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Zwölftes Capitel.

Erzählt wer Periander und Auristela waren.


Glück und Unglück sind oft durch einen so geringen Zwischenraum von einander getrennt, daß sie zwei gleichlaufenden Linien ähnlich sehen, die, obwol von verschiedenen Punkten ausgehend, doch am Ende zusammentreffen.

Weinend lag Periander am Rande des sanft rauschenden Baches, dessen Wellen im klaren Scheine des Mondes hüpften. Die Bäume standen rauschend um den Trauernden her, als wollten sie ihm Trost zusprechen, die frische Nachtluft trocknete seine Thränen; und Auristela's Bild und alle seine Hoffnungen flohen mit dem Winde dahin.

Da tönte plötzlich eine fremde Stimme in sein Ohr, und als er aufmerksamer wurde, hörte er die Sprache seines Landes. Er konnte nicht unterscheiden, ob der Redende sang oder flüsterte; die Neugier zog ihn aber den bekannten Klängen nach, und als er näher kam, bemerkte er zwei Personen, die weder sangen noch flüsterten, sondern ein Gespräch miteinander führten. Er mußte erstaunen, da er hier norwegisch sprechen hörte, in dieser weiten Entfernung von seinem Vaterlande. Er verbarg sich hinter einen Baum, so daß der Schatten des Stammes ihn verdeckte, und zog den Athem an, um sich nicht zu verrathen, da vernahm er folgende Worte:

»O Herr, Du kannst mich nicht überreden, daß der Tag sich in Norwegen in zwei Hälften theilt; denn ich war selbst einige Zeit in jenem Lande, wohin mich mein Unstern verschlagen hatte, und weiß, daß es dort die eine Hälfte des Jahres Tag, und die andere Nacht ist; daß es so ist, weiß ich gewiß, aber weshalb kann ich nicht sagen.«

Der Andere antwortete darauf: »Wenn wir in Rom sind, will ich Dir an einer Himmelskugel deutlich machen, wie Dies zugeht; und glaube mir, es ist in jener Weltgegend eben so natürlich, als daß hier Tag und Nacht vierundzwanzig Stunden ausmacht. Ich habe Dir auch erzählt, daß der äußersten Spitze von Norwegen gegenüber, schon fast unter dem Nordpol eine Insel liegt, die für das äußerste Ende der Erde gehalten wird, wenigstens nach dieser Seite hin. Sie heißt Tile, Virgil aber nannte sie Tule, in jenen Versen, im ersten Buche des Landbaues, wo es heißt:

Ac tua nautae
Numina ola colant, tibi cerviat ultima Thule.
Vergil, Georgica, I, 29f.: »… und Seeleute deine göttliche Macht als einzige verehren, das sehr weit entfernte Thule dir dient …«

Tule auf griechisch ist nämlich Dasselbe, was auf lateinisch Tile heißt. Diese Insel ist beinah eben so groß wie England, und reichlich mit allem Dem versehen, was zum Leben gehört.

Noch etwas weiter hinaus, gerade unter dem Nordpol, dreihundert Meilen von Tile entfernt, liegt die Insel Friesland, die erst vor vierhundert Jahren entdeckt ward und so groß ist, daß sie für ein bedeutendes Reich gelten kann.

Maximino, der Sohn der Königin Eustochia, ist König in Tile, sein Vater ging vor einigen Monaten aus diesem Leben zu einem bessern über, und hinterließ zwei Söhne, nämlich diesen Maximino, den ich Dir nannte, der das Reich geerbt hat, und einen zweiten, einen edlen Jüngling, der Persiles heißt, und den die Natur reich ausgestattet hat. Seine Mutter liebte ihn über alles Maaß, und sie hatte Grund dazu; denn ich könnte nicht Worte finden, Dir alle Vorzüge dieses Persiles zu beschreiben, und will deshalb nichts mehr von ihm sagen, da mein schwacher Verstand ihn herabsetzen könnte, statt ihn zu erheben. Und obwol die Liebe, die ich zu ihm trage, ich war nämlich sein Lehrer, und habe ihn von Kindheit auf erzogen, mich wol in den Stand setzte, viel von ihm erzählen zu können, so ist es doch besser, ich schweige, damit ich ihm nicht Unrecht thue.«

Nachdem Periander Dies gehört hatte, konnte er nicht länger zweifeln, daß Der, welcher so liebevoll von ihm sprach, Seraphido, sein Erzieher, war, und in dem Andern erkannte er Rutilio wieder, sowol an der Stimme, als an den wenigen Worten, die er von Zeit zu Zeit den Reden des Lehrers erwiederte. Ob er über dies Zusammentreffen erstaunt war, überlasse ich einem Jeden, selbst zu beurtheilen, vorzüglich als Jener, den Periander für Seraphido hielt, und der es auch war, also fortfuhr:

»Eusebia, die Königin von Friesland, hatte zwei Töchter, die ausnehmend schön waren, besonders die ältere, Namens Sigismunda, die jüngste hieß Eusebia, wie die Mutter. In Sigismunda hatte die Natur alle Vollkommenheiten niedergelegt, die sie sonst auf dem ganzen Erdkreis einzeln vertheilt. Diese Prinzessin ward, ich weiß nicht unter welchem Vorwand, ich glaube, weil man fürchtete, die Feinde würden das Land mit Krieg überziehen, nach Tile gesendet. und der Königin Eustochia übergeben, damit diese sie ruhig und ungefährdet auferziehen möge. Obwol ich der Meinung bin, daß dies nicht der eigentliche Grund war, sie an unsern Hof zu senden; sondern es lag die Absicht darunter verborgen, der Prinz Maximino solle sich in sie verlieben und sie zu seiner Gemahlin erwählen, da sich von einer so ausbündigen Schönheit erwarten ließ, daß sie steinerne Herzen in Wachs verwandeln und das Widersprechendste vereinigen würde. Sollte diese Behauptung falsch sein, so hat mich wenigstens die Erfahrung nicht vom Gegentheil belehrt; denn ich weiß, daß der Prinz Maximino aus Liebe zu Sigismunda stirbt. Als diese zu uns kam, war Maximino nicht auf der: Insel; seine Mutter, die Königin, sandte ihm aber das Bildniß der Jungfrau und gab ihm Nachricht von dem Antrag der Königin Eusebia. Er antwortete: Er sei mit Allem einverstanden und befahl, die Prinzessin als seine Gemahlin zu ehren und zu schätzen.

Diese Botschaft war ein vergifteter Pfeil für meinen Sohn Persiles; denn diesen Namen erwarb ihm die Liebe, mit der ich ihn erzog. Sein Herz war durchbohrt, und so wie er diese Nachricht vernommen, kam keine Freude mehr in sein Gemüth, seine Jugendkraft ermattete, und er vernichtete in sich alle jene Talente, die ihm Liebe und Bewunderung bei Allen erworben hatten. Mit einem Wort: seine Gesundheit war zerstört, und ein tiefer Kummer brachte ihn an den Rand des Grabes. Die Ärzte versuchten umsonst, ihm zu helfen, da sie die Ursache seiner Leiden nicht wußten. Weil der Puls den Kummer der Seele nicht verräth, ist es schwierig, ja fast unmöglich, eine Krankheit richtig zu beurtheilen, die aus Gram entspringt.

Die Mutter, welche ihren Sohn sterben sah, und nicht wußte, was ihn tödtete, bat ihn viele Male, ihr seine Leiden zu offenbaren, da es doch unmöglich war, daß er die Ursache derselben nicht kennen sollte, indem er ihre Wirkung fühlte. Die Sorgen und das Zureden der kummervollen Mutter, besiegten endlich des Persiles standhafte Verschlossenheit, und er entdeckte ihr, daß er aus Liebe zu Sigismunda sterbe; aber lieber sterben wolle, als die Pflicht gegen seinen Bruder verletzen. Diese Entdeckung erweckte die gestorbene Hoffnung der Königin wieder zum Leben, und sie versprach Persiles, ihm beizustehen, müsse sie auch Etwas gegen den Willen Maximino's unternehmen; denn wo es auf das Leben ankomme, dürfe man wol noch mehr wagen, als den Zorn eines Bruders.

Kurz, Eustochia sprach mit Sigismunda, und schilderte ihr mit rührenden Worten des Persiles Leiden, mit dessen Leben Alles dahinschwinde, was die Welt Schönes und Liebenswürdiges besitze, und der ganz das Gegentheil seines Bruders Maximino sei, den auch in der That die Rauhheit seiner Sitten nicht beliebt machte, und den die Mutter nun auch wol etwas unliebenswürdiger schilderte, als er wirklich war, indem sie zugleich Persiles Vorzüge durch die übertriebensten Lobsprüche zu heben suchte. Sigismunda war jung, rathlos und leicht zu überreden, und antwortete also, sie habe keinen Willen, und keine Freundin, die ihr rathen könne, als ihre eigne Tugend, bleibe diese nur ungefährdet, so wolle sie sich übrigens in Alles ergeben.

Die Königin umarmte sie, und bracht Persiles diese Antwort. Beide wurden nun darüber einig, er und Sigismunda sollten die Insel verlassen, ehe sein Bruder zurückkomme, Diesem wolle dann die Königin sagen, um Persiles Entfernung zu entschuldigen, er habe ein Gelübde gethan, nach Rom zu reisen, um sich vollständige Kenntniß der katholischen Lehre zu erwerben, die in jenen nördlichen Gegenden vielfach verfälscht wird. Persiles that einen Schwur, die Tugend Sigismunda's nie, weder durch Worte noch Thaten zu beleidigen. Die Königin gab Beiden, nebst ihrem guten Rath, einen großen Schatz an Edelsteinen mit, und entließ sie aus ihrem Reiche. Sie hat mir später Dies, was ich Dir erzählte, selbst entdeckt.

Länger als zwei Jahre blieb der Prinz Maximino aus seinem Reich entfernt; denn er war in einen Krieg mit seinen Feinden verwickelt. So wie er zurückkam, fragte er nach Sigismunda, und da er sie nicht fand, begann für ihn ein neuer Krieg, statt des gehofften Friedens. Er erfuhr, wohin sie gereist war, und machte sich sogleich auf, sie zu suchen. Obwol er der Tugend seines Bruders vertrauen konnte, wurde er doch durch seinen eignen Argwohn bestürmt, der nie das Herz eines Liebenden zur Ruhe kommen läßt. Da seine Mutter seinen Entschluß erfahren hatte, beschied sie mich in ihr Gemach, und befahl mir das Leben und die Ehre ihres jüngeren Sohnes an. Zugleich trug sie mir auf, voran zu reisen und ihn aufzusuchen, um ihn von den Nachforschungen seines Bruders zu unterrichten.

Der Prinz Maximino hatte zwei große Schiffe zu seiner Reise ausrüsten lassen. Er segelte durch die Säulen des Herkules und kam nach geraumer Zeit und manchem überstandenen Sturm nach Sicilien. Von da ging er nach Neapel, und ist jetzt, nicht weit von hier, in einem Orte, der Terracina heißt und auf der Grenze zwischen Neapel und Rom liegt. Er ist aber krank an einem Wechselfieber, das ihn schon an den Rand des Grabes gebracht hat.

Ich habe in Lissabon, wo ich ans Land stieg, von Persiles und Sigismunda Nachricht erhalten; denn der Pilger und die Pilgerin, von denen der Ruf so viel spricht, und deren Schönheit so weit und breit gepriesen wird, sind ohne Zweifel Persiles und Sigismunda; es müßten denn zwei Engel menschliche Gestalt angenommen haben.«

»Wenn Du sie,« fiel der Andere ein, »statt Persiles und Sigismunda, Periander und Auristela nenntest, so könnte ich Dir die sichersten Nachrichten von ihnen geben, da ich diese seit langer Zeit kannte und viele Leiden mit ihnen erduldet habe.«

Darauf erzählte er dem Seraphido von der Insel der Barbaren und manchen andern Begebenheiten.

Unterdessen, fing der Tag an zu dämmern, und Periander entfernte sich, um nicht erkannt zu werden. Er wollte zu Auristela zurückkehren, ihr die Ankunft seines Bruders melden, und mit ihr zu Rathe gehen, was sie beginnen könnten, um seinem Zorn zu entfliehen. Es dünkte ihn fast ein Wunder, daß er diese Nachricht so unerwartet und an einem so entlegenen Ort erhalten hatte, und so eilte er gedankenvoll zu seiner betrübten Auristela zurück, indem seine fast aufgegebene Hoffnung von Neuem erwachte.

 


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