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Auf dem Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte

16.12.1918

Soldaten und Arbeiter der Deutschen Volksrepublik! Mit einem Ruck leidenschaftlicher Entschlossenheit habt Ihr in den ersten Novembertagen zertrümmert, was im Laufe der Zeit morsch geworden war; habt Ihr die Abhängigkeiten zerrissen, die man als gottgegeben ansah, und den deutschen Volksstaat vollkräftig ins Leben gesetzt. Die Könige sind auf und davon, die Republik muß nach den Worten unseres großen französischen Genossen und Friedensfreundes Jaurès eine Nation von Königen sein. Alle alten Herrenrechte sind mit einem Schlage zerbrochen, das Recht des Volkes ist die Grundlage des deutschen Staats. Aber wir sind uns klar darüber, daß die Republik erst dann den Kern ihres Wesens erfüllt, wenn sie nicht nur die Herren, sondern auch die Ausbeuter beseitigt. Die tapferen Kämpfer der Revolution, welche die Fürsten von Thronen, das Junkertum und die Schwerindustrie aus der Herrschaft des Staates vertrieben haben, sollen die Republik der Freiheit erobern, die freie sozialistische Volksrepublik.

Diese junge Republik macht einstweilen noch einige Kinderkrankheiten durch. Fünf Wochen nach der Revolution ist der neue Staat noch nicht so gefestigt und geordnet, wie es die alte 500jährige Herrschaft der Hohenzollern und die 1000jährige der Wittelsbacher war. Alle, die ein großes Geschrei darüber erheben, wir vermöchten der Anarchie nicht Herr zu werden und seien nicht imstande, einen normalen Verlauf des staatlichen Lebens herbeizuführen, haben gewiß nie am Aufbau auch nur der kleinsten Organisation mitgeschaffen. Ihr Arbeiter und Soldaten, in Eurer übergroßen Mehrzahl alte tätige Mitglieder der Arbeiterbewegung, wißt, wieviel Mühe die Gründung des kleinsten Parteivereins oder der kleinsten Gewerkschaftszahlstelle macht, wie lange es dauert, ehe sie ihre Aufgabe wirklich erfüllt. Und Ihr werdet Euch nicht wundern, wenn der gewaltige Umschwung der Novembertage nicht alsbald einen Apparat zustande gebracht hat, der reibungslos läuft und mit höchstem Nutzeffekt arbeitet. Gewiß drängt die Zeit. Nach den unsagbaren Verwüstungen des vierjährigen Mordens, nach der frivolen Leichtfertigkeit der früheren Gewalten, die alles auf eine Karte gesetzt hatten, und als sie fehlschlug, ratlos dastanden, nicht mehr aus und ein wußten und schließlich feige desertierten, steht die junge Volksrepublik vor den schwierigsten Aufgaben, die je einem eben erst geschaffenen Staatswesen gestellt worden waren. Inmitten eines allgemeinen Mangels an Bedarfsgütern jeder Art soll sie für ungezählte Millionen Menschen Arbeit schaffen, während alle Rohstoffe fehlen. Inmitten einer allgemeinen Auflösung der alten politischen und sozialen Ordnung muß sie unbedingt dafür sorgen, daß das öffentliche und wirtschaftliche Leben nicht einen Tag still steht, daß Sicherheit, Nahrung, Kleidung, Beleuchtung und Heizung vorhanden sind. Die uns gestellte Aufgabe ist wahrhaft gigantisch. Ihre Lösung ist unmöglich, wenn jeder nach eigenem Kopfe darauflos wirtschaftet. Nur fester, einheitlicher Wille kann der unendlichen Schwierigkeiten der Lage Herr werden. Die Arbeiterklasse im Waffenrock und in der Bluse, die im sozialistischen Kampfe die alten Götzen gestürzt und die neue Freiheit herbeigeführt, darf nicht dulden, daß Uneinigkeit, Zersplitterung, Eigensinn, Eigendünkel und Eigenmächtigkeit sie um die Früchte der Revolution bringen. Sie muß unbedingt verlangen, daß ein einheitlicher Mehrheitswillen gebildet wird und eine einheitliche Linie in allen praktischen Maßnahmen der Staatsverwaltung innegehalten wird, wie sie die Träger der Revolution vorschreiben.

Als am 9. November das Volk gesiegt hatte, gab es keine regierende Gewalt in Deutschland mehr. Alle alten Machthaber waren auseinandergestoben. In diesem Augenblicke mußten die Sieger die Gewalt ergreifen und die provisorische Regierung schaffen, die bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung jetzt neu zu regeln und zu bekräftigen Ihre Aufgabe ist. Dazu haben Sie sich hier zusammengefunden. Vertreter der Arbeiter aus allen Gegenden Deutschlands haben sich zusammengefunden. Ihr Zusammenschluß soll das Beieinanderbleiben des einigen Deutschlands verbürgen. Ihr Zusammenschluß soll die Einheit im Wollen und Handeln der Reichsleitung für die nächsten Wochen sicherstellen. Sie sollen aus der Gewalt der siegreichen Revolution den neuen Rechtsstaat errichten. Auf die Dauer kann es nur eine Rechtsquelle geben, das ist der Wille des ganzen deutschen Volkes; das war der Sinn der deutschen Revolution. Gewaltherrschaft hat uns ins Verderben geführt, nun dulden wir keinerlei Gewaltherrschaft mehr, komme sie, von wem sie wolle. Je eher wir dazu gelangen, unseren Staat auf die feste Rechtsgrundlage des Willens der ganzen Nation zu stellen, um so eher wird die Deutsche Volksrepublik gesund und stark, um so eher kann sie an die Erfüllung ihrer sozialistischen Ziele herangehen. Das siegreiche Proletariat richtet keine neue Klassenherrschaft auf. Es überwindet zunächst politisch, dann wirtschaftlich die alten Klassenscheidungen und stellt die Gleichheit all dessen her, was Menschenantlitz trägt. Das ist der große ideale Gedanke der Demokratie. Wer ihn ganz und restlos in sich aufgenommen hat, kann den dauernden Frieden erringen, kann ein vollgültiges Mitglied der Familie der freien Völker werden. Demokratie und Nationalversammlung, die endgültige Überwindung der Willkürherrschaft, die dauernde Garantie der Selbstregierung des Volkes, das muß in dieser Zeit unsere Hauptsorge sein. Verrichten Sie hier ein großes Werk der Freiheit und der Demokratie, und die Deutsche Volksrepublik wird aller Gefahren Herr werden und einer glücklichen Zukunft entgegengehen.


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