Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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XXX

Unterdessen ritt der Profoß Spelle der Rote, bewaffnet mit seinem roten Stabe, auf seinem magern Klepper von Stadt zu Stadt, um überall Schafotte zu errichten, Scheiterhaufen zu entzünden und Gräber für die Frauen und Mädchen zu scharren. Und der König erbte.

Uilenspiegel saß mit Lamme zu Meulestede unter einem Baum;, er war voller Verdrossenheit. Es war kalt, obwohl es Juni war. Vom Himmel, der mit grauen Wolken geladen war, fiel ein dünner Hagel.

»Mein Sohn,« sagte Lamme zu ihm, »seit vier Nächten läufst du auf den Strich und hinter den tollen Mädchen her und schläfst im Zoeten Inval; dir wirds schließlich so gehn wie dem Mann auf dem Schilde, der mit dem Kopf voran in den Bienenkorb fällt. Umsonst erwarte ich dich im Zwaan, und mir schwant nichts Gutes von diesem unzüchtigen Wesen. Warum nimmst du dir nicht tugendsam eine Frau?«

»Lamme,« sagte Uilenspiegel, »der, dem eine so viel gilt wie alle und alle so viel gelten wie eine, darf die Wahl nicht leichtsinnig überstürzen.«

»Und Nele, an die denkst du nicht?«

»Nele ist in Damme, gar weit von hier,« sagte Uilenspiegel.

Sie lagen noch unter dem Baume, und der Hagel fiel dicht, als eine junge, reizende Frau vorbeilief, die ihren Kopf mit dem Rocke deckte. »He, Siebenträumer,« sagte sie, »was machst du da unter dem Baum?«

»Ich träume«, sagte Uilenspiegel, »von einer Frau, die mir aus ihrem Rock ein Dach gegen den Hagel macht.«

»Du hast sie gefunden,« sagte die Frau; »steh auf.« Uilenspiegel stand auf.

»Läßt du mich schon wieder allein?« sagte Lamme. »Ja,« sagte Uilenspiegel; »aber geh in den Zwaan, iß eine Hammelkeule oder zwei, trink ein Dutzend Humpen Bier, und du wirst schlafen und dich nicht langweilen.«

»Das will ich tun,« sagte Lamme.

Uilenspiegel war schon bei der Frau; die sagte: »Heb du meinen Rock auf der einen Seite, ich hebe ihn auf der andern; und nun laß uns laufen.«

»Warum laufen?« fragte Uilenspiegel.

»Weil ich«, sagte sie, »aus Meulestede fliehen will; der Profoß Spelle ist dort mit zwei Häschern und hat geschworen, alle tollen Mädchen stäupen zu lassen, die ihm nicht fünf Gulden zahlen. Darum laufe ich; lauf auch und bleib bei mir zu meinem Schutze.«

»Lamme,« schrie Uilenspiegel, »Spelle ist in Meulestede. Geh nach Destelbergen in den Dreikönigsstern.« Erschrocken fuhr Lamme auf, packte seinen Wanst mit beiden Händen und setzte sich in Trab.

»Wohin geht das dicke Kaninchen?« sagte das Mädchen. »In einen Bau, wo ich es wiederfinden werde,« antwortete Uilenspiegel.

»Laufen wir,« sagte sie und stampfte mit dem Fuße wie eine ungeduldige Stute. »Ich möchte tugendhaft sein, ohne zu laufen,« sagte Uilenspiegel.

»Was soll das bedeuten?« fragte sie. Uilenspiegel antwortete: »Das dicke Kaninchen will, daß ich dem guten Wein, dem Bier und der frischen Frauenhaut entsage.«

Das Mädchen sah ihn mit einem scheelen Auge an: »Dein Atem geht kurz; du mußt ausruhen.«

»Ausruhen?« antwortete Uilenspiegel; »ich sehe aber nirgends Dach und Fach.«

»Deine Tugend«, sagte das Mädchen, »wird dir als Decke dienen.«

»Dein Rock ist mir lieber.«

»Mein Rock«, sagte das Mädchen, »wäre unwürdig, einen Heiligen, wie du einer sein willst, zu bedecken. Mach, daß du weiterkommst, ich laufe allein.«

»Weißt du nicht,« antwortete Uilenspiegel, »daß ein Hund mit seinen vier Pfoten schneller läuft als ein Mensch mit zweien? Drum werden auch wir mit vier Pfoten besser laufen.«

»Du sprichst lose für einen tugendhaften Mann.«

»Ja,« sagte er.

»Aber,« sagte sie, »ich habe noch immer gesehn, daß die Tugend eine schale, schläfrige, ungeschlachte und frostige Eigenschaft ist. Sie ist eine Maske für griesgrämige Gesichter, ein Samtmantel für einen Mann von Stein. Ich liebe die, die in der Brust ein Glutbecken haben, wohl entzündet an dem Feuer der Männlichkeit, das zu wackern und fröhlichen Unternehmungen reizt.«

»So ähnlich war das,« antwortete Uilenspiegel, »was die schöne Teufelin zum glorreichen heiligen Antonius gesprochen hat.«

Auf zwanzig Schritt weit war an der Straße eine Herberge. »Du hast gut gesprochen,« sagte Uilenspiegel, »nun heißt es gut trinken.«

»Meine Zunge ist noch frisch,« sagte das Mädchen.

Sie traten ein. Auf einer Truhe träumte ein großer Krug, von der Gattung, die Wänste heißen wegen ihres weiten Panzens. Uilenspiegel sagte zum Baas: »Siehst du diesen Gulden?«

»Ich sehe ihn,« sagte der Baas.

»Wieviel Plapparte nimmst du davon, um diesen Wanst da mit Dobbelen Klauwaart zu füllen?«

»Mit neun Männchen bist du ledig.«

»Das gibt«, sagte Uilenspiegel, »sechs Heller vlämisch und um zwei Heller zu viel. Aber füll ihn gleichwohl.«

Uilenspiegel schenkte der Frau einen Becher voll ein; dann streckte er sich trotzig, brachte den Schnabel des Wanstes an seinen Mund und goß den ganzen Inhalt in seinen Schlund. Und es war wie das Rauschen eines Wasserfalls.

Erstaunt sagte das Mädchen zu ihm: »Wie machst du das, daß du einen so großen Wanst in deinen magern Bauch bringst?« Ohne ihr zu antworten, sagte Uilenspiegel zum Baas: »Bring einen Schinken und Brot und noch einen vollen Wanst, damit wir essen und trinken.« Und das taten sie.

Während das Mädchen an einer Schwarte knapperte, versuchte er einen so künstlichen Griff an ihr, daß sie auf einen Schlag verdutzt, verzückt und untertänig wurde. Dann fragte sie ihn: »Woher sind Euerer Tugend dieser Durst eines Schwammes, dieser Hunger eines Wolfes und diese verliebte Kühnheit gekommen?«

Uilenspiegel antwortete: »Nachdem ich auf hunderterlei Arten gesündigt habe, habe ich, wie du weißt, geschworen, Buße zu tun. Das hat wohl reichlich eine Stunde gedauert. Als ich nun während dieser Stunde an mein künftiges Leben dachte, sah ich mich vor mir, vom Brot mager ernährt, vom Wasser schal erquickt, die Liebe traurig fliehend, ohne Wagemut, mich zu rühren oder zu niesen, aus Angst, eine Schlechtigkeit zu begehn, geachtet von allen, gefürchtet von jedermann, einsam wie ein Aussätziger und traurig wie ein herrenloser Hund, um schließlich nach fünfzig Jahren des Märtyrertums trübselig auf einem Strohsack zu verenden. Die Buße war lange genug; drum küß mich, mein Schatz, und hüpfen wir zu zweit aus dem Fegefeuer.«

»Ach,« sagte sie, willig gehorchend, »die Tugend ist eine schöne Fahne, um sie ganz oben an eine Stange zu binden!«

Die Zeit verstrich bei dieser verliebten Unterhaltung; endlich aber mußten sie fort, weil das Mädchen Angst hatte, plötzlich könnte mitten unter ihren Wonnen der Profoß Spelle mit seinen Häschern auftauchen.

»Schürze denn deinen Rock,« sagte Uilenspiegel. Und sie liefen wie Hirsche nach Destelbergen; dort trafen sie Lamme im Dreikönigsstern beim Essen.


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