Charles de Coster
Uilenspiegel und Lamme Goedzak
Charles de Coster

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII

Eines Tages im August kam Uilenspiegel in der Rue de Flandre zu Brüssel vor dem Hause von Jean Sapermillemente vorbei, der so geheißen ward, weil sein Großvater im Zorne stets also geflucht hatte, um nicht den dreimal heiligen Namen Gottes zu lästern. Besagter Sapermillemente war von Beruf Stickermeister; da er aber taub und blind geworden war vom Trinken, stickte seine Frau, ein altes Weib mit sauerm Gesichte, an seiner Statt die Röcke, Wämser, Mäntel und Schuhe der vornehmen Herren; ihre hübsche Tochter half ihr bei dieser gut bezahlten Arbeit.

Als nun Uilenspiegel in den letzten lichten Stunden bei dem besagten Hause vorbeiging, sah er das Mädchen am Fenster und hörte sie rufen:

August, August,
Sag mir, du süßer Mond,
Wer nimmt mich denn zur Frau?
Sag mirs, du süßer Mond!

»Ich,« sagte Uilenspiegel, »wenn du mich willst.«

»Du?« sagte sie. »Komm näher, daß ich dich sehe.« Aber er: »Warum rufst du im August, wo doch die brabantischen Mädchen am Vortage des März rufen?«

»Die«, sagte sie, »haben nur einen Monat, der ihnen einen Gatten schenkt, ich aber ihrer zwölf. Und am Tage vor einem jeden springe ich, nicht um Mitternacht, sondern in den letzten sechs Stunden vor Mitternacht, aus meinem Bette, tue drei Schritte rücklings gegen das Fenster und rufe die Worte, die du gehört hast; dann drehe ich mich um und gehe die drei Schritte zum Bette rücklings zurück. Und um Mitternacht lege ich mich nieder und entschlummere, träumend von meinem Zukünftigen. Aber die Monate sind von Natur aus schlimme Spötter, und es ist nicht mehr ein Mann, von dem ich träume, sondern zwölf auf einmal; du kannst der dreizehnte sein, wenn du willst.«

»Die andern wären eifersüchtig,« antwortete Uilenspiegel. »Du rufst also nach Erlösung?« Errötend antwortete das Mädchen: »Ich rufe nach Erlösung und weiß, was ich will.«

»Ich weiß es auch«, antwortete Uilenspiegel, »und bringe es dir.«

»Da heißt es warten,« sagte sie und zeigte lächelnd ihre weißen Zähne.

»Warten?« sagte Uilenspiegel; »nein. Mir kann ein Haus auf den Kopf fallen, ein Windstoß kann mich in einen Graben werfen, ein wütender Köter kann mich ins Bein beißen. Nein, warten will ich nicht.«

»Ich bin zu jung,« sagte sie; »ich rufe auch nur, weil es so Brauch ist.« Uilenspiegel wurde argwöhnisch, weil er bedachte, daß es der Vorabend des März und nicht der Kornmond ist, wo die brabantischen Mädchen um einen Gatten rufen. Sie sagte lächelnd: »Ich bin zu jung, und ich rufe nur, weil es so Brauch ist.«

»Willst du warten, bis du zu alt bist?« antwortete Uilenspiegel. »Das wäre eine schlechte Rechnung. Noch nie habe ich einen so runden Hals gesehn, noch nie weißere Brüste, vlämische Brüste voll der guten Milch, die Männer macht.«

»Voll?« sagt sie; »noch nicht, vorwitziger Fremdling.«

»Warten?« wiederholte Uilenspiegel. »Bis ich keine Zähne mehr habe, um dich lebendig aufzuessen, Herzlieb? Du antwortest nichts, du lächelst nur mit deinen hellen braunen Augen und mit deinen Lippen, die rot sind wie die Kirschen.«

Das Mädchen sah ihn klug an und antwortete: »Woher kommt dir die Liebe so rasch? Was hast du für ein Geschäft? Bist du ein Bettler, bist du reich?

»Ein Bettler bin ich«, sagte er, »und reich zugleich, wenn du mir deinen lieblichen Leib schenkst.«

Sie antwortete: »Das ists nicht, was ich wissen will. Gehst du zur Messe? Bist du ein guter Christ? Wo ist dein Aufenthalt? Getrautest du dich zu sagen, daß du ein Bettler bist, ein wahrer Geuse, der sich auflehnt gegen die Plakate und die Inquisition?«

Die Asche Klaasens schlug an Uilenspiegels Brust.

»Ich bin ein Geuse,« sagte er, »und meine Sehnsucht ist, die Unterdrücker der Niederlande tot und von den Würmern gefressen zu sehn. Du blickst mich an, Schätzchen. Das Feuer der Liebe, das für dich brennt, du Süße, ist das Feuer der Jugend. Gott hat es entzündet; es flammt wie das Sonnenlicht, bis es verlischt. Aber das Feuer der Rache, das in meinem Herzen glimmt, auch das hat Gott entzündet. Und es wird das Schwert, der Brand, der Strick, die Feuersbrunst, die Verwüstung und der Krieg sein und das Verderben der Henker.«

»Du bist schön,« sagte sie traurig und küßte ihn auf beide Wangen; »aber schweige.«

»Warum weinst du?« antwortete er. »Du mußt«, sagte sie, »hier und wo immer du bist, auf der Hut sein.«

»Haben diese Wände Ohren?« fragte Uilenspiegel. »Sonst keine als die meinen,« sagte sie.

»Die so schön sind, als ob sie der Liebesgott gemeißelt hätte; ich will sie mit Küssen schließen.«

»Du lieber Narr, so höre doch, wenn ich spreche.«

»Warum? Was hast du mir zu sagen?«

»So höre doch,« sagte sie unruhig. »Meine Mutter kommt . . . Sei still, sei still, sonderlich vor ihr . . .«

Die alte Sapermillemente trat ein. Uilenspiegel betrachtete sie und sagte sich: »Ein Vettelgesicht, zerlöchert wie ein Schaumlöffel, Augen mit hartem und falschem Blicke, ein Mund, der lächeln will und Fratzen schneidet: ich fange an, neugierig zu werden.«

»Gott sei mit Euch, Herr,« sagte die Alte, »für und für mit Euch. Ich habe Geld bekommen, Tochter, ein schönes Stück Geld vom gnädigen Herrn von Egmont, dem ich seinen Mantel gebracht habe mit dem gestickten Narrenkolben. Ja, Herr, ein Narrenkolben, gegen den roten Hund.«

»Den Kardinal von Granvella?« fragte Uilenspiegel.

»Ja,« sagte sie, »gegen den roten Hund. Man sagt, er verrate dem Könige ihre Heimlichkeiten; sie wollen ihm an den Kragen. Haben sie nicht recht?« Uilenspiegel antwortete nicht.

»Ihr habt sie noch nicht auf der Straße gesehn mit dem Wamse und mit dem grauen Oberkleide, wie es der gemeine Mann trägt, und mit den langen hangenden Ärmeln und mit ihren Mönchskapuzen; und auf allen Oberkleidern der gestickte Kolben. Ich habe mindestens ihrer siebenundzwanzig gemacht und meine Tochter fünfzehn. Das hat den roten Hund geärgert, diese Kolben zu sehn.« Dann sprach sie Uilenspiegel zum Ohre: »Ich weiß, daß die Herren zum Zeichen der Eintracht beschlossen haben, den Kolben durch ein Kornbündel zu ersetzen. Ja, ja, sie wollen kämpfen gegen den König und die Inquisition. Das ist recht von ihnen, nicht wahr, Herr?« Uilenspiegel antwortete nicht.

»Der fremde Herr ist mißgestimmt,« sagte die Alte; »auf einmal redet er nichts mehr.« Uilenspiegel sagte kein Wort und ging.

Bald trat er in ein Spielhaus, um das Trinken nicht zu vergessen. Das Spielhaus war voll von Zechern, die unvorsichtig von allem möglichen sprachen, von dem Könige, den abscheulichen Plakaten und der Inquisition und von dem roten Hunde, der aus dem Lande vertrieben werden müsse. Dort sah er die Alte in zerlumpten Kleidern bei einem Schoppen Branntwein sitzen; sie schien zu schlafen. Lange verweilte sie so. Dann sah er, wie sie einen kleinen Teller aus ihrer Tasche zog und bei den einzelnen Gruppen bettelte; und sonderlich ging sie zu denen, die am unvorsichtigsten redeten. Und die biedern Leute gaben ihr ohne Knauserei manchen Gulden, Groschen und Plappart.

In der Hoffnung, von dem Mädchen das zu erfahren, was ihm die alte Sapermillemente nicht sagte, ging Uilenspiegel wieder zu ihrem Hause; er sah die Schöne, die nicht mehr rief, aber ihm lächelnd zublinzelte, eine süße Verheißung. Sofort hinter ihm kam die Alte zurück.

Wütend, sie zu sehn, lief Uilenspiegel wie ein Hirsch die Straße entlang und schrie: »'t brandt! 't brandt!«, bis er vor das Haus des Bäckers Jacob Pietersen kam. Die Butzenscheiben der Fenster flammten rot bei der untergehenden Sonne. Ein dicker Rauch, der Rauch von Reisig, das sich im Ofen in Kohle wandelte, erhob sich aus dem Schornsteine der Bäckerei. Und Uilenspiegel lief und schrie: »'t brandt! 't brandt!« und wies auf das Haus Jacob Pietersens. Die rasch versammelte Volksmenge sah die roten Fenster und den dicken Rauch und schrie wie Uilenspiegel: »'t brandt! 't brandt!« Der Türmer von Notre-Dame de la Chapelle stieß ins Horn, und der Küster läutete die Glocke, Wacharm genannt, mit vollem Schwunge. Und in Schwärmen rannten Knaben und Mädchen herbei, singend und pfeifend.

Die Glocke und das Horn klangen noch immer; die alte Sapermillemente packte sich zusammen und ging nachsehn. Uilenspiegel hatte darauf gelauert. Als sie dann weit genug war, trat er ins Haus. »Du bist da?« sagte das Mädchen. »Brennt es denn nicht da unten?«

»Da unten?« antwortete Uilenspiegel; »nein.«

»Aber die Glocke läutet so jämmerlich.«

»Sie weiß nicht, was sie tut,« antwortete Uilenspiegel.

»Und das traurige Horn und all das Volk, das hinläuft?«

»Die Zahl der Narren ist unendlich.«

»Wo brennt es denn dann?«

»In deinen Augen und in meinem glühenden Herzen,« antwortete Uilenspiegel. Und er sprang ihr an den Mund. »Willst du mich aufessen?« sagte sie. »Ich liebe die Kirschen,« sagte er.

Und sie lächelte ihn schmachtend an. Plötzlich brach sie in Tränen aus: »Komm nicht mehr her. Du bist ein Geuse und dem Papste feind; komm nicht mehr . . .«

»Deine Mutter?« sagte er.

»Ja«, sagte sie und wurde rot. »Weißt du, was sie jetzt tut? Sie horcht dort, wo es brennt. Weißt du, wo sie dann hingeht? Zum roten Hund, um ihm alles zu überbringen, was sie weiß, und um dem Herzog, der ja kommen soll, die Arbeit vorzubereiten. Flieh, Uilenspiegel, ich rette dich, flieh. Noch einen Kuß, aber komm nimmer wieder. Noch einen; du bist so schön! Ich weine, aber geh.«

»Wackers Mädchen,« sagte Uilenspiegel, der sie im Arme hielt. »Ich war es nicht immer,« sagte sie. »Ich war auch so, wie sie . . .«

»Dieser Gesang,« sagte er, »dieser stumme Ruf deiner Schönheit an die verliebten Männer . . .?«

»Ja,« sagte sie, »meine Mutter hats so wollen. Dich, dich rette ich, weil ich dich liebe; die andern werde ich retten in der Erinnerung an dich, mein Geliebter. Wann du fern sein wirst, wird dich dein Herz zu dem büßenden Mädchen ziehen? Küß mich, Liebster. Sie wird keine Opfer mehr für Geld auf den Scheiterhaufen bringen. Geh! Nein, bleib noch. Wie lind ist deine Hand! Sieh, ich küsse sie, das ist das Zeichen der Knechtschaft; du bist mein Herr. Horch, noch näher, und sei still. Heute nacht sind hieher schlechte Gesellen und Spitzbuben, unter ihnen ein Italiener, gekommen, einer nach dem andern. Meine Mutter ließ sie in das Zimmer treten, wo wir sind, schickte mich weg und schloß die Tür. Ich hörte die Worte ›Steinernes Kruzifix, Borgerhoutsches Tor, Prozession, Antwerpen, Unsere Frau‹, gedämpftes Lachen und das Aufzählen von Gulden . . . Flieh, sie kommen; flieh, Geliebter. Bewahre mir ein süßes Gedenken; flieh . . .«

Uilenspiegel tat nach ihren Worten. Er rannte in den Ouden Haan; dort traf er Lamme schwermutbrütend an einem Würstchen knappernd und die siebente Kanne Löwenschen Peeterman schlürfend.

Und er zwang ihn zu laufen gleich ihm, trotz seinem Wanste.


 << zurück weiter >>