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Der ewig mißtrauische Justizrat – Ich habe einen ›kapitalistischen‹ Wutausbruch – Umsonst, Paulus Hagenkötter entschwindet
Angesichts des Freundes waren mir am Abend unsere Pläne einfach erschienen, als ich dann aber am nächsten Mittag den kniffligen, kleinen Justizrat Steppe anschaute, wußte ich gleich, daß es Schwierigkeiten geben würde, und fand keinen Anfang. Der Justizrat hatte es so an sich: wenn man ihm etwas vorschlug, das ihm nicht gefiel, erstarrte er in Schweigen. Er sagte nicht ja, nicht nein, nicht so – er schwieg bloß und ließ einen alles dreimal sagen, bis man völlig leergelaufen war, ein Faß, das einmal etwas enthalten hatte, aber nun war bestimmt nichts mehr darin.
Er ist eben mein Freund, sagte ich am Ende ärgerlich, und schließlich ist es mein Geld!
Der Justizrat schwieg.
Ich sah Karla an, und Karla nickte mir ermunternd zu, mit fest geschlossenem Mund.
Ich habe ihm meine Hilfe versprochen! sagte ich noch ärgerlicher. Er wird ja das Geld nicht alles auf einmal brauchen. Aber vielleicht für den Anfang tausend Mark. Oder fünfhundert ...
Ich werde mit Obersteuerrat Neumann sprechen. Es muß wirklich wieder einmal eine Besprechung angesetzt werden. Die Sache rückt und rührt sich nicht.
Sie haben noch nichts zu der Erfindung meines Freundes gesagt, Herr Justizrat.
Ich verstehe nichts von Erfindungen. Ich bin Jurist. Aber ich habe mal in einem Buche gelesen, daß ein Erfinder sein und aller Freunde Vermögen verpulvert hat – für den Stein der Weisen!
Der Stein der Weisen ist kein Mikroskop!
Meine Pflicht ist es, Sie vor Schaden zu bewahren. Wenn Sie mich nach irgendeinem Papier fragen, sage ich: Gut, Herr Schreyvogel, es hat den und den Kurswert. – Über eine Erfindung kann ich gar nichts sagen.
Sie sind aber dagegen, Herr Justizrat!
Weil so etwas uferlos ist. Einmal haben Sie gesagt, er hat für seine Versuche zehntausend Mark verlangt, das nächste Mal sagten sie zwanzigtausend. Das ist eine Abweichung von hundert Prozent. So etwas ist kein Geschäft.
Er setzte hinterhältig hinzu: Sie sind noch nicht so lange reich, Herr Schreyvogel, daß Sie nicht mehr wissen: Zehntausend Mark sind sehr viel Geld, mehr Geld, als die meisten Menschen in ihrem Leben je auf einmal zu sehen bekommen. Wie denn erst zwanzigtausend –!
Karla sagte: Aber wenn Max es doch gerne will, Herr Justizrat! Bei der großen Erbschaft fallen zehntausend doch wirklich nicht so ins Gewicht!
Der Justizrat seufzte. Wenn es bei den zehntausend bliebe, liebe, verehrte gnädige Frau! Aber in dem Buch, das ich gelesen habe, hat der Erfinder sogar die Wäsche seiner Kinder verkauft, er hat seiner Frau Geld aus der Tasche gestohlen!
Man könnte vielleicht eine bestimmte Summe festsetzen –? schlug Karla vor.
Sehen Sie! rief der Justizrat und belebte sich. Wir machen einen Vertrag. Das ist immer das Beste. Der eine Teil weiß, was er zu geben, der andere, was er zu leisten hat. Ja, unsere liebe junge Frau! Lassen Sie mir ein paar Tage Zeit – ich muß mich erst erkundigen, auch einen Patentanwalt befragen. Es werden einige Kosten entstehen, Herr Schreyvogel ...
Selbstverständlich! sagte ich. Einverstanden!
Aber es wurde mir doch etwas bänglich, als ich sah, welchen Apparat ich auf meines Freundes Hagenkötter Erfindung losließ. Über eine Woche lang hörten wir nichts. Paulus Hagenkötter ließ sich nicht sehen, trotzdem ich ihm doch bei den Herren Matz und Hutap freies Geleit erwirkt hatte. Und Herr Justizrat Steppe, den wir viel zu oft, nämlich im Durchschnitt zweimal täglich sahen, erwähnte diese Sache nicht.
Bis er uns lächelnd mitteilte, der Fall scheine ihm nun hinreichend geklärt. Er habe für alle Fälle Herrn Patentanwalt Kreis aus Berlin zugezogen. Wenn es uns recht sei, heute um halb sechs hier im Hotel –? Er werde Herrn Hagenkötter bitten lassen ...
Ein wenig bänglich sahen wir dem Nachmittag entgegen, Karla und ich. Paulus war immerhin unser letzter Freund.
Er wird es schon verstehen, tröstete mich Karla. Dir gegenüber ist Paul noch nie übelnehmerisch gewesen. Daß man über so etwas einen Vertrag abschließen muß, ist doch klar.
Aber unsern Herzen war es nicht ganz klar. Ein Freund ist ein Freund, und man hilft ihm, wenn man kann, ohne Erkundigungen und ohne Vertrag! Jetzt hatte alles einen so kalten, geschäftsmäßigen Anstrich bekommen, etwas so Unfreundschaftliches ...
Also es kamen nun Herr Justizrat Steppe und Herr Patentanwalt Kreis. Der Herr Doktor Kreis war ein blühender, rosiger Mann mit vielen Schmissen im Gesicht; er brachte einen Duft von Lavendelseife, Zigarren, gutem Essen und herrlichen Schnäpschen in unser ödes Zimmer.
Da haben wir also einen neugeborenen Millionär, sagte er lachend und klopfte mir ermutigend auf die Schulter. Na, für eine Neugeburt sehen Sie ganz stattlich aus, Herr Schreyvogel! Haben Sie es einigermaßen überstanden? Nun, ich sehe schon, das Übliche. Aber Sie werden sich daran gewöhnen! Das Schlimmste liegt hinter Ihnen, was, Herr Kollege –?
Und er lachte dröhnend, während Herr Steppe nur dünn lächelte. Aber er war erfrischend, der Herr Patentanwalt. Er hatte so gar keine Ehrfurcht vor uns und unserem Geld. Er bat um Kaffee, Kognak und Zigarren und erzählte uns zehn Geschichten von Leuten, die bloß das große Los gewonnen hatten und darüber verdreht geworden waren. – Sie müssen eine beneidenswerte Geistesgesundheit haben, Herr Schreyvogel! Nichts Tolles angestellt? Gar nichts? Eigentlich schade! Na, jetzt lassen Sie sich mit Erfindern ein, das ist wenigstens ein kleiner Anfang! Wo bleibt denn unser Erfinderchen? Es ist dreiviertel sechs.
Bis sechs sahen wir noch einigermaßen geduldig auf unsere Uhren, dann aber wurde Fiete hereingerufen, der sich so lange bei Sekretär Matz ohne Kaffee, Kognak und Zigarren die Zeit vertrieben hatte, und nach der Wohnung von Paulus Hagenkötter in Marsch gesetzt. Karla und ich wechselten Blicke, wir verstanden nicht, warum Paulus nicht kam. Und wir verstanden es doch sehr wohl: er wollte nicht, er hatte dieses ganze Aufgebot als Mißtrauen aufgefaßt und war böse mit uns!
Jaja, sagte der Justizrat und rieb nachdenklich seine Wange.
Ihr Bürovorsteher wird umsonst gehen, erklärte der Patentanwalt lächelnd. Ich kenne das –!
Wieso –? fragten wir.
Doch! Ich kenne das, wiederholte Doktor Kreis. Würden Sie mir eine Frage gestatten, Herr Schreyvogel –?
Aber gerne!
Und werden Sie bestimmt auch die richtige Antwort geben?
Aber natürlich!
Sie müssen sich nämlich vor Herrn Justizrat und mir nicht genieren. Wir wissen, wie Geld wirkt – auf alle.
Paulus Hagenkötter ist mein Freund!
War es, war es, mein lieber Herr Schreyvogel, war es! Sie werden sehen, er wird nicht kommen!
Ich machte eine ärgerliche Bewegung.
Der Anwalt sagte beschwörend: Werden Sie nicht jetzt schon böse! Sie werden es noch erfahren, daß es dort, wo es um Geld geht, weder Freunde noch Verwandtschaft gibt.
Paulus Hagenkötter ist anders!
Das hat vorher noch jeder gesagt! Und nun meine Frage: haben Sie unserem Erfinderchen schon Geld gegeben –?
Ich ärgerte mich wahnsinnig über den rosigen, schmissigen, dicken Mann, der so bereit war, meinen langjährigen Freund Paulus zu verdammen, ohne ihn angehört, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. Aber ich hatte versprochen, die Wahrheit zu sagen, und so gestand ich denn, nach einem raschen Blick auf Karla, die mir unmerklich mit den Augen zuwinkte: Doch, das habe ich getan.
Wieviel –?
Fünfhundert Mark.
Billig! sagte der Anwalt und lehnte sich lächelnd zurück. Eine sehr billig erkaufte Erfahrung. Für fünfhundert Mark die Erfahrung erkauft, daß man in Gelddingen auch dem besten Freund nicht trauen darf. Wirklich äußerst billig.
Nach dem, was Sie mir erzählt haben, fing nun auch Justizrat Steppe an und wandte sich dabei an den Patentanwalt, werde ich sofort Betrugsanzeige erstatten. Sicher wird ein Teil des Geldes noch zu retten sein ...
Nichts werden Sie tun! schrie ich und sprang in solcher Wut auf, daß ich mindestens zwei Schnapsgläser umstieß. Aber das war mir jetzt ganz egal. Was fällt Ihnen denn überhaupt ein, hier über mich zu verfügen und mich anzumeckern?! Ich kann tun und lassen, was ich will! Ich kann Geld geben, wem ich will! Paulus Hagenkötter ist mein bester Freund ...
Mein sehr verehrter, lieber Herr Schreyvogel –! hörte ich die beschwörende Stimme von Justizrat Steppe.
Aber ich ließ mich nicht mehr halten, zu viel hatte sich in mir angesammelt. Es war mein erster kapitalistischer) Ausbruch – Justizrat und Patentanwalt imponierten mir nicht mehr die Bohne! Sie waren meine Angestellten, ich bezahlte sie, also schrie ich sie an.
Ich muß sagen, für den ersten Ausbruch meines Lebens machte ich meine Sache ausgezeichnet. Ich schrie wie beim Zahnbrecher – es war mir ganz egal, was Matz und die beiden Stenotypistinnen im Nebenzimmer sich dachten! Ich sehe noch Karlas große dunkle Augen ganz erschrocken auf mich gerichtet – dies hatte sie nicht in mir vermutet! Justizrat Steppe war nicht ganz so erschrocken, aber er hielt jetzt immerhin den Mund und malte mit dem Finger das gepreßte Samtmuster der Sessellehne nach. Der dicke Patentanwalt sah mich unverwandt an, er war der Ungerührteste, er zog regelmäßig an seiner Zigarre – sein elender Gleichmut machte, daß mein Zorn viel zu schnell verpuffte.
Na also! sagte er, als ich schließlich ermattet schwieg. Das war doch eine Erleichterung! Ich kenne das, Herr Schreyvogel, es ist bitter einzusehen, daß die Menschen alle aus Lehm gemacht sind. Lehm ist nur ein anständigeres Wort für Dreck. Vielleicht versöhnt Sie ein wenig der Gedanke, daß auch Sie aus Lehm gemacht sind, sprich Dreck, also in gleicher Lage auch nicht anders handeln würden als Ihr Freund.
Er sah aufmunternd zu dem Justizrat hinüber. Aber der Justizrat sprach kein Wort, er zeichnete weiter an seinem Sesselmuster. Ich bedauerte tief, daß mir erst jetzt aus dem Brief des Onkels Eduard der Konkurrent Justizrat Mehltau einfiel – den hätte ich ihm auch noch versetzen müssen!
Dann hörte ich Karlas Stimme: Wenn die Welt nur aus Gemeinheit bestünde, dann lebten längst keine Menschen mehr. Es gibt bestimmt Anstand und Ehrlichkeit und Freundschaft.
Ich schämte mich meiner bösen, rachsüchtigen Gedanken.
Der Anwalt sagte: Sie sind sehr jung, gnädige Frau. Zwanzig?
Mein Alter hat gar nichts damit zu tun, daß ich an Freundschaft und solche Dinge glaube!
Doch! Doch! Aber wer wie ich im Erwerbsleben steht! – Kommen wir also zur Sache! Wollen Sie mich drei Minuten ruhig anhören, Herr Schreyvogel?
Aber lassen Sie meinen Freund in Ruhe! drohte ich.
Ich werde überhaupt nicht von Ihrem Freund, ich werde nur zur Sache reden.
Jeder reiche Mann, sagte der Patentanwalt, bekommt ständig Bettelbriefe. Unter diesen Briefen machen die Anliegen sogenannter Erfinder einen hohen Prozentsatz aus. Sie zeichnen sich meist dadurch aus, daß sie, wird die Ausführung der Erfindung nur finanziert, dem Geldgeber für eine ganz geringe Einlage Millionengewinne versprechen. Meistens sind die Erfindungen außerdem noch segensreich für die ganze Menschheit –
Ich wagte Karla nicht anzusehen.
Nun liegt die Sache aber doch so, mein lieber Herr Schreyvogel, daß alle Fabriken, Werkstätten, Laboratorien der Welt ständig auf der Jagd nach brauchbaren Erfindungen sind. Das menschliche Gehirn ist gar nicht so klug, wie wir Menschen uns einbilden. Im besten Falle alle Jahrhundert fällt einem Menschen etwas wirklich ganz Neues ein. Es gibt praktisch keine verkannten Erfinder mehr. Über jede halbwegs brauchbare Idee stürzen sich Dutzende. Was da so an die reichen Leute schreibt, das sind entweder Phantasten oder – Betrüger!
Er sah mich fast väterlich freundlich an. Mir war schrecklich elend zumute. Ich wollte die Welt nicht so kalt und nüchtern sehen, ich wollte meine Illusionen behalten. Gewiß, manchmal hatte auch ich leise Zweifel an der Durchführbarkeit von Paulus Hagenkötters Plänen gehabt, dafür hatte schon Karlas nüchterner Kopf gesorgt, aber ich hatte ihn so gerne bewundert. Ich wollte mir nicht allen Glauben nehmen lassen ...
... Die Idee nun, die geschliffene Glaslinse durch einen anderen Stoff, Wasser, farbloses Öl oder dergleichen, zu ersetzen, wird mindestens alle Jahre einmal beim Patentamt angemeldet. Sie ist aber nicht patentfähig. Das moderne Linsensystem eines Mikroskops, Fotoapparates, Fernglases ist ein so kompliziertes Gebäude verschiedenartig geschliffener Linsen, daß es nie gelingt, Wasser oder einen anderen flüssigen Stoff ähnliche Formen annehmen zu lassen. Zudem verändert das Wasser, gelänge es selbst, es in eine bestimmte Linsenform zu bringen, unter dem Einfluß von Luft und Licht ständig seine Masse. Die Linse würde bei Lufttrockenheit beispielsweise immer dünner werden – ich erkläre Ihnen das ganz primitiv, Sie verstehen doch –?
Wider meinen Willen mußte ich mit dem Kopf nicken.
So etwas ist nur ein Hirngespinst, mein lieber Herr Schreyvogel. Solche Sachen kann man sich dutzendweise ausdenken. Auswertung der Blitze, Benutzung vulkanischer Kräfte und Wärme, Anzapfen von Regenwolken – alles Phantasterei! Es bleibt nun die Frage, ob Ihr Freund –
Er hat es bestimmt ehrlich gemeint, sagte Karla eilig. Vielleicht ist er wirklich ein bißchen phantastisch.
Darum hätte ich ihn gerne gesprochen. So ein armer Kerl verrennt sich schließlich in seine Idee, glaubt sich verleugnet von der ganzen Welt und landet schließlich bei dem Perpetuum mobile – ein vertanes Leben!
Herr Justizrat Steppe ließ sich endlich wieder vernehmen: Immerhin hat er, entschuldigen Sie, Herr Schreyvogel, aber es ist eine Tatsache, daß er sich immerhin sehr eilig fünfhundert Mark hat geben lassen. – Er setzte hinzu: Und daß er jetzt nicht kommt, es ist gleich halb sieben ...
Wieder war ich im Begriff, hitzig zu werden, da öffnete sich die Tür, und Bürovorsteher Fiete trat ein. Allein. Er trug in einer Hand ein poliertes braunes Holzkästchen, in der anderen einen Brief. Herr Hagenkötter kommt also nicht! sagte Justizrat Steppe, und ich hätte ihn umbringen können für den rechthaberischen Ton, in dem er dies sagte.
Der Anwalt nahm das Holzkästchen, öffnete es und sah hinein. Ein Mikroskop, teilte er mit. Anschaffungswert etwa fünfzig Mark. Neu.
Er sah mir freundlich ins Gesicht.
Ich öffnete den Brief, ich öffnete ihn ungern vor den beiden fremden (feindlich gesinnten) Zeugen, aber ich wußte nicht, wie ich es anders hätte tun sollen. Karla sah über meine Schulter.
In dem Brief war Geld: Silber und Scheine. Dazu ein Zettel.
Lieber Maxe, hieß es da, das hättest du nicht tun sollen, Erkundigungen über mich einziehen! Kracht glaubt, es ist etwas mit Alimenten oder der Polizei. Ich hatte Zank mit ihm deswegen, aber er hat mir nicht geglaubt, sondern hat mich entlassen.
Es kommt alles von dem schrecklichen Geld. Ich hätte die fünfhundert Mark nicht nehmen sollen. Ich schicke sie Dir wieder und das Mikroskop. Der Optiker wollte es nicht zurücknehmen, es hat 48 Mark 50 gekostet.
Ich mag nicht mehr in Radebusch sein. Ich gehe nach Berlin. Ich bin Dir nicht böse, ich weiß, es ist das schreckliche Geld! Wir sind immer Freunde gewesen und werden es immer weiter sein. Sobald ich eine Stellung habe, schreibe ich Dir.
Grüße Karla, ich bin Dein ewiger Freund Paulus Hagenkötter.
Nachschrift. Ich habe es im Mikroskop mit den Wasserlinsen versucht. Ich weiß jetzt, daß meine Erfindung Unsinn ist. Ich will nie mehr etwas erfinden. Es war bloß so schön, sich auszudenken, wie man die Menschen glücklicher machen könnte. Halt Dich senkrecht, Maxe! Dein Freund Paulus.
Ich sah von dem Brief hoch.
Wer hat Ihnen denn den Auftrag gegeben, Herr Justizrat, fragte ich mit böser Stimme, über meinen Freund Hagenkötter Erkundigungen einzuziehen?
Sie! Sie haben mich mit der Erledigung des Falles beauftragt. Über einen Mann, dem man zwanzigtausend Mark leihen will, zieht man Erkundigungen ein. Dazu bin ich als Ihr Berater einfach verpflichtet.
Diese Erkundigungen müssen sehr ungeschickt eingezogen sein. Mein Freund Hagenkötter hat dadurch seine Stellung verloren.
Das behauptet er! Übrigens wird ein Wort von mir oder Ihnen genügen, und Herr Direktor Kracht stellt ihn wieder ein.
Es hatte keinen Zweck. Es hatte gar keinen Zweck mit den beiden. Es waren zwei Welten, sinnlos, sich mit ihnen zu streiten! Wir kamen nie zusammen.
Bitte, entschuldigen Sie jetzt mich und meine Frau. Wir wollen zu Herrn Hagenkötter.
Ich ...
Wir ...
Ich möchte noch bemerken, sprach ich, und kam mir eisig und schneidig vor, daß Herr Hagenkötter die fünfhundert Mark zurückgezahlt hat. Eine Betrugsanzeige erübrigt sich also. Guten Abend!
Wir liefen vereint aus dem Hotel, es war schon dunkel. Aber wenn es auch heller Tag gewesen wäre, diesmal hätten wir uns nicht vor den Leuten gescheut. Nach ein paar Sätzen, die sie mir zugerufen, verstummte auch Karla. Ich mochte nicht reden, ich war so voll Wut und Trauer –! Mein bester Freund! Nach Berlin – Paulus Hagenkötter, der Träumer, nach Berlin – sein allerbester Anzug hatte schon so blank ausgesehen! Und ich war an allem schuld! Ich allein –!
Ich würde es nie richtig machen. Da hatte ich nun Geld über Geld geerbt, und es war mir noch nicht gelungen, auch nur das geringste bißchen Segen damit zu stiften. Nur Schaden hatte ich damit angerichtet!
Ich dachte an die Kahnfahrt mit Karla auf dem Mummelteich. Damals hätte es vielleicht nur eines Wortes von mir bedurft, und wir hätten die Erbschaft ausgeschlagen! Und ich dachte an Onkel Eduard, der uns mit diesem Gelde Böses hatte antun wollen. Eigentlich war Onkel Eduard mit diesem Erbe bei uns gerade an die Unrechten gekommen: wir hatten nicht aus niedriger Berechnung die Mücke Eduarda genannt. Aber uns Böses anzutun, das war ihm doch gelungen! Es war eine elende Welt geworden, es war nicht abzusehen, ob wir uns je wieder in ihr so heimisch fühlen würden wie vor sechs Wochen –!
Paulus Hagenkötter war schon fort. Ja, er war gerade vor einer Viertelstunde gegangen, mit zwei Koffern. Ja, er hatte alles bezahlt. Nein, er hatte keine Adresse hinterlassen.
Wir standen noch vor dem Haus und beratschlagten, ob wir zur Bahn laufen sollten, da fuhr ein Auto vor. Es entstieg ihm der unvermeidliche Fiete: Herr Justizrat läßt Ihnen den Wagen schicken, Herr Schreyvogel.
Ich hätte platzen mögen vor Wut! Nicht einmal böse war der alte Aktentrottel auf mich, sondern immer weiter väterlich besorgt!
Aber das Auto kam uns gerade recht, wir fuhren zum Bahnhof.
Zu spät – vor drei Minuten war der Berliner Zug abgefahren! Paulus Hagenkötter, unser allerletzter Freund, war uns wirklich entschwunden.
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