Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

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XLIV

Die Glocke, genannt Burgstorm, läutete am nächsten Tage, um den Vogt, die Schöffen und die Schreiber zu der Vierschar zu rufen, auf die vier Rasenbänke, unter den Baum der Gerechtigkeit, die schöne Linde. Rundherum hielt sich das gemeine Volk. Im Verhör wollte der Fischhändler nichts gestehn, selbst dann nicht, als ihm die drei Finger, die ihm der Soldat abgeschnitten hatte, vorgewiesen wurden, obwohl sie an seiner rechten Hand fehlten. Immerfort sagte er: »Ich bin arm und alt, seid barmherzig.«

Aber das gemeine Volk zischte ihn aus und sagte: »Du bist ein alter Wolf, ein Kindermörder; habt kein Erbarmen, Herren Richter.« Die Frauen sagten: »Sieh uns nicht an mit deinen kalten Augen; du bist ja ein Mensch und kein Teufel: wir fürchten dich nicht. Grausames Tier, feiger als die Katze, die die Vöglein im Neste totbeißt, hast du die armen Mädchen getötet, die ihr liebliches Leben in aller Rechtschaffenheit hätten leben sollen.«

»Er soll büßen bei langsamem Feuer, mit glühenden Zangen,« schrie Tonia.

Und trotz den Häschern der Gemeinde reizten die Mütter ihre Knaben, Steine auf den Fischhändler zu werfen; und die taten es willig, zischten auf ihn, sooft er sie ansah, und schrien immerzu: »Bloedzuiger! Blutsauger! slaat dood!« Und ohne Unterlaß schrie Tonia: »Er soll büßen bei langsamem Feuer, mit glühenden Zangen! Er soll büßen!«

Und das Volk murrte.

»Seht,« sagten die Frauen untereinander, »wie er fröstelt unter der klaren Sonne, die am Himmel blinkt und seine weißen Haare wärmt und das Gesicht, das ihm Tonia zerfetzt hat.«

»Und er zittert vor Schmerz.«

»Das ist die Gerechtigkeit Gottes.«

»Wie jämmerlich er dasteht.«

»Seht seine Mörderhände, vor den Leib gebunden und blutig von den Verletzungen in der Falle.«

»Er soll büßen, er soll büßen!« schrie Tonia.

Er sagte klagend: »Ich bin arm, laßt mich.« Und allesamt, selbst die Richter, machten sich lustig über ihn, als sie das hörten. Er weinte verstellte Tränen, um Rührung zu erregen. Und die Frauen lachten.

In Anbetracht dessen, daß die Inzichten für die Folter genügten, wurde er verdammt, auf die Bank gestreckt zu werden, bis er gestehe, wie er seine Morde ausgeführt habe, woher er gekommen sei, wo die Habseligkeiten seiner ausgeplünderten Opfer seien, und wo er sein Geld versteckt halte.

Als man ihm in dem Zimmer Gehennas Stiefel aus jungem, allzu straffem Leder angelegt hatte, fragte ihn der Vogt, wieso ihm Satan so schwarze Anschläge und so entsetzliche Missetaten eingegeben habe; er antwortete: »Satan, das bin ich, mein natürliches Wesen. Schon als Kind, von häßlichem Aussehn und untauglich zu jeder körperlichen Übung, hielt mich jedermann für einen Nichtsnutz, und ich wurde zu often Malen geschlagen. Kein Knabe, kein Mädchen hatte Mitleid für mich. Als ich ein Bursche war, mochte mich keine, auch nicht für Bezahlung. Nun faßte mich ein kalter Haß gegen jegliches Wesen, das vom Weibe geboren ist. Darum habe ich Klaas angegeben, den jeder liebte. Und ich liebte einzig das Geld, das mir meine weiße oder goldene Herzliebste war; als ich Klaas in den Tod schickte, fand ich Vergnügen und Gewinn. Nachher galts noch mehr als früher, ein Wolfsleben zu führen, und ich träumte vom Beißen. Auf einer Reise durch Brabant habe ich die Waffeleisen gesehn, die dortzulande im Gebrauch sind, und ich habe mir gedacht, daß mir so eins einen guten Rachen aus Eisen abgeben werde. Daß ich euch nicht beim Genick habe, ihr schändlichen Tiger, die ihr euch an der Pein eines Greises weidet! Ich bisse euch mit größerer Lust als den Soldaten und das Mädchen. Denn die, als ich sie so lieblich sah, schlafend auf dem Sande in der Sonne, in ihren Händchen den Beutel mit Geld, da hatte ich Liebe für sie und Erbarmen; aber weil ich mich zu alt fühlte und sie nicht haben konnte, habe ich sie gebissen . . .«

Auf die Frage des Vogtes, wo er wohne, antwortete der Fischhändler: »In Ramskapelle; von dort gehe ich nach Blankenberge, nach Heist, ja selbst nach Knokke. Sonntags und an Kermistagen mache ich Waffeln nach der Art der brabantischen, überall in den Flecken, mit dem Eisen da. Es ist immer rein und fett. Und diese Neuheit aus fremdem Lande wurde gut aufgenommen. Wenn Ihr noch mehr wissen wollt und wie es gekommen ist, daß mich niemand erkennen konnte, will ich Euch noch sagen, daß ich mir bei Tage das Gesicht schminkte und die Haare rot färbte. Was das Wolfsfell betrifft, auf das Euer grausamer Finger fragend deutet, so will ich Euch zum Trotze sagen, daß es von zwei Wölfen stammt, die ich in den Wäldern von Raveschoot und Maldegem erlegt habe. Ich habe, um mich darein zu hüllen, nichts sonst zu tun gehabt, als die Felle aneinander zu nähen. Ich verbarg es in einer Kiste in den Dünen von Heist; dort bewahre ich auch die gestohlenen Kleider auf, um sie später bei Gelegenheit zu verkaufen.«

»Nehmt ihn weg vom Feuer,« sagte der Vogt. Der Henker gehorchte.

»Wo ist dein Gold?« fragte wieder der Vogt.

»Der König wird es nie erfahren,« antwortete der Fischhändler.

»Brennt ihn besser mit brennenden Lichtern,« sagte der Vogt. »Ans Feuer mit ihm.«

Der Henker gehorchte, und der Fischhändler schrie: »Ich will nichts mehr sagen. Ich habe zu viel gesagt; ihr werdet mich verbrennen. Ich bin kein Hexenmeister. Warum soll ich wieder ans Feuer? Meine Füße bluten von den Brandwunden. Ich werde nichts sagen. Warum noch näher? Sie bluten, sag ich euch, sie bluten; diese Schuhe sind glühende Eisenstiefel. Mein Gold? Nun denn, mein einziger Freund auf der Welt ist . . . nehmt mich vom Feuer weg . . . ist in meinem Keller zu Ramskapelle, in einer Schachtel . . . laßt mir es; Gnade und Barmherzigkeit, Herren Richter! Vermaledeiter Henker, nimm die Lichter weg . . . Er brennt mich noch mehr . . . ist in einer Schachtel mit doppeltem Boden, eingewickelt in Wolle, damit man das Klingen nicht hört, wenn man die Schachtel schüttelt. Jetzt habe ich alles gesagt; nehmt mich weg.«

Als er aus dem Bereiche des Feuers war, lächelte er hämisch. Der Vogt fragte ihn, warum. »Aus Freude, daß ich ledig bin,« antwortete er.

Der Vogt sagte zu ihm: »Hat dich niemand gebeten, dein gezahntes Waffeleisen sehn zu lassen?«

Der Fischhändler antwortete: »Man sah, daß es ist wie alle andern, nur daß es Löcher hat, wo ich die Eisenzähne einschraubte; beim Morgengrauen nahm ich sie heraus: die Bauern ziehen meine Waffeln denen der andern Verkäufer vor und nennen sie Wafelen met Brabandsche knoopen, weil, wann die Zähne herausgenommen sind, die leeren Löcher kleine Halbkugeln, ähnlich den Knöpfen, erzeugen.«

Aber der Vogt: »Wann hast du die armen Opfer gebissen?«

»Bei Tag und bei Nacht. Bei Tag strich ich durch die Dünen und über die Heerstraßen mit meinem Waffeleisen, und war auf der Lauer, sonderlich Samstags, wo in Brügge der große Markt ist. Sah ich einen Bauer mit trübseligem Gehaben vorübergehn, ließ ich ihn, weil ich mir dachte, sein Übel sitze in der Börse; aber ich hielt mich dem zur Seite, der fröhlich einherzog, und wann er auf nichts gefaßt war, biß ich ihn in den Hals, und dann nahm ich seinen Beutel. Und nicht nur in den Dünen, sondern auf allen Pfaden und Wegen des flachen Landes.«

Nun sagte der Vogt: »Geh in dich und bitte Gott.«

Aber der Fischhändler lästerte: »Der Herrgott hat es gewollt, daß ich so sei, wie ich bin; ich habe alles wider meinen Willen getan, geleitet durch den Willen der Natur. Schändliche Tiger, ihr straft mich ungerecht. Aber verbrennt mich nicht . . . ich habe alles wider meinen Willen getan. Habt Erbarmen: ich bin arm und alt; ich werde an meinen Wunden sterben: verbrennt mich nicht.«

Nun wurde er wieder in die Vierschar gebracht, unter die Linde, um seinen Spruch zu hören vor dem versammelten Volke.

Und er wurde als schrecklicher Mörder, Räuber und Gotteslästerer verurteilt, daß ihm die Zunge mit einem glühenden Eisen durchbohrt werde, daß ihm die rechte Hand abgehackt werde, und daß er lebendig bei einem langsamen Feuer verbrannt werde, bis der Tod eintrete, und dies vor den Wehren des Gemeindehauses.

Und Tonia schrie: »Das ist Gerechtigkeit! Er büßt!«

Und das Volk schrie: »Lang leven de Heeren van de Wet!«

Er wurde ins Gefängnis zurückgebracht, und dort gab man ihm Fleisch und Wein. Und er war lustig und sagte, er habe bis dahin weder getrunken noch gegessen, aber der König, der sein Gut erbe, könne ihm wohl dies letzte Mahl bezahlen. Und er lachte tückisch.

Am nächsten Tag, am lichten Morgen, als man ihn zum Tode führte, sah er Uilenspiegel beim Scheiterhaufen stehn; und er schrie, indem er mit dem Finger auf ihn wies: »Der hier, der Greisenmörder, muß gleicherweise sterben; er hat mich, zehn Jahre sind es her, in den Kanal von Damme geworfen, weil ich seinen Vater angegeben habe. Und darin habe ich als getreuer Untertan Seiner Katholischen Majestät gehandelt gehabt.«

Die Glocken von Unserer Frau läuteten für die Toten.

»Für dich läuten die Glocken gleicherweise,« sagte er zu Uilenspiegel; »du wirst gehenkt, denn du hast getötet.«

»Der Fischhändler lügt,« schrie das gesamte Volk; »er lügt, der mörderische Henker.« Und Tonia schrie wie eine Verrückte und verletzte ihn durch einen Steinwurf an der Stirn: »Wenn er dich ertränkt hätte, so hättest du nicht gelebt, um meine arme Tochter zu beißen wie ein blutsaugender Vampir.«

Uilenspiegel gab kein Wort von sich; Lamme sagte: »Hat ihn jemand den Fischhändler ins Wasser werfen sehn?« Uilenspiegel antwortete nicht.

»Nein, nein,« schrie das Volk; »er hat gelogen, der Henker!«

»Nein, ich habe nicht gelogen,« schrie der Fischhändler; »obwohl ich ihn um Gnade gebeten habe, hat er mich hineingeworfen, dergestalt, daß ich nicht herausgekommen wäre, wenn ich mir nicht an einem Boote herausgeholfen hätte, das am Ufer hing. Naß und zitternd habe ich mich in mein trauriges Heim geschleppt; ich hatte dann Fieber, und niemand pflegte mich, und ich glaubte zu sterben.«

»Er lügt,« sagte Lamme; »niemand hats gesehn.«

»Nein! Niemand hats gesehn,« schrie Tonia. »Ins Feuer mit dem Henker! Vor seinem Tode braucht er noch ein unschuldiges Opfer; ins Feuer mit ihm, auf daß er büßt. Er hat gelogen. Wenn dus getan hast, so gestehs nicht, Uilenspiegel. Er hat keine Zeugen. Er soll büßen bei langsamem Feuer, mit glühenden Zangen!«

»Hast du die Tat begangen?« fragte der Vogt Uilenspiegel.

Uilenspiegel antwortete: »Ich habe den mörderischen Angeber Klaasens ins Wasser geworfen. Die Asche des Vaters schlug an mein Herz.«

»Er gesteht,« sagte der Fischhändler; »er wird gleicherweise sterben. Wo ist der Galgen, auf daß ich ihn sehe? Wo ist der Freimann mit dem Richtschwert? Die Totenglocken läuten für dich, du Taugenichts, du Greisenmörder.«

Uilenspiegel sagte: »Ich habe dich ins Wasser geworfen, um dich zu töten; die Asche schlug an mein Herz.«

Und im Volke sagten die Frauen: »Warum gestehn, Uilenspiegel? Niemand hats gesehn; jetzt mußt du sterben.«

Und der Fischhändler lachte, hüpfte vor hämischer Freude und regte seine gebundenen, in blutiges Leinen gehüllten Arme. »Er wird sterben«, sagte er, »und zur Hölle fahren, den Strick um den Hals, als Spitzbube, Dieb, Taugenichts: er wird sterben; Gott ist gerecht.«

»Er wird nicht sterben,« sagte der Vogt. »Nach zehn Jahren darf der Mord im Lande zu Flandern nicht mehr bestraft werden. Uilenspiegel hat eine schlechte Tat getan, aber aus Kindesliebe: Uilenspiegel wird deshalb nicht belangt werden.«

»Lang leve de Wet!« schrie das Volk.

Die Glocken von Unserer Frau lauteten für die Toten. Und der Fischhändler knirschte mit den Zähnen, senkte das Haupt und weinte seine erste Träne.

Und ihm wurde die Hand abgehackt und die Zunge mit einem glühenden Eisen durchbohrt, und er wurde lebendig verbrannt bei einem langsamen Feuer vor den Wehren des Gemeindehauses.

Dem Verscheiden nahe, schrie er: »Der König bekommt mein Gold nicht; ich habe gelogen . . . Schändliche Tiger, ich komme wieder, euch beißen.«

Und Tonia schrie: »Er büßt! Er büßt! Die Arme krümmen sich ihm und die Beine, die ihn zum Morde trugen. Er raucht, der Körper des Henkers. Sein weißes Haar, das Hyänenhaar, brennt über seiner bleichen Fratze. Er büßt! Er büßt!«

Und der Fischhändler starb, heulend wie ein Wolf.

Und die Glocken von Unserer Frau läuteten für die Toten.

Und Lamme und Uilenspiegel bestiegen wieder ihre Esel.

Und Nele verblieb traurig bei Katelijne, die ohne Unterlaß sagte: »Nehmt das Feuer weg! Der Kopf brennt! Komm zurück, Hansken, mein Geliebter!«



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