Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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LXXVIII

Gegen zehn Uhr vor Mittag wurden Uilenspiegel und Soetkin in die Folterkammer geführt. Dort waren der Vogt, der Schreiber und die Schöffen, der Henker von Brügge, sein Knecht und ein Wundarzt.

Der Vogt fragte Soetkin, ob sie nicht dem Kaiser etwas ihm Gehöriges vorenthalte. Sie antwortete, da sie nichts habe, könne sie nichts vorenthalten.

»Und du?« fragte der Vogt Uilenspiegel. »Es sind sieben Monate,« antwortete er, »da haben wir siebenhundert Karlsgulden geerbt; einige davon verzehrten wir. Was die andern betrifft, so weiß ich nicht, wo sie sind: immerhin denke ich, daß der Wandersmann, der zu unserm Unglück bei uns geweilt hat, den Rest mitgenommen hat; denn ich habe nichts mehr davon gesehn.«

Der Vogt fragte sie neuerlich, ob sie alle beide dabei beharrten, sich für unschuldig zu erklären. Sie antworteten, daß sie dem Kaiser nichts vorenthielten, was ihm gehöre.

Nun sagte der Vogt ernst und traurig: »Die Verdachtsgründe gegen euch sind groß, und die Anklage ist begründet; wenn ihr nicht gesteht, müßt ihr die peinliche Frage erleiden.«

»Schonet die Witwe,« sagte Uilenspiegel. »Der Fischhändler hat alles gekauft.«

»Armer Wicht,« sagte Soetkin, »die Männer verstehn es nicht, den Schmerz wie die Frauen zu ertragen.« Als sie sah, daß Uilenspiegel ihretwegen bleich war wie ein Toter, sagte sie noch: »Ich habe Haß und Kraft.«

»Schonet die Witwe,« sagte Uilenspiegel.

»Nehmt mich an seiner Statt,« sagte Soetkin.

Der Vogt fragte den Henker, ob er alles bereit habe, was es brauche, um die Wahrheit zu ergründen. Der Henker antwortete: »Alles ist da.«

Die Richter berieten sich und entschieden, daß man, um die Wahrheit zu erfahren, bei der Frau beginnen müsse. »Denn«, sagte ein Schöffe, »es gibt keinen so grausamen Sohn, daß er seine Mutter könnte leiden sehn, ohne das Verbrechen zu gestehn und sie so zu lösen; dasselbe würde auch jede Mutter für ihre Frucht tun, und hätte sie das Herz einer Tigerin.«

Der Vogt sagte zum Henker: »Setze die Frau auf den Stuhl und lege ihr die Stöckchen an die Hände und die Füße.« Der Henker gehorchte.

»Oh, das tut nicht, Herren Richter,« schrie Uilenspiegel. »Bringt mich an ihren Platz, brecht mir die Finger und die Zehen, aber schonet die Witwe!«

»Der Fischhändler,« sagte Soetkin; »ich habe Haß und Kraft.« Uilenspiegel wurde noch bleicher, zitterte vor Wut und schwieg.

Diese Stöckchen waren kleine buchsbaumene Stäbe, die zwischen die Finger gesteckt wurden und die Knochen berührten; durch Schnürchen waren sie zu einem so fein ersonnenen Werke verbunden, daß es der Henker nach dem Belieben des Richters vermochte, alle Finger zugleich zu quetschen, die Knochen ihres Fleisches zu entblößen und sie zu zermalmen oder dem zu Folternden nur einen geringen Schmerz zu verursachen.

Er legte Soetkin die Stöckchen an Händen und Füßen an. »Quetscht,« sagte der Vogt zu ihm.

Er tat es grausam.

Nun richtete der Vogt das Wort an Soetkin: »Bezeichne mir den Ort, wo die Karlsgulden versteckt sind.« »Ich kenne ihn nicht,« antwortete sie wimmernd.

»Quetscht stärker,« sagte er.

Uilenspiegel versuchte seine ihm auf den Rücken gebundenen Arme loszubekommen, um Soetkin zu Hilfe eilen zu können.

»Quetscht nicht weiter, Herren Richter,« sagte er; »das sind Frauenknochen, zart und schwach. Ein Vogel bräche sie mit dem Schnabel. Quetscht nicht weiter, Herr Henker; doch zu Euch rede ich nicht, denn Ihr müßt Euch gehorsam zeigen den Befehlen der Herren. Quetscht nicht; habt Barmherzigkeit!«

»Der Fischhändler,« sagte Soetkin. Und Uilenspiegel schwieg.

Als er aber sah, daß der Henker die Stöckchen stärker anzog, schrie er von neuem: »Barmherzigkeit, Herren! Ihr brecht der Witwe die Finger, deren sie zur Arbeit bedarf. Ach, ihre Füße! Soll sie denn nimmer gehn können? Barmherzigkeit, Herren!«

»Du wirst eines elenden Todes sterben, Fischhändler,« schrie Soetkin.

Und ihre Knochen krachten, und das Blut fiel tropfenweise von ihren Füßen. Uilenspiegel sah alles und sagte, zitternd vor Schmerz und Wut: »Frauenknochen, brecht sie nicht, Herren Richter!«

»Der Fischhändler,« wimmerte Soetkin. Und ihre Stimme war hohl und erstickt wie die Stimme eines Gespenstes.

Uilenspiegel zitterte und schrie: »Herren Richter, die Hände bluten und auch die Füße. Man hat der Witwe die Knochen zerbrochen.«

Der Wundarzt berührte die wunden Stellen, und Soetkin stieß einen gellenden Schrei aus. »Gestehe für sie,« sagte der Vogt zu Uilenspiegel.

Aber Soetkin sah ihn mit den weit offenen Augen an, die denen einer Leiche glichen. Und er verstand, daß er nicht reden dürfe, und weinte, ohne ein Wort zu sagen.

Aber nun sagte der Vogt: »Da diese Frau über die Härte eines Mannes verfügt, soll ihr Mut vor der Folter ihres Sohnes erprobt werden.« Soetkin hörte nichts, da sie wegen der erlittenen furchtbaren Pein von Sinnen war.

Mit viel Essig brachte man sie wieder zu sich. Dann wurde Uilenspiegel entkleidet und nackt vor die Augen der Witwe gebracht. Der Henker schor ihm den Kopf und den ganzen Körper, um zu sehn, ob er nicht irgendeinen Zauber an sich habe. Da bemerkte er auf seinem Rücken das schwarze Pünktchen, das er von Geburt aus hatte. Mehrere Male stach er mit einer langen Nadel hinein; da aber Blut kam, schloß er, daß an dem Pünktchen keine Hexerei sei. Auf den Befehl des Vogtes wurden die Hände Uilenspiegels an zwei Stricke gebunden, die über eine an der Decke angebrachte Rolle liefen, so daß ihn der Henker nach dem Belieben des Richters heben und senken konnte, ihn dabei grausam streckend. Das tat er wohl neunmal; vorher aber hatte er ihm an jedes Bein ein Gewicht von fünfundzwanzig Pfund gebunden. Bei dem neunten Strecken löste sich die Haut von den Handgelenken und den Knöcheln und die Knochen der Beine begannen aus den Gelenken zu treten.

»Gestehe,« sagte der Vogt. »Nein,« antwortete Uilenspiegel.

Soetkin sah ihren Sohn an und fand nicht die Kraft zu schreien, noch zu sprechen. Sie öffnete nur die Arme und winkte mit ihren blutigen Händen, um durch diese Gebärde anzudeuten, daß man dieser Folter ein Ende machen solle.

Der Henker zog Uilenspiegel noch einmal auf und ließ ihn wieder sinken. Und die Haut der Handgelenke und der Knöchel löste sich noch mehr ab, und die Knochen der Beine traten noch mehr aus den Gelenken; aber er schrie nicht. Soetkin weinte und winkte mit den blutigen Händen. »Gestehe die Hehlerei,« sagte der Vogt, »und dir wird verziehen werden.«

»Der Fischhändler braucht Verzeihung,« antwortete Uilenspiegel.

»Du willst die Richter höhnen?« sagte ein Schöffe.

»Höhnen? Ach!« antwortete Uilenspiegel, »so etwas tue ich nicht, glaubt mir!«

Soetkin sah nun, wie der Henker auf den Befehl des Vogtes eine glühende Kohlenpfanne anfachte, während sein Knecht zwei Lichter entzündete. Sie wollte sich auf ihren zerquetschten Füßen erheben, aber sie fiel zurück auf ihren Sitz; da schrie sie: »Nehmt das Feuer weg! Ach, Herren Richter, schont seine arme Jugend. Nehmt das Feuer weg!«

»Der Fischhändler,« schrie Uilenspiegel, als er sie schwach werden sah.

»Zieht Uilenspiegel einen Fuß hoch auf,« sagte der Vogt; »setzt ihm die Pfanne unter die Füße und unter jede Achsel ein Licht.«

Der Henker gehorchte. Was noch unter den Achseln an Haar vorhanden war, das prasselte und rauchte unter der Flamme. Uilenspiegel schrie, und Soetkin sagte weinend: »Nehmt das Feuer weg!«

Der Vogt sagte: »Gesteh die Hehlerei, und du bist frei. Gesteh für ihn, Weib.«

Und Uilenspiegel sagte: »Wer will den Fischhändler in das Feuer werfen, das ewig brennt?«

Soetkin deutete mit dem Kopfe, sie habe nichts zu sagen. Uilenspiegel knirschte mit den Zähnen, und Soetkin sah ihn an mit unheimlichem und tränendem Blicke.

Inzwischen löschte der Henker die Lichter aus und setzte die glühende Pfanne unter Uilenspiegels Füße; da schrie sie: »Herren Richter, habt Erbarmen mit ihm; er weiß nicht, was er spricht.«

»Warum weiß er nicht, was er spricht?« fragte der Vogt listig.

»Fragt sie nicht, Herren Richter,« sagte Uilenspiegel. »Ihr seht ja, daß sie verrückt ist vor Schmerz. Der Fischhändler hat gelogen.«

»Sprichst du so wie er, Weib?« fragte der Vogt. Soetkin nickte mit dem Kopfe.

»Brennt den Fischhändler!« schrie Uilenspiegel. Soetkin schwieg, aber sie ballte die Faust in der Luft wie zu einem Fluche.

Als sie dann die Glut unter den Füßen ihres Sohnes immer mehr aufflammen sah, schrie sie: »Herr Gott und Maria im Himmel, laßt die Pein ein Ende nehmen! Habt Erbarmen! Nehmt die Glut weg!«

»Der Fischhändler,« wimmerte Uilenspiegel wieder. Dann kam ihm das Blut in Strömen aus Nase und Mund, und er hing, den Kopf neigend, bewußtlos über den Kohlen.

Nun schrie Soetkin: »Er ist tot, mein armer Sohn! Sie haben ihn getötet! Ach, ihn auch! Nehmt die Kohlen weg, Herren Richter! Laßt mich ihn in die Arme nehmen, um auch zu sterben, ich, neben ihm. Ihr wißt, daß ich nicht fliehen kann, mit meinen zerbrochenen Füßen.«

»Gebt der Witwe ihren Sohn,« sagte der Vogt. Dann berieten die Richter.

Der Henker band Uilenspiegel los und legte ihn nackt und über und über mit Blut bedeckt auf die Knie Soetkins; und der Wundarzt renkte die Knochen wieder in die Gelenke ein. Dabei umarmte Soetkin Uilenspiegel und sagte weinend: »Sohn, armer Märtyrer! Wenn es die Herren Richter erlauben, werde ich dich heilen; aber wache doch auf, Thijl, mein Sohn! Herren Richter, wenn Ihr ihn mir getötet habt, gehe ich zu Seiner Majestät; denn Ihr habt gegen Recht und Gerechtigkeit gehandelt, und Ihr werdet sehn, was ein armes Weib gegen die Schlechten vermag. Aber, Herren, laßt uns miteinander frei. Wir haben niemand auf der Welt als uns beide, wir armen Leute, auf denen die Hand Gottes schwer lastet.«

Nach der Beratung gaben die Richter folgenden Spruch ab: »Deswegen, weil Ihr, Soetkin, Witwe Klaasens, und Ihr, Thijl, Sohn Klaasens und zubenannt Uilenspiegel, auf die Anklage, das Gut beiseitegeschafft zu haben, das durch Beschlagnahme, unbeschadet alle gegenteilige Privilegien, Seiner Königlichen Majestät gebührt, nichts gestanden habt, trotz grausamer Folter und genügenden Proben.

Hat das Gericht in Anbetracht des Mangels genügender Verdachtsgründe und bei Euch, Frau, des erbarmungswürdigen Zustandes Euerer Glieder, und bei Euch, Mann, der harten Folter, die Ihr ertragen habt, Euch freigesprochen und gestattet Euch, in dieser Stadt ständigen Aufenthalt zu nehmen bei dem oder bei der, die Euch, ungeachtet Euere Armut, Unterkunft geben wollen.

Gegeben in Damme, am dreiundzwanzigsten Oktober des Jahres des Heils 1558.«

»Dank Euch, Herren Richter,« sagte Soetkin.

»Der Fischhändler,« wimmerte Uilenspiegel.

Und die Mutter und der Sohn wurden auf einem Karren zu Katelijne gebracht.


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