Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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XX

Mit fünfzehn Jahren errichtete Uilenspiegel in Damme ein kleines Zelt auf vier Pflöcken und schrie aus, daß hier nunmehr jedermann in einem schönen Grasrahmen sein gegenwärtiges und sein zukünftiges Gesicht abgebildet sehn könne.

Wann so ein Mann des Gesetzes, geschraubt durch seine Würde und aufgeblasen wegen seiner Wichtigkeit, eintrat, steckte Uilenspiegel seinen Kopf durch den Rahmen, machte die Fratze eines alten Affen und sagte: »Eine alte Schnauze kann rotzen, aber blühen, nein. Bin ich nicht Euer guter Spiegel, Ihr Herr mit dem Schulmeistergesicht?«

Wann Uilenspiegel einen stämmigen Soldaten als Kunden hatte, verbarg er sich, zeigte anstatt seines Angesichts mitten im Rahmen eine Schüssel mit Fleisch und Brot und sagte: »Die Schlacht wird aus dir Hackfleisch machen; was zahlst du mir für meine Weissagung, o Soldat und Freund der weitrachigen Feldschlangen?«

Wann ein alter, zitternder Kahlkopf sein junges Weib zu ihm brachte, verbarg sich Uilenspiegel wie beim Soldaten und ließ im Rahmen eine Staude erscheinen, an deren Zweigen Messerhefte, Büchschen, Kämme, Tintenfäßchen, allesamt aus Horn, hingen; dann schrie er: »Woher kommt denn all das hübsche Zeug, Herr? Doch wohl von dem Hörnerbaum, der nur im Hag der alten Ehemänner wächst? Wer möchte heute noch sagen, daß die Hahnreie nicht nützlich im Staate seien?« Und Uilenspiegel zeigte im Rahmen neben der Staude sein junges Gesicht.

Der Alte hüstelte wohl in männlicher Wut, aber sein Liebchen besänftigte ihn mit der Kosehand und ging lächelnd auf Uilenspiegel zu: »Und meinen Spiegel, wirst du ihn mir zeigen?«

»Komm näher,« antwortete Uilenspiegel. Sie gehorchte. Er küßte sie ab, wo er nur konnte, und sagte: »Dein Spiegel, das ist die blühende Jugend, wie sie in trotzigen Hosenlätzen wohnt.« Und die Schöne ging, aber nicht ohne ihm einen oder zwei Gulden gegeben zu haben.

Einem feisten und wurstlippigen Mönche, der sein gegenwärtiges und sein zukünftiges Gesicht gezeigt haben wollte, antwortete Uilenspiegel: »Du bist jetzt ein Schinkenschrein und wirst ein Bierkeller werden; denn Gesalzenes heischt Saufen. Ists nicht wahr, fetter Wanst? Gib mir einen Plappart, daß ich nicht gelogen habe.« »Mein Sohn,« erwiderte der Mönch, »wir tragen niemals Geld bei uns.«

»Dann muß das Geld dich tragen,« versetzte Uilenspiegel; »denn ich weiß, daß dus unter die Füße zwischen zwei Sohlen steckst. Gib mir deinen Schuh.« Doch der Mönch: »Mein Sohn, das ist Gut des Konvents. Aber wenn es denn sein muß, will ich dir zwei Plappart für deine Mühe heraussuchen.« Der Mönch gab sie, und Uilenspiegel nahm sie artig an.

So zeigte er den Leuten von Damme, von Brügge, von Blankenberge, ja selbst von Ostende ihren Spiegel.

Und anstatt ihnen in seiner vlämischen Sprache zu sagen: »Ik ben Ulieden spiegel«, sagte er kurzweg: »Ik ben Ulen spiegel«, so wie es noch heute gesagt wird in Ost- und Westflandern. Und auf diese Art kam er zu dem Beinamen Uilenspiegel.


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