Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1917.

Eberts Rechenschaft über sein Verhalten im Kriege

Aus einer Parteitagsrede. Würzburg 1917

Der Krieg hat die Partei vor eine unerhört schwierige Situation gestellt. Wie immer die Partei diese Aufgabe auch lösen mochte, mit starken Rückwirkungen auf das innere Parteileben mußte auf alle Fälle gerechnet werden. Hat die Partei doch fast bei jeder neuen politischen Situation innere Schwierigkeiten durchkämpfen müssen! Das ist in der Natur der Partei und in ihrem Entwicklungsgang begründet. Mit dem Erstarken der Partei wuchsen ihre Pflichten und Aufgaben. Sprunghaft stieg die Zahl unserer Vertreter in den Parlamenten und den Gemeinden. Die gleichzeitige gewaltige Entwicklung unseres Wirtschaftslebens und seine Verschiebungen griffen tief ein in die Interessen der Arbeiter. Neue Aufgaben des Staates auf wirtschaftlichem Gebiete entstanden, neue politische Forderungen mußten geltend gemacht werden. Alles Aufgaben höchst positiver Natur, die an unsere Vertreter in den Parlamenten und in den Gemeinden große Anforderungen stellten. Der rasche Vormarsch unserer Partei konnte sich nur durchsetzen, wenn bei dieser Tätigkeit positive Erfolge erzielt wurden. Das gebot auch das Interesse der Arbeiterklasse! Neben dem Einfluß auf die Gesetzgebung mußte Einfluß auf die staatliche Verwaltung errungen werden; wir mußten uns im Staat Raum schaffen gegenüber den alles beherrschenden kapitalistischen Kreisen. Alle taktischen Möglichkeiten, soweit sie mit dem Interesse der Arbeiterklasse vereinbar sind, mußten dabei zusammengefaßt werden. Vor allem wurde ein möglichst enges Zusammenwirken zwischen Partei und Gewerkschaften notwendig; nicht damit einer den andern beherrsche, wie vielfach behauptet wurde, sondern zum einheitlichen kraftvollen Vorgehen. Nur auf diesem Wege ist es möglich, den Hebel der Staatsmaschine den kapitalistischen Händen zu entreißen und den großen proletarischen Aufgaben dienstbar zu machen. Hier aber lagen die Hauptwurzeln unserer inneren Meinungsdifferenzen. Unsere Stellung zum Staat war meist der Ausgangspunkt unserer Meinungskämpfe.

So heftig aber auch dieser Streit ausgefochten wurde – hielten wir in ruhigen Stunden Rückschau, dann hatten wir doch oft den Eindruck, daß etwas weniger Leidenschaft und Erbitterung dabei besser gewesen wäre. Gingen doch die wirtschaftlichen und politischen Ereignisse oft ganz andere Wege, als sie die Parteitheorie vorgesehen hatte. Das haben wir aus den Erfahrungen des Krieges auf mehr als einem Gebiete lernen müssen. In der Partei gab es aber eine Gruppe, die auch dann, wenn der Gang der Ereignisse ihr unrecht gab, sich nur widerwillig dem Gesamtwillen der Partei einfügte. Alle Auseinandersetzungen in der Partei, mochte die Parteikonstellation dabei noch so verschieden sein, stigmatisierte sie nach der Formel: Radikalismus und Revisionismus. Jede Differenz mit der Meinung dieser Gruppe ist den Parteigenossen als sträfliche Abirrung vom allein richtigen Wege denunziert worden. Kein im Vordergrund stehender Genosse, selbst der erste Theoretiker der Partei nicht, blieb von diesen Vorwürfen verschont. Nach derselben Methode verfuhr man beim Streit über die Stellung der Partei zum Kriege. Die alte Formel wurde zum Motto; die Schlagworte; »Verrat der Grundsätze«, »Verrat der Internationale«, »Verkauf der Partei« bildeten das Leitmotiv. Ein flüchtiger Blick auf die Parteigeschichte zeigt indessen, wie diese Vorwürfe gerade auf diesem Gebiet absurd sind. Unter den Männern, die heute ganz allgemein als die Meister des Sozialismus anerkannt werden, hat es bei jedem Kriege Differenzen über die Stellung der Partei gegeben, Differenzen, die ihrer Natur nach mit den unseren sehr verwandt sind. Ich will nicht zurückgreifen auf den sehr heftigen Streit, den beim Krimkriege Marx und Engels mit Lassalle führten, oder auf den Streit von 1866, den Bebel und Liebknecht mit den Lassalleanern ausfochten. Nur auf das Jahr 1870 will ich kurz verweisen. Bebel und Liebknecht waren bekanntlich damals durchaus nicht einer Meinung. Anderer Ansicht wieder war der Parteivorstand der Eisenacher, der für Bewilligung der Kriegskredite eintrat. In seinem Manifest vom 30. Juli 1870 sagt er u. a. folgendes: »Solange ein böser Geist die Soldaten Frankreichs an Napoleons Fersen heftet, und unsere deutschen Marken mit Krieg und Verwüstung bedroht, werden wir mit aller Entschiedenheit die Unantastbarkeit des deutschen Bodens gegen napoleonische und jede andere Willkür verteidigen helfen.« Ähnlicher Meinung waren damals Marx und Engels. – Oder nehmen wir, um die Stellung der Partei zum Kriege zu beleuchten, ein Beispiel aus neuerer Zeit. Beim Russisch-Japanischen Krieg im Jahre 1904 hatte die japanische Sozialdemokratie in prinzipieller Verwerfung des Krieges sich gegen ihre Regierung erklärt. Kautsky aber war anderer Meinung. Er schrieb später in der »Neuen Zeit«: »Wäre die Partei in Japan nicht klein und ohne Einfluß gewesen, dann hätte diese Haltung nicht Stellung für den Frieden, sondern für den Zaren bedeutet.« Also auch Kautsky betrachtet die Ablehnung der Kriegskredite nicht als eine nach unseren Grundsätzen gebotene Haltung. In der Broschüre »Die Internationale und der Krieg«, die im Dezember 1914 von Kautsky herausgegeben wurde, beschäftigte er sich sehr eingehend mit der prinzipiellen Stellung der Partei zum Kriege. Dabei kommt er zu folgendem Schluß: »So gibt es kaum einen Krieg, der nicht Sozialdemokraten zur oft leidenschaftlichen Parteinahme für den einen oder anderen Teil der Kämpfenden herausforderte und der nicht dabei zu erheblichen Differenzen zwischen ihnen führte. Niemand aber wäre es eingefallen, in dieser Parteinahme eine Verletzung der Gebote der internationalen Solidarität oder eine Gutheißung des Krieges zu erblicken.« Und an anderer Stelle wird Kautsky noch deutlicher. Er sagt: »Im Frieden ist die natürliche Stellung der Sozialdemokratie als Vertreterin der untersten Schicht des Volkes die der Opposition gegen jegliche Regierung – solange bis sie Kraft gewonnen hat, selbst die Regierung zu übernehmen. Im Kriege ist sie in die unangenehme Situation versetzt, auf jeden Fall, sobald sie für einen der kriegführenden Staaten Partei nimmt, auf die Seite einer Regierung zu treten. Ist diese Regierung die eigene, dann heißt es, ihr die Mittel zur Kriegführung bewilligen. Derselben Regierung, der man im Frieden jeden Mann und jeden Groschen verweigert.« Also es ist kein Zweifel, daß es sich nach Kautsky bei der Kreditbewilligung lediglich um eine Frage der Abwägung tatsächlicher Verhältnisse, um eine Frage der Taktik und nicht um eine Frage der Prinzipien handelt. Schon deshalb sind die Behauptungen vom Verrat der Parteigrundsätze leeres Geschwätz. Sie sind aber auch unehrlich, denn dieselben Leute, die diese Vorwürfe täglich gegen uns erheben, erblicken heute in Kautsky ihren geistigen Bannerträger und müssen schon deshalb von der Unnahbarkeit ihrer Behauptung selbst überzeugt sein.

Diese giftige, haßerfüllte Kampfmethode ist es, die systematisch den Keil in die Parteieinheit hineintrieb. Ungeachtet unserer nachdrücklichsten Mahnungen, den Streit innerhalb der Organisation und in parteigenössischem Geist auszutragen, ist er mit den verwerflichsten Mitteln geführt worden. Schon im Januar 1915 haben wir im Parteiausschuß eindringlichst geltend gemacht, die großen Aufgaben der Partei während und nach dem Kriege erforderten unter allen Umständen die ungeschwächte Kampfeskraft der Partei. Die Mahnung war vergeblich. Während die Parteileitung mit dem Parteiausschuß, mit der Reichstagsfraktion, mit den Redakteuren der Partei, mit der Kontrollkommission über die erste Aktion der Partei für den Frieden verhandelte, wurde in anonymen Flugschriften die Partei und ihre Arbeit heruntergerissen. Als die Partei sich anschickte, die von allen Parteikörperschaften einmütig und freudig begrüßte Aktion ins Werk zu setzen, richtete der damalige Vorsitzende der Partei hinter dem Rücken der Parteileitung sein »Gebot der Stunde« an die Partei. Ein Pronunziamiento, das nur bezwecken konnte, den Streit von neuem anzufachen, die Parteiaktion zu diskreditieren. Schon damals stand der Parteivorsitzende zur Geheimorganisation der Opposition in engerer Fühlung als zur Parteileitung, Sein Vorgehen war der erste Schlag gegen die Parteieinheit.

Im Winter 1915 bei Wiederaufnahme der Reichstagsarbeiten wurde der zweite Schlag vorbereitet, Minderheitsblätter traten offen für die Spaltung der Reichstagsfraktion ein. Die »Neue Zeit«, die während des Krieges auf den Gebieten ihrer eigentlichen Aufgabe vielfach versagte, hat um so mehr den Parteistreit geschürt. Kautsky, der nach Kriegsausbruch schrieb: »Disziplin ist im Kriege nicht nur für die Armee, sondern auch für die Partei erstes Erfordernis«, brachte die Fraktionsspaltung theoretisch ins reine. Von der Parteileitung geschah damals das Erdenklichste, um die uns schon frühzeitig bekanntgewordene Sprengungsaktion zu vereiteln. Im August 1915 haben Parteivorstand, Parteiausschuß und Reichstagsfraktion in gemeinsamer dreitätiger Beratung die Stellung der Partei zu den Friedenszielen festgelegt. Der Minderheit war damals das Korreferat eingeräumt. In gemeinsamer weiterer Konferenz unter Hinzuziehung von Vertretern aller Landtagsfraktionen ist die Stellung der Partei zur Steuerfrage vorbereitet worden. Ein Ausschuß hat der Fraktion bei ihrem Zusammentreten einen sorgfältig ausgearbeiteten schriftlichen Bericht vorgelegt. Er hat auch Vorschläge unterbreitet, die schließlich gegen eine Stimme in der Reichstagsfraktion Annahme gefunden haben. Das waren die wichtigsten Fragen, die die Fraktion in jenem Winter beschäftigten. Niemals, solange die Reichstagsfraktion besteht, ist ihre Arbeit so sorgfältig vorbereitet worden wie damals. Das schloß trotzdem nicht aus, daß zunächst im Dezember 1915 die Sondererklärung durch Geyer und Genossen im Reichstag gegen die Fraktion abgegeben wurde. Die Fraktion beschränkte sich damals auf einen scharfen Tadel, trotzdem die Erklärung der Opposition ein offenbarer Bruch mit allen Gepflogenheiten und Traditionen der Fraktion war. Gleichwohl hat im März 1916 ein Teil der Minderheit unter schroffster Provokation die Fraktionsspaltung erzwungen. Sie ist unter Schweigegebot vorbereitet. In offener Sitzung ist die Reichstagsfraktion damit überrumpelt worden. Selbst der äußerst radikale »Braunschweiger Volksfreund« schrieb damals: »Das Vorgehen ohne Benachrichtigung der Mehrheit war tatsächlich schon die Aufhebung der Fraktionsgemeinschaft. Hätten die Achtzehn mit der nötigen Unzweideutigkeit und Entschlossenheit operiert, so stünden sie formal und persönlich besser da …«

Die nachträgliche Behauptung, die Minderheit sei in der Fraktion mundtot gemacht worden, ist sofort an der Hand von Tatsachen abgetan worden. Allerdings, das Verlangen der Minderheit, im Reichstag gegen die Fraktion und ihre Beschlüsse Stellung zu nehmen, dort den der Fraktion entgegengesetzten Standpunkt zu vertreten, haben wir abgelehnt. Das war nichts Neues, das war bis dahin in der ganzen Partei und in allen parlamentarischen Körperschaften selbstverständlich. Die Reichstagsfraktion ist bei diesem Vorgehen lediglich einem Beschluß gefolgt, der noch von August Bebel formuliert worden ist. Für dieses Verlangen ist übrigens ein ähnlicher Vorgang, der sich in der Schweiz abgespielt hat, recht charakteristisch. Neun Nationalratsmitglieder haben in einer Erklärung gegen die von der Partei beschlossene prinzipielle Ablehnung der Militärkredite Stellung genommen. Der Schweizer Parteivorstand, der auf Zimmerwalder Boden steht, hat darauf geschlossenes Auftreten der Fraktion im Nationalrat unter allen Umständen verlangt. Die gewiß sehr linksstehende »Berner Tagwacht« schrieb damals in ihrem Kommentar dazu: »Die Neun fordern von der Partei das Recht und die Ermächtigung, im Parlament vor den bürgerlichen Gegnern, vor dem gemeinsamen Feind, gegen die Partei, gegen ihre Absicht und ihren Willen kämpfen zu dürfen. Da kann die Partei, will sie sich nicht lächerlich machen, nicht mit und keinerlei Konzession gewähren. Es steht der unterlegenen Minderheit jederzeit frei, innerhalb der Partei für ihre Auffassung zu werben und zu wirken. Hier haben sie die volle und uneingeschränkte Redefreiheit. Vor dem Feind aber, dort, wo es gilt, in geschlossener Kampffront aufzurücken, um ihn zu bekämpfen, muß sich jeder einzelne den von der Partei gefaßten Beschlüssen fügen und auf persönliche Liebhaberei und Eigenbrötelei verzichten.« Das ist die gleiche Auffassung, die wir vertreten haben. Ohne Disziplin geht es also auch in Zimmerwald nicht.

Die Fraktionsspaltung mußte auf die Parteiorganisation verhängnisvoll wirken. Man kann den Genossen in den Organisationen nicht Disziplin zur Pflicht machen, während Reichstagsabgeordnete darauf pfeifen. Die Parteileitung hat aber auch hier ihr Äußerstes getan, um die Einheit der Parteiorganisation zu erhalten. Die einzige Möglichkeit, die dabei Erfolg versprach, war die Anrufung des Parteitages. Das war auch der durch das Parteistatut gegebene Weg. Kaum aber war diese Absicht laut geworden, begann der Sturmlauf gegen diesen angeblichen Gewaltakt. Natürlich sind wir von der Voraussetzung ausgegangen, daß ein Parteitag nur dann berufen werden soll, wenn völlig freie Aussprache garantiert werden kann. Trotz vieler Mühe war das leider nicht zu ermöglichen. Es war vielmehr, wie ich heute ganz offen aussprechen will, mit einem Verbot des Parteitags zu rechnen! Deshalb mußte die Parteileitung von der Beschreitung dieses Weges damals Abstand nehmen. Der Ausweg war die Reichskonferenz. Auch ihr war völlig freie Aussprache gesichert; trotzdem ist auch sie in Grund und Boden verdammt worden. Die Einwendungen gegen ihre Zusammensetzung waren elendes Versteckenspiel. Es ist auf der Konferenz zahlenmäßig festgestellt worden, daß ihre Zusammensetzung völlig einwandfrei ist. Die Änderungen, die an dem Vertretungsmodus vorgenommen wurden, konnten eher zuungunsten der kleinen Organisationen als der großen ausgelegt werden. Das war also ein fadenscheiniger Vorwand, der allzu durchsichtig war. In Wirklichkeit hat die Arbeitsgemeinschaft jeden Versuch, den Konflikt auf ordentlichem Parteiwege auszutragen, heftig bekämpft; jeder Verständigungsversuch wurde zum Verbrechen gestempelt.

Das hat auch Genosse Adolf Braun in Nürnberg erfahren müssen, der damals, gewiß in bester Absicht, einen Verständigungsversuch unternommen hat. Mit einer Anzahl Genossen aus beiden Lagern hat er im Juli 1916 zu diesem Zweck eine freie Konferenz berufen. In einem Fraktionsbeschluß hat die Arbeitsgemeinschaft zu dieser Konferenz Stellung genommen. Es heißt da:

»Eine in Nürnberg am 23. Juli zusammengetretene Konferenz von Parteigenossen hat sich mit dem Plan befaßt, die Austragung der bestehenden Parteidifferenzen zu mildern. Da vieldeutige Mitteilungen den Glauben erweckt haben, daß Mitglieder unserer Fraktion an dieser Zusammenkunft beteiligt waren, und da außerdem an einzelne Fraktionsmitglieder die Aufforderung zu einer nachträglichen Zustimmungserklärung eingegangen ist, stellt die Fraktion fest: Kein einziges Mitglied der Fraktion hat an der Konferenz selbst oder an deren Vorbereitungen mitgewirkt. Ferner ist die Fraktion einstimmig der Meinung, daß die erwähnten Bemühungen keine nützliche Wirkung haben können und deshalb die Zustimmung zu den Beschlüssen abzulehnen ist.«

Was hat Braun versucht? Er wollte eine Milderung der Austragung des Parteistreites herbeiführen. Aber schon der Verdacht, daß eines ihrer Mitglieder auch nur zur Milderung der Austragung der Meinungsverschiedenheiten beitragen könnte, hatte die Arbeitsgemeinschaft in Harnisch gebracht. Solche Bemühungen sollten keine nützliche Wirkung haben. Eine nützliche Wirkung versprach man sich aber von der Teilnahme an den Zimmerwalder Konferenzen, die die Parteispaltung geradezu zum Grundsatz erhoben haben. Da gab es keine Kompetenzbedenken, ja die Teilnahme an diesen Zusammenkünften ist sogar als Tat gefeiert worden.

So ist planmäßig auf die Parteispaltung hingearbeitet worden. Die Beitragssperre wurde in Berlin und Leipzig schon Anfang 1916 durchgeführt. Tatsächlich war damit der Bruch mit der Partei vollzogen. Äußerlich vollzog sich die Loslösung auf der Oppositionskonferenz im Januar 1917. Die entscheidenden Schritte dazu wurden von der Arbeitsgemeinschaft gleich nach der Reichskonferenz in die Wege geleitet. Einer ihrer Einberufer hat bereits auf der Reichskonferenz die Trennung angekündigt, indem er erklärte, die Gegensätze seien so groß, daß eine gemeinsame Arbeit nicht mehr möglich sei. Die Spaltung der Parteiorganisation war die logische Folge der Spaltung der Fraktion, es mußte über kurz oder lang zur Organisationsspaltung kommen. Bei ihrer Durchführung befolgte man die alte Methode. Mit einem Täuschungsmanöver wollte man die Parteiorganisationen in den Dienst der Arbeitsgemeinschaft stellen. Man erklärte auf der Oppositionskonferenz die Parteileitung für ehrlos und forderte die auf dem Boden der Opposition stehenden Organisationen auf, sich zu einer besonderen Organisation unter Leitung der Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen. Obwohl die »Leipziger Volkszeitung« diesen Beschluß mit großen Lettern unter dem Titel veröffentlichte: »Die Resolution über die Organisation der Opposition«, bestritt sie, daß es sich um eine Sonderorganisation handele. Sie sagte wohl, das »Tischtuch sei nun radikal zerschnitten«, alles solle sich aber im »Rahmen der Partei« vollziehen. Man glaubte also, eine Organisation in der Organisation, eine Partei in der Partei schaffen zu können. Das hieße das mühsam aufgerichtete Gebäude selbst unterminieren. Das wäre wahnwitzige Selbstzerstörung. Die Parteileitung hat in zwölfter Stunde noch einen Appell an die Partei gerichtet, in dem sie nachdrücklich vor diesem Beginnen warnte und auf seine verhängnisvollen Konsequenzen hinwies. Die Antwort war? Nun erst recht! So nahm das Verhängnis seinen Lauf. Was mit der Fraktionsspaltung begonnen, wurde in Gotha vollendet. Starrsinn und Fanatismus haben sich über die Grundregeln der Demokratie und der proletarischen Aktion hinweggesetzt.

Noch ein Wort zu der angeblichen Gewaltpolitik des Parteivorstandes, mit der man die Organisationssprengung zu bemänteln sucht. Während des ganzen Streites hat die Parteileitung Toleranz bis zur äußersten Grenze geübt. Wir haben niemals das Recht der freien Meinungsäußerung angetastet. Tageszeitungen, die Eigentum der Gesamtpartei sind, konnten ungehindert bis jetzt den Standpunkt der Minderheit vertreten. Das galt auch von der »Neuen Zeit« und der »Gleichheit«. Erst als die Redaktionen zu den Unabhängigen übertraten und unsere Blätter in den Dienst der anderen Partei stellten, haben wir eingegriffen. Wir haben bei der »Neuen Zeit« sogar bis in die letzten Wochen gewartet. Wir haben gewartet, bis der alte Jahrgang abschloß. Man hat uns den Vorwurf gemacht, wir hätten rechtzeitig und energischer zugreifen sollen. Wir waren der Meinung, daß wir nur äußerstenfalls zu dieser Maßnahme greifen durften, erst dann, wenn das Lebensinteresse der Partei es erforderte. Wir sind auch, soweit Organisationen in Betracht kamen, nur eingeschritten, wenn man sie in den Dienst der Parteizerstörung stellte. Wurden die notwendigen Folgerungen auf der anderen Seite nicht gezogen, mußten wir sie ziehen. Das war unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Wir hätten jämmerlich gehandelt, wenn wir das in mühevoller, opferreicher Arbeit geschaffene Rüstzeug der Partei tatenlos der Zerstörung preisgegeben hätten. Hätte die Parteileitung nicht so gehandelt, wir ständen heute vor einem Trümmerhaufen der Partei.

In unserem schriftlichen Bericht haben wir über den Mitgliederstand unserer Partei offen und rückhaltlos Mitteilung gemacht. Unsere Zahlen sind eher zu ungünstig als zu günstig. Nur die Mitglieder, die tatsächlich ihrer Beitragspflicht voll genügen, sind in Rechnung gestellt. Nach den Statuten unserer Organisationen befreit der Heeresdienst von der Beitragspflicht, Deshalb sind alle Mitglieder, die Heeresdienst leisten, außer Betracht geblieben. Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, sie seien aus der Partei ausgeschieden. Viele Tausende im Felde stehender Genossen stehen mit einer bewunderungswürdigen Treue zur Partei und unterhalten vom Felde aus ständig Verbindung mit ihr. In vielen Briefen an die Parteileitung wird das täglich bestätigt. Darunter Kundgebungen ganzer Truppenteile. In unserer Mitgliederberechnung wollten wir aber alles vermeiden, was uns in den Verdacht der Schönfärberei bringen konnte. Deshalb stellten wir uns auf den absolut festen Boden, nur solche Parteigenossen als Mitglieder in Rechnung zu stellen, die ihren Beitrag regelmäßig abführen. Daß der weitaus größte Teil unserer Mitglieder in militärpflichtigem Alter steht, ist eine bekannte Tatsache. Unsere Organisation ist eine Kampforganisation, zu der naturgemäß die Männer im besten Lebensalter das größte Kontingent stellen. Schon im September 1914 ergab eine sorgfältige Umfrage, daß weit über 30 % unserer Mitglieder zum Heere eingezogen waren. Später ließen sich diese Umfragen nicht mehr durchführen. Heute aber sind mindestens 70 % unserer Mitglieder beim Militär. Wir haben Dutzende von Orten, wo unsere sämtlichen Parteimitglieder zum Heere eingezogen sind. Nach unserer Berechnung beträgt der Rückgang an männlichen Mitgliedern seit dem 1. April 1914 rund 80%. So schwer dieser Rückschlag auch ist, er gibt keinen Anlaß zur Beunruhigung und rechtfertigt nicht die Folgerungen, die von Gegnern und Kritikern aus ihm für die Zukunft der Partei gezogen werden.

Gewiß war der Rückgang im letzten Jahre besonders stark. Aber wir hatten im letzten Jahre auch eine besonders starke Einziehung zum Militär. Dazu kommt dann allerdings der Rückgang durch die Absplitterung. Wie steht es nun mit der Absplitterung? Im ganzen sind 57 Wahlkreise und 21 kleine Ortsvereine abgesplittert. Dabei ist aber festgestellt, daß in einer ganzen Anzahl Organisationen trotz des mit Mehrheit beschlossenen Austritts die große Mehrheit der alten Mitglieder unserer Partei treu blieben. Unser Organisationsapparat im ganzen Reiche ist völlig intakt geblieben. An Stelle der ausgetretenen Organisationen sind sofort neue getreten, die sich durchweg gut entwickelt und die abgesprengten Organisationen bereits vielfach überflügelt haben. Die Presse der Lebensmittelwucherer und der schwerindustriellen Kriegsverlängerer jubelt natürlich über den Rückgang unserer Organisation. In das gleiche Horn stoßen die Unabhängigen. Es war ganz selbstverständlich, daß bei der Absplitterung mit einer Schwächung unserer Organisationen gerechnet werden mußte. Darüber konnte vorher niemand im Zweifel sein. Das war ja gerade das Verhängnisvolle dieses Beginnens für die Arbeiterklasse. Alles, was die Unabhängigen bisher geleistet haben, bestand lediglich in der Bekämpfung unserer Partei. Auf politischem Gebiete haben sie jeden Fortschritt bekämpft, jedem Fortschritt in der Friedensbewegung, in der inneren Neuorganisierung des Reichs haben sie Steine in den Weg gelegt. Ihr einziger Erfolg ist die Schwächung der Schlagkraft der Arbeiterklasse. So wie sie in politischer Beziehung mit den Reaktionären vielfach auf einer Linie standen, so jubeln sie jetzt mit ihnen über unseren angeblichen Niedergang in Wirklichkeit über die Lähmung der Kampfkraft der Arbeiterklasse. Diese Tatsache muß für die Arbeiter eine ernste Mahnung sein. Für unsere Organisationen und jedes Parteimitglied kann sie nur ein Ansporn sein, mit doppelter Kraft und Zähigkeit ans Werk zu gehen. Tun alle Organisationen und jeder einzelne Genosse ihr Bestes, dann werden wir diesen Rückschlag bald überwinden, dann werden wir unsere Organisationen stärken zu neuen Fortschritten, zu neuen Erfolgen, trotz alledem.

Das gilt auch für unsere Frauenbewegung. Allerdings ist die Arbeit hier besonders schwierig. Die entsetzliche Kriegswirkung lastet auf der Frau, namentlich auf der Arbeiterfrau außerordentlich hart. Der tägliche Kampf um das bißchen Nahrung, die schwere Erwerbsarbeit, das unsägliche Herzleid unserer Mütter und Frauen drückt seelisch schwer nieder. Da ist es doppelt schwer, Herz und Verstand für unsere politischen Aufgaben, für unsere Ziele, für unsere Kämpfe zu gewinnen. Die Haltung der »Gleichheit« während des Krieges war dazu wenig angetan. Der Rückgang der Zahl unserer weiblichen Mitglieder steht im engsten Zusammenhang mit dem Rückgang der Leser der »Gleichheit«. Eine Änderung zum Besseren ist erst eingetreten mit dem Wechsel in der Redaktion. Seitdem zeigt sich eine erfreuliche Aufwärtsbewegung. Unsere Frauenkonferenz im Juli dieses Jahres war von bestem Geiste beseelt, für die wichtigsten Aufgaben der Frauenbewegung sind in voller Übereinstimmung Richtlinien festgelegt worden, die überall im ganzen Lande bei den Genossinnen freudige Zustimmung fanden. Zur Zeit wird im Lande eine lebhafte Frauenagitation entfaltet, die sicher guten Erfolg bringen wird. Wo bisher schon unsere Parteiorganisationen die Frauenagitation ernstlich betrieben, wo unsere Aufgaben im Kampfe für die politische Gleichstellung der Frauen ins rechte Licht gerückt wurden, wo unsere Genossinnen herangezogen worden sind zu tatkräftiger Mitarbeit an der Verwaltung und Organisation der Partei, da hat sich die Frauenbewegung auch während des Krieges tapfer gehalten. Was in dieser schweren Zeit unsere Frauen in der Kriegswirtschaft, an praktischer Mitarbeit in den Organisationen geleistet haben, das muß dankbar anerkannt werden. Um so mehr ist es Pflicht aller Parteiorganisationen, mit allem Ernst und mit aller Kraft unsere Frauenbewegung zu fördern.

Unsere Jugendbewegung hat unter den Kriegswirkungen ebenso zu leiden wie die allgemeine Arbeiterbewegung. Das ist erklärlich, denn die Jugendbewegung ist der jüngste und schwächste Zweig der Arbeiterbewegung. Die militärischen Einberufungen haben hier die ältesten Jahrgänge der Bewegung völlig entzogen, die naturgemäß die Kerntruppe der Bewegung bildeten. Auch die Leiter der Bewegung, sowohl die von der Partei und den Gewerkschaften bestellten, als auch die aus der Jugendbewegung herausgewachsenen, sind von den militärischen Einziehungen überaus schwer betroffen. Dazu kommt leider, daß auch der Parteistreit in die Jugendbewegung hineingetragen wurde und auch hier zur Spaltung führte. In der Spaltung der Jugendbewegung lassen sich deutlich zwei Phasen unterscheiden. Die erste geht von der Spartakusgruppe aus, die mit denselben skrupellosen Mitteln die Leitung der Jugendorganisationen bekämpft wie die Parteipolitik. Die Sprengungsversuche erreichten im Frühjahr 1916 ihren Höhepunkt. Der Erfolg war äußerst gering. Mit der Jugend selbst hatten diese Versuche nichts zu tun, sie wurden von Leuten unternommen, die der Jugend längst entwachsen waren oder mit der Jugendbewegung vorher überhaupt nicht in Berührung gekommen waren. Die zweite Phase der Spaltung setzte ein, als die Parteispaltung perfekt geworden war. Ohne vorhergegangene Auseinandersetzung, ohne Angabe von Gründen ist sie fast überall offenbar auf Parole von oben durchgeführt. Die Zentralstelle kann jedenfalls für sich in Anspruch nehmen, daß sie nicht den geringsten Anlaß gab, den Parteistreit in die Reihen der Jugendbewegung zu tragen. Sie hatte um so weniger Anlaß dazu, als durch Parteitagsbeschluß, auch durch Beschluß von Gewerkschaftskongressen, das Arbeitsprogramm der Jugendbewegung so gestaltet ist, daß sie mit Tagespolitik und mit Richtungsfragen in der Partei nichts zu tun hat. Die andere Seite hat sich aber auch hier kalten Blutes über diese Beschlüsse hinweggesetzt. Eine Reichskonferenz unserer Bezirksjugendleitungen im Juli dieses Jahres hat sich mit der Situation beschäftigt, wie sie durch die Abtrennung geschaffen ist. In einer Resolution hat sie jede parteipolitische Beeinflussung der Jugendbewegung zurückgewiesen und aufs neue den erzieherischen Charakter unserer Jugendbewegung unterstrichen. Wie im einzelnen die programmatischen und organisatorischen Grundlagen unserer Jugendbewegung künftig zu gestalten sind, hat die Konferenz späteren Beratungen überlassen. Auch der Parteitag wird diese Probleme auf ruhigere, sichere Zeiten zurückstellen müssen. –

Und nun, Genossen, möchte ich mich der politischen Tätigkeit der Parteileitung zuwenden; sie steht in engster Beziehung zu den Arbeiten der Reichstagsfraktion. Den unausgesetzten Kampf gegen den Belagerungszustand, die sogenannte Schutzhaft, die Einschränkung des Vereins- und Versammlungsrechts und die Zensur brauche ich deshalb hier nicht näher zu besprechen. Ebenso wird die Ernährungsfrage am zweckmäßigsten beim Fraktionsbericht besprochen. Aus unseren schriftlichen Berichten ergibt sich, daß wir seit Anbeginn des Krieges gerade auf dem Gebiete der Volksernährung eine unablässige, überaus intensive Tätigkeit entfaltet haben.

Die Wünsche, Anregungen und Beschwerden unserer Feldgrauen haben bei der Parteileitung immer die sorgfältigste Prüfung gefunden. Daraus hat sich erfreulicherweise ein so umfangreicher schriftlicher Verkehr entwickelt, daß Parteileitung und Fraktion dazu übergehen mußten, für seine Erledigung eine besondere Institution zu schaffen. Wir haben unter Leitung des Genossen Stücklen ein Sekretariat eingerichtet, das sich lediglich mit den Wünschen und Anregungen unserer Feldgrauen zu befassen hat.

An erster Stelle unserer politischen Arbeit stand die Friedensarbeit. Sie hat unsere gesamte Tätigkeit beherrscht. Die Überwindung des Krieges durch Wiederbelebung der proletarischen Internationale war das Leitmotiv unseres Handelns. Allen Anfeindungen, die sich von innen und von außen gegen uns richteten, steht unerschütterlich die Tatsache gegenüber: Die deutsche Sozialdemokratie hat als einzige Sektion der Internationale sich seit Beginn des Krieges unablässig für den Zusammentritt der Internationale eingesetzt und war immer zur Verständigung bereit. Allerdings – und das füge ich freudig hinzu – haben wir dabei stets in Gemeinschaft mit unserer österreichischen Bruderpartei gehandelt. Diese Bemühungen bilden von der letzten Sitzung des Internationalen Sozialistischen Bureaus im Juli 1914 bis zu den Konferenzen in Stockholm eine gerade Linie. Wenn diese Tatsache im Ausland nicht genügend bekannt ist, so ist das bei der Diktatur der Zensur begreiflich. Klagt doch auch das holländisch-skandinavische Komitee in seinem letzten Manifest bitter, daß seine Arbeit dadurch sehr erschwert worden sei; seine Erklärungen seien von der Zensur vielfach zurückgehalten, sogar gefälscht worden, heißt es in jenem Manifest. Ich habe gewiß nicht die Absicht, unsere Zensur irgendwie zu beschönigen oder in Schutz zu nehmen, sie haust wüst genug; aber nach unserer Kenntnis der Dinge muß ich sagen, daß sich diese Klage des holländisch-skandinavischen Komitees nur gegen die Zensur der Entente richten kann. Auch unsere Friedensarbeit hat unter ihrem diktatorischen friedensfeindlichen Vorgehen ungemein schwer gelitten. Werden dazu noch aus eigenem Lande falsche Nachrichten über unseren Kampf für den Frieden in die Welt gesetzt, wie das von unseren Kritikern zur Linken geschieht, so wird dem friedensfeindlichen Treiben der Ententezensur geradezu in die Hände gearbeitet. So behaupten die Unabhängigen, es sei falsch, daß unsere Partei seit Kriegsbeginn für den Frieden und gegen Annexionen eingetreten sei, um diese Frage hätte vielmehr bis zum Frühjahr 1916 in der Partei und der Fraktion gekämpft werden müssen. Die Ententepresse hat selbstverständlich diese Behauptung gierig aufgegriffen und weidlich gegen unsere Friedensarbeit ausgeschlachtet. Die Behauptung ist völlig falsch, sie steht mit den Tatsachen in schärfstem Widerspruch. Das ergibt sich aus dem Material, das wir den Delegierten übergeben haben. Einige der entscheidenden Tatsachen muß ich hier kurz hervorheben. Noch kurz vor Kriegsausbruch ist unser Kollege Müller nach Paris geeilt, um eine Verständigung zu versuchen. In der ersten Kriegssitzung des Parteiausschusses, am 27. September 1914, konnten wir mitteilen, daß wir sofort, als die Grenzen unseres Landes wieder geöffnet waren, Vertreter der Partei in das neutrale Ausland geschickt haben mit dem Auftrag, die Verbindung mit der Internationale wieder anzuknüpfen und Klarheit zu schaffen über unsere Friedensbereitschaft. In derselben Sitzung des Parteiausschusses und am nächsten Tage in einer Konferenz der Redakteure der Parteipresse hat die Parteileitung Richtlinien für die Haltung der Parteipresse vorgeschlagen. In diesen Richtlinien wird der Parteipresse zur Pflicht gemacht: »Dem Hurrapatriotismus und chauvinistischen Treibereien entgegenzuwirken und die Annexionsgelüste zu bekämpfen«. Dieser Vorschlag ist von beiden Körperschaften – wie ich noch einmal hervorheben will – bereits am 27. September 1914 einstimmig angenommen worden. In jener Sitzung des Parteiausschusses konnte ich den Bericht des Parteivorstandes schließen mit der Aufforderung: »Wir müssen für einen Frieden wirken, der uns die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht.« Am 5. März 1915 haben Parteiausschuß und Parteivorstand auf Vorschlag der Reichstagsfraktion einstimmig einen Beschluß gefaßt, in dem folgendes ausgeführt wird: »In Übereinstimmung mit dem Bestreben des Parteivorstandes, eine internationale Verständigung über die Friedensaktion herbeizuführen, hält sie es für nötig, daß wir im eigenen Lande so viel wie nur irgend möglich Aufklärung verbreiten über die Notwendigkeit eines Friedens unter den Bedingungen: a) Keine Eroberungen, b) keine Vergewaltigung irgendeines Volkes, c) freier Wettbewerb aller Völker, d) Vereinbarungen über die friedliche Regelung der Streitfragen zwischen den Regierungen, e) planmäßige Einschränkung der Rüstungen. Am 5. März 1915 haben also die entscheidenden Körperschaften der Partei bereits einen Beschluß gefaßt, in dem man sich in aller Form klar und deutlich auf den Boden des Friedens ohne Annexionen stellte. Die Parteileitung hat aber bereits im Oktober 1914 bei Verhandlungen mit Parteifreunden aus Dänemark und Holland diesen Standpunkt vertreten. Ebenso auf unserer ersten Haager Konferenz im März 1915 und in unserer Wiener Erklärung vom 15. April 1915. Den gleichen Standpunkt hat die Reichstagsfraktion im Reichstag bei jeder passenden Gelegenheit vertreten; am 4. August 1914 sowohl wie am 2. Dezember 1914. Auch Haases Rede am 15. März 1915 entsprach durchaus der Fraktionsmeinung, Gerade die Stelle der Rede, die sich mit dem Friedensverlangen befaßt, ist vorher von der Fraktion in ihrem Wortlaut einmütig gebilligt worden. Wenn Scheidemann in seiner Reichstagsrede acht Tage später nicht die Forderung wiederholte, so deshalb, weil er beauftragt war, in dieser Rede nur über die innere Politik zu sprechen. Das hat Scheidemann in seiner Rede auch klipp und klar zum Ausdruck gebracht. Er sagte damals gleich zu Beginn seiner Ausführungen: »Meine Herren, gegen die Gewohnheit des Reichstages werde ich bei der Beratung des Reichskanzleretats Fragen der auswärtigen Politik nicht berühren. Was dazu vom Standpunkt meiner Partei aus zu sagen ist, hat mein Parteifreund Haase am 10. März hier vorgetragen, es ist außerdem in den Erklärungen meiner Fraktion am 4. August und am 2. Dezember niedergelegt worden. Seitdem ist kein Ereignis eingetreten, das uns veranlassen könnte, unsere Haltung zu ändern. Im Gegenteil, Forderungen, wie sie gerade in jüngster Zeit wieder von verschiedenen Stellen erhoben worden sind, weisen wir entschieden zurück; sie können uns in unserer wohlbegründeten Haltung nur bestärken.« Außerdem hatte Scheidemann in Versammlungen, die vorher stattgefunden haben, nachdrücklichst den Frieden ohne Eroberungen verlangt. Es ist also eine grobe Fälschung, wenn man deshalb, weil Scheidemann in seiner damaligen Rede die Forderung im Reichstag nicht noch einmal in aller Form wiederholte, einen Widerspruch zwischen ihm und Haase herleiten wollte. Aber, Genossen, die Fraktion hat sogar bei verschärfter Kriegslage in dem Augenblick, als Italien in den Krieg eingriff, sich nicht abhalten lassen, im Reichstag diesen Standpunkt zu vertreten. Am 29. Mai 1915 habe ich dort mit aller Deutlichkeit und mit allem Nachdruck ausgeführt, daß unsere Partei einen Frieden ohne Eroberungen, ohne Vergewaltigung eines anderen Volkes verlangen müsse und sich dafür mit äußerster Entschiedenheit einsetzen werde. Mit äußerster Schärfe ist Einspruch gegen alle Eroberungsbestrebungen erhoben. Im gleichen Sinne haben sich alle unsere Redner im Reichstag, wo immer sich die Gelegenheit bot, erklärt. Die Behauptung der Unabhängigen, unsere Partei habe sich ursprünglich nicht auf diesen Standpunkt gestellt, diese Auffassung hätte erst erkämpft werden müssen, ist deshalb unwahr und steht mit den Tatsachen im schroffsten Widerspruch.

Mit dieser ehrenwerten Behauptung hat man gegen uns auch in Stockholm operiert. Obgleich von uns – und wir waren ja bekanntlich zuerst in Stockholm gewesen –, wie bei all unseren Auslandsreisen, grundsätzlich unser innerer Streit überhaupt nicht berührt worden ist. Das verbot uns der Ernst und das große Ziel der Stockholmer Arbeiten, denen wir alles andere unterordnen. Den Ruhm, selbst dort, wo um das Schicksal der Völker gerungen wurde, widerlichen Parteizank geboten zu haben, überlassen wir neidlos den anderen.

Wie überaus schwierig die Verständigungsarbeit ist, zeigt die Tätigkeit des holländisch-skandinavischen Komitees, die es nun seit sieben Monaten entfaltet. In zäher Konsequenz müht es sich, eine Konferenz der Sozialisten aller kriegführenden Länder zustande zu bringen. Hoffnungsfreudig hat die Arbeit eingesetzt. Die ganze friedenssehnsüchtige Welt hat nach Stockholm geblickt. Der Sieg der russischen Revolution, den wir als Demokraten aufrichtig begrüßten, gab der Hoffnung starken Antrieb. Nicht den Sonderfrieden erwarteten wir von der russischen Revolution. Wir erhofften von diesem gewaltigen geschichtlichen Ereignis den Weltfrieden. Darin erblickten wir die große historische Mission der russischen Revolution. Den gesicherten und dauernden Frieden erhofften wir, der gleichzeitig der Triumph der Demokratie nicht nur in Rußland, sondern in ganz Europa gewesen wäre. Diesen Standpunkt haben wir auch in den schriftlichen und mündlichen Verhandlungen, die wir mit den Vertretern der russischen Sozialisten geführt haben, mit allem Nachdruck vertreten. Gleichwohl hat Stockholm nicht gehalten, was es versprach. Mag sein, daß die Erwartungen zu hoch gespannt waren. Jedenfalls steht fest, daß die Sozialdemokratie Deutschlands ihre Pflicht voll erfüllt, mit aller Kraft die Arbeiten des holländisch-skandinavischen Komitees gefördert hat. Über die technischen Fragen der allgemeinen Konferenz haben wir uns sehr schnell mit dem Komitee verständigt. Schwierig waren die Verhandlungen über unsere Stellung zur Friedensfrage. Unsere Stellung ist schließlich rückhaltlos und offen in unserem Memorandum dargelegt worden. In diesem konnten wir den Vorschlag der Arbeiter- und Soldatenräte Rußlands auf Frieden ohne Annexion und Kontributionen auf der Grundlage nationaler Selbstbestimmung um so freudiger begrüßen, als er den bisher von uns vertretenen Forderungen entsprach. Am 19. April d.J. hatten Parteiausschuß und Parteivorstand unter Teilnahme von Vertretern der österreichischen und ungarischen Bruderparteien sich in aller Form noch einmal klar und entschieden zu der Formel des russischen Arbeiter- und Soldatenrats bekannt.

Unsere Stellung zur elsaß-lothringischen Frage war gegeben durch die bisherige Haltung der Partei, die sie stets in Übereinstimmung mit der Partei in Elsaß-Lothringen vertreten hat. Auf Antrag aus Elsaß-Lothringen hat unser Parteitag in Jena 1913 zur Berner Konferenz einen Beschluß gefaßt, in dem er erneut die Stellung der Partei zur elsaß-lothringischen Frage festlegte und aussprach:

»Der Parteitag hofft deshalb, daß Regierung, Bundesrat und Reichstag Elsaß-Lothringen endlich die von seiner Bevölkerung verlangte volle republikanische Autonomie und staatsrechtliche Gleichberechtigung mit den übrigen Bundesstaaten gewähren und dadurch die im Interesse des Weltfriedens notwendige Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland erleichtern möge.

Dieser Beschluß ist vom Jenaer Parteitag einstimmig gefaßt worden. Der Beschluß ist den Auffassungen in der französischen Partei vollauf gerecht geworden. Er hat sogar zu einer völligen und formellen Übereinstimmung zwischen der deutschen und der französischen Partei in der elsaß-lothringischen Frage geführt. Kurz vor Kriegsausbruch, im Juli 1914, hat nämlich der allgemeine französische Parteitag den von uns in Jena gefaßten Beschluß zu dem seinigen gemacht! Die französische Partei hat unserem zur elsaß-lothringischen Frage gefaßten Beschluß in aller Form ihre volle Zustimmung gegeben. Die Stellung, die wir in Stockholm zur elsaß-lothringischen Frage einnahmen, deckt sich also völlig mit der damals geschaffenen Übereinstimmung zwischen der deutschen und französischen Partei. Wir können nicht zugeben, daß der damals wohlerwogene Standpunkt heute falsch sein soll. Wir müssen vielmehr diesen Standpunkt auch heute unerschütterlich festhalten. Wir sind sicher, daß dabei die Partei bis auf den letzten Mann hinter uns steht. Selbst dann aber, wenn die französischen Sozialisten heute anderer Meinung geworden sind, so müßten sie sich als Sozialisten doch die Frage vorlegen, ob es sich vom Standpunkt des Sozialismus rechtfertigen läßt, dieser Frage wegen den mörderischen Krieg noch weiter zu führen. Sie laden damit eine Verantwortung auf sich, die sie unseres Erachtens nie und nimmer rechtfertigen können.

In der belgischen Frage haben wir uns für die Wiederherstellung eines unabhängigen Belgiens erklärt. Die gleiche Auffassung haben Parteiausschuß, Reichstagsfraktion und Parteivorstand in ihren Friedensleitsätzen vom 15, August 1915 vertreten. Talmudistische Auslegungen haben allerdings auch hier versucht, die Stellung der Partei in ein falsches Licht zu bringen. Ich kann mich dagegen auf eine entscheidende Tatsache berufen. Schon am 25. Juni 1915 haben Partei- und Fraktionsvorstand der Reichsleitung eine Protestschrift gegen Eroberungsgelüste überreicht, in der es heißt, daß »jeder Versuch, Belgien zu vergewaltigen, in welcher Form es auch immer sei«, von uns auf das entschiedenste bekämpft werden müßte. In Stockholm haben wir uns auch erklärt zur Frage der Wiederherstellung; ein wenig umgrenzter, sehr allgemein gehaltener Begriff, der leicht zu Mißdeutungen und falschen Auffassungen führen kann. Wir haben dazu die Auffassung vertreten, daß eine einseitige Schadenersatzpflicht für die Kriegsschäden auf eine verschleierte Kontribution hinauslaufen müsse. Dagegen soll für die Staaten, die aus eigener Kraft ihr Wirtschaftsleben nicht wieder aufbauen können, internationale finanzielle Hilfe auf Grund gegenseitiger Vereinbarungen geschaffen werden.

Mit großem Nachdruck haben wir in Stockholm die Schaffung neuer internationaler Rechtsgarantien gefordert. Die Fragen der Abrüstung, des Weltschiedsgerichtsverfahrens, der Verkehrsfreiheit, der Sicherung des Welthandels, der Kontrolle der Staatsverträge durch demokratische Volksvertretungen, des Arbeiterschutzes und der Arbeiterversicherung haben wir einzeln behandelt und, gestützt auf Beschlüsse von internationalen Kongressen, bestimmte Vorschläge unterbreitet. Schließlich haben wir bei unseren Verhandlungen in Stockholm uns ohne Vorbehalt zur Teilnahme an der in Aussicht genommenen allgemeinen Sozialistenkonferenz in Stockholm bereit erklärt.

So haben wir zur Förderung der Verständigung auch in Stockholm getan, was wir konnten. Mit dem ganzen Ernst unserer sozialistischen Pflicht taten wir unser Bestes, um dem Menschenmorden Halt gebieten zu können. Herrschte auf allen Seiten das gleiche Pflichtbewußtsein, derselbe entschlossene Wille, dann hätte das Stockholmer Werk gelingen müssen. Dem holländisch-skandinavischen Komitee haben wir von vornherein volles Vertrauen entgegengebracht. Das war durchaus gerechtfertigt. Von seinem aufrichtigen und ernsten Willen haben wir uns in Stockholm persönlich überzeugen können. Wir können auch heute offen und ehrlich zum Ausdruck bringen, daß wir seiner klugen Tatkraft und seiner großen Energie Dank und Anerkennung zollen.

Aber eben so offen muß ich aussprechen, daß nicht bei allen Beteiligten das gleiche Maß von gutem Willen und Ernst vorhanden war. Dabei habe ich die maßgebenden Kreise der Mehrheit der französischen Partei und der englischen Gewerkschaften im Auge. Wohl hat der Nationalrat der französischen Partei am 27. Mai d.J. nach der Rückkehr von Cachin und Moutet aus Rußland die Beteiligung an Stockholm beschlossen. Er hat in seinem Beschluß sich auch für ein gemeinsames Vorgehen für den Frieden im Sinne der russischen Formel ausgesprochen. Aber die Pariser Konferenz vom 11. August 1917, namentlich das Referat Brackes und die Entschließung dieser Konferenz, ließen von Verständigungswillen wenig oder nichts mehr erkennen. Noch bedenklicher war eine Rede Thomas', die er am 12. August 1917 in Champigny hielt, die in der »Humanité« ausführlich veröffentlicht worden ist. Nach Form und Inhalt ließ diese Rede keinen Zweifel, daß die Vertreter der Parteimehrheit in Frankreich nicht zur Verständigung nach Stockholm gehen wollten. Ihr Aktionsplan für Stockholm mußte einem vielmehr die Meinung aufdrängen, daß man so nur verfahren kann, wenn man die Konferenz unmöglich machen will. Jedenfalls war von dem Willen zu positiver Friedensarbeit und zur Verständigung darin kein Hauch zu finden. Über die Verhandlungen und den Beschluß des Parteitages der Franzosen in Bordeaux liegt bis zur Stunde ein zuverlässiger vollständiger Bericht nicht vor, insbesondere nicht über den Beschluß wegen der Beteiligung an der Stockholmer Konferenz. Ich muß es mir deshalb versagen, auf die Stellungnahme des Parteitags von Bordeaux hier näher einzugehen.

Die britische Arbeiterpartei hat nach mehrmaligem Schwanken auf ihrer Konferenz am 20. August 1917 die Teilnahme an der Stockholmer Konferenz beschlossen. Die endgültige Entscheidung hat man aber merkwürdigerweise abhängig gemacht von der Sozialistenkonferenz der alliierten Länder, die am 28. August 1917 in London zusammentrat. Dieser Konferenz hat die Arbeiterpartei Englands ein Memorandum zu den Stockholmer Fragen überreicht, das die russische Formel glatt ablehnt und Friedensziele aufstellt, die sich nur wenig unterschieden von den Eroberungsplänen der Entente. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß diese Eroberungsziele von der französischen Minderheit, von den Russen und den sozialistischen Parteien Englands abgelehnt würden. Trotzdem aber oder vielleicht gerade deshalb beschloß die Konferenz der Alliierten, ehe sie in ihre eigentlichen Beratungen eintrat, daß nur einstimmig gefaßte Beschlüsse Gültigkeit erlangen könnten. Danach war von vornherein mit absoluter Sicherheit anzunehmen, daß diese Konferenz resultatlos verlaufen müsse. Tatsächlich ist es auch so gekommen. Diese Konferenz hat weder Beschlüsse zustande gebracht über die Beteiligung an einer allgemeinen Konferenz in Stockholm, noch eine Verständigung über die Stellung zur Kriegszielfrage. Die Folge davon war, daß die auf den 9. September 1917 anberaumte allgemeine Konferenz in Stockholm erneut, und zwar zum drittenmal, verschoben werden mußte, diesmal sogar auf unbestimmte Zeit.

Über die Vorgänge auf der Konferenz der Alliierten in London hat ein Teilnehmer, der Führer der französischen Minderheit, Jean Longuet, in der französischen Presse nähere Mitteilungen gemacht und unter anderem ausgeführt:

»Die französischen Delegierten erweckten durchaus trotz des formellen Beschlusses ihrer Partei den Eindruck, nur gekommen zu sein, um gegen die Stockholmer Konferenz zu arbeiten, währenddem die überwältigende Mehrheit der Delegierten Mandate für die Beschickung der Konferenz hatten. Das ging soweit, daß Shaw im schärfsten Tone ausrief: »Wann werden die französischen Vertreter mit ihrer Obstruktion aufhören?«

Shaw und andere haben auch vorzeitig die Londoner Konferenz verlassen mit der Erklärung, daß nicht die geringste Aussicht auf eine Einigung bestände. Ist der Bericht von Longuet richtig, und ich habe keinen Anlaß, daran zu zweifeln, dann sprechen diese Tatsachen für sich selbst und dann kann es keinem Zweifel unterliegen, wo die Verantwortung für das Scheitern der Stockholmer Konferenz liegt.

Wir haben uns nie in die inneren Verhältnisse anderer Länder eingemischt, das möchte ich auch heute nicht tun. Aber soviel darf ich doch wohl sagen: In der Bekämpfung der Verweigerung der Pässe hätten wir von den Sozialisten und Gewerkschaften in den Ententeländern doch ein energischeres Auftreten erwarten dürfen. Hätte es unsere Regierung gewagt, einen solchen Angriff gegen unsere Friedensarbeit zu unternehmen, so wäre das für uns die Kraftprobe gewesen, wir hätten es als unsere Ehrenpflicht betrachtet, unsere ganze Kraft und unsere ganze Entschlossenheit einzusetzen, um diesen Angriff auf unsere Friedensarbeit niederzuschlagen.

So wenig aber auch der bisherige Verlauf der Stockholmer Arbeit ermutigt, falsch wäre es deshalb, alle Hoffnung aufzugeben. Über die Friedenssehnsucht der Arbeiter aller Länder kann kein Zweifel bestehen. Das Proletariat leidet am meisten unter dem Kriege. Es kann aber auch – davon bin ich überzeugt – der Welt den Frieden bringen, wenn es sich zum ernsten und entschlossenen Friedenswillen zusammenfindet. Wir haben rückhaltlos ausgesprochen, wie wir uns den Frieden denken. Wo sind die proletarischen Interessen, die nach dieser Stellungnahme noch eine Fortsetzung des Krieges verlangen? Man mag zur Vorgeschichte des Krieges, zur Haltung der einzelnen sozialistischen Parteien in ihren Ländern zum Kriege stehen, wie man will, sollen deshalb die Völker weiter bluten? Sollen deshalb die Arbeiterbataillone hüben und drüben weiter hingemäht werden? Jede sozialistische Partei hat unter dem Zwange des Notstandes und der Pflicht der Selbsterhaltung gehandelt. Das haben wir immer anerkannt. Selbstaufopferung kann die Internationale von der Arbeiterklasse keines Landes verlangen. Hieße das nicht das Leben der eigenen Arbeiterklasse opfern? Die Internationale kennt nur gleiche Pflichten und gleiche Rechte. Die Erkämpfung des Friedens kann deshalb nur das gleichzeitige und gleichmäßige Werk der Sozialisten aller Länder sein! Dazu war die Sozialdemokratie Deutschlands während des ganzen Krieges bereit, unablässig hat sie diesem Ziel zugestrebt. Dazu steht sie auch heute noch. Ihr heißer Wunsch ist, daß die Stunde des Erfolges ihrer Bestrebungen bald kommt.

Zum Schluß noch ein kurzes Wort an unsere Gegner. Sie triumphieren: Die Internationale, die Sozialdemokratie seien bankerott. Ich fürchte nicht um die Zukunft der Internationale und der Sozialdemokratie. Der Krieg hat uns manche grausame Lehre gegeben, wir haben manches zulernen müssen, von unseren Grundsätzen brauchen wir aber nichts preiszugeben. Der Krieg hat furchtbar in das Völkerschicksal hineingegriffen, wer aber glaubt, künftig seine Politik auf den Völkerhaß aufbauen zu können, wird schwere Enttäuschungen erleben. Man frage nur unsere Soldaten an den Fronten, wie sie über den Chauvinismus unserer Philister, Professoren und Kriegsgewinnler denken. Die Hunderttausende Gefangenen, so bitter und dunkel auch ihr Los sein mag, sie werden mit demselben Gedanken in die Heimat zurückkehren wie die Soldaten von der Front. Die Schrecken des Krieges, seine Opfer und Leiden, der Wiederaufbau des Zerstörten werden gewaltige Antriebe zur Politik der Völkerverständigung sein. Und glauben etwa unsere Gegner, das kapitalistische Wirtschaftssystem habe im Kriege moralische Eroberungen gemacht? Die Ausbeutung der Notlage, die zügellose Profitsucht haben in der schwersten Zeit unseres Volkes Triumphe gefeiert! Unsere Gegner mögen auf der Hut sein, daß die sozialistische Flut nicht ihre Dämme durchbricht und über ihnen zusammenschlägt.

Die großen Zukunftsaufgaben werden mit zwingender Logik Einheit und Geschlossenheit der Partei wiederherstellen. Die schweren Kämpfe der Zukunft werden aufräumen mit Eigenbrötelei, mit Lähmung der Schlagkraft der Arbeiterklasse. Eiserne Notwendigkeit wird die Arbeiterklasse sammeln um das Banner der alten Sozialdemokratie, die bleibt, was sie war und ist, die Partei des Klassenkampfes, Ruferin und Führerin im Befreiungskampf der Arbeiterklasse.


 << zurück weiter >>