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Für einen Verständigungsfrieden

Aus einer Parteitagsrede. Würzburg 1917.

Genossen, es sind vier Jahre verflossen seit dem letzten Parteitag, Jahre des furchtbarsten Völkerdramas, ein Meer von Blut und Tränen. Um uns her liegen schwarz und schwer die Schatten des Todes. Da gilt es, Genossen, zunächst unsere schmerzliche Pflicht zu erfüllen: Unsäglich groß ist die Zahl der Freunde, die der Krieg aus unseren Reihen riß. Viele gereifte Kämpfer, denen im proletarischen Befreiungskampf der Rauhreif des Lebens das Haar gebleicht, sanken dahin; fremde Erde deckt soviel blühende Jugend, soviel wachsende Kraft, soviel Hoffnungen der Partei. Weit klafft die Lücke in unseren Reihen. Unauslöschlicher Dank ihnen, die unser Wort heute nicht mehr erreicht; das Gelöbnis, in ihrem Sinne weiter zu kämpfen für die Menschlichkeit, für den Frieden, für die edlen Ideale und Ziele des Sozialismus, sei heute erneuert.

Parteigenossen, alle Völker durchzieht heute tiefster leidenschaftlicher Wille zum Frieden. Das Sinnen und Trachten der besten Teile der Völker ist die Frage: Wie kommen wir aus dem grausigen Elend heraus? Wie kommen wir endlich zum baldigen Völkerfrieden? An dieser Tatsache vermögen die Treibereien der Kriegsverlängerer diesseits und jenseits der Schützengräben nichts zu ändern. Freilich, die eine Partei kann die Waffen nicht niederlegen, solange die andere in ungehemmter Eroberungslust weiter stürmt. Selbstverständlich verlangt das auch niemand. Die Sozialdemokratie hat immer erklärt: Solange die Gegner nicht zum Frieden bereit sind, stehen wir zur Verteidigung unseres Landes. Zugleich verlangen wir aber eine klare und verständige Friedensarbeit, eine Friedenspolitik, die frei ist von jeder Zweideutigkeit, die den Völkern der feindlichen Länder die Gewähr gibt, daß ein gerechter Ausgleich möglich ist. Haben die Völker diese Erkenntnis, sind die Völker überzeugt, daß ein gerechter Friede ohne weiteres Blutvergießen möglich ist, dann wird und muß sich der Friedenswille auch bei den Völkern in den feindlichen Ländern durchsetzen. Dagegen wird jedes selbstbewußte Volk mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft bis zum letzten weiterkämpfen, wenn es weiß, daß es auf seine Vergewaltigung und seine Vernichtung abgesehen ist. Unsere Gegner im alldeutschen Lager höhnen: Unsere Friedensarbeit habe bisher nur Mißerfolge gehabt, nicht einmal mit den Sozialisten der kriegführenden Länder hätten wir uns verständigen können. Wenn wir bisher nicht mehr Erfolg aufzuweisen haben, so beweist das nur die ungeheueren Schwierigkeiten der Friedensarbeit. Die öffentliche Meinung der ganzen Welt ist vergiftet; mit Haß, Wahnwitz und Wiedervergeltung ist systematisch die Volksseele erfüllt worden. Dazu hat das Gebaren unserer Alldeutschen im hohen Maße beigetragen. Gerade ihr zügelloses Fordern, ihr skrupelloses Treiben ist es, das draußen im Ausland zur Aufpeitschung des Kriegswillens benutzt wird. So wird im feindlichen und neutralen Ausland eine Weltkarte viel verbreitet, in der die Eroberungspläne unserer Alldeutschen in grellen Farben eingemalt sind, und am Rande dieser Karte befinden sich die Aussprüche unserer Weltverschlucker. Es gibt kein wirksameres Mittel, um den Kriegswillen bei den Völkern in den feindlichen Ländern aufzupeitschen, als dies vielgebrauchte Propagandamittel. Bei unserer Arbeit in Stockholm haben wir die Wirkung dieser Propaganda auf Schritt und Tritt erfahren müssen. Aber dennoch war unsere Friedensarbeit nicht vergebens; mit den Stockholmer Sozialistenkonferenzen ist die Friedensfrage auf die Tagesordnung der Welttribüne gestellt, der Friedensgedanke ist damit in den Mittelpunkt der öffentlichen Erörterungen gerückt worden. Alle Staatsmänner wurden gezwungen, zur Friedensfrage Stellung zu nehmen. Stockholm hat erst die Atmosphäre geschaffen, in der die Friedenskundgebung des Reichstags und die Friedensnote des Papstes möglich waren. Die vielumstrittene Reichstagskundgebung war eine Friedenstat; in der Geschichte dieses grausigen Krieges wird sie immer hervorleuchten. Sie war ein Appell an die Menschlichkeit und die Vernunft. Die Wirkung dieser Reichstagskundgebung auf den Friedenswillen der Volksmassen in den feindlichen Ländern ist unverkennbar; sie hat überall die Friedensströmung, die Friedensbewegung gestärkt. Waren doch die Regierungen aller Ententeländer gezwungen, Gewaltmaßnahmen gegen die lebhaft auftretende Friedensbewegung in ihren Ländern zu ergreifen. Das verzweifelte Mittel der Paßverweigerung spricht doch eine recht deutliche Sprache. Aber mit Gewaltstreichen, und seien sie noch so drakonisch, läßt die Friedensbewegung sich nicht niederhalten. Ihre gewaltigen Antriebe liegen in den Schrecken des Krieges, in den Leiden der arbeitenden Massen, die in allen Ländern gleich furchtbar sind. So schwierig auch die Wiederaufrichtung der proletarischen Internationale ist, das Friedensgeplänkel der Diplomaten stellt die Geduld der Völker doch auf eine zu harte Probe. Deshalb rühren die Völker sich mehr und mehr für einen Frieden der Verständigung, der verankert ist in den Völkern. Die baldige Herbeiführung des Friedens ist für die Arbeiterklasse aller Länder die Lebensfrage, die dringendste Lebensnotwendigkeit. Darin liegt für uns die Gewähr, daß die Verständigung sich trotz aller Widerstände und trotz aller Hemmungen durchsetzen muß, daß schließlich doch das sozialistische Pflichtbewußtsein triumphiert über Haß und Verblendung.

Genossen, so wenig wir uns diese Hoffnung entreißen lassen durch die erst kürzlich wieder neu proklamierten Eroberungsziele der Entente, so wenig werden wir uns abhalten lassen, die Treibereien unserer heimischen Eroberungspolitiker zu brandmarken. In welchem Gewande die Eroberungspolitiker auch erscheinen mögen, ob als Alldeutsche, als unabhängiger Ausschuß oder als Vaterlandspartei, in allen Fällen handelt es sich um ein frivoles Spiel mit den Interessen unseres Landes. Der Friede ohne Eroberung lohne die Opfer nicht, die Blutopfer dürften nicht umsonst gebracht sein, so hält man uns entgegen. Mit diesem Argument wird der Krieg, dieses entsetzlichste Völkerschicksal, in echt kapitalistischer Auffassung einer Geschäftsaktion gleichgestellt, die etwas bringen muß. Der große Gesichtspunkt, daß dieser Krieg vor allem die für Deutschland so verhängnisvolle Konstellation der Großmächte beseitigen muß, wenn Deutschland überhaupt wieder lebensfähig werden soll, wird dabei ganz außer acht gelassen und beiseite geschoben. Annexionen und Kontributionen müssen die Weltkoalition gegen uns noch fester zusammenschweißen als früher! Die Hinausschiebung unserer Grenzen soll notwendig sein gegen künftige Angriffe. Gibt es aber einen sichereren, einen besseren Grenzschutz als die Verständigung mit dem Nachbarn? Mit der Politik der gepanzerten Faust hat der Krieg mit seinen grausamen Lehren dauernd und endgültig aufgeräumt. Kein Volk wird nach dem an Opfern und Zerstörungen so grausamen Krieg in der Lage sein, die Lasten der Rüstungen zu tragen, die eine solche Politik erfordern würde. Nur die Sicherung des Friedens durch internationale Rechtsgarantien allein kann den Völkern wieder Lebensmöglichkeit geben. Fälschlich wird der Friede der Verständigung auch als ein Verzicht auf die wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeit Deutschlands dargestellt. Der Verständigungsfrieden ist die Verhandlungsgrundlage, auf die sich jede Partei ohne Demütigung stellen kann, die einen Ausgleich aller Streitfragen und aller Interessen ermöglicht. Nur so wird es möglich sein, die künftige wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands im Einklang mit den Interessen anderer Völker sicherzustellen. Und es ist kein Zweifel, Genossinnen und Genossen, hätte unser Volk heute abzustimmen, ob es einen Verständigungsfrieden will, einen Frieden ohne Eroberungen und Annexionen, einen Frieden, der die Unversehrtheit unseres Landes und seine wirtschaftlichen Lebensinteressen sichert, oder ob es bis zur Niederwerfung der Gegner weitere Hekatomben von Menschenopfern bringen will, kein Zweifel, neun Zehntel unseres ganzen Volkes, in der Heimat sowohl wie an den Fronten, würden dem Verständigungsfrieden zustimmen. Die Sozialdemokratie kann sich deshalb in ihrer Friedensarbeit mit Recht auf die große Mehrheit unseres Volkes in der Heimat und an den Fronten stützen, und sie wird so wie bisher auch künftig ihre ganze Kraft einsetzen in der Bekämpfung aller Eroberungs- und Vergewaltigungspläne, sie wird eintreten für einen Frieden des Rechts, für den Frieden der Verständigung.

Unsere politischen Verhältnisse im Innern sind durch die letzten Reichstagsverhandlungen grell beleuchtet worden. Ist dabei auf außerpolitischem Gebiete Schaden entstanden, so trägt die Verantwortung allein die Reichsleitung. Hätte sie den dringenden Beschwerden über politische Mißbräuche im Heere, hätte sie dem dringenden Rat wegen der tief bedauerlichen Vorgänge in der Marine Rechnung getragen, und hätte sie selbst nicht in letzter Stunde vollkommen versagt, dann wäre unser Land vor diesem Schaden bewahrt geblieben. Aber der Mann, der das stolze Wort aussprach, ich lasse mir die Führung nicht aus der Hand nehmen, ist kein Führer! Ungeschick führte ihn von einer peinlichen Situation in die andere. Der einzige Erfolg seiner dreimonatigen Probezeit ist ein großer Haufen Scherben. Wie die Sozialdemokratie zu der Regierung der Herren Michaelis, Helfferich und Capelle steht, das hat sie im Reichstag mit ziemlicher Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht. Wir legen Wert darauf, auch hier zu sagen: Bei dieser Absage bleibt es, die Verhandlungen dieses Parteitages werden dazu beitragen, diese Absage noch kräftiger zu unterstreichen. Das Kapitel Michaelis ist der Zusammenbruch des bisherigen Regierungssystems. Die Vorgänge haben zwingend dargetan, daß die Demokratisierung des Reiches unaufschiebbar, daß sie eine gebieterische Notwendigkeit geworden ist. In dieser furchtbaren Zeit können die Reichsgeschäfte nicht Männern in die Hände gegeben werden, auf deren Wahl das Parlament keinerlei Einfluß hat, während geheime Kräfte, Zufälligkeiten, ja sogar Mißverständnisse dabei entscheidend sind. Wir brauchen eine Reichsleitung, die getragen ist vom Vertrauen des Parlaments, die entschlossen ist, eine Politik im Sinne des Volkswillens zu führen, eine Reichsleitung, die den Mut und die Kraft hat, den Sonderinteressen einer dünnen Oberschicht den Willen unseres Volksganzen entgegenzusetzen. Die Situation erfordert eine Reichsleitung, die tatsächlich führt, eine Reichsleitung, die mit fester Hand die Grenze zieht zwischen politischen und militärischen Aufgaben. Der Militarisierung unserer Politik muß der schärfste und rücksichtsloseste Widerstand entgegengesetzt werden! Vor allem muß aufgeräumt werden mit dem Belagerungszustand, diese politische Zwangsjacke ist unerträglich geworden, wir müssen aus ihr heraus so schnell wie möglich. Das Wort »Freie Bahn für den Tüchtigen« hat nie mehr Geltung und kann nie mehr Bedeutung haben, als in dieser furchtbaren Situation. Jetzt muß diesem Worte Geltung verschafft, jetzt muß es zur Tat werden.

Das Dreiklassenwahlsystem in Preußen muß schnellstens und restlos beseitigt werden. Es wird beseitigt werden, denn wir werden nicht dulden, daß es bestehen bleibt! Ein Verschleppungsversuch würde die schwersten Kämpfe heraufbeschwören, würde zum Verhängnis für unser Land werden. In dem freien Preußen, in dem Preußen des freien Wahlrechts, ist kein Raum mehr für die Raritätenkammer des Herrenhauses. Benutzt die Reichsleitung oder die preußische Regierung diesen vormärzlichen Prellbock gegen das Parlament des gleichen Wahlrechts, dann wird sich ein Unwille in unserem Volke erheben, der damit sehr schnell aufräumt.

All das sind Aufgaben von größter Bedeutung, die uns in ernster Arbeit die nächsten Tage beschäftigen werden. Es gilt, Rückschau zu halten auch auf die Kämpfe im Innern der Partei, auf den Bruch der Parteieinheit, den wir alle schmerzlich empfinden. Mit verdoppelter Kraft wollen wir an die Arbeit gehen, den Blick aufwärts und vorwärts gerichtet auf die gewaltigen proletarischen Aufgaben der Zukunft. Hunderttausende von Parteigenossen, die draußen im entsetzlichen blutigen Kampfe stehen, setzen die größten Erwartungen in den Parteitag, Ihnen allen im Felde, auf See und in den Garnisonen gilt unser erster Gruß! Mit heißem Dank und herzlichen Wünschen gedenken wir ihrer. Förderung der Friedensarbeit, dem Völkermorden nachdrücklichst das Friedensverlangen entgegenzusetzen, das ist unsere erste und größte Pflicht. Dessen können unsere Feldgrauen sicher sein. Für die großen entscheidenden Kämpfe der Zukunft wollen wir der Partei das Rüstzeug schaffen. Wir wollen unser ganzes Können einsetzen für die Stärkung der Partei nach innen und außen, zur Festigung und Stählung ihrer Organisation. Kommt dann die Stunde, in der das Schicksal unseres Volkes neu geschmiedet wird, dann wird am Amboß der Zeit die Sozialdemokratie ihren Mann stellen.


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