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Also dahinreitend, kamen sie nach Oostkamp, wo ein großer Busch ist, dessen Saum den Kanal berührte. Dem Schatten und den linden Wohlgerüchen zuliebe betraten sie den Busch, ohne etwas andres zu sehn als die langen Laubgänge, die nach allen Richtungen liefen, nach Brügge, nach Gent, nach Süd- und nach Nordländern.
Plötzlich sprang Uilenspiegel von seinem Esel: »Siehst du nichts dort?« Lamme sagte: »Ja, ich sehe.« Und zitternd: »Meine Frau, meine gute Frau! Sie ists, mein Sohn. Ach, ich werde nicht hingehn können. Sie also wiederzufinden!«
»Worüber klagst du?« sagte Uilenspiegel. »Sie ist schön, so halbnackt in dem geschlitzten Musselinleibchen, das das frische Fleisch sehn läßt. Die da ist zu jung, sie ist nicht deine Frau.«
»Mein Sohn,« sagte Lamme, »sie ists, mein Sohn; ich erkenne sie. Trag mich, ich kann nicht mehr weiter. Wer hätte das gedacht von ihr? Tanzen, so in Zigeunertracht, ohne Scham! Ja, sie ists; sieh nur ihre schlanken Beine, ihre Arme, nackt bis zur Schulter, ihre runden, goldigen Brüste, die zur Hälfte aus dem Musselinleibchen schlüpfen! Sieh nur, wie sie den großen Hund mit dem roten Lappen reizt, daß er danach schnappt.«
»Das ist ein Zigeunerhund,« sagte Uilenspiegel; »in den Niederlanden gibts diese Gattung nicht.«
»Zigeuner . . . ich weiß nicht . . . Aber sie ists. Ha, mein Sohn, ich halte es nicht mehr aus. Sie rafft ihre Hosen höher, um noch mehr von ihren runden Beinen sehn zu lassen. Sie lacht, um ihre weißen Zähne zu zeigen, und hellauf, um ihre süße Stimme hören zu lassen. Sie öffnet oben das Leibchen und wirft sich rückwärts. Ha, der liebreizende Schwanenhals, die nackten Schultern, die klaren, kecken Augen! Ich laufe zu ihr.« Und er sprang von seinem Esel.
Aber Uilenspiegel hielt ihn: »Dieses Mädchen«, sagte er, »ist nicht deine Frau. Wir sind bei einem Zigeunerlager. Gib acht. Siehst du den Rauch hinter den Bäumen? Hörst du das Gebell der Hunde? Da, da hast du ihrer einige, die uns nicht aus den Augen lassen und Lust zu haben scheinen, uns zu beißen. Verbergen wir uns lieber im Dickicht.«
»Ich verberge mich nicht,« sagte Lamme; »diese Frau ist die meinige und ebensogut aus Flandern wie wir.«
»Blinder Narr,« sagte Uilenspiegel.
»Blind? Nein. Ich sehe sie ganz gut, wie sie tanzt, halbnackt, und lachend den großen Hund reizt. Sie tut, als ob sie uns nicht sähe. Aber sie sieht uns, ich versichere es dir. Thijl, Thijl! Jetzt wirft sich der Hund auf sie und reißt sie nieder, um den Lappen zu bekommen. Und sie fällt mit einem Schmerzensschrei.« Und schon schoß Lamme auf sie zu: »Mein Weib, mein Weib! Wo hast du dir weh getan, Liebchen? Warum hast du so hellauf gelacht? Deine Augen blicken unheimlich.« Und er umarmte sie und liebkoste sie und sagte: »Dieses Muttermal, das du unter der linken Brust hattest, ich sehe es nicht. Wo ist es? Du bist nicht meine Frau. Großer Gott im Himmel!« Und sie hörte nicht auf zu lachen.
Plötzlich schrie Uilenspiegel: »Gib acht, Lamme!« Und Lamme sah, als er sich umwandte, einen großen Keil von einem Zigeuner vor sich mit einem magern Gesichte, braun wie ein Peperkoek. Lamme hob seinen Spieß auf, stellte sich zur Wehr und schrie: »Zu Hilfe, Uilenspiegel!« Und Uilenspiegel war bei ihm mit seinem guten Schwerte.
Der Zigeuner sagte zu ihm auf deutsch: »Gib mir Geld, einen Reichstaler oder zehn.«
»Sieh,« sagte Uilenspiegel, »das Mädchen geht mit schallendem Gelächter und wendet sich immerfort um, damit man ihr folge.« »Gib mir Geld,« sagte der Mann; »bezahle deine Liebe. Wir sind arm und wollen dir nichts Böses.« Lamme gab ihm einen Karlsgulden.
»Was für ein Geschäft hast du?« sagte Uilenspiegel.
»Alle,« antwortete der Zigeuner. »Als Meister in jeglicher Fingerfertigkeit machen wir wunderbare und zauberische Kunststücke. Wir spielen das Tamburin und tanzen ungarische Tänze. Unter uns ist mehr als einer, der Käfige und Bratenroste macht. Aber alle, Vlamen und Welsche, haben Furcht vor uns und vertreiben uns. Da wir nicht vom Erwerbe leben können, leben wir vom Marodieren, das heißt von dem Gemüse, dem Fleische und dem Geflügel, die wir dem Bauer nehmen müssen, weil er sie uns weder schenken, noch verkaufen will.«
Lamme sagte zu ihm: »Woher ist dieses Mädchen, die meiner Frau so sehr ähnelt?«
»Sie ist die Tochter unsers Häuptlings,« sagte der Kerl. Dann sprach er leise, wie ein Mensch, der Angst hat: »Sie ist von Gott geschlagen mit dem Übel der Liebe und kennt keine Frauenscham. Kaum sieht sie einen Mann, so wird sie von Lüsternheit und Narrheit gepackt und lacht ohne Unterlaß. Sie spricht wenig, und lang hat man sie für stumm gehalten. Des Nachts sitzt sie bekümmert am Feuer, weint manchmal, lacht dann wieder ohne Grund und zeigt auf ihren Bauch, wo es ihr, wie sie sagt, weh tut. Um die Mittagsstunde, zur Sommerszeit, nach dem Mahle, da wird sie von der wildesten Narrheit ergriffen. Dann tanzt sie fast nackt in der Umgebung des Lagers. Sie will keine andern Kleider tragen als aus Tüll oder Musselin, und im Winter kostet es uns große Mühe, sie in einen Mantel aus Ziegenhaar zu hüllen.«
»Aber«, sagte Lamme, »hat sie denn keinen Liebsten, der es ihr verwehrte, sich also jedermann hinzugeben?«
»Sie hat niemand,« sagte der Mann; »denn die Fremden, die sich ihr nähern und ihre verrückten Augen sehn, fühlen mehr Angst als Liebe. Der dicke Mann war kühn.« Und er wies auf Lamme.
»Laß ihn reden, mein Sohn,« erwiderte Uilenspiegel; »der Stockfisch lästert den Walfisch. Wer von euch beiden gäbe wohl mehr Öl?«
»Du hast eine scharfe Zunge heute,« sagte Lamme. Aber Uilenspiegel sagte, ohne auf ihn zu hören, zu dem Zigeuner: »Was tut sie, wenn andere so kühn sind wie mein Freund Lamme?« Der Zigeuner antwortete traurig: »Dann hat sie Vergnügen und Gewinn. Die, die sie nehmen, bezahlen für ihre Lust, und das Geld dient zu ihrer Kleidung und auch für die Bedürfnisse der Greise und der Frauen.«
»Sie gehorcht also niemand?« sagte Lamme. Der Zigeuner antwortete: »Wir lassen die gewähren, die Gott schlägt. Er gibt auf diese Weise seinen Willen kund. Und sein Wille ist unser Gesetz.«
Uilenspiegel und Lamme entwichen. Und der Zigeuner ging ernst und stolz in sein Lager zurück. Und das Mädchen tanzte mit hellem Lachen in der Lichtung.