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Die Museumsdirektoren als Sachverständige. – Die Jodocus Vredis-Reliefs. – Das Wappen mit dem menschlichen Fuß u. s. w.
Es war im Jahre 1910. In den Kunstkreisen von Berlin, München, Hamburg, Köln sprach man ununterbrochen, aber unbestimmt von Untersuchungen in »einer« westfälischen Antiquitätenfälscher-Affaire. Was war geschehen? Der Assistent des Landeskonservators von Westfalen und ein kleiner Antiquitätenhändler hatten sich Verfehlungen zuschuldenkommen lassen. Aus den Pfarren des Landes waren Originale verschwunden. Assistent B. hatte den Pfarrern vorgehalten, sie besäßen bloß altes Gerümpel, das hätte doch keinen Zweck, sie sollten dafür lieber »modern-gotische« Chorstühle einstellen. – das würde er schon veranlassen –, und so ließ »man« die Heiligen-Skulpturen fortschleppen, die bombenecht waren, und da und dort schienen die Pfarrer sogar froh zu sein, daß sie auch noch die alten romanischen Kruzifixe loswurden. Als das aber ein öffentlicher Skandal wurde, meldeten sich die Pfarrer nicht. Natürlich nicht. Sie fürchteten den Skandal.
Der Assistent B. steckte mit dem Händler H. unter einer Decke, aber das nützte nichts: das Gericht von Münster klagte sie beide wegen Betruges in zehn Fällen an, den Assistenten noch wegen Unterschlagung von Werken, die er aus dem Bischöflichen Museum entfernt und durch Kopien ersetzt hatte. Daß er Kopien, so verteidigte sich B., hingestellt habe, sei aus Versehen geschehen, und der Händler H. wieder beteuerte immerzu, er hätte seit Jahren in seinem Geschäft ein Schild, auf dem es hieß: »Alle Sachen werden so verkauft, wie sie sind, ohne Garantie der Echtheit.« Darin sah sein Kumpan B. einen ganz besonderen Vorteil. »Bei keinem Antiquitätenhändler der Welt,« rief B. vor Gericht theatralisch aus, »werden Sie ein solches Schild finden!« Und was den Händler sonst anlangt, könnte er, der Assistent des Landeskonservators von Westfalen, nur sagen, daß H. sich mit einem kaum nennenswerten Nutzen begnügt habe. So habe er z. B. dem Bischöflichen Museum eine Büste des Hieronymus Bonaparte angeboten, die direkt aus dem Atelier des Canova gekommen sei. Er habe 1000 Mark gefordert, 750 Mark habe er nur erhalten, und der Nutzen für ihn seien dabei erwiesenermaßen ganze 50 Mark gewesen.
Dieser Prozeß von Münster war sehr amüsant. Wer ihn erlebt hat, konnte sich schon ein Bild von den Machenschaften der Fälscher und ihrer Hintermänner machen. Es war naturgemäß eine Menge von ersten Sachverständigen vor Gericht zitiert worden, unter ihnen die Direktoren der ersten deutschen Kunstgewerbemuseen, wie Brinckmann aus Hamburg, Falke aus Berlin, Stegmann aus München, Brüning aus Hannover, und dazu kam Betzoldt vom Germanischen Museum aus Nürnberg. Jeder von ihnen hatte doch sein Spezialfach, und jedem von ihnen war mancherlei, worüber im Antiquitätenfälscher-Prozeß von Münster verhandelt wurde, als »echt« angeboten worden. Manches davon ist billig erschienen, manches teuer, manches als »echt«, – und es war auch manches echt! –, und manches war eben falsch. Denn für die Herren B. und H. hatten recht tüchtige Handwerker gearbeitet. Da war z. B. die Rede von einem romanischen Leuchter, der im bischöflichen Museum von Münster durch einen falschen ersetzt worden sei. Der Gießer, der den Leuchter kopiert hat, trat als Zeuge auf und erklärte, er sei beauftragt worden, einen Guß zu machen, der sich » mit dem Original nicht genau zu decken« braucht.
Der Assistent erklärte darauf, das wäre garnicht der Leuchter, denn besagter Museumsleuchter sei im Original viel kleiner als die Kopie. Aber da während der Verhandlung über dieses Stück immerfort von einem romanischen Exemplar des Bayerischen Nationalmuseums gesprochen wurde, während der Gießer dabei blieb, er habe den Guß verfertigt, sagte Direktor Stegmann aus München aus, dort hätten sie einen ähnlichen Leuchter überhaupt nicht. Direktor Betzoldt aus Nürnberg wieder wurde nach einer »inkriminierten« Johannes-Schüssel gefragt. Sie war »ganz im Stil der Alten mit Blut bemalt« und kostete – 250 Mk. Und »sogar« die Wurmlöcher waren »nicht echt«. Worauf der Angeklagte B. erwiderte, er hätte das Original der Schüssel in seinem Zimmer gehabt, und seine Frau sei, wie er selbst, von dem »abgeschnittenen Kopf des Johannes« so »begeistert« gewesen, daß er sich eine Kopie davon habe machen lassen. Von einer Fälschung könne doch keine Rede sein, sondern einfach von einer Nachbildung. Und als man schließlich den Händler H. fragte, warum er solche Dinge vertrieben habe, antwortete er: »Ich bin garnicht so schlecht, wie mein Ruf.«
H., der Händler, soll nämlich auch eine »Nachbildung« der » Madonna von Moest« durch einen Wiener Agenten für 2.300 Mark verkauft haben. Der Madonna war von H. das Wort »Kartuse« eingestempelt worden. Das sollte auf das Karthäuserkloster bei Dülmen in Westfalen hinzeigen, das Ende des 15. Jahrhunderts vom Erbmarschall von Cleve und seiner ersten Frau Hildegard gestiftet worden war. Das Ehepaar hatte in seinem Wappen einen menschlichen Fuß. Und von diesem menschlichen Fuß sprach man im Prozeß von Münster mehrere Male.
Jenes Karthäuserkloster hat, – und das wußte man allerorten –, eine Töpferindustrie gehabt, aus der durch den Prior Jodocus Vredis eine Menge von Tonreliefs hervorgegangen sind. Dem Händler H. nun wurde nachgesagt, daß er mit diesen sogenannten Jodocus Vredis-Reliefs Unfug getrieben habe. Sachverständiger Dr. Brinckmann vom Hamburgischen Museum für Kunst und Gewerbe: »Ich habe ein Kabinett der Fälschungen und habe dort die Unechtheit der von H. verkauften Madonnen festgestellt. Auch eine grünglasierte Schüssel, die ich als echt von ihm erworben hatte, stellte sich inzwischen als falsch heraus«. – Angeklagter H.: »Ich habe die Echtheit garnicht garantiert. In meinem Laden steht es extra auf dem Schild.« – Sachverständiger Dir. Brinckmann: »Daß Sie ein derartiges Schild hängen haben, ist höchst überflüssig. Wenn ich etwas für einen bestimmten Preis kaufe, halte ich es für alt. Garantiert wird die Herkunft, aber nicht die Echtheit, die sich dann von selbst versteht.« – Zeuge Kunsthändler Jaques van Dam aus Berlin: »In meinem Geschäft verkaufte H. an einen Herrn eine gelbglasierte Madonna des Frater Georgius aus der Karthause bei Dülmen für 1.500 Mark und sagte ausdrücklich, daß sie echt ist.« – Vorsitzender: »Er hat also nichts davon gesagt, daß er diese Madonnen hier in Münster von einem Töpfermeister nachbilden ließ?« – Van Dam: »Nein, dann hätte sie der betreffende Herr, den ich kenne, nicht gekauft.« – Vorsitzender: »Der Herr wurde also geschädigt?« – Zeuge: »Ja.«
Dem Sachverständigen Direktor von Falke aus Berlin war eine Kundschaftergruppe, die in ihrer Mitte eine Traube trug, für mehrere tausend Mark angeboten worden, die der Händler H. dann, nachdem Berlin abgelehnt hatte, an einen Kölner Händler für 100 Mark verkaufte. Der Kölner gab sie mit einem Nutzen von 50 Mark weiter. Und eine grünglasierte Madonna, die ebenfalls den Stempel »Karthäuser« zeigte, jenes Wappen mit dem menschlichen Fuß, brachte H. auch dem Germanischen Museum in Nürnberg, aber Direktor Betzoldt erklärte sie auf der Stelle für eine Fälschung. Sachverständiger Brinckmann, Hamburg: »Mir war sie vorher um 8 000 Mark angeboten.« – Zeuge Töpfermeister G. hatte an dieser Madonna das Wappen mit dem menschlichen Fuß angebracht. Aber besonders interessant gestaltete sich folgende kleine Episode des Prozesses von Münster.
Zeuge Kunsthändler R. aus Hannover hatte von dem Angeklagten H. ein großes Holzrelief gekauft, das die heiligen drei Könige vorstellte. Vorsitzender: »Das Original dieses Reliefs besitzt die Kirche in Beckum. Es hat einen großen Wert.« H. ließ sich davon durch den Bildhauer H. eine Nachbildung machen, und der Bildhauer benutzte dafür alte Fußbodenbretter. Die Kopie wurde täuschend ähnlich. R. aus Hannover kaufte das Relief für 500 Mark und verkaufte es für 700 Mark. Ein Kommerzienrat gab dafür später 800 Mark. R. aus Hannover: »Ich habe das Relief von H. auf gut Glück gekauft, denn ich hielt es für ein wertvolles Stück. Eine Garantie für die Echtheit gab er mir nicht.« – Vorsitzender: »Sie fühlen sich also nicht betrogen?« – Zeuge: »Nein.« – Vorsitzender: »Aber Sie hätten das Relief wohl nicht gekauft wenn Sie gewußt hätten, daß ein Tischlermeister aus Münster es gearbeitet hat?« – Zeuge: »Natürlich nicht.« – Vorsitzender: »Was mag das echte Relief wert sein?« – Kunsthändler van Dam aus Berlin: »Etwa 3.000 Mark.« – Vorsitzender: »Und unecht?« – Van Dam: »Garnichts.« – Der Bildhauer H. gibt schließlich an, daß ihm der Angeklagte H. ca. 100 Mark für die Nachbildung gezahlt habe.
Ich habe hier aus dem Prozeß von Münster, in dem die beiden Angeklagten zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt worden sind, diese paar Episoden mitgeteilt, weil ich glaube, daß sie Situationen kennzeichnen, wie sie auch heute und überall mehrfach vorkommen. Daß Kunsthändler, die es ernst mit ihrem Beruf meinten, düpiert werden konnten, tut nichts zur Sache; irren ist eben menschlich. Und daß Irren menschlich ist, bewies auch manche Aussage in Münster, der zu entnehmen war, daß selbst Museumsdirektoren von Rang durch die von B. und H. bestellten »Nachbildungen« sich haben verwirren lassen. Gewiß war alles das, was die Antiquitätenfälscher von Münster getan haben, um zu dem Stefan Zweig'schen Begriff der »Verwirrung der Gefühle« beizutragen, bisweilen verblüffend geschickt durchgeführt, so daß selbst Kenner in die Falle gingen. Die »Arbeiter« aber, die B. und H. beschäftigt haben, kannten sich in dem Kopieren der alten Skulpturen und Möbel sicher vortrefflich aus. Sie kannten sich darin aber schon deshalb vortrefflich aus, weil sie vorher wohl öfter Gelegenheit hatten, echte Kunstdinge, in erster Linie Holzskulpturen und Möbel, zu verfälschen. Aus dem Rheinland und aus Westfalen erschienen nämlich schon vor dem Münster-Prozeß Exemplare dieser Art in umgearbeitetem Zustand auf den Märkten von München und Berlin, und die Museumsdirektoren und Sammler hatten öfter Mühe, bei den Holzplastiken, wie bei den Möbeln, die ganz frisch eingesetzten, beziehungsweise eingelegten, doch »auf alt« gebeizten Teile und Teilchen von den richtigen alten Partien zu trennen. Aber das Interessante an Münster war besonders noch, daß dort Plastiken in Ton gezeigt wurden, die man nach echten Holzskulpturen »gebrannt« hatte. Einen ähnlichen Vorgang erlebten wir zwei Jahrzehnte später bei Alceo Dossena, der nach den Bildern des Simone Martini Holzplastiken »hervorzuzaubern« verstand. Aus dem Werk des Simone Martini ist aber nicht eine einzige Holzplastik nachzuweisen!