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Glücklicher Ausgang, den die Rache der Gräfin Ruperta nahm.
Der Zorn ist, wie man sagt, eine Bewegung des Bluts in der Nähe des Herzens. Durch den Anblick des verhaßten Gegenstands, und zuweilen schon durch die Erinnerung an ihn, geräth dies Blut in Wallung. Das Ziel und zugleich das Ende des Zorns ist die Rache, und so wie der Beleidigte sich, mit Recht oder Unrecht, gerochen hat, wird er ruhig. Dies sehen wir an der schönen, von Zorn entbrannten Ruperta, die eine solche Begierde hatte, sich an ihrem Feinde zu rächen, daß ihre Wuth sich nicht legte, obwol sie erfahren hatte, daß er vor Kurzem gestorben war. Aber ihr Haß ging auf alle seine Nachkommen über, und sie hätte, stand es in ihrer Macht, nicht einen derselben am Leben gelassen; denn der Zorn des Weibes kennt keine Grenzen.
Die Stunde kam, in der die Pilger die Gräfin sehen sollten, ohne von ihr gesehen zu werden, und sie erschien ihnen über allen Ausdruck schön. Ein schneeweißer Schleier verhüllte sie vom Kopf bis zu den Füßen; sie saß vor einem Tische, auf dem das Haupt ihres Gemahls in einer silbernen Kapsel lag, das Schwert, mit dem er erstochen war, und ein Hemd, wie sie sich einbildete, noch immer feucht von seinem Blute. Diese jammervollen Denkmäler erweckten ihren Zorn stets von Neuem, der dieser Mahnungen nicht bedurfte, weil er nie ermattete.
Sie erhob sich von ihrem Sitz und legte die rechte Hand auf das Haupt des Gemahls, um denselben Schwur zu erneuern, den der schwarzgekleidete Stallmeister den Pilgern hergesagt hatte. Thränen strömten reichlich aus ihren Augen und benetzten die todten Erinnerer ihrer Schmerzen; Seufzer rissen sich los aus ihrer Brust, die nah und fern in der Luft ertönten. Sie fügte dem gewöhnlichen Eidschwur noch einige verstärkende Worte hinzu, und manchmal schien es, als wenn nicht Thränen, sondern Feuerfunken ihren Augen, und statt der Seufzer Flammen ihrem Munde entströmten, so war sie von ihrem Schmerz und dem Durst nach Rache entzündet.
Ihr seht ihre Thränen, vernehmt ihre Seufzer, erblickt sie, sich selbst entrückt, das mörderische Schwert schwingen, das blutige Hemd des Gatten an die Lippen drücken, und hört, wie ihre Worte von Schluchzen unterbrochen werden. Aber wartet nur bis zum Morgen, so werdet ihr Dinge sehen, so wunderbar, daß ihr hundert Jahre davon erzählen könntet, wäre euch ein so langes Leben beschieden.
Ruperta's Leidenschaft war eben auf dem höchsten Gipfel, und sie begann eine Art von Freude zu empfinden; denn indem Drohungen ausgestoßen werden, erringt die Seele des Zürnenden eine gewisse Ruhe; da trat ein Diener in das Gemach, der wie ein schwarzer Schatten auf sie zuschritt, so war er in Trauergewänder gehüllt. Er sprach mit dumpfer Stimme:
»Gebieterin, so eben steigt der edle Croriano, der Sohn Deines Feindes, hier vom Pferde; er ist von einigen Dienern begleitet. überlege, ob Du Dich vor ihm verbergen willst, oder ob er wissen soll, daß Du hier bist, oder was Du sonst zu thun gedenkst; denn Du hast Zeit, darüber nachzusinnen.«
»Er soll mich nicht sehen,« entgegnete Ruperta, »und warne alle meine Diener, daß sie nicht aus Unbedacht meinen Namen nennen, noch mich absichtlich verrathen.«
Nachdem sie diesen Befehl gegeben, verbarg sie ihre schrecklichen Kleinodien und gebot, die Thüre ihres Gemachs zu verschließen, und keinen Menschen zu ihr zu lassen.
Die Pilger kehrten in ihre Zimmer zurück, die Dame blieb nachdenkend in ihrer Einsamkeit, und ich weiß nicht, wie man es hernach erfahren hat, daß sie, als sie allein war, folgende oder ähnliche Worte sprach:
»Du siehst, o Ruperta! der gnädige Gott überliefert Deinen Händen, wie ein unerfahrnes Lamm, zum Opfer ausersehen, die Seele Deines Feindes. Denn ein Kind, zumal das einzige, ist dem Vater theurer wie die eigne Seele. Wohlan, Ruperta! vergiß, daß Du ein Weib bist, und kannst Du das nicht, so gedenke, daß Du ein beleidigtes Weib bist. Das Blut Deines Gatten schreit um Rache, und er spricht zu Dir aus diesem stummen Haupte: Rache! meine Geliebte! ich wurde schuldlos gemordet. Wohlauf! schreckte doch der gewaltige Holofernes die demüthige Judith nicht. Zwar war ihre Sache der meinigen nicht gleich; denn sie strafte einen Feind des Herrn, und ich will Einen bestrafen, von dem ich nicht weiß, ob er mein Feind ist. Die Liebe zum Vaterland reichte ihr das Schwert; mir hingegen die Liebe zu meinem Gemahl. Aber wozu diese unnütze Zusammenstellung? Was habe ich weiter zu thun, als die Augen zu schließen, und den Stahl in die Brust des Jünglings zu stoßen? Um so glänzender wird meine Rache sein, als seine Schuld geringer ist. Erringe ich nur den Ruhm der Rächerin, so mag alsdann geschehen was will; denn ein Trieb, der nicht zu zügeln ist, läßt sich durch kein Hinderniß zurückhalten, und drohte ihm auch der Tod. Habe ich meinen Schwur erfüllt, so mag das Schicksal mit mir enden!«
Nach diesen Worten veranstaltete sie es, daß sie die Nacht in Croriano's Zimmer eingeschlossen ward. Ein Diener desselben; den sie durch große Geschenke bestochen hatte, ließ sie hinein; und zwar glaubte er seinem Herrn einen Dienst zu thun, indem er eine so schöne Frau wie Ruperta, in sein Schlafzimmer führte.
Diese erwartete, im Gemach versteckt, von Niemand gesehen oder gehört, in tiefes Schweigen versenkt, und indem sie ihr Schicksal gänzlich dem Himmel anheim stellte, die Stunde ihrer Glückseligkeit, die sie in Croriano's Tode zu finden hoffte. Zum Werkzeug des schaudervollen Opfers hatte sie ein scharfes Messer ausersehen, da dies eine leicht zu regierende Waffe war, und ihr deshalb am zweckmäßigsten schien. Auch eine wohlverschlossene Laterne hatte sie bereitet, in der eine Wachskerze brannte. Sie sammelte alle ihre Lebensgeister so in ihrer Brust, daß sie kaum wagte zu athmen.
Was unternimmt nicht ein zornerfülltes Weib! Welche Berge von Hindernissen überwindet sie nicht, um ihre Absicht zu erreichen! Und was erscheint ihr wol zu grausam und zu schauderhaft, um es zu vollenden! Doch genug; denn was sich über diesen Gegenstand, sagen ließe, ist unendlich. Darum ist es besser, über einen Gegenstand zu schweigen, der sich doch nicht mit Worten erschöpfen läßt.
Endlich erschien die ersehnte Stunde, Croriano war zu Bette gegangen, und hatte sich, von der Reise ermüdet, und ohne des Todes zu gedenken, sorglos er Ruhe des Schlafes hingegeben.
Mit gespannter Aufmerksamkeit horchte Ruperta auf das erste Zeichen, woran sie kennen konnte, daß Croriano schlief. Sowol die Zeit, welche verstrichen war, seit er sich niedergelegt hatte, als einige tiefe Athemzüge, wie sie nur ein Schlafender hören läßt, überzeugten sie endlich, daß er eingeschlafen war. Ohne sich vorher mit dem Kreuze zu bezeichnen, oder Gott um seinen Beistand anzuflehen, öffnete sie nun die Laterne, und das Zimmet war erleuchtet. Sie konnte sehen, wohin ihr Fuß wandelte, und ohne zu straucheln an das Bett gelangen.
Wolan! reizende Mörderin! liebliche Furie! zarter Henker! Löse deine Gelübde, befriedige deinen Rachedurst, und vertilge vom Angesicht der Erde deine Kränkung! denn hier liegt Der, an dem du deine Wuth kühlen kannst. Hüte dich aber wohl, o schöne Ruperta! diesen schlafenden Cupido anzuschauen, dem du mit der Leuchte nahest, sonst möchte in einem Augenblick das mächtige Gebäude deiner Vorsätze in Trümmer stürzen.
Mit zitternder Hand nahte sie dem Bette, und erblickte Croriano's Angesicht, von tiefem Schlafe überschattet; es wirkte aber auf sie, wie das Haupt der Medusa, und verwandelte sie in Stein. Sie sah eine Schönheit, vor der sie erschrak, das Messer entfiel ihrer Hand, und eine Betrachtung über die schreckliche That, welche sie vollführen wollte, dämmerte in ihrem Geiste auf. Wie die Finsterniß vor der Sonne entflieht, so verscheuchte Croriano's Schönheit die Schatten des Todes, die ihn zu umfangen drohten, ein einziger Blick hatte den, der zum Schlachtopfer der Rache erkoren war, in ein Weihegeschenk ihres Glückes verwandelt.
»Ach!« seufzte sie leise, »edelster Jüngling! wie viel besser eignest Du Dich dazu, mein Gemahl zu werden, als der Gegenstand meiner Wuth! Welche Schuld hast Du an dem Verbrechen Deines Vaters? und weshalb soll Der bestraft werden, der ohne Sünde ist? Lebe beglückt, o herrlicher Jüngling! und meine Rache, so wie meine Grausamkeit bleiben in dieser Brust begraben, daß, wenn dieser Vorfall bekannt wird, man mir lieber den Namen der Mitleidigen, als der Rächerin gebe!«
Indem sie, zitternd und reuevoll diese Worte sprach, fiel das Licht, das sie in der Hand hielt, auf Croriano's Brust, der durch die Hitze erweckt ward. Das Zimmer war dunkel geworden, Ruperta wollte hinausgehen, konnte aber die Thür nicht finden. Croriano rief und sprang vom Lager auf, indem er sein Schwert ergriff. Tappend ging er nun durch das Gemach und faßte Ruperta, die, vor Angst bebend sprach:
»Tödte mich nicht, o Croriano, obwol ich ein Weib bin, das noch vor einer Stunde entschlossen war, Dich zu ermorden, und es auch thun konnte; jetzt aber muß ich zu Dir flehen, daß Du mir nicht das Leben raubst.«
Bei dem Geräusch kamen Croriano's Diener mit Lichtern herbei. Er sah und erkannte die schöne Witwe, und es war ihm, als erblicke er den glänzenden Mond, durch silberweiße Wolken schimmernd.
»Was sehe ich! Ruperta!« rief er aus. »So weit hat Euch der Rachedurst geführt? Soll ich für die Unbill büßen, die mein Vater Euch zugefügt? Ist das Messer, was hier am Boden liegt, nicht ein Zeichen, daß Ihr hieher gekommen seid, mich Eurem Zorn zu opfern? Mein Vater ist gestorben, und die Todten können für zugefügte Beleidigungen keine Genugthuung mehr bieten; die Lebenden aber können sie abbüßen, und deshalb will ich, der ich jetzt den Platz meines Vaters eingenommen habe, Euch Genugthuung für die erlittene Kränkung geben, so gut ich weiß und kann. Aber erlaubt mir erst, Euch anzurühren, damit ich mich überzeuge, ob es ein Geist ist, der mich ermorden, täuschen, oder beglücken wollte.«
»Die Unglückseligste bin ich,« erwiederte Ruperta, »und der Himmel hat mich noch tiefer ins Elend gestoßen. Ja, ich betrat gestern dies Haus, indem ich flüchtig Deiner gedachte, später kamest Du an, ich sah Dich nicht, hörte aber Deinen Namen, der meinen Zorn und meine Rachsucht von Neuem entzündete. Ich ward mit einem Deiner Diener einig, der mich am Abend in dies Zimmer verschloß, und meine Geschenke versiegelten ihm den Mund. Ich trat ein, mit diesem Messer bewaffnet, und indem ich Dich erwartete, stieg die Begierde, Dir das Leben zu rauben, immer höher. Ich hörte, wie Du eingeschlafen warest, nahte mich Deinem Lager, und sah, beim Schein meines Lichtes Dein Angesicht. Da fühlte ich mich von Ehrfurcht ergriffen, und die Schneide meines Dolches ward stumpf; meine Begier nach Rache war verschwunden, das Licht fiel mir aus der Hand, Dich erweckte das Feuer, Du riefest und ich gerieth in die größte Verwirrung. So ist Alles geschehen, wie Du siehst; aber ich verlange keine Rache, und gedenke nicht mehr der Kränkung. Lebe in Frieden; denn ich will, die Erste sein, die Beleidigungen mit Wohlthat vergilt, wenn auch das keine Wohlthat genannt werden kann, daß ich Dir die Sünde vergebe, die Du nicht begingest.«
»Gebieterin,« erwiederte Croriano, »mein Vater wünschte sich mit Dir zu vermählen, Du wiesest ihn zurück, und er tödtete aus Verzweiflung Deinen Gemahl. Darauf starb er, und nahm diese Sünde mit in die andere Welt; ich aber bin als ein Theil von ihm zurückgeblieben, um genugzuthun für seine Seele. Willst Du als Sühne die meinige empfangen, so nimm mich an zu Deinem Gemahl; wenn Du nicht etwa, wie ich anfangs wähnte, eine Truggestalt bist, mich zu täuschen; denn an ein großes Glück, das unerwartet kommt, wird es uns schwer zu glauben.«
»Umarme mich,« sprach Ruperta, »so wirst Du fühlen, daß dieser Körper nicht gespenstisch ist, und daß die Seele, die ich Dir übergebe, einfach ist und rein, und wahr.«
Croriano's Diener, die mit Lichtern gekommen, waren Zeugen, wie Croriano und Ruperta sich die Hände als Verehelichte reichten, und einander in die Arme schlossen.
So triumphirte in dieser Nacht die sanfte Liebe über den bittern Haß, und das Schlachtfeld war in ein hochzeitliches Gemach verwandelt. Frieden entsprang aus dem Zorn, Leben aus dem Tode und Freude aus dem Schmerz. Als der Morgen heraufstieg, sah er, wie die Neuvermählten einander in die Arme schlossen.
Die Pilger waren aufgestanden, sehr begierig zu erfahren, was die kummervolle Ruperta nach der Ankunft ihres Feindes begonnen habe, von deren Geschichte sie so wohl unterrichtet waren. Das Gerücht von dieser unerwarteten Vermählung verbreitete sich schnell im ganzen Hause, und die Pilger begaben sich zu den Neuvermählten, um ihnen ihren Glückwunsch zu bringen.
Als sie die Thür zu Ruperta's Zimmer öffnen wollten, kam der alte Stallmeister heraus, der ihnen die Geschichte der Dame erzählt hatte. Er trug die Kapsel, die den Schädel ihres ersten Mannes verschloß, das Schwert und das Hemd. Er sagte, er wolle diese Gegenstände, die den Schmerz seiner Gebieterin so oft erneuert hätten, verbergen damit ihr Anblick nicht einst die alten Wunden wieder aufreißen möge. Er schalt ein wenig über Ruperta's Wankelmuth und den Leichtsinn aller Weiber, und schloß damit, das Gelindeste, was man von ihnen sagen könne, sei, daß alle flatterhaft und von Launen regiert wären.
Die Liebenden waren schon aufgestanden, ehe die Pilger eintraten, Croriano's Diener überließen sich ganz der Freude, und das Gasthaus schien in eine königliche Burg verwandelt zu sein, würdig einer so edlen Vermählungsfeier.
Periander und Auristela, Constanza und Antonio, ihr Bruder, unterhielten sich noch lange mit den Liebenden, und erzählten von ihrer Lebensgeschichte manches, was dazu geeignet war, es Jenen mitzutheilen.