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Meine Stellung im und zum Dorfe – Eine überraschende Ansprache – Ich lasse mich nicht ängstigen
Die Tage gehen dahin, es wird Herbst. Längst ist Hanne wieder aufgestanden und versorgt sich selbst. Die Frauenschar hat unser stilles Pförtnerhaus verlassen und weilt nun wohl längst an einem anderen Wöchnerinnenbett, beratend und tröstend. Jeden Morgen liegen mehr bunte Blätter auf den Wegen. Obergärtner Pipping und seine Gehilfen kommen mit dem Fegen nicht mehr nach. Sie haben zu tun, um nur die Hauptallee ein wenig sauber zu halten.
Ich bin der kleinen Haus- und Gartenarbeit ein wenig müde geworden. Das Haus, ihr Haus, hält die Hanne jetzt spielend instand. Und im Garten, der nur noch abgeerntet werden muß, ist auch nicht viel zu tun. So nehme ich jeden Morgen nach dem Frühstück Mütze, Mantel und Stock und wandere durch das Dorf Gaugarten nach Langleide.
Dabei habe ich es nicht so eilig, daß ich nicht einmal stehenbleiben und die Fortschritte in der Bauerei ansehen könnte. Es ist eine wahre Freude, wie sehr Gaugarten sich verändert hat! Die einst eng zusammengedrängten Leutehäuser sind jetzt auseinandergerückt; zwischen Gärten liegend, erstrecken sie sich, die sonst vornehm isolierte Pfarre und Schule in ihre Mitte nehmend, bis zum Gutshof.
Karla hat es nahezu geschafft, nur an den allerletzten Häusern wird noch eilig gearbeitet, damit sie vor dem ersten Frost bezugsfertig sind. Es hat keine Hemmungen gegeben. Wie Herr Kalübbe mir einmal gesagt hatte: das Geld lag bereit, es wurde alles gemacht und gut gemacht.
Wenn ich da so stehe, grüßen mich die Leute freundlich. Aber sie machen kein großes Aufheben von mir, ich bin für sie eine gewohnte Gestalt geworden. Weiß der Himmel, was sie alles über mich und Karla geschwätzt haben und noch schwätzen! Sie wissen genau, daß ich ein entthronter Fürst bin – nie wendet sich jemand mit einer Bitte, einem Anliegen an mich. Sie sehen mich da stehen, grüßen freundlich und gehen vorbei.
So etwas hätte früher einmal meiner Eitelkeit sehr weh getan, heute ist es mir nur recht. Ich weiß, ich kann nur meine eine Rolle spielen, die des kleinen Durchschnittsmenschen. In der Rolle des großen Mannes versage ich sofort. So bin ich froh, daß sie mir nicht durch Fragen und Bitten diese Rolle wieder aufzwängen wollen.
Manchmal sehen mich Kalübbe oder Schwöger da stehen. Dann kommen sie zu mir, und wir reden ein paar Worte miteinander, über das Wetter oder über den Fortgang der Feldarbeiten oder über das Vieh. All das geht ganz gemütlich, sie sprechen ja nicht mit dem Gutsherrn, sondern mit einem vorübergehenden Bekannten.
Wo sind die Zeiten hin, da ich Kalübbe auf den Rat Onkel Eduards bei Unredlichkeiten ertappen wollte oder Schwöger in seinem Nachmittagsschläfchen auf dem Bürosofa verstörte –? Lang, lang vorbei! Jetzt ist sogar schon die Zeit vorbei, da ich Fragen an sie stellte, über Finanzierung, Verträge, Geld. Ich besitze nun Geduld genug zum Warten. In mir ist die Gewißheit, daß diese Zeit bald von selbst ihr Ende findet ...
Darum mache ich auch keine Anstalten, Karla zu treffen. Es ist ein Wunder, daß wir uns immer noch nicht zufällig begegnet sind, wir wohnen ja nur ein paar hundert Meter voneinander! Im Sommer habe ich sie manchmal unter meinem Fenster im Wagen vorüberfahren sehen, August Böök saß am Steuer. Aber jetzt habe ich sie eine lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen, jetzt starre ich nur auf das verschlossene Verdeck des Wagens. Ich denke dann: da sitzt sie drin, und ich sehne mich nach ihr. Aber ich tue keinen Schritt, ein Wiedersehen herbeizuführen. Ich weiß von Kalübbe, daß Karla einen Plan hat, ich störe sie nicht. Sie wird es mich schon wissen lassen, wenn die Zeit gekommen ist. Wenn mich diese Monate eines gelehrt haben, so ist es dies, daß unsere Verbundenheit zu eng ist, um je ganz zerstört zu werden. Sieben Jahre Ehe, das wischt sich nicht weg! Das bleibt.
So stehe ich auch heute da und sehe mir das Haus vom Stellmacher Fromm an. Es sieht besonders hübsch durch die lange Wand der Werkstatt aus, die sich an das eigentliche Wohnhaus schließt. Die Wand ist gelb verputzt, es ist ein Spalier auf ihr angebracht. Wenn dieses Spalier auch noch nicht bewachsen ist, schon die Hoffnung, daß hier Pfirsiche oder echter Wein wachsen werden, stimmt fröhlich. Ich nicke wohlgefällig mit dem Kopf.
Entschuldigen Sie die Störung, Herr Schreyvogel, spricht mich eine sanfte Stimme an. Es gefällt Ihnen also auch? Aber es ist wohl ziemlich teuer?
Ich sehe mich nach dem Sprecher um. Siehe da, eine alt vertraute Gestalt! Im abgeschabten Mäntelchen mit Samtkragen, in den schwarzgrau gestreiften Hosen steht Justizrat Steppes Bürovorsteher Fiete neben mir. Er ist eigentlich kein erfreulicher Anblick für mich, er erinnert mich an schlechte Tage in meinem Leben. Aber ich kann mich der höflichen Stimme dieses vom alten Fuchs Steppe ewig gedrückten und gehetzten Männchens nicht entziehen, und so sage ich: Siehe da, Herr Fiete! Auch einmal wieder unterwegs? In Geschäften?
Er hebt abwehrend die Hände. Nur Interesse, Herr Schreyvogel, rein persönliches Interesse! Ich hatte hier in der Gegend zu tun, und da es für den Wagen kein Umweg war und weil die Leute so viel reden vom Musterdorf – schließlich sind ja Herr Schreyvogel ein alter, treuer Klient von uns –
Nicht gar so treu, Herr Fiete! lachte ich.
Kleine Mißverständnisse, Herr Schreyvogel, die sich einrenken werden. Wir auf dem Büro sind überzeugt, wir bekommen noch einmal mit Ihnen zu tun, Herr Schreyvogel –
Mit mir oder für mich, Herr Fiete?
Für Sie! Ich bitte tausendfach um Entschuldigung, Herr Schreyvogel! Natürlich für Sie! – Der gnädigen Frau geht es gut?
Ich danke, Herr Fiete. Und was macht unser alter Justitiar, Herr Steppe?
Im Sommer war er etwas kümmerlich. Aber das ist immer so bei ihm, er verträgt die Gerichtsferien nicht, Herr Schreyvogel. Der Mann lebt nur durch seine Arbeit. Aber jetzt ist er gottlob wieder ganz zu Wege.
Also viel zu tun?
Es geht, es geht. Läppersachen – die großen Zeiten mit Ihnen sind vorüber. Nun, man soll die Hoffnung nicht sinken lassen.
Auf mich –?
Fiete sah mich versonnen an, den Kopf schief auf die Seite gelegt, den Zeigefinger an seiner grauen Nase. Er antwortete nicht auf meine Frage, sondern fragte seinerseits: Wo hier das Gutsbüro ist, können Sie mir wohl nicht sagen, Herr Schreyvogel?
Ich mußte lachen. Oh, Sie alter Schlauberger, Sie haben wohl etwas läuten hören? Aber so weit weiß ich doch noch in Gaugarten Bescheid, daß ich Ihnen den Weg zum Gutsbüro zeigen kann. – Kommen Sie, hier geht es lang. Also doch in Geschäften unterwegs – ich dachte es mir doch!
Herr Fiete ging ein paar Schritte neben mir, blieb dann stehen, faßte in seine Tasche und brachte ein längliches Papier zum Vorschein. Oder, sagte er fast kläglich, würden Sie mir vielleicht den Weg zur gnädigen Frau zeigen?
Ich fand ihn nur komisch, er konnte mich nicht mehr ängstigen.
Nein, Herr Fiete, sagte ich, den Weg zu meiner Frau müssen Sie schon alleine gehen – und das wissen Sie auch ganz gut! Noch immer die alten Fuchspfiffe und Kniffe, Fiete? – Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirne. – Oh, ich Esel, rief ich. Sie müssen ja hier noch vom Onkel Eduard her jeden Schritt und Tritt kennen, und ich zeige Ihnen ganz gutgläubig den Weg zum Gutsbüro! Könnt ihr das denn gar nicht lassen, Fiete –?
Er hörte nicht auf mich. Wenigstens tat er so, als hätte er mich nicht gehört. Er hatte das lange Papier in der Hand und gab vor, es zu lesen.
Fünfzigtausend, murmelte er jetzt. Von Frau Karla Schreyvogel quer geschrieben. Nein, natürlich, es macht ihr keine Schwierigkeiten. Sie wird das Geld schon parat haben.
Lauter, sorgenvoll zu mir aufsehend: Nicht wahr, Herr Schreyvogel, Sie meinen doch auch, dieser Wechsel wird Ihrer Frau nicht die geringsten Schwierigkeiten machen –?
Mein lieber Herr Fiete, sprach ich ernst, die Zeiten, wo der Justizrat und Sie Ihr Spielchen mit uns treiben konnten, sind vorüber. Und die Zeiten, wo Sie hoffen konnten, meine Frau und mich gegeneinander aufzubringen, sind auch vorüber. Endgültig! Gehen Sie mit Ihrem Wechselchen ruhig zu meiner Frau, Sie werden ihr keine Schwierigkeiten machen, ob sie nun Geld hat oder keines. – Wenn Sie aber, mein lieber Herr Fiete, sagte ich noch ernster, sich noch einmal einfallen lassen sollten, mich mit Ihren Listen und Lügen zu belästigen, so werde ich Sie eigenhändig über den nächsten erreichbaren Zaun in das nächste erreichbare Jauchenloch werfen – das merken Sie sich!
Damit lüftete ich höflich meine Mütze – denn ich war wirklich nicht zornig, wodurch meine Worte vielleicht noch mehr Nachdruck bekamen – und ging.
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