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VI.
Vom Feuerstein bis zur Tiara des Saitaphernes

»Tierplastiken« der Urgeschichte. – Mit Georg Schweinfurth im Hause Georg und Franka Minden. – Der etruskische Cerveteri – Sarkophag des British Museum und die Familie Pinelli. – Vom Skythenkönig Saitaphernes und die Tiara des Rouchomowski, die der Louvre erworben hat.. – Goethes »Urpferd«. – Die Brennöfen von Rheinzabern.


Bastianini und Dossena waren, so scheint es, die letzten unter den modernen Künstler-Fälschern. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß man mit der Zeit noch interessanteren Köpfen begegnet, aber alles das, was sich sozusagen zwischen den Affairen Bastianini und Dossena abspielt, hat mit etlichen Ausnahmen, die ins Gebiet des Kunstgewerbes gehen, nichts mehr als den Charakter der Durchschnittsfälschung.

Ich will »entwicklungsgeschichtlich« beginnen. Naturgemäß handelt es sich mir, wie bisher, bloß darum, an einzelnen Beispielen, die ich aus der Riesenfülle des Stoffes herausgreifen möchte, zu zeigen, was, meiner Ansicht nach, innerhalb der Kunstfälschung unter den Begriff der Durchschnittsfälschung fällt.

In dem Augenblick, da der Mensch aus dem Feuerstein ein Beil machte, wurde der Trieb zum Nachahmen dieser Kunstübung geboren. Kunstübung? Ja. Denn so ein Beil, – das wissen alle –, war zwar noch lange nicht »Kunst«, aber immerhin etwas Kunsthandwerkliches. Der prähistorische Mensch und sein Nachbar sahen das Ding wohl als ein Besonderes an, und indem der Nachbar es kopierte, schuf er die ersten Ansätze zur Fälschung. Kunst ist ein Besonderes, und Künstler – Sein heißt, sich aus der Menge herausheben. Nicht alles freilich, was sich Kunst nennt, muß Kunst sein. Aber die moderne Fälschung der primitiven prähistorischen Arbeit erkennt man schon daran, daß sie entweder zu gewollt-primitiv oder zu technisch-vollendet anmutet.

Seit Jahrhunderten handelt man mit den prähistorischen Feuersteingeräten, aber erst dem 19. Jahrhundert blieb es vorbehalten, durch unzählige Fälschungen dieser Gattung getäuscht zu werden. »Man« fälschte jedoch nicht allein die Messer und Beile der Urgeschichte, sondern wagte sich auch an »Bildwerke« heran. Man bohrte in die Steinklumpen, die irgendwie Vertiefungen zeigten, so etwas wie Augen ein, bohrte mit Hölzern, Knochen und Sand Mundöffnungen, deutete Nasen an und Ohren, und so entstanden mit einemmal »Tierplastiken«, über deren »Wesenheit« sich mancher Gelehrte den Kopf zerbrach. Und so wie man die Steinzeit auszubeuten wußte, so kam auch die Bronzezeit an die Reihe. Es reckten sich Waffen in die Höhe, es baumelten Masken an Holzbalken, und die Freude war groß, daß die Masken bald aus Belgien kamen, bald aus Mogador, in dem einst Plato die Hauptstadt von Atlantis vermutet hat: Und wandern wir aus dem marokkanischen Mogador nach Ägypten, wo wir schon jene Abart von Künstler-Fälschern angetroffen haben, die nach den Reliefs der Epoche Echnaton-Nofretête zu arbeiten wußten, dann kommen wir, hart vorbei an den Werkstätten der marokkanischen Eingeborenen, in die der ägyptischen, wo sowohl die »alten« Mumien erzeugt werden, als auch die Unzahl von Amuletten, die unter dem Namen »Ankh«, der den »Lebensschlüssel« bedeutet, und unter dem »Juwel« des heiligen Skarabäus zumindestens jedem zweiten Reisenden angehängt werden.

Georg Schweinfurth, der weltberühmte Afrikaforscher, mit dem ich jahrelang im kunstsinnigen Hause unserer gemeinsamen Berliner Freunde Geheimrat Dr. Georg und Franka Minden zusammentraf, sprach oft von seinem Aufenthalt in Ägypten, denn er war sehr stolz darauf, daß man ihn zum Ehrendirektor des Museums von Kairo ernannt hatte. »Ich habe bloß einen einzigen Vorgänger,« sagte er lächelnd, »nämlich Napoleon.« Und das haben selbstverständlich alle die Engländer und Amerikaner gewußt, die nach Ägypten gekommen sind, und darum war Schweinfurth auch für sie der einzige Mann, der ihnen Auskunft geben konnte, wie sie ihre Altertümer zu bewerten hätten. »Was ist denn das für ein Skarabäus, den man dort in dem Mumiengrab gefunden hat?« fragte dieser und jener. »Sie wollen wohl,« antwortete der Afrikaforscher immer mit sehr ernster Miene, »wissen, ob die Dinge echt sind? Falsch sind sie nicht, sie sind nur neu« Und fragten ihn die Anderen nach den alten Mumien, die sie gekauft hatten, – und manche von den Mumien kostete oft nicht weniger als 1.000 Pfd. –, dann wies Schweinfurth auf englische Bücher hin, in denen diese Mumien als gelungene Kopien nach alten ausgegrabenen Exemplaren beschrieben sind. Übrigens ist 1914 eine Schrift von Wakeling erschienen, in der dargestellt wird, wie die Händler von Luxor derlei Mumien aus richtigen alten Gräbern, in die sie die in alte Lumpen und Lappen gehüllte Kopien eingegraben hatten, sorgfältig herausholten.

Als ich von den prähistorischen Feuersteinen sprach, erwähnte ich auch den Sand, der bei ihrer Verarbeitung eine Rolle gespielt hat. Diese Sache mit dem Sand läuft aber bis tief in die späten Jahrhunderte hinein. Als sich Plinius damit beschäftigt, nennt er auch schon die einzelnen Sorten, dank deren Qualität die echten und die falschen Antiken ans Licht kommen. Am besten zum Schneiden des Marmors paßt, so sagt der Historiker, der äthiopische Sand. Er ist weicher als der indische, denn er »scheint ohne alle Rauhheit«. Und indem auch vom koptischen Sand die Rede ist, »welcher der ägyptische heißt«, meint der Geschichtsschreiber, »der Betrug der Künstler wagt übrigens mit jedem Sand aus dem Fluß zu schneiden, und nur manche merken diesen Verlust.« Hier aber zeigt Plinius nur auf das Rein-Technische des Verfahrens hin.

Während man sich in der Epoche der Frühzeit des Phidias um den Marmor und um die starken wie schwachen Fliesen, die aus dem Stein geschnitten worden sind, gestritten haben mag, stand die Kunst der Etrusker in Blüte. Die Etrusker schwärmten für ihre Spiegel, die sie mit den Scenen aus dem Homer verzierten, für ihre Gemmen, die zum Teil auf ägyptischen Vorbildern, wie den Skarabäen, fußten, für ihre Tonplastiken, ihre Gefäße, Sarkophage, Terrakotten. Und da sich mancherlei von allen diesen Kunstgattungen durch fast zwei Jahrtausende erhalten hat, und da die Wissenschaft um die Eingliederung dieser mittelitalienischen Künste in die der Antike überhaupt sich lebhaft bemühte, kamen die Fälscher bald auf den Geschmack und auch auf ihre Rechnung.

Es steht heute vielleicht noch mancher etruskische Sarkophag als »echt« da, wie einst der Cerveteri-Sarkophag, den das Britische Museum Ende der 70er Jahre erworben und als etruskische Arbeit aus der Zeit um 500 v. Chr. aufgestellt hat. Allerdings meldeten sich schon 1873 Stimmen, die gegen die Echtheit des Sarkophages sprachen, der aus den Hügelgräbern von Cerveteri stammen sollte, und der Verdacht verstärkte sich, als mehrere »Ausgräber« in der Gegend von Cerveteri die Familie Pinelli kennenlernten. Die Pinellis wußten nämlich viel von den Details der etruskischen Altertümer zu erzählen, und die Männer der Wissenschaft horchten auf, als das Haupt der Familie, Pietro Pinelli, sich über die Inschriften der etruskischen Spangen, die im Besitz des Louvre waren, sehr orientiert zeigte. Und als eines Tages ein Verwandter Pietros, angesichts der Pariser Spangen es sogar wagte, zu behaupten, daß er selbst ihr Fabrikant sei und sie ganz »auf« etruskisch präpariert habe, da verglich man endlich die Pariser Inschriften mit jenen in London. Nun eilte die Sache, und man verhörte sofort die Pinellis. Sie leugneten. Doch die englische Forschung ist glücklicherweise von so großer Zähigkeit, daß sie regelmäßig eine Spur, von der sie sich irregeführt glaubt, ernst weiterverfolgt. Und nur dieser Aufrichtigkeit der englischen Forschung ist es zu danken, daß der Sarkophag von Cerveteri, auf dem sich ein edler Mann mit einer edlen Frau in unbefangener zeitgenössischer Heiterkeit unterhält, als moderne Fälschung gegen Ende des Jahres 1935 aus dem Britischen Museum entfernt wurde. Dieser Cerveteri-Sarkophag aus Terrakotta (Abb. 18) ist zwar eine Durchschnittsfälschung, unterscheidet sich aber immerhin durch eine gewisse Lebendigkeit der Modellierung von der Riesenzahl der tönernen etruskischen Bacchantinnen, die man dem reisenden Laien heute immer noch in Italien anbietet.

Und wandern wir jetzt von den Hügelgräbern von Cerveteri, wo einmal ohne Zweifel etruskische Sarkophage gestanden sind, viele Tausende von Kilometern weiter, bis in die russische Steppe! Dort fabelte man so in der Zeit um 200 v. Chr., da die Römer Cato und Publius Scipio miteinander wetteiferten, von irgendeinem Märchen, dessen Mittelpunkt der Skythenkönig Saitaphernes war. Die Kolonie Olbia bei Ortschakow soll dem Skythenkönig einen Goldhelm geschenkt haben. Dieses Märchen soll Jahrtausende gelebt haben. 1896 nämlich wurde dem Österreichischen Museum für Kunst und Gewerbe in Wien jener Goldhelm angeboten, jene Tiara des Saitaphernes. Und da sie heute noch existiert, kann man sie ruhig beschreiben: sie besteht aus Gold, das 460 gr schwer ist, sie zeigt an ihrer Stirnseite antike Darstellungen und hat eben jene Inschrift, welche besagt, daß der Skythenkönig Saitaphernes die Tiara von der Kolonie Olbia zum Geschenk erhalten habe (Abb. 23).

Wien hatte sein Tagesgespräch. Man wußte, daß es zwei Parteien gab, aber daß die Majorität für den Ankauf des Goldhelms war. Und zu der Majorität gehörte der unvergessene Archäologe Otto Benndorf, gehörte der passionierte Sammler Graf Wilczek und der nicht minder passionierte Kunstfreund Baron Nathanael Rothschild. Gegen den Ankauf waren: Eduard Leisching und Bruno Bucher vom Österreichischen Museum. Aber der Ankauf der Tiara scheiterte nicht etwa daran, daß Bucher die »Verletzungen« am Helm deshalb verdächtig vorkamen, weil die Beulen nicht in den »antiken« Reliefsdarstellungen saßen, vielmehr an völlig indifferenten Teilen des Goldhelms, sondern rein nur an dem Preis, den die Unterhändler verlangten. Darum wanderten die Besitzer mit ihrer Tiara nach Paris, und sie hatten dort, trotz mancherlei Widerspruch, Glück. 200.000 Goldfranken sind ihnen ausgezahlt worden. Jetzt stand die Tiara des Saitaphernes als ein Prunkstück im Louvre, – und es war und ist schließlich ein Prunkstück! –, aber da sich sieben Jahre lang immer neue Stimmen gegen die Echtheit erhoben und eines Tages ein Juwelier erzählte, daß der Goldschmied Rouchomowski in Odessa den Goldhelm gemacht hat, war der große Krach da. Und der Louvre entschloß sich, den Goldschmied nach Paris zu holen.

Rouchomowski kam. Er sagte ganz naiv heraus, daß er von einem Herrn beauftragt worden sei, nach den Abbildungen zum Konstantinsfresko im Vatikan und zu dem »Schild des Scipio« in Paris die Reliefs in Gold zu treiben, und erbot sich, eines von den Reliefs »aus dem Gedächtnis« zu kopieren. Das Experiment gelang vollkommen, zum Entsetzen der Louvre-Direktion, und der Schwindel war aufgedeckt. Seither aber steht die »Tiara des Saitaphernes« im »Musée des Arts Décoratifs« in Paris. Dorthin gehört sie auch. Denn sie ist ohne Zweifel eine von den wenigen kunstgewerblichen Fälschungen, die nicht als Durchschnittsfälschung, sondern als Künstlerfälschung zu bezeichnen ist. Rouchomowski war sicher kein Erfinder, aber er war sicher ein Kunsthandwerker ersten Ranges, und die Historie darf es sich schon erlauben, ihn zu den Künstler-Fälschern innerhalb des weiten Kreises der Durchschnittsfälscher zu rechnen.

Durchschnittsfälscher gab es auch schon im alten Rom. Dazu kam der erschwerende Umstand, daß man, dank der Nachfrage nach Plastik, Statuen ohne Kopf »in Vorrat« gearbeitet haben muß, wie Jacob Burckhardt sich ausdrückt, um sie »nach geschehener Bestellung« aufzusetzen. Daß man aber in der julisch-klaudischen Kaiserzeit alte Sockeln für die neuen Bildnisse verwendete, war kaum etwas anderes als eine Verfälschung, eine von jenen Durchschnittsfälschungen, die im alten Rom an der Tagesordnung schienen. Wenn Zenedorus, der Bildhauer der Nero-Zeit, die sehr geschätzten Becher des klassischen Griechen Calamis nacharbeitete, so ist das eine Durchschnittsfälschung zu nennen, ebensowie viele von den griechischen Bronzepferden, die man dem Calamis zuschrieb, gute Durchschnittsfälschungen waren, soweit sich das aus den alten Chroniken herauslesen läßt.

Der Name des Calamis wirkte hunderte Jahre lang nach. Calamis soll, wie erwähnt, das »Urpferd« am Parthenongiebel modelliert haben, wobei dieser Goethe'sche Ausdruck augenscheinlich von Johann Heinrich Meyer stammt, der als Erster sich über Calamis als den Autor der Parthenon-Pferde ausgesprochen hat. Goethe hatte sich den »Kunschtmeyer« (1759-1832) im Jahre 1791 als eine Art Generaldirektor nach Weimar geholt. »Meyer« schreibt der Dichter 1796 an Barbara Schulthess, »habe ich gefunden wie einen Steuermann, der aus Ophyr zurückkehrt. Es ist eine herrliche Empfindung, mit einer so bedeutenden Natur nach allerley Schätzen zu streben und sie nach einerley Sinn zu bewahren und zu verarbeiten.«

Was im alten Rom zu den »beliebtesten« Fälschungen zählte, waren die Münzen. Man ließ sich durch die sogenannten gefütterten Denare bluffen, die nicht ganz aus Silber bestanden, sondern bloß mit Silber überzogen waren, indes ihr Kern Kupfer enthielt. Das »Courantgeld« wurde, nach E. A. Stückelberg, im Beginn der Kaiserzeit durch Guß nachgemacht und in Kurs gebracht. Numismatische Raritätenfälschungen kommen jedoch, dem schweizerischen Spezialisten zufolge, erst seit dem 15. Jahrhundert vor. Man fälschte z. B. Münzen eines Herrschers, der nie existiert hat, oder einer Stadt, die nie gebaut worden ist, oder man verfälschte Münzen eines bärtigen Herrschers in die eines jugendlichen, indem man den Bart abschliff.

Im alten Rom ging man angesichts der Überreste der griechischen Antike direkt geschickt vor. Vergleicht man dagegen die Ausgrabungen, die im vergangenen, also im 19. Jahrhundert, durchgeführt worden sind, so läßt sich wol behaupten, daß viele Spezialisten blind gewesen zu sein scheinen. Es sind jetzt über 110 Jahre her, da fand ein Maurermeister, namens M. Kaufmann, in Rheinzabern einen römischen Brennofen. Heute läßt sich natürlich nicht mehr sagen, ob es ein richtiger römischer Brennofen gewesen ist, in dem man Keramik usw. produziert hat. Mag sein, daß er echt war und daß die erste Begeisterung des sonst gewiß geschätzten I. v. Hefner echt gewesen ist. Daß aber der Maurermeister, kurz nachdem seine Entdeckung in der Welt der damaligen Wissenschaft Aufsehen erregt hatte, noch 117 derartige Öfen gefunden haben wollte und mit ihnen eine tüchtige Menge »Fertigware« in Ton, das hätte die Herrschaften doch stutzig machen sollen. Aber nicht einmal die eine Episode überraschte, daß der Maurermeister eines Tages ein Relief zeigte, auf dem ein Kaiser namens »Antonosus« ein Roß ritt, das mit Straußenfedern und einer Schabracke behängt war, indes der »Kaiser« das Reichsschwert trug und eine Allongeperücke!


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