachsehen, ob mir nichts aus den Taschen gefallen ist. Oh, ich bin schlau, ich denke an alles – so leicht lasse ich mich nicht erwischen! Mir ist ja sogar schon eingefallen, daß ich heute unmöglich im Bad zwischen unseren Schlafstuben baden kann. Also werde ich das Bad im Turmzimmer benutzen, da hört mich niemand ...
Ich entfalte all die übereifrige, verschlagen-tölpelhafte Geschäftigkeit der Halbbetrunkenen: ich lasse mich auf den Knien vor dem Sofa nieder, und mühselig schnaufend, mit schmerzendem Kopf, suche ich den Boden unter dem Sofa ab. Aber den verdrückten Filzhut auf dem Rauchtischchen vergesse ich. Ich gehe zum abgelegenen Bad im Turmzimmer, aber erst, als ich in der Wanne sitze, fällt mir ein, daß ich weder Wasch- noch Rasierzeug bei mir habe, auch kein Laken zum Abtrocknen, auch kein frisches Stück Wäsche zum Anziehen.
Aber ich bin begeistert von meiner eigenen Klugheit! Ich rede mir ein, daß all diese kleinen Vergeßlichkeiten gar nichts zu bedeuten haben, daß ich nachher, in unserem eigentlichen Badezimmer, noch einmal baden und mich dabei rasieren kann. Ja, ich bilde mir ein, daß es direkt auffällig wäre, wenn ich das nicht täte. Ich bade dort ja alle Morgen, Karla müßte direkt denken –
Ach was, Karla! Ich tue all dies beileibe nicht um Karlas willen! Ich tue es, um wieder frisch zu werden. Ich muß heute durchaus frisch sein, denn ich habe viel vor. Ich kann noch gut zwei Stunden schlafen – dann werde ich ›richtig‹ baden und duschen.
Ich kichere vor Vergnügen, als ich, den Hauptteil meiner Kleider unter dem Arm, aus dem Turm in mein Schlafzimmer schleiche! So halb bekleidet sollte mich mal der untadelige Strabow sehen! Oder eines von den Mädchen! Aber ich bin zu schlau, jetzt bekommt mich keiner zu sehen; ich bringe Sachen fertig, sie würden staunen, wenn sie wüßten! Aber sie werden nie wissen!
Mit einem Seufzer der Erleichterung sinke ich in mein kühles, frisches Bett. Noch zwei Stunden Ruhe, bis sieben Uhr! Ich drehe mich auf die Seite, schließe die Augen, und im gleichen Augenblick bin ich eingeschlafen.
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