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Periander entfernt sich aus Rom, in Verzweiflung über Auristela's Mittheilungen.
Wenn Wasser in ein enges Gefäß verschlossen ist, so fließt es, je schneller es der Öffnung zuströmt, desto langsamer heraus; denn die Masse drängt sich zusammen, und versperrt den zu engen Ausgang, bis sich endlich die Flüssigkeit nach und nach ergießt, und die Strömung Luft gewinnt. So ist es auch mit den Gedanken, die in dem Gehirn eines bekümmerten Liebhabers entspringen; alle nämlich strömen zugleich den Lippen zu, ein Wort tritt dem andern in den Weg, und der Verstand wird ungewiß, mit welchem er seine Gedanken zuerst aussprechen soll; und so sagt das Schweigen oft mehr, als man verrathen will.
Dies zeigte sich an Periander, durch die wenige Achtung, die er Denen erwies, die hereintraten, um Auristela zu besuchen. Ohne Gruß lief er an ihnen vorüber, von Gedanken bestürmt, von Einbildungen geängstigt, von Vorstellungen erfüllt, verschmäht und getäuscht, so verließ er Auristela; denn er wollte und konnte kein Wort erwiedern auf ihre lange Rede.
Antonio und seine Schwester kamen zu der Kranken, und diese schien eben aus einem tiefen Traum zu erwachen; denn sie sagte ganz deutlich für sich:
»Ich habe übel gethan; aber mag es sein. Ist es nicht besser, daß mein Bruder meinen Vorsatz kennt? Ist es nicht recht, daß ich bei Zeiten die Nebenwege und zweifelhaften Pfade verlasse, und meinen Schritt nach der geraden Straße lenke, die uns schnell und ungehindert zum seligen Ziel unserer Wanderung führt? Ich bekenne, daß ich auch mit Periander den Weg zum Himmel finden kann; aber ich fühle auch, daß ich schneller wandeln werde, ohne ihn. Bin ich mir selbst doch näher als Anderen, und muß nicht dem Himmel und der ewigen Herrlichkeit selbst das Glück der nächsten Anverwandten weichen? Auch ist ja Periander nicht mit mir verwandt.«
»Besinne Dich, Schwester,« fiel ihr nun Constanza ins Wort. »Du entdeckst hier Geheimnisse, die vielleicht unsere Zweifel zerstreuen, und Dich in Verwirrung setzen könnten. Wenn Periander nicht Dein Bruder ist, so bist Du sehr vertraut mit ihm gewesen; und ist er es, wie kann Dir dann seine Gegenwart ein Anstoß sein?«
Diese Worte brachten Auristela wieder zu sich, und da sie Constanza's Reden vernahm, wollte sie ihre Übereilung wieder gut machen. Es gelang ihr aber nicht; denn wer eine Lüge bekräftigen will, verwickelt sich immer in vielerlei Widersprüche, und gewöhnlich bleibt hernach die Wahrheit zweifelhaft, und der Argwohn lebendig.
»Ich weiß nicht, Schwester, was ich gesagt habe,« sprach Auristela, »und ob Periander mein Bruder ist, oder nicht. Nur Das kann ich Dir mit Wahrheit sagen, daß er meine Seele ist, und ich nur durch ihn lebe, athme, bin und fortdaure. Bei alle Dem halte ich mich aber in den Schranken des Rechtes, und gebe zu keinem bösen Argwohn Veranlassung. Ich beobachte alle Gesetze des Anstands, wie ein edles Weib einem so edlen Bruder schuldig ist.«
»Ich verstehe Dich nicht, Auristela,« sagte nun Antonio; »denn nach Deinen Reden scheint Periander Dein Bruder, und scheint es doch auch nicht. Entdecke uns endlich, wer er ist, und wer Du bist, wenn Du es entdecken darfst; und mag er nun Dein Bruder sein oder nicht; daß ihr von hoher Geburt seid, könnt ihr nicht leugnen. Und wir, ich und meine Schwester Constanza, sind nicht so unerfahren, daß uns irgend Etwas, das Du erzählen kannst, unglaublich scheinen wird; verließen wir auch erst vor Kurzem unsere Einsamkeit, so sind doch mannichfache Leiden und Erfahrungen uns treffliche Lehrmeister gewesen, und wird uns nur ein schwacher Faden gereicht, so werden wir den Knäul der größten Verwicklungen zu entwirren wissen. Vorzüglich wenn die Liebe im Spiel ist, die, wenn sie den Knoten schürzt, ihn auch selbst wieder zu lösen pflegt. Was thut es, wenn auch Periander nicht Dein Bruder, und Du viel mehr seine rechtmäßige Gattin bist? Was thut es? sage ich noch einmal; denn ehrbar und keusch habt ihr euch vor uns allezeit gezeigt, und rein war euer Wandel vor Gott, wie vor den Augen der Menschen. Nicht jede Liebe ist frech und unbesonnen, und nicht jeder Liebende sucht sein Glück nur im irdischen Genuß; sondern mancher strebt allein nach geistigen Freuden. Da dies der Fall ist, meine Gebieterin, so flehe ich Dich noch ein Mal an, entdecke uns, wer Du bist, und wer Periander ist. Als ich ihn aus diesem Zimmer kommen sah, brannte ein Vulkan in seinen Augen, und seine Zunge war gelähmt.«
»Wehe mir Unseligen!« rief Auristela. »Hätte mir doch ein ewiges Schweigen lieber die Lippen geschlossen, so wäre seine Zunge nicht gelähmt, wie Du sagst. Unverständig sind wir Weiber, schwach im Ertragen, und noch schwächer im Schweigen. So lange ich schwieg, bewahrte ich den Frieden meiner Seele; ich sprach, und er war entflohen; und da er nie wiederkehren und das Trauerspiel meines Lebens bald geendigt sein wird, so wisset denn, ihr, die der Himmel als Geschwister geboren werden ließ, daß Periander nicht mein Bruder ist, eben so wenig mein Gemahl oder mein Geliebter; wenigstens nicht einer von Denen, die nur ihr Vergnügen suchen, und die Ehre der Geliebten wenig achten. Er ist der Sohn eines Königs. Ich bin aus königlichem Stamme und Erbin des Reiches. Dem Blute nach sind wir uns gleich; obwol ich höher stehe durch mein Erbrecht, nicht aber in meiner Schätzung. Ja, unsere Neigung begegnete sich, und unsere Wünsche vereinigten sich in der reinsten Liebe; nur das Schicksal hat bis jetzt die Ausführung unsers Vorsatzes gehindert, und wir müssen seinem Willen gehorchen. Doch der Schmerz, der Perianders Zunge lähmte, raubt auch mir Athem und Rede. Deshalb, meine Freunde, fragt mich jetzt nichts mehr, nur, bitte ich euch, helft mir ihn suchen; denn da er ohne Abschied mich verlassen hat, kehrt er gewiß nicht wieder, ohne gerufen zu werden.«
»So steh denn auf,« sagte Constanza. »Wir wollen ihn suchen, und da das Band, mit dem die Liebe bindet, nicht gestattet, daß der Liebende sich weit von der Geliebten entfernt, so werden wir ihn bald finden. Bald, bald wirst Du ihn wiedersehen, sehr bald wirst Du Deine Wünsche erreichen. Beunruhigen Dich die Zweifel, in denen Andere Deinetwegen sind, so zerstöre sie dadurch, daß Du Dich mit Periander vermählst; denn sobald ihr vereinigt seid, muß jede Lästerung verstummen.«
Auristela erhob sich, und ging, von Constanza und Feliz Flora unterstützt, und von Antonio begleitet, hinaus, um Periander zu suchen. Da diese Drei in ihr ein Königin kannten, sahen sie sie jetzt mit ganz andern Augen an, und bedienten sie ehrfurchtsvoll.
Unterdeß Periander von seinen Freunden gesucht wurde, strebte er, sich immer weiter von ihnen zu entfernen. Er verließ Rom zu Fuße und allein; oder vielmehr nicht allein; denn die traurige Einsamkeit war seine Gefährtin, so wie Seufzer und bittere Thränen; diese und die schwärzesten Gedanken verließen ihn keinen Augenblick.
»Wehe mir!« so rief er. »Schönste Sigismunda! geboren als Königin, und von der Natur zur Königin der Schönheit auserkohren! O Du! mit mehr als irdischem Verstande begabt, und mit Anmuth geschmückt! wie leicht war es für Dich, meine Schwester zu heißen, da weder mein Betragen noch meine Gedanken je gegen diesen Namen stritten. Die Bosheit selbst mußte verstummen und ihre Wachsamkeit wurde getäuscht. Allein, und als Gebieterin Deiner selbst willst Du den Himmel gewinnen? und ohne daß Deine Handlungen von einem Andern, als von Gott und Deinem eignen Herzen geleitet werden? Wohlan! verfolge diese Bahn! Aber bedenke auch, ob Du ohne Vorwürfe Deines Gewissens diesen Weg betreten kannst, wenn mein Herz gebrochen ist, und Du mich getödtet hast. O Geliebte! hättest Du doch diesen Vorsatz verschwiegen! Hättest Du der Täuschung Raum gelassen, und mir nicht diesen Entschluß offenbart, zu einer Zeit, wo mit meiner Liebe auch mein Leben aus diesem Herzen gerissen wird; denn Dir gehört meine Seele, bei Dir bleibt sie, und ich wandere in ewige Verbannung. Lebe in Frieden, Geliebteste! und fühle nun, daß das größte Opfer, was ich Dir bringen kann, ist, von Dir zu entweichen.«
Es war Abend geworden. Periander befand sich auf der Heerstraße, die nach Neapel führt, und indem er sich etwas vom Wege entfernte, hörte er das Gemurmel einer Quelle, die sich unter den Bäumen hinschlängelte. Am Rande derselben warf er sich auf den Boden nieder; seine Zunge schwieg, aber seine Seufzer tönten durch die Stille der Nacht.