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XVII.
Röntgenuntersuchung und andere Verfahren

Faber und Chéron. – Bode über die X-Strahlen. – Eine Warnung Martins. – Vervollkommnung des Gemälde-Röntgen-Apparates. – Die Quarzlampe. – Bloßlegung von Pentimenten (Reuezügen) durch Röntgen. – Mikrophotographie. – Mikrochemische Analyse. – Daktyloskopie. – Das Urteil der Kunstkenner.


Die Signatur, die echte Unterschrift des Künstlers, wird nicht allein durch den Kunstforscher, sein Auge, sein Gefühl festgestellt, sondern auch auf dem Wege der Röntgenuntersuchung. Die Röntgen-Untersuchung bedeutet heute unstreitig ein vorzügliches Hilfsmittel für den Kunstkenner, aber selbstverständlich muß man sie, ebensowie die Bilderprüfung durch die Quarzlampe, sehr vorsichtig vornehmen, damit das Kunstwerk nicht verletzt werde. Gerade die letztjährigen Ergebnisse der Röntgenprüfung von Bildern fielen positiv aus. Ich zeige z. B. auf Holbeins »Melanchthon« im Frankfurter Städel hin: dieses Bildnis stellt den Reformator als einen Mann mit sanften, fast lächelnden Zügen vor. Aber die Röntgen-Photographie weist nach, daß der Meister den Kopf nicht so gestaltet hat, wie wir ihn kennen, sondern daß er ihn, offenbar im Auftrag des Besitzers, übermalte, weil ihm sein »Melanchthon« wohl zu trotzig, zu stark, zu verrunzelt schien. Jetzt erst deckte der Röntgenapparat die Tatsache auf, daß der ursprüngliche Entwurf den »Melanchthon« als schlaffes, faltiges Gesicht zeigte.

Noch 1921 hielt ein Phänomen der internationalen Kunstkennerschaft, wie es Wilhelm von Bode war, nichts von der Bilderprüfung durch Röntgen. Damals war es André Chéron, der die schon vor 1914 durch Dr. Faber unternommenen Versuche »die Röntgenstrahlen der Kunstexpertise und Kunstgeschichte dienstbar zu machen« wiederaufnahm und seine Resultate der Akademie der Wissenschaften vorlegte. Chéron wollte mit Hilfe der X-Strahlen das ungefähre Alter eines Bildes bestimmen oder in strittigen Fällen die »Authentizität« entscheiden. Als diese Sitzung in der Pariser Akademie stattfand, schrieb mir Bode, der gerade auf einer Reise war, dieses neue Mittel zur sicheren Bestimmung von Kunstwerken halte er für ein »Gegenstück zu dem berühmten Wünschelring, der den gleichen Zweck erfüllen soll« (siehe: Donath, »Technik des Kunstsammelns«, Berlin, 1925). Bode wurde später anderen Sinnes, wenigstens zum Teil. Er sah nämlich schon, daß die Experimente immerhin einige Erfolge zeitigten, wenn auch nicht auf dem Gebiet der Bildbestimmung, so doch auf dem des Erforschens der Erhaltung der Bilder. Dr. N. Beets in Amsterdam stellte z. B. in jenen Tagen mit Hilfe des Röntgenologen Dr. Heilbornauf einem Gemälde des Cornelis Engelbrechts Übermalungen fest. Das war also doch schon ein Weg, den die Röntgenuntersuchung weiterverfolgen konnte, obgleich ein so bedeutender Kunstkenner wie der Direktor des Mauritshuis im Haag, Prof. Dr. W. Martin, vor falschen Schlüssen aus solchen Röntgenaufnahmen warnte. Man sollte sich, sagte der holländische Kunstforscher, davor hüten, »es sei denn, daß man raffinierter Bilderkenner ist und neben dem Beirat des Röntgenologen auch den eines chemisch unterrichteten Bilderrestaurators heranziehen kann«

Durch die Ergebnisse rein technischer Untersuchungen werden, so meine ich, Kunstkennerschaft und Kunstwissenschaft niemals zu ersetzen sein, aber Kunstkennerschaft und Kunstwissenschaft werden, – und das läßt sich, nach den Studien zu schließen, mit denen man vorwärtsgekommen ist, schon sagen –, künftighin in der Röntgenprüfung der Bilder ein willkommenes Hilfsmittel sehen. Man hat schließlich auch im Verlauf des Berliner van Gogh-Prozesses beobachten können, wie die von Wehlte durchgeführten Röntgenuntersuchungen der echten van Goghs (Abb. 32) den unbeirrten, temperamentvollen, künstlerischen Zug des Meisters, seinen »Ductus«, deutlich festgestellt haben, indessen die Untersuchung der gefälschten van Goghs (Abb. 33) die unsichere, von keinem Temperament stammende Hand des Fälschers verriet. Und man darf auch nicht übersehen, daß seit den Experimenten, die Cellerier im Pariser Louvre oder de Wild im Haag unternommen hatten, die Röntgenapparate sich wesentlich vervollkommnen konnten. So ist schon der Siemens-Gemälde-Röntgen-Apparat von 1931 wesentlich verbessert. Der Apparat erfaßt alles im Bilde, was sich zwischen Röntgenröhre und Film befindet. Transformator und Miniatur-Röntgenröhre sitzen in einem Metallgehäuse. Das Bild, das zu prüfen ist, legt man auf zwei Böcke über den Apparat, man bedeckt es an der Stelle, die untersucht werden soll, mit einem in schwarzes Papier eingewickelten hochempfindlichen Röntgenfilm. Der Film wird belichtet, und die Belichtungszeit wird durch den Zeitschalter entsprechend begrenzt.

Mit der Quarzlampe aber erreicht man andere Resultate. Untrüglich zeigt hier die Oberfläche der restaurierten Bilder die Übermalungen als dunkle Flecken an. Doch während die Quarzlampe bloß die Oberfläche des Bildes bloßlegt, geht der Röntgenapparat dem Bilde buchstäblich auf den Grund. In der Röntgenaufnahme sieht man nämlich alle Risse, alle Sprünge, und man sieht auch die großen und die kleinen Pentimente. Pentimente? Das sind die frühen Entwürfe, die ein Künstler malend niedergeschrieben hat, die er aber später verwarf, d. h. sie korrigierte, indem er die ersten Entwürfe übermalte. Freilich haben schon lange, ehe noch der Röntgenapparat für die Bilderprüfung erfunden war, einige starke Kenner solche Pentimente (Reuezug, französisch: repentir, englisch: repentance) auf verschiedenen Bildern entdeckt. Theodor von Frimmel, der Wiener Privatgelehrte, durch dessen Arbeiten über die Gemäldekunde die gesamte Kunstwissenschaft vorwärtsgekommen ist, fand auf der berühmten »Ansicht von Delft, die der Delfter Vermeer geschaffen hat (Kgl. Gemäldegalerie, Mauritshuis, den Haag) einen unmotivierten Schatten. Die Erklärung: der Meister hatte zuerst eine dunkle Figur hingezeichnet, und dann hat er sie übermalt. Prof. Martin beschäftigte sich später mit dieser interessanten Sache. Doch auch an den Rembrandts, die in der Wiener Galerie hängen, waren Reuezüge zu finden oder an Raffaels »Madonna Tempi« in München usw. Ich sah erst im September 1937 den Leiter der Galerie der Akademie der Künste in Wien und des »Instituts für Konservierung und Technologie« Prof. Dr. Robert Eigenberger an der Arbeit und konnte beobachten, wie schon bei dem ersten Versuch seines unvergleichlichen Regenerierungsverfahrens auf dem Bild eines erstrangigen Meisters verschiedentliche Pentimente sichtbar wurden.

In den letzten Jahren, da Kurt Wehlte für das Fogg Art-Museum der Harvard-University in Cambridge (USA) methodische Gemäldeuntersuchungen in den deutschen Museen durchführte, konnte durch seine Röntgen-Aufnahmen eine stattliche Reihe sehr merkwürdiger Pentimente bloßgelegt werden. Rembrandts »Selbstbildnis« von 1654 (Gemäldegalerie, Kassel) beweist durch die Röntgenaufnahme, daß unter ihm ein weiblicher Kopf mit Haube und Kragen steckt, und daß der Meister die Lichtpartien sowie ein Auge dieses ersten Bildes für das darauf gemalte Selbstbildnis benützt hat. Unter dem »Titus« Rembrandts im Pariser Louvre deckts der Röntgenapparat des von Jacques Dupont geleiteten Louvre-Laboratoriums eine sitzende Frau auf, die ihr Kind im Schoße hält. Auch bei dem Porträt eines vornehmen Mannes von Tintoretto (Kassel) ergab das Röntgenbild, daß eine Leinwand bemalt worden war, die schon eine Frauenfigur trug, und daß Tintoretto einzelne Striche der Frauenfigur für den langen Hals verwendet hat, den das zweite, das männliche Modell besitzt. Der Röntgenapparat geht also in die Tiefe und findet Dinge auf, die mit dem Auge nicht immer sichtbar sind. Aber die Röntgenaufnahme läßt in zahlreichen Fällen auch die Malweise des Künstlers erkennen. Hierfür ist eins der interessantesten Beispiele das Röntgenbild des Kasseler Bildnisses eines jungen Mannes von Rubens. Vom hellgetönten Gipsgrund hebt sich die Untermalung klar ab. Man kann in der Röntgenaufnahme die durch Bleiweiß geschaffene Modellierung der Lichtpartien studieren.

Diese Ergebnisse der Bilderprüfung durch Röntgen sind begreiflicherweise nicht bloß für den Kunstforscher von Wert, der »Echt« von »Falsch« zu unterscheiden hat und dem Studium der Echt-Elemente eines Werkes nachgeht, sondern auch für den Künstler. Beide lernen das Temperament kennen, das den Pinsel des Malers geführt hatte. Amerika ist sicher im Recht, daß es in Cambridge ein großes Archiv von Röntgenaufnahmen der Bilder anlegt, aus dem einfachen Grunde, weil die Röntgenuntersuchung der Bilder ein Hilfsmittel für die praktische Museumswissenschaft ist. Man soll es zwar nicht überschätzen, aber auch nicht unterschätzen. Für jeden Fall haben die Ergebnisse der Röntgenbilderforschung die jahrzehntelangen Erfahrungen der Forscher erweitert, gleichwie dies von dem Verfahren der Mikrophotographie zu sagen ist, die ein anderes, überaus wichtiges Hilfsmittel zur Aufdeckung der Kunstfälschung und somit auch zur »Beförderung« der Kunstwissenschaft vorstellt. Indem der Techniker unzweifelhafte Bilder eines Künstlers neben zweifelhaften von angeblich derselben Hand mit sechsfacher Vergrößerung aufnimmt, können Pinselführung und Farbenauftrag genau geprüft und verglichen werden. Im Louvre-Laboratorium in Paris werden photographische Aufnahmen mit starkem Seitenlicht sogar bis zu 13facher Vergrößerung durchgeführt. Beobachtet man z. B. die Detailphotos des »Narrenschiff« von Hieronymus Bosch, zu dem der phantasievollste Holländer des 15. Jahrhunderts wohl durch die Dichtung seines Straßburger Zeitgenossen Sebastian Brant angeregt worden war, dann merkt man, daß er mit Finger und Faust gemalt hat und mit dem Spachtelmesser, gleichwie es zwei Jahrhunderte später Rembrandt gemacht hat und zwei Jahrhunderte nach Rembrandt der Franzose Courbet (in seinen Seestücken).

Über die mikrochemische Analyse wurde schon gelegentlich des »Flora«-Streites gesprochen. Zu den weiteren Hilfsmitteln, die man zur Erkennung von Kunstfälschungen mehrfach nutzen wollte, gesellt sich dann noch die Daktyloskopie, die sonst bei kriminellen Untersuchungen hervorragende Resultate bringt. In der Kunst aber geht es damit nicht. Bei den alten Meistern kommt das Verfahren nicht in Frage, wenngleich man einige Proben kennt, die Fingerabdrücke zeigen, und dieses Verfahren für die neuen Bilder anzuregen, wie dies einmal Bordès in Paris getan hat, schmeckt allzusehr nach Drill. Man vergißt bei all dieser Abwehr vor den Fälschern die Hauptsache, daß es um Fragen der Kunst geht, die sich nicht in ein System äußerlicher Dinge zwängen läßt.

Kunst ist eben: Äußerung der Seele. Plato drückt das so aus: »Die in den Seelen liegende Schönheit ist höher zu schätzen als die im Körper«. Oft freilich wird der Kunst durch den Körper die Seele genommen, indem er das Geschaffene zu verfälschen sucht, nicht aus dem Trieb, um ihm eine höhere »Schönheit« zu geben, sondern um den Geldwert des Kunstgegenstandes zu steigern. Als im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts fast alle Gebiete der alten Plastik, der alten Möbel und überhaupt des alten Kunstgewerbes immer lebhafter begehrt wurden, – die Nachfrage überschritt oft das Angebot um ein Vielfaches –, suchte man überall in der Welt richtige, alte Kunstwerke auf »noch älter« auszustaffieren oder Kopien nach wertvollen, von der Wissenschaft schon anerkannten »Objekten« in etwas veränderter Form zu »fabrizieren«. Die Kenner fühlten und sahen die Mängel und deckten sie auf. Aber der Laie ließ sich täuschen. Und nur so ist der Prozeß von Münster zu erklären, an den heute kaum jemand mehr denkt, der aber deutlich gezeigt hat, wie sehr der ernste Antiquitätenhandel durch die Machenschaften der Fälscher von Münster gefährdet wurde, und wie stark auch die Museen und Privatsammler in Mitleidenschaft gezogen wurden.


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