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In dieser Zeit weigerte sich Gent, die edle Stadt, ihren Anteil an den Hilfsgeldern zu zahlen, die ihr Sohn Karl, der Kaiser, forderte. Sie konnte es nicht, weil sie, durch Karl selbst, vom Gelde entblößt war. Das war ein schweres Verbrechen; er beschloß, sie in höchsteigener Person zu züchtigen. Denn der Stock des Sohnes ist dem Rücken der Mutter schmerzlicher als der Stock jedes andern.
Franz mit der langen Nase, sein Feind, bot ihm den Durchzug durch Frankreich an. Karl nahm an, und anstatt als Gefangener zurückgehalten zu werden, wurde er kaiserlich gefeiert und mit Aufmerksamkeiten überhäuft. Es ist ein allgemein gültiger Vertrag unter den Fürsten, einander gegen ihre Völker zu helfen.
Karl hielt sich lange in Valenciennes auf, ohne ein Zeichen von Mißmut zu geben. Gent, seine Mutter, lebte sorglos in dem Glauben, der Kaiser, ihr Sohn, werde ihr vergeben, daß sie nach ihrem Rechte getan hatte.
Karl kam vor den Mauern der Stadt an mit viertausend Pferden. Alba begleitete ihn und der Prinz von Oranien. Das geringe Volk und die kleinen Handwerker hätten gern diesen Einzug des Sohnes verhindert und gern die achtzigtausend Männer der Stadt und des flachen Landes auf die Beine gebracht; die großen Bürger, die Hoogpoorters, widersetzten sich aus Angst, daß das Volk die Oberhand bekommen könnte. Trotzdem hätte noch Gent seinen Sohn samt seinen viertausend Pferden zu Brei schlagen können; aber es liebte ihn, und auch die kleinen Handwerker hatten wieder Vertrauen gefaßt. Auch Karl liebte die Stadt, aber wegen des Geldes, das sie hatte in ihren Kisten und wovon er noch haben wollte.
Als er sich zum Herrn der Stadt gemacht hatte, stellte er überall Posten von Kriegsknechten auf, und die Rundwachen zogen Tag und Nacht durch Gent. Dann verkündete er mit großem Gepränge den über die Stadt gefällten Spruch. Die vornehmsten Bürger mußten, einen Strick um den Hals, vor seinen Thron kommen, um demütig Abbitte zu leisten, und Gent wurde schuldig erklärt der kostspieligsten Verbrechen, die da sind: Treulosigkeit, Bruch der Verträge, Ungehorsam, Aufruhr, Empörung und Majestätsbeleidigung. Der Kaiser erklärte für aufgehoben alle Privilegien, Rechte, Freiheiten, Herkommen und Nießbrauchs und die Zukunft verpfändend, als ob er Gott gewesen wäre, ordnete er an, daß alle seine Nachfolger, wann sie zur Herrschaft kämen, schwören sollten, nichts einzuhalten als die Karolinische Konzession der von ihm der Stadt auferlegten Sklaverei.
Er ließ die Abtei von St. Baafs niederreißen, um dort eine Zitadelle zu errichten, die es ihm gestattete, die Brust seiner Mutter mit Kugeln zu durchbohren. Als guter Sohn auf eine rasche Erbschaft erpicht, beschlagnahmte er alles Vermögen von Gent, Einkünfte, Häuser, Geschütze, Kriegsgerät. Da er die Stadt zu gut befestigt fand, ließ er den Roten Turm, den Turm von Paddenhoek, die Braampoort, die Steenpoort, die Walpoort, die Ketelpoort und viele andere Tore, wie Kleinode aus Stein gemeißelt und geschnitzt, abbrechen.
Wann nun Fremde nach Gent kamen, sprachen sie untereinander: »Diese tote und trostlose Stadt soll Gent sein, von dem man uns Wunder gesagt hat?« Und die von Gent antworteten: »Kaiser Karl hat der Stadt ihren köstlichen Gürtel genommen.« Und dies sagten sie voll Scham und Zorn. Und von dem Abbruch der Tore nahm der Kaiser die Steine für seine Festen.
Er wollte, daß Gent arm sei, damit es sich nicht durch Arbeit, nicht durch Gewerbefleiß und nicht durch Geld seinen kühnen Plänen widersetzen könne; daher verurteilte er die Stadt, ihren verweigerten Teil der Hilfsgelder im Betrage von vierhunderttausend Goldgulden zu bezahlen, ferner eine einmalige Buße von einhundertfünfzigtausend Goldgulden zu erlegen und sich zu einer immerwährenden jährlichen Zahlung von sechstausend zu verpflichten. Die Stadt hatte ihm Geld geborgt gehabt, und er hätte dafür jährlich einhundertfünfzig Pfund Groschen Zins zahlen sollen; gewaltsam ließ er sich die Verschreibungen zurückstellen, und auf diese Art seine Schuld bezahlend, bereicherte er sich tatsächlich.
Die Stadt hatte ihm bei mancherlei Anlässen ihre Liebe bewiesen und ihm geholfen; er aber durchbohrte ihre Brust mit dem Dolche, um nach Blut zu suchen, wo er zu wenig Milch gefunden hatte.
Dann besah er sich Roelandt, die schöne Glocke, und ließ an ihren Klöppel den Mann hängen, der Alarm geschlagen hatte, um die Stadt zur Verteidigung ihres Rechtes zu rufen. Er hatte kein Erbarmen mit Roelandt, der Zunge seiner Mutter, der Zunge, mit der sie zu Flandern sprach, mit Roelandt, der trotzigen Glocke, die von sich selber sagte:
Als men my slaet, dan is 't brandt,
Als men my luyd, dan is 't storm in Vlaenderland.
Da er fand, daß seine Mutter zu laut sprach, nahm er ihr die Glocke. Und die vom flachen Lande sagten, die Stadt Gent sei tot, weil ihr der Sohn mit eiserner Zange die Zunge ausgerissen habe.