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Fahrkünste eines Betrunkenen – August Böök kann Ärgernis nehmen – In den dunklen Wald!
Hiernach wird es jeder verstehen, daß bei solcher Inanspruchnahme keine rechte Zeit für das Lackieren des Wagens war. Kenner werden darüber hinaus schon erfaßt haben, daß ich mit Fräulein Leonore von Kanten noch nicht weiter gekommen war als am ersten Tag: ich half ihr bei der Frisur, hatte ihr zwei- oder dreimal die Brosche geschlossen und viele Male ihre Hand gestreift. Das war bis dato alles. So unruhig sie mein Blut auch gemacht hatte.
Wenn ich aber in meinem fünfzigsten Kapitel gesagt habe, ich sei auf der Heimfahrt von der Werkstatt zum erstenmal unter Alkohol am Steuer gesessen, so muß ich dazu noch eine kurze Erklärung sagen. Jawohl, ich ging mit Leonore am Tage in Gasthäuser und trank Wein, ich besuchte mit ihr zur Nacht Bars und trank mancherlei vom reinen Whisky bis zum Gemischten, heiße es nun Cocktail, Cobbler oder Flip aber ich trank alles nur mäßig.
Doch an diesem Tag war zu viel verquer gegangen, meine Nerven hatten nachgegeben, und ich hatte zu viel getrunken. Ich merkte es, da ich mit dem Wagen aus der Stadt fuhr, selbst.
Hoppla! sagte ich zu mir, als ich gerade noch an einem Pferdefuhrwerk vorbeischlitterte, das hätte schiefgehen können! Ein bißchen Achtung, alter Knabe, so leichtsinnig fährst du sonst doch nicht!
Natürlich empfand ich in meinem augenblicklichen Zustand keine Spur von Angst. Ich wollte bloß keinen Bruch machen, einmal des Wagens wegen, dann, weil ich Leonore unbedingt treffen mußte. Befriedigt nickte ich meinem Schnelligkeitszähler zu, der auf hundert zeigte. Sache! sagte ich. Das flutscht! Statt dreißig komme ich höchstens siebenundzwanzig Minuten zu spät.
Ich fuhr erst wieder langsamer, als ich in den Wald kam. Es wurde schon ein wenig dämmrig, jene infame Vordämmerung, die stets über die Entfernung täuscht. Als ich um eine Kurve kam, wäre ich fast auf ein anderes, langsam fahrendes Auto aufgefahren. Ich wollte schon losschimpfen, aus jenem Gefühl tiefen Beleidigtseins heraus, das jeder Betrunkene gegen jeden Nüchternen empfindet, als ich gerade noch im rechten Augenblick erkannte, daß es mein eigener Wagen war, mit August Böök am Steuer.
Sofort schlug meine Stimmung um. Der liebe August, da hatte ich mindestens eine Stunde in der Bar des Palasthotels gesessen und gekübelt, und hier nuddelt er noch immer auf der Landstraße herum! Ich winkte ihm lachend zu, ich machte ihm höhnische Gebärden: er solle doch nachkommen! Ob ich ihn ein bißchen schleppen dürfe?
Dann sah ich ihn nicht mehr, er hatte unbewegt, ohne mich anzusehen, am Steuer gesessen. Der arme August, er war um seine Fuhre mit Frauchen gekommen – ich kicherte in mich hinein.
Wenige Sekunden später schlug meine Stimmung abermals um. Mir war eingefallen, wie dieser selbe August mich wegen ›Frauchen‹ fast totgefahren hätte, wie er dann vor der Werkstatt auf mich gelauert hatte, daß ich in drei Minuten vor dem Heckenhaus halten würde – und das Heckenhaus lag direkt an der Straße!
Dieser Lump! flüsterte ich bei mir. Spioniert mir nach – will's Frauchen hinterbringen!
Ich fuhr schneller. Es war, als sei all der getrunkene Alkohol, von einer plötzlichen Blutwelle hochgeschwemmt, mir auf einmal ins Gehirn getreten – so betrunken war ich. Mit solcher Erbitterung klammerte ich mich an dieses gehässige ›Frauchen‹ als den Inbegriff all dessen, was ich nicht tun durfte!
Hinter der nächsten Kurve kam das Heckenhaus in Sicht. Ich meinte, Fräulein von Kantens Gestalt, halb verborgen hinter einem Baum, am Wegrand zu sehen. Ich hielt weit nach rechts, bremste. Im weichen Sommerweg rutschte der Wagen ein wenig, gerade so viel, daß er sanft, aber doch mit jenem verhaßten Knirschen am Baum entlang streifte.
Nun, haben Sie auch einmal Bruch gemacht? fragte Leonore spöttisch. Sie kommen spät, aber stürmisch, Herr Schreyvogel!
Einen Augenblick besah ich trostlos die rechte Seite meines Wagens. Was nach ewiger Fahrerei und Zänkerei endlich halbwegs in Ordnung gebracht war, nun war es von neuem und schlimmer noch verdorben. Eine sinnlose Wut besaß mich auf all diese, die mich in solche Dinge hineinhetzten – auf den Meister in der Werkstatt, auf Karla, auf Hutap mit seinem verdammten Whisky, auf August Böök ...
Plötzlich erinnerte ich mich, daß wir verfolgt wurden. Spionage und Angeberei – aufgeregt sagte ich: Bitte, steigen Sie schnell ein, Fräulein Leonore! Er ist hinter uns – Böök!
Das klingt ja schrecklich romantisch! meinte sie spöttisch. Aber wer ist das – Böök?
Sie wissen doch! Karlas Chauffeur!
Und muß ich jetzt vor dem Chauffeur Ihrer Frau ausreißen –? fragte sie. Sie stieg aber doch ein, nachdem sie einen Blick auf die Straße zurückgeworfen hatte.
Sie werden den Wagen noch ein wenig zurücksetzen müssen, sagte sie dabei. Sonst nehmen Sie den nächsten Alleebaum ganz mit.
Und während ich noch schaltete: Hoffentlich mache ich Ihnen nicht zu viel Unannehmlichkeiten bei Ihrem Chauffeur. Da kommt er.
Wirklich, da kam er – und ich wäre ihm beinahe noch mit meinem Zurücksetzen in die Flanke geraten, so hastig benahm ich mich dabei. August Böök fuhr auf einen Meter Entfernung an uns vorüber, Fräulein Leonores Schulter berührte die meine, sie fragte recht laut: Komische Tracht für Ihre Chauffeure, die Sie haben! Pullover –?
Mit unbewegtem Gesicht, keinen Blick zu uns, fuhr August Böök vorbei. Fräulein von Kanten fragte: Grüßt Ihr Chauffeur Sie nie oder nur dann nicht, wenn er Ärgernis nimmt?
Der Satz Bööks von jenen, die sich zu Schweinen machen, war tief drinnen in mir, wie ein Wind über dem Teich ungeheurer, grundloser Traurigkeit, der in jedem Menschen vom Uranfang liegt, von jener Traurigkeit, die in der Zweifelhaftigkeit all unseres Daseins und Tuns ihren Anfang hat.
Aber ich wollte nicht darauf hören, meinem Bewußtsein viel näher war die Stimme der Trunkenheit, die flüsterte: Jetzt wäre es – vielleicht so weit –
Sachte legte ich, zum erstenmal, meinen Arm um ihre Schulter. Ich fühlte, wie sie zusammenzuckte, etwas sagen wollte und schwieg ...
Wir fuhren – langsam wie er – hinter August Böök her, bis endlich eine Schneise zur Rechten sich auftat, in die wir einbogen, durch die wir hineinfuhren in den rasch dunkler werdenden Wald.
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