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Auf den Dünen von Heist stehend, sehn Uilenspiegel und Lamme von Ostende, von Blankenberge, von Knokke gewaltig viele Fischerboote kommen voll bewaffneter Männer, die nach dem Beispiele der Geusen von Seeland den silbernen Halbmond am Hute tragen mit der Inschrift: »Lieber türkisch als päpstisch!«
Uilenspiegel ist fröhlich: er trillert wie die Lerche; von allen Seiten antwortet das kriegerische Geschmetter des Hahns.
Die Boote fahren dahin, fischend und den Fang verkaufend, und landen, eins nach dem andern, in Emden. Dort hält sich noch immer Wilhelm von Blois, Herr von Treslong auf, der im Auftrage des Prinzen von Oranien ein Schiff ausrüstet.
Uilenspiegel und Lamme treffen in Emden zu der Zeit ein, wo die Boote der Geusen, auf Befehl von Treslong, die hohe See gewinnen. Treslong, der seit elf Wochen in Emden ist, langweilt sich bitter. Er steigt vom Schiffe ans Land und vom Lande ans Schiff, wie ein angeketteter Bär.
Uilenspiegel und Lamme werden, als sie über die Kaie streichen, eines gutmütig aussehenden Herrn ansichtig, der sich, Trübsinn brütend, abmüht, einen Stein des Kaipflasters mit einem Sauspieß aus seinen Fugen zu heben. Obwohl es ihm nicht gelingen will, versucht er es immer wieder, sein Vorhaben zu einem guten Ende zu bringen, während hinter ihm ein Hund an einem Knochen knappert.
Uilenspiegel tritt auf den Hund zu und tut, als ob er ihm den Knochen nehmen wollte. Der Hund knurrt; Uilenspiegel läßt nicht nach: der Hund verübt kläffend einen argen Lärm. Der Herr, der sich wegen der Störung umwendet, sagt zu Uilenspiegel: »Was hast du davon, das Tier zu plagen?«
»Was habt Ihr davon, Messire, das Pflaster zu plagen?«
»Das ist nicht dasselbe,« sagt der Herr.
»Der Unterschied ist nicht gar groß,« antwortet Uilenspiegel; »wie sich der Hund zu seinem Knochen hält und ihn verteidigt, so hält sich der Pflasterstein zu seinem Kai und will dableiben. Es ist nichts so Besondres, daß sich Leute wie wir mit einem Hund abgeben, wo sich Leute wie Ihr mit einem Pflasterstein abgeben.«
Lamme hielt sich hinter Uilenspiegel und getraute sich nicht zu sprechen.
»Wer bist du?« fragte der Herr.
»Ich bin Thijl Uilenspiegel, der Sohn des Klaas, der für den Glauben in den Flammen gestorben ist.« Und er trillerte wie die Lerche, und der Herr krähte wie der Hahn.
»Ich bin der Admiral Treslong,« sagte er; »was willst du von mir?« Uilenspiegel erzählte ihm seine Abenteuer und gab ihm fünfhundert Karolus.
»Wer ist der dicke Mensch da?« fragte Treslong, mit dem Finger auf Lamme deutend. »Mein Gesell und Freund,« antwortete Uilenspiegel; »er will, so wie ich, auf deinem Schiffe mit der schönen Stimme der Arkebuse das Lied von der Befreiung des Landes der Väter singen.«
»Ihr seid wacker alle zwei,« sagte Treslong; »ihr kommt auf mein Schiff.«
Es war damals Februar: scharf war der Wind und grimmig der Frost. Nach drei Wochen verdrossenen Harrens fuhr Treslong von Emden ab. In der Hoffnung, nach Texel zu gelangen, verließ er das Vlie, war aber gezwungen, in Wieringen anzulegen; dort wurde sein Schiff vom Eise eingeschlossen.
Bald entwickelte sich um das Schiff ein lustiges Treiben: Schlittenfahrer und Schlittschuhläufer, alle in Samt, Schlittschuhläuferinnen in scharlachenen und azurnen, mit Gold und Perlen gestickten Röcken und Baskinen, Jünglinge und Mädchen kamen und gingen und glitten lachend dahin, hintereinander oder zu zwei und zwei paarweise, das Liebeslied auf dem Eise singend, oder aßen und tranken in bewimpelten Schuppen Branntwein, Orangen, Feigen, Peperkoek, Schollen, Eier und heißes Gemüse und Heetekoeken, das sind Krüpfkuchen, und Essiggemüse, während rings um sie das Eis unter den Kufen der Segelschlitten knirschte.
Lamme lief, um seine Frau zu suchen, auf Schlittschuhen herum wie die fröhlichen Leute beiderlei Geschlechtes; aber er fiel oft.
Inzwischen ging Uilenspiegel des Trunkes und der Atzung halber in eine kleine Herberge auf dem Kai, wo er seine Achtung nicht teuer zu bezahlen brauchte; und er unterhielt sich gern mit der alten Bazinne.
Eines Sonntags um neun Uhr kam er wieder hin und verlangte sein Essen. »Aber du hast dich ja verjüngt, Bazinne!« sagte er zu einer lieblichen Frau, die vortrat, um ihn zu bedienen. »Was hast du mit deinen alten Runzeln getan? Dein Mund hat alle seine weißen, jungen Zähne, und die Lippen sind rot wie die Kirschen. Ist das für mich, das süße schelmische Lächeln?«
»O nein,« sagte sie; »aber was darf ich dir geben?«
»Dich.«
Die Frau antwortete: »Das wäre zu viel für einen so magern Menschen wie du; willst du kein andres Fleisch?« Und als Uilenspiegel still blieb: »Was hast du mit diesem hübschen, wohlgewachsenen und beleibten Manne gemacht, den ich schon oft in deiner Gesellschaft sah?«
»Lamme?« sagte er.
»Was hast du mit ihm gemacht?«
Uilenspiegel antwortete: »Er ißt in den Schuppen harte Eier, Räucheraal, Pökelfisch und Zuurtjes und was er nur zwischen die Zähne stecken kann; das alles, um seine Frau zu suchen. Warum bist du nicht mein, Herzchen? Willst du fünfzig Gulden? Willst du eine goldene Halskette?« Aber sie bekreuzigte sich: »Ich bin nicht zu kaufen und nicht zu nehmen.«
»Liebst du gar niemand?« sagte er.
»Ich liebe dich als meinen Nächsten; aber vor allem liebe ich den Herrn Christus und die Jungfrau, die mir ein keusches Leben befehlen. Hart und schwer ist die Pflicht, aber Gott hilft uns armen Frauen. Und trotzdem unterliegen welche. Ist dein dicker Freund lustig?«
Uilenspiegel antwortete: »Er ist fröhlich, wann er ißt, traurig beim Fasten und immer verträumt. Aber du, bist du lustig oder bekümmert?«
»Wir Frauen«, sagte sie, »sind die Sklavinnen unsers Meisters.«
»Des Mondes?« sagte er.
»Ja,« sagte sie.
»Ich will es Lamme sagen, daß er dich besuchen kommt.«
»Tus nicht,« sagte sie; »er würde weinen und ich ebenso.«
»Hast du jemals seine Frau gesehn?« fragte Uilenspiegel.
Sie seufzte und antwortete: »Sie hat gesündigt mit ihm und ist zu einer grausamen Buße verdammt worden. Sie weiß, daß er aufs Meer hinauszieht, um der Ketzerei zum Siege zu verhelfen; das ist ein harter Gedanke für ein christlich Herz. Verteidige ihn, wann er angegriffen wird, pflege ihn, wann er verwundet ist: seine Frau hat mir aufgetragen, diese Bitte an dich zu richten.«
»Lamme ist mein Bruder und Freund,« antwortete Uilenspiegel.
»Ach!« sagte sie, »warum kehrt ihr nicht in den Schoß unserer heiligen Mutter, der Kirche, zurück?«
»Sie frißt ihre Kinder,« antwortete Uilenspiegel. Und er ging weg.
Der Märzwind wehte schneidend und stand nicht ab, die Eisdecke zu verdicken; da das Schiff Treslongs nicht auslaufen konnte, zogen die Soldaten mit der Bemannung auf Schlittschuhen und Schlitten zu Gelage und Kurzweil. Uilenspiegel war wieder in der Herberge, und die liebliche Frau sagte in tiefem Kummer und wie von Sinnen zu ihm: »Armer Lamme! Armer Uilenspiegel!«
»Warum weinst du?« fragte er sie. »Ach! Ach!« sagte sie; »warum glaubt ihr nicht an die Messe? Ihr kämet dann ins Paradies, sicherlich, und ich könnte euch retten in diesem Leben.« Da sie zur Tür ging und aufmerksam lauschte, sagte Uilenspiegel: »Ists nicht der Schnee, dessen Fallen du belauschst?«
»Nein,« sagte sie.
»Ists nicht der heulende Wind, dem du dein Ohr leihst?«
»Nein,« sagte sie wieder.
»Auch nicht dem Jauchzen unserer wackern Soldaten in der Schenke nebenan?«
»Der Tod kommt wie ein Dieb,« sagte sie.
»Der Tod?« sagte Uilenspiegel; »ich versteh dich nicht: komm her und sprich.«
»Sie sind da,« sagte sie.
»Wer?«
»Wer?« antwortete sie. »Die Soldaten von Simon Bol, die der Herzog herschickt, daß sie euch überfallen; daß man euch hier so gut behandelt, das ist so wie bei den Ochsen, bevor man sie tötet. Ach, warum habe ich es nicht früher gewußt?« Und bei den letzten Worten war ihr Gesicht von Tränen überströmt.
»Weine nicht und schrei nicht«, sagte Uilenspiegel, »und bleib hier.«
»Verrate mich nicht,« sagte sie.
Uilenspiegel verließ das Haus und eilte raschen Laufes in alle Schuppen und Schenken, um den Seeleuten und Soldaten ins Ohr zu raunen: »Der Spanier kommt.« Alle liefen an Bord und richteten in großer Hast alles her, was zur Schlacht nötig war; und sie erwarteten den Feind.
Uilenspiegel sagte zu Lamme: »Siehst du diese hübsche Frau auf dem Kai in dem schwarzen, scharlachgestickten Kleide, die das Gesicht unter ihrer weißen Haube verbirgt?«
»Das ist mir einerlei,« antwortete Lamme. »Mir ist kalt, und ich will schlafen.« Und er wickelte sich den Kopf in sein Oberkleid. Und also war er wie taub. Uilenspiegel erkannte nun die Frau und rief ihr vom Schiffe aus zu: »Willst du mit uns?«
»Bis ans Grab,« sagte sie; »aber ich kann nicht . . .«
»Du tätest gut daran,« sagte Uilenspiegel; »bedenke jedoch immerhin: wann die Nachtigall im Walde bleibt, ist sie glücklich und singt; verläßt sie ihn aber und wagt ihre kleinen Flügel in den Sturm der weiten See, dann brechen sie ihr, und sie stirbt.«
»Ich habe daheim gesungen,« sagte sie, »und würde draußen singen, wenn ich es dürfte.« Dann kam sie näher zum Schiffe. »Nimm diesen Balsam«, sagte sie, »für dich und auch für deinen Freund, der schläft, wann er wachen sollte.« Und sie entfernte sich, indem sie sagte: »Lamme! Lamme! Gott beschütze dich! Komm heil wieder!« Und sie enthüllte ihr Gesicht.
»Meine Frau! Meine Frau!« schrie Lamme. Und er wollte aufs Eis springen.
»Deine treue Frau!« sagte sie. Und sie lief, was sie ihre Beine trugen.
Lamme wollte vom Deck aufs Eis springen, aber ein Soldat hielt ihn am Oberkleide zurück. Er schrie, weinte und flehte, man möge ihn gehn lassen; aber der Profoß sagte zu ihm: »Du wirst gehenkt, wenn du das Schiff verläßt.«
Lamme wollte sich von neuem aufs Eis stürzen, aber ein alter Geuse hielt ihn zurück und sagte zu ihm: »Der Boden ist feucht; du könntest nasse Füße bekommen.« Und Lamme fiel weinend auf sein Sitzfleisch und sagte ohne Unterlaß: »Meine Frau, meine Frau! Laßt mich zu meiner Frau!«
»Du wirst sie wiedersehn,« sagte Uilenspiegel. »Sie liebt dich, aber sie liebt Gott mehr als dich.«
»Die tolle Teufelin!« schrie Lamme. »Wenn sie Gott mehr liebt als ihren Mann, warum zeigt sie sich dann mir so reizend und begehrenswert? Und wenn sie mich liebt, warum läßt sie mich?«
»Siehst du klar in einem tiefen Brunnen?« fragte Uilenspiegel.
»Ach!« sagte Lamme, »ich werde bald sterben.« Und er blieb auf dem Deck, blaß und verwirrt.
Endlich kamen die Leute Simon Bols mit vielen Feldstücken. Sie beschossen das Schiff, das ihnen antwortete. Und ihre Kugeln durchschlugen das Eis rundherum. Gegen Abend fiel ein lauer Regen.
Der Wind wehte vom Niedergang, und das Meer bäumte sich unter dem Eise und hob es in mächtigen Blöcken, die sich emporreckten, zurückfielen, aneinander prallten und sich übereinander schoben, nicht ohne Gefahr für das Schiff; das öffnete, als das Morgenrot die nächtlichen Wolken zerriß, seine linnenen Flügel wie ein Freiheitsvogel und glitt ins freie Meer hinaus.
Dort stießen sie zu der Flotte des Messire Lumey von der Mark, des Admirals von Holland und Seeland, dessen Schiff als das des obersten Kapitäns und Befehlshabers eine Laterne am Maste trug. »Sieh dir ihn gut an, mein Sohn,« sagte Uilenspiegel; »der verschont dich nicht, wenn du ausreißen willst. Hörst du seine Stimme rollen wie Donner? Sieh, wie breit und stark er ist in seiner hohen Gestalt! Betrachte seine langen Hände mit den gekrallten Nägeln! Sieh dir seine runden Augen an, diese kalten Adleraugen, und seinen langen Spitzbart, den er wachsen läßt, bis er alle Mönche und Pfaffen gehenkt hat, um den Tod der beiden Grafen zu rächen! Sieh, wie furchtbar und grausam er ist; er läßt dich ohne viel Federlesens henken, wenn du nicht endlich aufhörst mit deinem Greinen und Schreien: Meine Frau!«
»Mein Sohn,« antwortete Lamme, »am liebsten droht der mit dem Stricke, der selbst schon den Hals in der Hanfkrause hat.«
»Du sollst sie zuerst tragen,« sagte Uilenspiegel. »Das ist mein freundschaftlicher Wunsch.«
»Ich werde dich schon noch baumeln sehn,« antwortete Lamme, »deine Giftzunge eine Elle lang aus dem Schnabel gestreckt.« Und beiden kam das Lachen.
An diesem Tage kaperte das Schiff Treslongs einen Segler aus Biscaya, beladen mit Quecksilber, Goldstaub, Wein und Spezerei. Und der Segler wurde seines Markes, der Bemannung und der Beute, entleert wie ein Ochsenknochen unter dem Zahne eines Löwen.
In dieser Zeit geschah es auch, daß der Herzog den Niederlanden grausame und schändliche Abgaben auferlegte, indem er alle Bewohner, die bewegliches oder unbewegliches Gut verkauften, zwang, tausend Gulden von zehntausend zu bezahlen. Und diese Schätzung war für immer. Alle Handelsleute und wer immer etwas verkaufte, mußten dem Könige den Zehnten des Erstehungspreises bezahlen, und im Volke sagte man, von Waren, die in einer Woche zehnmal verkauft würden, habe der König den ganzen Erlös.
Und so gingen Handel und Gewerbe der Vernichtung und dem Sterben entgegen.
Und die Geusen nahmen Briel, den befestigten Platz an der See, und sie nannten ihn den Baumgarten der Freiheit.