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Karlas großes Vorhaben – Dornige Erkenntnisse bei den Stachelbeeren – Ich habe eine Ahnung
Am Morgen erfuhr ich ohne weiteres von der Hanne, was am Abend verkündet und beschlossen worden war. Es war ihr nicht verboten worden, mir davon zu erzählen, wie ich mir in der Nacht manchmal hatte einbilden wollen. Sondern die gute Hanne hatte nur gedacht, ich wüßte es längst, von irgendeinem Heimkehrenden. Sie hat mich nicht stören wollen, weil es doch schon eins geworden war durch das Sitzen bei ihren Eltern.
Einiges wäre zu diesen Erklärungen zu sagen gewesen, noch vor wenigen Tagen hätte ich dieses Einige, und zwar sehr scharf, gesagt. Jetzt ging ich wortlos darüber hin, und nicht nur, weil ich auf die Neuigkeiten selbst begierig war. Sondern weil mir plötzlich das Befolgen meiner Anordnungen gar nicht mehr so eminent wichtig schien, weil ich mir selbst nicht mehr ganz so wichtig vorkam.
Die Neuigkeiten aber, die ich nun also als Allerletzter erfuhr, waren wirklich groß. Es sollte gebaut werden! Karla wollte jetzt, da sie die Geschäfte führte, durchsetzen, was sie gleich von Anfang an beim Anblick Gaugartens gedacht hatte: sie wollte anständige Wohnungen für die Leute schaffen.
Da aber Karla nun einmal Karla war, begnügte sie sich nicht mit Flickwerk. Nein, sondern ganz Gaugarten sollte, soweit es das eigentliche Dorf betraf, abgerissen und neu aufgebaut werden, mit Wohnhäusern, Stallungen und Scheunen für die Leute. Nicht genug damit, sollte jeder sich sein neues Haus kaufen dürfen, in jahrzehntelanger Abzahlung, wie sie tragbar war, und zu jedem Haus sollte Acker für Roggen- und Kartoffelland sowie Weide für eine Kuh gehören!
Oh, wie ich Karla in diesem Projekt wiedererkannte, die alte Karla, nicht die Millionärin, die sie nie geworden war, sondern das Mädchen von ehemals, die junge Frau aus der Mansardenstube, die keine Bedenken und keine Angst kannte! Wie sie darauf losging – nicht einmal die Kinderkrippe und die Gemeindeschwester waren vergessen! Alles Karla Schreyvogel, geborene Hammer, Schlag auf Schlag – und wie sie dies in noch nicht achtundvierzig Stunden in Gang gesetzt hatte, bewies, daß sie schon all die Wochen und Monate darüber nachgedacht hatte – ohne mich!
Daß die Leute mit diesem Vorhaben zufrieden waren, versteht sich. Herr Justizrat Mehltau hatte schon gestern abend eine ganze Reihe von bindenden Verträgen abschließen können, und die anderen, die Nachdenklichen und die Mißtrauischen, würden schon noch kommen. Mehltau hielt heute und alle folgenden Tage im Gutsbüro Sprechstunde ab ...
Die Leute also waren zufrieden, und der Herr Landrat, der höchst persönlich anwesend gewesen war, hatte auch jede erdenkliche Förderung des Vorhabens zugesagt. Aber was dachte sich Justizrat Mehltau bei alledem? Und was dachten Administrator Kalübbe und Rendant Schwöger?
Sie kannten doch die finanzielle Lage des Gutes, sie wußten von den ungeheuren Verpflichtungen aus der Erbschaftssteuer, sie hatten schon bisher über die verderbliche Geldknappheit geklagt. Wie hatte Karla ihren Widerstand nur besiegt – und in so kurzer Zeit?! Ich traute Karla ja alles mögliche zu. Wenn sie etwas wollte, ging es bei ihr immer auf Biegen oder Brechen. Aber nach Hannes Reden zu urteilen, hatten Schwöger und Kalübbe nicht etwa gezwungen, mit finsteren Gesichtern, bei dieser Versammlung gesessen, sondern höchst vergnügt, als hätten sie teil am Heldentum dieses Abends.
Herr Kalübbe hatte sogar die Felder direkt am Hof für die Zuteilung an die Leute versprochen, etwas ganz Widersinniges vom Standpunkt eines Wirtschafters aus, denn nun hatte er es mit allen Gutsarbeiten weit zum Acker, die Leute aber hatte ihn nahe beim Haus!
All dies schien mir ganz unbegreiflich. Am unbegreiflichsten aber war mir doch, woher in aller Welt Karla das Geld für dieses große Vorhaben nehmen wollte. Nun gut, sie würde sparen, wo sie konnte, sie würde den Schloßhaushalt aufs äußerste einschränken, vielleicht würde sogar der hochbezahlte Herr Strabow ein Haus weiter ziehen müssen – aber dies war kein Vorhaben, bei dem etwas mit kleinen Beträgen getan war! Wo in aller Welt nahm Karla das Geld her –?!
Ich stehe schon längst nicht mehr bei Hanne in der Pförtnerstube, ich habe es auch in meinem Zimmer nicht ausgehalten – jetzt laufe ich im Kleibackeschen Garten auf und ab, erregt und erschüttert. Manchmal bleibe ich stehen und lausche. Es mag ja eine Täuschung sein, aber ich glaube, Gepoch und Gelärme vom Dorf her zu hören, in meinem Geist sehe ich die alten, verkommenen Katen fallen – die Spitzhacke ist über ihnen, Karla ist über ihnen!
Ich verstehe sie ja so gut, die Karla! Ich verstehe, wie sie es meint. Sie will Onkel Eduards schlimme Erbschaft überwinden, zum erstenmal wird sein Geld nicht zu eigensüchtigen Zwecken ausgegeben, sie will den Fluch lösen. Als einziger von allen glaube ich die tiefsten Gründe ihres Handelns zu verstehen.
Und doch erfüllt mich Angst. Wird es dir denn gelingen, Karla? Du hast den Widerstand der Kalübbe, Schwöger, die vorsichtigen Bedenken Mehltaus überwunden, vielleicht hast du auch das Geld für den Baubeginn zur Verfügung –, aber wirst du denn durchhalten können? Soviel ich weiß, kannst du es nicht durchhalten, ich wenigstens wüßte nicht eine Möglichkeit!
Aber du weißt sie, sonst hättest du dies nicht angefangen. Großartige Karla! Und ich möchte zu ihr laufen, ich möchte mit ihr reden, sie fragen: Wie hast du dies und jenes gedacht? Ich möchte ihr helfen!
Dann fällt mir im Mittelgang des Kleibackeschen Gartens, rechts die Johannisbeeren und links die Stachelbeerbüsche, wieder ein, daß ich von all dem ausgeschlossen bin, daß sie dies große Werk ohne mich angefangen hat. Ich kann nicht zu ihr, sie hat es mir ausdrücklich verboten.
Ich stehe ganz still und horche in mich hinein. Es tut weh, ja, es tut sehr weh. Wir waren ein Ehepaar, wir hatten keine Vorzüge voreinander, die wir uns gegenseitig ankreideten, aber da ich der Erwerbende war, der Mann, von dessen Arbeitskraft das Glück unseres kleinen Gemeinwesens abhing, so war ich verwöhnt worden. Es war mir immer so vorgekommen, als sähe Karla ein bißchen zu mir auf.
Von solchen Einbildungen ist es schwer, Abschied zu nehmen. Ich wußte jetzt, sie sah nicht mehr zu mir auf, sie hatte es vielleicht nie getan. Sie hatte mich immer umsorgt, und sie hatte dabei etwas sehr Großes getan, sie hatte mich nie all ihre Sorge merken lassen. Ohne Aufhebens hatte sie mich meine Rolle als Herr des Hauses spielen lassen.
Nun aber hatte das Sorgenkind nicht gut getan. Es hatte sich auf die schlechte Seite gelegt, es war faul und liederlich geworden, und als Güte und Ermahnungen nichts gefruchtet hatten, war es aus dem Angesicht der Liebe entfernt worden. Ich will nur hoffen, dachte ich, nicht für immer. Ich will nur hoffen, die Liebe ist nicht ganz untergegangen. Ich will darauf warten. Ich will anders werden, ich bin es ja schon, da ich hier stehe und als einen Segen erhoffe, was ich bisher als selbstverständlich – mißachtet habe.
Wenn ich jetzt unseren Vertrag bedachte, so erkannte ich wohl, Karla war vielleicht böse mit mir, aber endgültig sollte unsere Trennung nicht sein. Ins Torhaus war ich verbannt worden, ein unbetretbarer Kreis war um das Schloß gezogen – aber sie hatte mich nur so lange entfernt, bis ihr großes Werk durchgeführt war. Sie kannte mich doch, ich hätte ihr – kraft meiner Stellung als Hausherr und eigentlicher Erbe – in alles hineingeredet, mit tausend Bedenken gehemmt, mit Besserwissen verdorben.
Aber wenn ihr Werk gelang, wenn es getan und zu Ende geführt war, wenn ich zu ihr zurückkehren durfte – was dann? Mir graute davor, wieder solch leeres, tatenloses Leben im Schloß führen zu sollen – nur noch der Mann meiner Frau. Ich fand, dann würde alles noch viel schlimmer sein, die tüchtige Frau und an ihrer Seite der untüchtige Mann ...
Ich seufzte, ich, der einzige, ich, der allereinzigste, wie man wohl auch sagt, der Karlas Pläne verstand!
Ich verstand viel ...
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