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Die Burgstormglocke hatte die Richter zur Verhandlung gerufen; sie versammelten sich um vier Uhr in der Vierschaar um die Linde des Gerichts.
Klaas wurde ihnen vorgeführt und sah unter dem Himmel den Vogt von Damme sitzen, ihm zur Seite und gegenüber den Schultheiß, die Schöffen und den Schreiber.
Auf das Glockengeläute war das Volk in großer Menge zusammengelaufen; und sie sagten: »Genug unter den Richtern sind nicht um der Gerechtigkeit willen da, sondern um dem Kaiser Knechtesdienst zu leisten.«
Der Schreiber erklärte, daß das Gericht bei einer frühern Versammlung in der Vierschaar in Anbetracht der gegen ihn vorliegenden Anzeigen und Aussagen beschlossen habe, Klaas den Kohlenträger, gebürtig aus Damme und Gatten Soetkins, der Tochter von Joostens, verhaften zu lassen. Heute, fuhr er fort, würden sie zur Vernehmung der Zeugen schreiten.
Als erster wurde Hans Barbier, der Nachbar Klaasens, verhört. Nachdem er den Eid geleistet hatte, sagte er: »Bei dem Heile meiner Seele, ich behaupte und bewähre, daß mir Klaas, der hier vor Gericht steht, seit bald siebenzehn Jahren bekannt ist als ein Mann, der immerdar ehrenhaft und nach den Gesetzen unserer Heiligen Kirche gelebt hat, der von ihr niemals schmählich gesprochen hat, der meines Wissens nie einen Ketzer beherbergt hat, der weder das Buch Luthers verborgen, noch von dem besagten Buche gesprochen hat, und der nichts getan hat, was ihn in den Verdacht bringen könnte, sich gegen die Gesetze und Verordnungen des Kaisers vergangen zu haben. So wahr mir Gott helfe und seine Heiligen.«
Dann wurde Jan van Roosebeke verhört, und er sagte, daß er während der Abwesenheit Soetkins, der Frau Klaasens, manchmal im Hause des Angeklagten zwei Männerstimmen vernommen zu haben glaube und daß er oft am Abende nach der Feierglocke in einer kleinen Dachkammer bei einem Lichte zwei Männer, deren einer Klaas gewesen sei, habe miteinander sprechen sehn. Ob der andere ein Ketzer gewesen sei oder nicht, könne er nicht sagen, weil er ihn nur von ferne gesehn habe. »Was aber Klaas betrifft, so sage ich, und ich spreche die lautere Wahrheit, daß er, solange ich ihn kenne, immer seine Ostern ehrlich gehalten und bei allen großen Festen kommuniziert hat; alle Sonntage war er bei der Messe, ausgenommen den vom Heiligen Blut und die folgenden. So wahr mir Gott helfe und seine Heiligen.«
Auf die Frage, ob er nicht gesehn habe, wie Klaas in dem Wirtshause ›Zum blauen Turm‹ Ablässe verkauft und das Fegefeuer verspottet habe, antwortete Jan van Roosebeke, Klaas habe zwar Ablässe verkauft, jedoch ohne Hohn und Spott, und auch er, Jan van Roosebeke, habe davon gekauft, wie das auch Judocus Grijpstuiver, der Zunftmeister der Fischhändler, der jetzt auch unter der Menge sei, habe tun wollen.
Nun sagte der Vogt, er werde die Tatsachen und Handlungen bekannt geben, um derentwillen Klaas vor das Gericht der Vierschaar geführt worden sei. »Der Angeber,« sagte er, »der zufällig in Damme geblieben war, um nicht sein Geld in Brügge mit Schlemmen und Demmen zu vergeuden, wie dies gar oft bei diesen heiligen Anlässen geschieht, stand in Gedanken versunken auf der Schwelle seiner Tür, um Luft zu schöpfen. Da sah er einen Mann durch die Reigerstraat gehn. Als Klaas den Mann bemerkte, ging er auf ihn zu und begrüßte ihn. Der Mann war in Schwarz gekleidet. Er trat bei Klaas ein, und die Haustür blieb halb offen. Neugierig, wer der Mann sei, trat der Angeber in den Flur. Er hörte, wie Klaas mit dem Fremden in der Küche von einem gewissen Judocus sprach, seinem Bruder, den man, weil er unter den Truppen der Reformierten gefangen worden war, nicht weit von Aachen lebendig aufs Rad geflochten hatte. Der Fremde sagte zu Klaas, das Geld, das er von seinem Bruder bekommen habe, sei dem armen unwissenden Volke abgenommen; er solle es verwenden, um seinen Sohn in dem reformierten Glauben aufzuerziehen. Auch munterte er Klaas auf, den Schoß unserer Heiligen Kirche zu verlassen, und brachte sonst noch gottlose Reden vor; Klaas entgegnete nur mit den Worten: ›Grausame Henker! Mein armer Bruder!‹ Und der Angeklagte lästerte also unsern Heiligen Vater den Papst und Seine Königliche Majestät, indem er sie der Grausamkeit anklagte, weil sie die Ketzerei gerecht strafen als ein Verbrechen der Beleidigung göttlicher und menschlicher Majestät. Als der Mann gegessen hatte, hörte der Angeber Klaas schreien: ›Armer Judocus, Gott nehme dich auf in seine Glorie, sie waren grausam mit dir!‹ Und also klagte er Gott selber der Ruchlosigkeit an, indem er die Ansicht aussprach, daß er Ketzer in seinen Himmel aufnehmen könne. Und Klaas hörte nicht auf zu sagen: ›Mein armer Bruder!‹ Der Fremde, der nun ungestüm wurde wie ein Prädikant bei seiner Predigt, schrie: ›Sie wird fallen, die große Babylon, die römische Hure, und sie wird zur Behausung der Teufel werden und zum Behältnis aller unreinen Vögel!‹ Klaas sagte: ›Grausame Henker! Mein armer Bruder!‹ Der Fremde fuhr fort und sagte: ›Und der Engel wird einen großen Stein aufheben wie einen Mühlstein, und er wird ihn ins Meer werfen und sprechen: So wird die große Babylon verworfen und nicht mehr erfunden werden.‹ ›Herr,‹ sagte Klaas, ›Euer Mund ist voll Zorn; aber sagt mir, wann wird das Reich kommen, wo die, die eines milden Herzens sind, im Frieden leben können auf der Erde?‹ ›Niemals,‹ antwortete der Fremde, ›solange der Antichrist herrscht, der der Papst ist und der Widersacher aller Wahrheit.‹ ›Ach,‹ sagte Klaas, ›ihr sprecht ohne Ehrfurcht von unserm Heiligen Vater. Sicherlich weiß er nichts von den grausamen Martern, womit man die armen Reformierten straft.‹ Der Fremde antwortete: ›Keineswegs weiß er es nicht; denn er ist es, der seine Urteile schleudert, und er läßt sie durch den Kaiser vollziehen und jetzt durch den König, der die Gütereinziehung genießt, die Toten beerbt und den Reichen willig der Ketzerei halber den Prozeß macht.‹ Klaas antwortete: ›Man sagt derlei im Lande zu Flandern, ich muß es glauben; das Fleisch des Menschen ist schwach, selbst das königliche. Mein armer Judocus!‹ Und so gab Klaas zu verstehn, daß es aus niedriger Gewinnsucht geschehe, daß Seine Majestät die Ketzermeister strafe. Der Fremde wollte weiterschwatzen, aber Klaas sagte: ›Seid so gut, Herr, nicht mehr dergleichen Reden zu führen; wenn sie gehört würden, würden sie mir einen schlimmen Prozeß bringen.‹
Klaas erhob sich, um in den Keller zu gehn, und kam mit einem Kruge Bier zurück. ›Ich will die Tür schließen,‹ sagte er nun; und der Angeber hörte nichts mehr, weil er hastig das Haus verlassen mußte. Die Tür, die nun geschlossen war, wurde jedoch bei Einbruch der Nacht wieder geöffnet. Der Fremde ging weg, kam aber bald wieder, klopfte an und sagte: ›Klaas, mich friert. Ich weiß mir keine Unterkunft; gib mir Obdach: niemand hat mich kommen sehn, und die Stadt ist verlassen.‹ Klaas nahm ihn auf, entzündete ein Licht, und man sah ihn, wie er, dem Ketzer voranschreitend, die Treppe hinaufstieg und ihn auf den Boden führte in eine kleine Kammer, deren Fenster sich auf das Feld öffnet . . .«
»Wer kann das alles«, schrie Klaas dazwischen, »erzählt haben, wenn nicht du, du elender Fischhändler? Dich habe ich ja an dem Sonntag unter deiner Tür stehn sehn, steif wie ein Pfahl und scheinheilig den Schwalbenflug betrachtend!« Und er zeigte mit dem Finger auf Judocus Grijpstuiver, den Zunftmeister der Fischhändler, dessen häßliche Fratze unter der Volksmenge sichtbar wurde.
Der Fischhändler lächelte hämisch, als sich Klaas auf diese Weise verriet. Und das ganze Volk, Männer, Frauen und Mädchen, sagten untereinander: »Armer Mensch, sein Reden bringt ihm sicherlich den Tod.«
Aber der Schreiber fuhr fort in seiner Auseinandersetzung: »Der Ketzer und Klaas redeten diese Nacht lange mitsammen und ebenso die sechs folgenden; man konnte beobachten, wie der Ketzer oft und oft Gebärden der Drohung oder des Segens machte und die Arme zum Himmel hob, wie es die Ketzer seinesgleichen tun. Und Klaas schien seine Worte zu billigen. Sicherlich haben sie während dieser Tage, Abende und Nächte Schmähungen gebraucht gegen die Messe, gegen die Beichte, gegen den Ablaß und gegen Seine Königliche Majestät . . .«
»Niemand hats gehört,« sagte Klaas, »und man kann mich nicht so anklagen ohne Inzichten!«
Der Schreiber entgegnete: »Man hat etwas andres gehört. Als der Fremde von dir Urlaub nahm, am siebenten Tage, um die zehnte Stunde, der Abend war schon eingefallen, hast du ihm bis zur Grenze von Katelijnens Feld das Geleit gegeben. Dort hat er dich gefragt, was du mit den elenden Götzenbildern« – der Vogt bekreuzigte sich – »gemacht habest, mit den Bildern der Jungfrau, des heiligen Nikolaus und des heiligen Martin. Und du hast geantwortet, daß du sie zerbrochen und in den Brunnen geworfen hast. Und sie sind tatsächlich in deinem Brunnen gefunden worden, in der heutigen Nacht, und die Stücke liegen in der Folterkammer.«
Nun schien Klaas vernichtet. Der Vogt fragte ihn, ob er etwas zu erwidern habe. Klaas schüttelte den Kopf.
Der Vogt fragte ihn, ob er nicht den verfluchten Gedanken, der ihn die Bilder habe zerbrechen lassen, und den gottlosen Irrtum, kraft dessen er Lästerworte gegen Seine Göttliche Majestät und gegen Seine Königliche Majestät ausgestoßen habe, widerrufen wolle. Klaas antwortete, sein Leib gehöre Seiner Königlichen Majestät, aber sein Gewissen gehöre Christo, dessen Gesetz er befolgen wolle. Der Vogt fragte ihn, ob dieses Gesetz das der Heiligen Kirche sei. Klaas antwortete: »Es ist im Heiligen Evangelium.«
Aufgefordert, die Frage zu beantworten, ob er den Papst für Gottes Stellvertreter auf Erden erkenne, antwortete er: »Nein.« Gefragt, ob er es für erlaubt halte, die Bilder der Jungfrau und der Heiligen zu verehren, antwortete er, das sei Götzendienst. Gefragt, ob er die Ohrenbeichte als etwas Gutes und Heilsames erkenne, antwortete er: »Christus hat gesagt: Beichtet einer dem andern.«
Er war fest in seinen Antworten, obwohl er bekümmert und erschreckt war im Grunde seines Herzens.
Es schlug acht Uhr, und der Abend senkte sich herab. Die Herren vom Gerichte zogen sich zurück und verschoben die Urteilsfällung auf den nächsten Tag.