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18. Kapitel

Noch immer Tante Fränzchen – Der zurückgeforderte Schmuck – Auszehrung im Palasthotel – Schluß mit Tante Fränzchen

 

Sehr bald merkten wir natürlich, daß die Tante auch einen Zweck bei ihren Besuchen verfolgte. Sie fing an, sich nach unseren Geldgeschäften zu erkundigen, nach den Abmachungen mit dem Justizrat, nach dem Stand der Verhandlungen mit dem Steueramt. Ich glaube, sie verfolgte im Anfang keine eigennützigen Ziele. Ihrer Tatkraft genügte schon lange nicht die Verwaltung ihres eigenen, längst nicht mehr unbeträchtlichen Vermögens, ihr schwebte eine Rolle bei uns vor: halb Vormund, halb Bankier.

Anfänglich machte sie uns Vorschläge: dem und dem seien fünftausend Mark zu leihen. Der Mann werde bestimmt die Zinsen nicht zahlen können, so werde man es zur Zwangsversteigerung treiben, das Haus kaufen und unten zwei Läden ausbauen. Dann sei es fast das Doppelte wert!

Wir mußten nein sagen, wir hatten keine fünftausend Mark, wir würden bald nicht einmal mehr fünfzig Mark haben. Schließlich glaubte die Tante uns dies sogar. Sie berannte nun den Justizrat, aber der Justizrat war schlau und verschanzte sich hinter dem Steueramt. Die Herren auf dem Steueramt, die unsere Tante von mancher zweifelhaften Steuererklärung recht gut kannten, weigerten sich, ohne Steuervollmacht mit ihr zu verhandeln. Eine Steuervollmacht konnten wir ihr nicht geben, denn wir hatten dem Justizrat schon eine erteilt. Die Tante drehte sich im Kreise. Sie ähnelte einem jungen Hund, der seinen eigenen Schwanz fangen möchte.

Nun fing die Tante an zu bohren: Lübes Künd, weußt du noch dü schöne Münze, dü üch dür als Schmuck zu deuner Vörlobung vermacht häbe?

Karla heuchelte Vergessen.

Du mußt ös noch wüssen, Körlö, besünne düch nur: eune Sülbermünze mit eunem Loch.

Karla wußte nicht, wo sie das Markstück gerade jetzt hatte.

Deun lüber Max würd dür jetzt ganz anderen Schmuck schönken. Üch könnte einem armen Mädchen müt dör Münze eune Freude bereuten – vülleicht suchst du sü mür zu morgen heraus?

Nachdem die Tante dreimal nach ›ührer Münze‹ gefragt hatte, entschlossen wir uns schweren Herzens und kauften ihr als Ersatz für fünf Mark einen Taler mit einem heiligen Georg; die andere Münze sei nicht auffindbar.

Das üst lüb von euch, Künder! So reuzend! Aber meune Münze müßt ühr finden, sü war auch eun schönes Stück und mür söhr lüb!

Sie beharrte darauf, den Georgtaler als ein Extrageschenk anzusehen, mit aller Hartnäckigkeit aber ›ihre‹ Münze zurückzufordern. Vielleicht hatte es sich in ihrem alten Kopf festgesetzt, daß sie eine Forderung an uns hatte, bestimmt sah sie uns wie faule Zahler an: sie kam jetzt zu den Mahlzeiten, sah auf unsere Teller und sammelte zu unserem Entsetzen (und zur Freude des o-beinigen Fridolin) alle Abfälle und Reste in ihren Pompadour. Dunkel sprach sie dabei von ›ührer Katze‹. Ich bin überzeugt, sie hat nie eine Katze besessen, das Futter für sie hätte ihr Herz gebrochen.

Karla entwarf mir manchmal sehr erheiternde Schilderungen von den Mahlzeiten, die sich Tante Frätzchen aus ihrem Pompadour bereitete. Karla behauptete auch, die Tante trinke hinter unserem Rücken die Neigen unserer Gläser aus: sie hat manchmal so rote Kreise auf den Backen. – Ich will es nicht abstreiten und nicht behaupten; nach dem, was dann geschah, ist alles möglich!

Denn nun fing es an, beunruhigend zuzugehen in Hutaps Radebuscher Palasthotel. Auf unerklärliche Weise verflüchtigte sich die Seife von unseren Waschtischen, die Rolle am bewußten Ort entleerte sich magisch, nahm ich meine Stiefel aus dem Nachtschränkchen, so hatte eine gespenstische Hand die Schnürsenkel aus ihnen entfernt. Mückes Teddy verlor seine beiden großen, glänzenden Glasaugen, das Zimmermädchen vermißte das Fensterleder, mit dem es eben noch geputzt hatte, der Gast auf 18 beschwerte sich, daß sein versilberter Rasierapparat verschwunden sei ...

Dazwischen verlangte Tante Fränzchen, stets hartnäckiger und unerfreulicher, ühre Sülbermünze!

Es war, als habe Auszehrung das Palasthotel erfaßt. Plötzlich hatte Karla nicht mehr genug Nachthemden im Schrank, Herr Matz schrie nach seinem goldenen Füllbleistift, ich besaß eines Morgens keine Hosenträger mehr. Gerade die Verschiedenartigkeit, die völlige Unbrauchbarkeit oft der fehlenden Gegenstände war es, die uns verwirrte. Wenn ein aus Messing getriebener Aschenbecher in Verlust geraten war – nun gut, das war zu verstehen. Er war ein Wertgegenstand, wenn auch nur ein geringer. Aber ganz unverständlich war es, daß plötzlich alle Troddeln an unseren Samtsesseln fehlten – ja, lieber Gott im Himmel, wer konnte denn auf so etwas Wert legen –?!

Ich nehme an, wir hatten alle unseren Verdacht, und alle den gleichen, und doch gingen wir alle umeinander herum voll finsterem Argwohn. Wir wagten den Mund nicht aufzutun und wurden dabei immer aufgeregter und böser.

Es war aber der Herr Justizrat Steppe, der uns von diesem Übel erlöste. An sein Heiligstes war gerührt worden, an seine Akten. Eben hatte noch die abgeschabte Ledertasche mit ihnen neben seinem Stuhl gestanden – nun war sie fort!

Es ist keine drei Minuten her, rief der Justizrat entrüstet, und ich habe den Faszikel ›Erbpachtbauern‹ aus der Mappe genommen, und nun ist sie fort! Es ist eine Unverschämtheit! – War Frau Holtfreter im Zimmer?

Meine Tante ist heute überhaupt noch nicht im Hotel gewesen! tat ich entrüstet.

Stellen Sie das fest, Herr Matz! – Fiete, ein Auto!

Wohin wollen Sie denn, Herr Justizrat?

Zu Ihrer Tante fahren und nachsehen! Meine Handakten – dies ist nicht mehr zu steigern!

Aber ich bin überzeugt, Tante Fränzchen war heute überhaupt nicht im Hotel. Hast du sie gesehen, Karla?

Karla schüttelte den Kopf, aber nur schwach. Die Tante hatte eine so geheimnisvolle Art, zu kommen und zu gehen ...

Und doch versuchte ich, die Ehre der Familie vor dem alten Menschenhasser zu retten: Wir sind hier fünf Personen im Zimmer gewesen. Einer von uns müßte die Tante doch gesehen haben!

Müßte! – Wir haben sie aber nicht gesehen! Jedenfalls ist die Tasche fort. Hat Herr Matz etwa die Tasche gestohlen – oder Sie, Herr Schreyvogel? Ich wurde böse angefunkelt. Dann: Nun, war Frau Holtfreter im Hotel?

Frau Holtfreter hat das Hotel vor fünf Minuten verlassen, berichtete Herr Matz.

Der Justizrat warf mir einen triumphierenden Blick zu. Sofort ihr nach! sprach er und erhob sich aus seinem Sessel wie ein Feldherr.

Karla wollte nicht mitfahren, aber das Auto wurde auch so gesteckt voll, mit Steppe, Fiete, Matz, Hutap, mir, alle nach Wiedersehen lüstern mit verlorengegangenem Eigentum. Ich fürchte, hätten wir alle Bestohlenen mitgenommen, wir hätten einen Omnibus gebraucht. Ich hatte schreckliche Szenen, Unschuldbeteuerungen, Verzweiflungsschreie der Tante erwartet. Aber nichts von alledem. Die Tante schloß angesichts unseres Aufmarsches ohne jede Erklärung ein Vertiko auf, und hier lag in drei Fächern säuberlich alles, was sie zusammengerafft.

Die anderen waren lange nicht so ruhig. Aber wenn sie die Tante anbrüllten und bedrohten, so blieb die Tante gelassen und überlegen. Sie behauptete ihr ›Recht‹! Sie habe von Karla einen wertvollen Schmuck zu fordern, und Karla verweigere ihn. Mit einer an Wahnwitz grenzenden, unbelehrbaren Hartnäckigkeit blieb sie dabei.

Wahrscheinlich war sie wirklich sinnlos vor Wut, so viel herrliches Geld in so törichten Händen zu wissen. Der tägliche Umgang mit uns, die sie überall ausgebeutet, betrogen und übervorteilt sah, muß der Geizigen unvorstellbare Qualen bereitet haben.

Du würst noch wös erlöben mit deinem Stöppe, flüsterte sie mir zu, sich vor Schadenfreude schüttelnd. Könnst du überhaupt dü Gebührenordnung? Dör wird düch eunseifen!

Wieder umflatterte sie die anderen, Matz und Fiete liefen schon mit ihrer vierten Ladung zum Auto. Daß ühr mür nichts wegnöhmt! Ühr denkt wohl, ühr könnt aus dem vollen schöpfen?

Ich zeige Sie an, schrie der Justizrat. Sie gehören ins Gefängnis!

Seuen Sü nicht löcherlich, Stöppe! sagte sie erhaben. Was würden dü jungen Assessoren über den alten Stöppe lachen, dör sich seune Handakten wegnöhmen läßt! Dü Rüchter auch! Dü Rüchter fünden Sü reichlich verkalkt, Stöppe, wußten Sü das nücht?

Das Auto wurde voll, wir setzten Herrn Fiete als Begleitmann hinein und gingen zu Fuß heim.

Von der Tür ihres Häusleins rief die Tante mir ihre letzten Liebenswürdigkeiten nach: Üch vörzeihe dür, Max! Wenn dü anderen düch ausgebeutelt häben, kömme nur zu Tante Frätzchen! (Auch das wußte der Giftdrache also!) Du büst mür ümmer für jede Summe gut! Pause. Unter hundört Mark! Unter ...!

Ich merkte wohl, daß der Justizrat verstohlen vor sich hin kicherte.

Beim Ausladen und Verteilen der heimgeführten Schätze gab es noch Überraschungen. Viel war dabei, das noch keiner vermißt hatte, das mit Jubel begrüßt wurde. Noch mehr aber fehlte. Eine zweite Expedition zur Tante wurde erwogen, aber nicht unternommen ...

Es endete damit, daß ich (›um der Ehre der Familie willen‹, soll heißen: aus Schwachheit) für alles Fehlende einstand. Eine recht lange Liste wurde angefertigt und von Herrn Justizrat Steppe zu den Akten genommen, zu späterer Erledigung. (Wenn erst: das Steueramt ...)

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