Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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Zweites Buch

I

An diesem Morgen, es war im September, nahm Uilenspiegel seinen Stock, drei Gulden, die ihm Katelijne gegeben hatte, ein Stück Schweineleber und eine Schnitte Brot und brach von Damme gegen Antwerpen auf, um die Sieben zu suchen; Nele schlief.

Während er dahinschritt, folgte ihm ein Hund, der ihn der Leber halber beroch und ihm an die Beine sprang. Uilenspiegel versuchte ihn wegzujagen, aber der Hund beharrte darauf ihm nachzulaufen, und Uilenspiegel hielt ihm folgende Rede: »Mein liebes Hündchen, du bist schlecht beraten, daß du dein Haus, wo gutes Futter, köstliche Brocken und Knochen voll Mark deiner harren, verläßt, um aufs Geratewohl einem Landstreicher zu folgen, der dir vielleicht nicht einmal ein paar Wurzeln täglich wird geben können. Glaub mir, du dummes Hündchen, geh zurück zu deinem Herrn. Versuch nicht erst den Regen, den Schnee, den Hagel, die Güsse, die Nebel und die Schauer und die andern Wassersuppen, die auf den Rücken der Landstreicher traufen. Bleib in deinem Herdwinkel und wärme dich zusammengerollt am lustigen Feuer; mich laß meinen Weg gehn im Kot und im Sand, bei Kälte und Hitze, heute gebraten, morgen erfroren, satt am Freitag und hungrig am Sonntag. Es wäre das gescheiteste, daß du wieder gingest, woher du gekommen bist, du unerfahrenes Hündchen.«

Der Hund schien Uilenspiegel durchaus nicht zu begreifen. Mit dem Schweife wedelnd, tat er seine schönsten Sprünge und bellte vor Freßlust. Uilenspiegel glaubte, das geschehe aus Freundschaft, und dachte nicht im mindesten an die Leber, die er in seinem Schnappsacke trug.

Er schritt aus, und der Hund folgte ihm. Nach einer Meile sahen sie auf der Straße einen Karren, vor den ein Esel gespannt war, der den Kopf hangen ließ. Auf der Straßenböschung saß zwischen zwei Distelsträuchern ein dicker Mann, in der einen Hand eine Hammelkeule, woran er nagte, in der andern eine Flasche, deren Inhalt er schlürfte; wann er gerade nicht aß und nicht trank, dann stöhnte und weinte er.

Uilenspiegel hielt an und der Hund desgleichen. Der witterte den Hammelknochen und die Leber und erstieg die Böschung. Dort setzte er sich neben den Mann und kratzte ihn am Wamse, um seinen Teil von der Mahlzeit zu haben; aber der Mann stieß ihn mit dem Ellbogen weg und wimmerte, die Hammelkeule hoch in die Luft haltend, herzerweichend. Der Hund ahmte ihm aus Lüsternheit nach. Der Esel begann zu brällen, aus Groll, weil er an den Karren geschirrt war und nicht zu den Disteln konnte. »Wo fehlts dir, Jan?« fragte der Mann den Esel.

»An nichts sonst,« antwortete Uilenspiegel, »als daß er gerne die Disteln schmauste, die zu Euern Seiten blühen, wie in der Emporkirche zu Tessenderloo neben und über dem Herrn Jesus Christus. Auch der Hund da wäre nicht abgeneigt, seine Kinnlade mit Euerm Knochen Hochzeit halten zu lassen; einstweilen will ich ihm die Leber da geben.«

Der Hund hatte die Leber gefressen; der Mann betrachtete seinen Knochen genau, nagte ihn noch einmal ab, um auch das letzte Restchen Fleisch zu bekommen, und gab ihn endlich dem Hunde. Der legte die Pfoten darauf und begann ihn auf dem Rasen zu zermalmen.

Dann sah der Mann Uilenspiegel an. Der erkannte Lamme Goedzak aus Damme. »Lamme,« sagte er, »was machst du da, trinkend, essend und in Tränen zerfließend? Hat dich vielleicht so ein ehrfurchtsloser Soldat bei den Ohren gezaust?«

»Ach, meine Frau!« sagte Lamme. Er wollte seine Weinflasche leeren, aber Uilenspiegel legte ihm die Hand auf den Arm. »Trink nicht so,« sagte er; »von dem gähen Trinken haben nur die Nieren etwas. Besser käme es dem zu, der keine Flasche hat.«

»Du sprichst gut,« antwortete Lamme; »wirst du das Trinken besser treffen?« Und er reichte ihm die Flasche.

Uilenspiegel nahm sie, hob den Ellbogen und gab sie ihm wieder: »Heiß mich einen Spanier, wenn noch so viel drin ist, um einen Spatzen betrunken zu machen.«

Lamme besah die Flasche. Ohne sein Schluchzen zu unterbrechen, suchte er in seinem Ranzen und förderte außer einer andern Flasche ein Stück Wurst heraus; er machte sich daran, Scheiben herunterzuschneiden und sie trübselig zu kauen. »Ißt du ununterbrochen, Lamme?« fragte ihn Uilenspiegel.

»Manchmal, mein Sohn,« antwortete Lamme, »aber nur, um meine traurigen Gedanken zu verscheuchen. Wo bist du, Frau?« Und er wischte sich eine Träne aus dem Auge. Und er schnitt zehn Scheiben von der Wurst ab.

»Lamme,« sagte Uilenspiegel, »iß nicht so schnell und so ohne Mitgefühl für den armen Pilger.«

Weinend gab ihm Lamme vier Scheiben; Uilenspiegel aß sie und war ganz gerührt über ihren guten Geschmack. Aber Lamme sagte, immerfort weinend und essend: »Meine Frau, meine gute Frau! Wie war sie süß, wie war sie wohlgebaut am Leibe! Leicht wie ein Schmetterling, lebendig wie der Blitz und sangeslustig wie die Lerche! Freilich liebte sie den Putz zu sehr. Ach, ihr stand alles so gut! Haben doch auch die Blumen reichlichen Schmuck. Wenn du, mein Sohn, ihre Händchen gesehn hättest, so leicht zur Liebkosung, du hättest sie nie eine Pfanne oder einen Kessel anrühren lassen. Das Küchenfeuer hätte ihre Haut geschwärzt, die so licht war wie der Tag. Und die Augen! Wann ich sie nur ansah, zerfloß ich in Zärtlichkeit. – Nimm einen Schluck Wein, ich trinke nach dir. – Ach! Warum ist sie nicht tot? Thijl, ich hatte das ganze Hauswesen auf mich genommen, um ihr auch die geringste Arbeit zu ersparen: ich scheuerte die Stuben, und ich machte das eheliche Bett, wo sie sich des Abends ausstreckte, müde vor Wohlbehagen; ich wusch das Geschirr, und ich wusch das Weißzeug, das ich auch wieder plättete. – Iß, Thijl, es ist Genter Wurst. – Oft kam sie vom Spazierengehn zu spät zum Essen heim, aber meine Freude, sie zu sehn, war so groß, daß ich nicht zu greinen wagte, glücklich, wenn sie mir nur nicht in der Nacht schmollend den Rücken wandte. Alles ist hin. – Koste den Wein, er ist aus der Brüsseler Flur, nach der Art des Burgunders.«

»Warum ist sie gegangen?« fragte Uilenspiegel.

»Weiß ichs?« antwortete Lamme Goedzak. »Wo ist die Zeit, wo ich sie, schon entschlossen, sie zu heiraten, besuchte? Damals floh sie vor mir aus Furcht und aus Liebe. Wann sie die Arme nackt hatte, ihre schönen runden weißen Arme, und sie merkte, ich sehe sie an, ließ sie sofort die Ärmel fallen. Ein andermal überließ sie sich meiner Zärtlichkeit, und ich durfte ihre schönen Augen küssen, die sie schloß, und ihren breiten, prallen Nacken; dann zitterte sie und stieß kleine Schreie aus, bog wohl den Kopf nach rückwärts und gab mir damit einen Schlag auf die Nase. Und sie lachte, wenn ich ›O weh‹ sagte. Und ich strafte sie mit verliebten Püffen, und unter uns war eitel Wonne und Lachen. – Thijl, ist noch Wein in der Flasche?«

»Ja,« antwortete Uilenspiegel.

Lamme trank und fuhr fort: »Ein andermal, wann sie inniger war, schlang sie mir die Arme um den Hals und sagte zu mir: ›Du bist schön!‹ Und sie küßte mich toll, hundertmal hintereinander auf die Wangen oder die Stirn, aber niemals auf den Mund. Und wann ich sie dann fragte, woher ihr diese Zurückhaltung komme bei einer so großen Ausgelassenheit, dann lief sie eilends um eine Puppe, gekleidet in Seide und Perlen, die in einem Humpen auf einer Truhe stand, nahm sie in die Arme und wiegte sie und sagte: ›Ich will nicht so etwas.‹ Sicherlich hatte ihr die Mutter, um ihre Tugend zu bewahren, gesagt, die Kinder würden mit dem Munde gemacht. Ach! Süße Augenblicke! Zärtliche Liebkosungen! – Thijl, sieh einmal nach, ob du nicht im Beutel des Ranzens etwas Schinken findest!«

»Einen halben,« antwortete Uilenspiegel und gab ihn Lamme; der aß ihn bis auf den letzten Bissen auf.

Uilenspiegel sah ihm zu und sagte: »Der Schinken tut mir im Magen sehr wohl.«

»Mir auch,« sagte Lamme, sich die Zähne mit den Nägeln stochernd. »Aber ich werde mein Lieb nimmer wiedersehn, sie ist weg von Damme; willst du sie suchen mit mir in meinem Karren?«

»Ja,« antwortete Uilenspiegel. »Aber«, sagte Lamme, »ist nichts mehr in der Flasche?« »Nichts,« antwortete Uilenspiegel.

Und sie stiegen in den Karren; das Grautier zog an und brällte wehmütig zum Abschied.

Was den Hund betrifft, so war er, wohlgesättigt, verschwunden, ohne etwas gesagt zu haben.


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