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Gerhart Hauptmann und wir

Breslau, 12.8.1922

Rede bei den Festspielen zu Ehren des Dichters.

Schlesien hat nach seiner Geschichte in der Reihe weniger Provinzen einen der Grundpfeiler des preußischen Staates gebildet, heute ist es getreu seiner Tradition über seine Stellung in Preußen hinaus wertvollster Bestandteil des Deutschen Reiches geworden. Die bürgerliche Selbstverwaltung ist von Schlesiens Bevölkerung immer energisch verfochten worden und hat hier namentlich nach den neuen Entwicklungsmöglichkeiten starken Ausbau gefunden. Nicht zuletzt durch die hervorragenden Charaktereigenschaften, die wir dem Schlesier mit Recht nachrühmen können, und der Tüchtigkeit, die der Bevölkerung über die Grenzen der engeren Heimat hinaus Achtung und Anerkennung sichern. Zeuge dessen ist die Hauptstadt Breslau und ihr Ruf als eine unserer besten Verwaltungen. Hier zeigt sich, wie richtig es ist, das aus früherer Entwicklung an uns überkommene Wertvolle weiter zu pflegen und dem Neuen einzufügen. Zeugen jener Entwicklung sind aber auch die beiden schlesischen Schwesterprovinzen, deren Provinzialverwaltungen sich insonderheit in den letzten schweren Jahren große Verdienste um Preußen und das Reich erworben haben. So begegnen wir auf den verschiedensten Gebieten der urwüchsigen Kraft Nieder- und Oberschlesiens, die in den großen industriellen, kommerziellen, aber auch in den landwirtschaftlichen Leistungen ihren lebendigsten Ausdruck findet. Hoffen wir, daß es dieser Kraft auch gelingen möge, die Schmerzen der tiefen Wunden zu lindern, die ein fremder Machtspruch durch die Abtrennung kostbaren Gebietes Oberschlesiens dem Vaterlande geschlagen hat.

Die ehrenden Worte, die Sie, Herr Oberbürgermeister, fanden, um dem großen Sohn Schlesiens, dem deutschen Dichter Gerhart Hauptmann, zu huldigen, drangen zu unser aller Herzen. Wir, die Vertreter des Reiches und Preußens, schließen uns mit aus innerster Seele kommenden Glückwünschen freudig all dem an, was Sie dem Dichter an Worten des Dankes und der Hoffnung für die Zukunft aussprachen. Mit der Breslauer Festspielwoche wollen wir einen Teil des Dankes abstatten, den Deutschland Gerhart Hauptmann schuldet; diese Schuld vollends abzutragen, wird Sache des ganzen deutschen Volkes sein. Denn ihm, dem deutschen Volke, galt von Anfang an Gerhart Hauptmanns dichterisches Streben und Schaffen; im deutschen Volkstum und im vielgestaltigen Leben unseres Volkes wurzelt Hauptmann kräftiger und tiefer als irgendein anderer deutscher Dichter. Keiner hat so wie er in tiefem Mitleiden und in wahrer Erlösungssehnsucht die sozialen Nöte der Massen und tragisches Schicksal Einzelner aus ihnen erfaßt und ihnen Gestalt und Sprache gegeben, die zum deutschen Herzen dringt. So ist sein dichterisches Schaffen immer Dienst am ganzen deutschen Volke gewesen. Dankbar erkennen wir es an, daß Gerhart Hauptmann auch der Republik freudig die Hilfe seines gewichtigen Wortes lieh, wenn es galt, neben den amtlichen Vertretern des Reiches der Stimme des geistigen Deutschland Ausdruck zu geben, sei es, um in schwerer Stunde die eigenen Volksgenossen zur Pflicht aufzurufen, sei es, um für eine Verständigung der Völker einzutreten. Und auch dazu ist er berufen wie kaum ein anderer, ist ihm doch der Gedanke einer wahren Volksgemeinschaft im Innern und das Streben nach Versöhnung der Nationen nach außen stets höchstes Ziel gewesen. So ist es heute auch Sache nicht einer einzelnen gläubigen Kunstgemeinde, sondern Aufgabe des ganzen deutschen Volkes, seinen großen Dichter zu ehren.

Dieses Volk ist heute selbst Träger seines Geschickes; das staatliche Leben hat dieselbe Wandlung vollzogen, die der Dichter in seinen hauptsächlichsten Dramen durchgeführt hat; bei ihm, insbesondere in seinen »Webern«, ist das Volk nicht der Chor der antiken Tragödie, der die Handlung nur verfolgt und begleitet, bei ihm ist das Volk in seinem Leiden und Sehnen selbst der Mittelpunkt, der Handelnde des Dramas. Wenn heute die Republik und ihre berufenen Führer nach Fühlung zu den geistigen Kräften des Volkslebens suchen, aus dessen keimenden Trieben die Zukunft ersprießen soll – zu welchen geistigen Betätigungen wohl mehr als zu denen eines Dichters, der in seinem Sinn gewissermaßen das Volk als Handelnden entdeckt und meisterhaft mit ebenso hoher historischer wie poetischer Wahrheit geschildert hat. Dann wird der neue Staat keine Maschine sein, die im ewigen Gleichlauf nur Regierungsgeschäfte besorgt, sondern ein lebendiger Organismus, dem die geistig-kulturellen Güter, dem Kunst und Wissenschaft unveräußerliche Bestandteile seiner lebendigen Kraft sind.


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