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Aus einer Reichstagsrede. 22.3.1918.
Über unsere Beurteilung des Ostfriedens haben wir keinen Zweifel gelassen. Wie wir uns endgültig dazu stellen, wird nachher bei der dritten Lesung des russischen Friedensvertrages dargelegt werden. Ich muß aber schon hier entschieden zum Ausdruck bringen, daß die Reichsleitung in bestimmten Erklärungen den Völkern in Polen, Litauen und Kurland das Recht zugesichert hat, die künftige Gestaltung ihres Schicksals selbst zu bestimmen. Die Reichsleitung hat mit diesen Erklärungen sich vor der Welt und der Geschichte verpflichtet. Von der tatsächlichen Durchführung wird es abhängen, wie künftig die Welt die Politik des Reichs beurteilt.
Auch die Mehrheit des Reichstags hat sich für gerechte Ausführung dieser Zusicherungen eingesetzt. Wir müssen deshalb von dem Herrn Reichskanzler auf das bestimmteste erwarten, daß er sich durch keinerlei Widerstände von der Erfüllung dieser übernommenen Pflichten abhalten läßt. Wir erwarten, daß er alles einsetzt, damit den Randvölkern im Osten, und zwar den Völkern in ihrer Gesamtheit, der Aufbau ihres neuen staatlichen Lebens nach ihrer eigenen freien Entschließung gewährleistet wird. Das ist im eigenen Interesse des Reichs unerläßlich; denn nur so wird es möglich sein, mit unseren östlichen Nachbarvölkern in ein freundschaftliches, wirtschaftlich gedeihliches Verhältnis zu kommen, den jetzigen Frieden im Osten in sich selbst zu sichern und damit zu einem dauernden zu machen.
Im Westen sind leider keine Aussichten auf Frieden. Wir haben unser Möglichstes getan, um auch dort weiterem Blutvergießen ein Ende zu bereiten. Neue Friedenshoffnungen ließ die Diskussion zwischen dem Herrn Reichskanzler und dem Präsidenten Wilson aufkommen. Wilson hat in seiner Botschaft vom 11. Februar d.J. dargelegt, auf welcher Grundlage man zu allgemeinen Friedensverhandlungen kommen könne. Der Herr Reichskanzler hat darauf am 25. Februar erklärt, er stimme den vier Leitsätzen Wilsons grundsätzlich bei; auf dieser Grundlage könne der allgemeine Frieden erörtert werden. Weiter hat sich der Herr Reichskanzler bereit erklärt, mit der belgischen Regierung über die belgische Frage in eine unverbindliche Aussprache einzutreten. Diese Erklärungen haben wir als einen ernsten Schritt der Verständigung begrüßt; eine Antwort ist aber weder von Wilson noch von der belgischen Regierung gegeben worden. Dagegen haben die Staatsmänner in England, Frankreich und in Italien keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie nach wie vor an ihrem alten Standpunkt festhalten, wie er in dem Beschluß von Versailles festgelegt ist. In diesem Beschluß wird gesagt: Die einzige unmittelbare Aufgabe der Alliierten bestehe darin, mit äußerster Kraftanstrengung in geschlossenstem wirksamsten Zusammenarbeiten die militärischen Handlungen fortzusetzen, das heißt Fortsetzung des Krieges bis zur Erreichung der sattsam bekannten Kriegsziele der Entente, von denen Lloyd George sagte, die Regierung könne davon nicht im geringsten abgehen. Aus England haben wir kürzlich gehört, daß die von der Regierung geforderten Kriegskredite – und es war die größte Kriegskreditvorlage Englands – im Unterhaus einstimmig bewilligt worden sind, und aus Frankreich, daß die Deputiertenkammer die für die Fortsetzung des Krieges geforderten Gelder mit allen gegen 5 Stimmen votiert hat. So befindet sich unser Land nach dem Westen immer noch in der Verteidigung gegen Feinde, die uns an Zahl überlegen sind und die Lebensinteressen unseres Volkes bedrohen. Wir werden deshalb den geforderten Kriegskrediten zustimmen.
Bei der Bewilligung dieser neuen Kredite müssen wir aber von der Reichsleitung nachdrücklichst fordern, daß der bisherigen Verschwendung von Reichsmitteln bei Beschaffung von Kriegsmaterial endlich Einhalt geboten wird. Die Ausplünderung des Reichs durch Heereslieferanten ist dieser Tage hier gründlich besprochen worden. Die Schuld an diesem unerhörten Skandal liegt nicht nur bei den Militärbehörden, die Verantwortung dafür trägt in vollem Maße die Reichsleitung. Besonders wäre es längst Pflicht der Reichsschatzverwaltung gewesen, hier mit eisernem Besen dazwischen zu fahren. An rechtzeitigen Beschwerden und Mahnungen hat es im Reichstag nicht gefehlt. Haben wir doch schon in den ersten Kriegsmonaten auf diesem Gebiete wahrlich genug bittere Erfahrungen machen müssen. Wir müssen deshalb vom Herrn Reichskanzler fordern, schnellstens eine ausreichende Überwachung der für den Heeresbedarf arbeitenden Betriebe zu schaffen und eine sorgfältige Prüfung der Preise für alle Bedürfnisse des Heeres und der Marine durchzuführen. –
Ein weiterer unerträglicher Zustand, auf den ich hinweisen muß, ist die Handhabung des Belagerungszustandes. Die Übergriffe auf diesem Gebiet sind an der Hand von Material hier und im Hauptausschuß vielfach besprochen, eine wesentliche Besserung ist jedoch nicht eingetreten. Vielfach handelt es sich bei den Einschränkungen der Preßfreiheit und den Beschränkungen des Versammlungsrechts um offenbaren Mißbrauch des Kriegszustandes zu politischen Zwecken. Einige Militärkommandos schalten und walten im politischen und geistigen Leben wie auf dem Kasernenhof. Nur ein Beispiel. Das stellvertretende Generalkommando in Breslau drangsaliert unsere Partei und die Gewerkschaften mit einer wahren Wollust. Es verbietet unserer Partei nicht nur alle öffentlichen Versammlungen, es verhindert auch Mitgliederversammlungen unserer Partei, sogar die Werbung von Mitgliedern ist unserer Partei dort verboten. In ähnlicher Weise wird dort das Versammlungsrecht der Gewerkschaften mißhandelt. Der einzige Erfolg dieser sinnlosen Raserei ist, daß gesunder Sinn und guter Wille der Arbeiter systematisch vernichtet wird. Die Herren von der Militärverwaltung sind hier leicht geneigt, bei angeblichen Übergriffen von Arbeitern mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Die Beschwerden des Generalkommandos in Breslau beschäftigen aber seit Monaten den Haushaltsausschuß des Reichstags, das Plenum des Reichstags und das Kriegsministerium, ohne daß eine wesentliche Besserung der dortigen Verhältnisse eingetreten wäre. Haben denn die Herren vom Kriegsministerium auf das Generalkommando in Breslau keinerlei Einfluß, oder gilt die militärische Disziplin nicht auch für die Herren Kommandierenden Generale? Es ist die höchste Zeit, daß diesem unerhörten Mißbrauch der Militärgewalt endlich durch gesetzliche Maßnahmen ein Riegel vorgeschoben wird.
Unser Volk trägt mit unermüdlicher Ausdauer die Lasten von Opfern und Schicksalen dieses Krieges. Will man diesen gewaltigen Leistungen gerecht werden, dann muß unser Volk nicht nur verschont bleiben von häßlichen politischen Schikanen, dann müssen alle Volksgenossen ungesäumt in den vollen Besitz der gleichen staatsbürgerlichen Rechte gelangen.
Die wirtschaftliche Wirkung des Krieges, die Überführung unserer Volkswirtschaft in die Friedenszeit erfordern durchgreifende sozialpolitische Maßnahmen. Meine Herren, da muß ich auch heute wieder zunächst hinweisen auf die dringliche Besserstellung der Kriegsbeschädigten und ihrer Hinterbliebenen. Im November vorigen Jahres hat hier im Anschluß an Ausführungen, die ich machte, der Herr General Langermann erklärt, eine Novelle zu den Versorgungsgesetzen sei bereits im Kriegsministerium fertiggestellt. Dem Reichstag ist die Novelle indes noch nicht zugegangen. Bei der Notlage in den Kreisen der Kriegsbeschädigten und ihrer Hinterbliebenen muß ich dringend bitten, diese Novelle dem Reichstag bei seinem Wiederzusammentritt vorzulegen.
Auch die schon längst in Aussicht gestellten Entwürfe wegen Schaffung von Arbeitskammern und Aufhebung des § 153 der Reichsgewerbeordnung liegen dem Reichstage immer noch nicht vor. Wir dürfen wohl erwarten, daß beim Wiederzusammentritt des Reichstags die Entwürfe von der Regierung bestimmt vorgelegt werden.
Unerläßlich für den Aufbau der Friedenswirtschaft ist die rechtzeitige reichsgesetzliche Regelung der Arbeitsvermittlung. Hier muß eine über das ganze Reich verzweigte, alle Erwerbsgebiete umfassende zentrale Organisation geschaffen werden, deren Verwaltung auf paritätischer Grundlage aufgebaut ist. Aber selbst dann, meine Herren, wenn wir eine gutorganisierte Arbeitsvermittlung besitzen, wird es nicht möglich sein, allen aus dem Felde heimströmenden Arbeitern und Angestellten Erwerb zu sichern. Unter keinen Umständen dürfen aber unsere heimkehrenden Krieger dem Elend der Arbeitslosigkeit preisgegeben werden. Deshalb müssen wir fordern, daß schon jetzt eine reichsgesetzliche Regelung der Arbeitslosenversicherung in Angriff genommen wird, in dem Sinne, wie es von den gesamten deutschen Gewerkschaften bei der Reichsregierung längst angeregt ist.
Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Wohnungsfrage. Das Reich muß hier grundlegende gesetzliche Maßnahmen ergreifen für eine planmäßige Wohnungsherstellung nach dem Kriege. Die private Bautätigkeit kann den großen Anforderungen nicht gerecht werden. Bundesstaaten und Gemeinden werden hier tatkräftig eingreifen müssen. Ohne erhebliche finanzielle Beihilfe des Reichs werden aber auch sie den großen Aufgaben nicht gerecht werden können. Das Reich muß hier mit Reichsmitteln eingreifen. Meine Herren, das sind eine Reihe wichtiger, durchaus berechtigter und praktisch sehr wohl möglicher Forderungen, deren baldige Durchführung dringend geboten ist. Das fordert der Friede im Innern, das fordert die soziale Pflicht beim Wiederaufbau unserer Volkswirtschaft.
Und schließlich, meine Herren, noch eins. Wir stehen vor einem neuen blutigen Zusammenstoß im Westen, vielleicht dem furchtbarsten des ganzen Krieges, den wir, wie ich schon bemerkte, leider nicht verhindern konnten. Dennoch ist es unseres Erachtens unabweisbare Pflicht der Reichsregierung, sobald sich im Westen Verständigungsmöglichkeiten zeigen, die den Lebensinteressen unseres Landes gerecht werden, alles zu tun, um der gequälten Menschheit endlich den langersehnten allgemeinen Frieden zu geben.