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Achtes Capitel.

Wie die Pilger nach der Stadt Ocanna kamen, und was ihnen auf dem Wege Erfreuliches begegnete.


Der Ruhm des Tajo ist so groß, daß er sich über alle Länder der Erde verbreitet, die entferntesten Völker von ihm wissen und jeder Mensch das Verlangen hat, ihn zu erblicken.

Da es im Norden gebräuchlich ist, daß alle Vornehmen die lateinische Sprache verstehen und die alten Dichter kennen, so besaß auch Periander, als einer der Ersten in seiner Heimath, diese Kenntnisse. Zu jener Zeit waren die herrlichen Werke des nie genug zu lobenden Dichters Garcilaso de la Vega Garcilaso de la Vega (1498/1503-1536), bekannter spanischer Renaissance-Dichter, der die Lyrik seines Landes so nachhaltig prägte, dass er bisweilen als der Begründer der neuzeitlichen Dichtung in Spanien oder als »Dichterfürst spanischer Sprache« angesehen wird. ( Anm.d.Hrsg.) zuerst erschienen, und Periander hatte sie gelesen und bewundert, deshalb sprach er, sobald er den klaren Spiegel des Tajo erblickte:

»Wir wollen nicht sagen: hier hörte Salicio Salicio ist eine der beiden Figuren aus Garcilasos erster Ekloge. ( Anm.d.Hrsg.) auf zu singen, sondern: hier fing Salicio an zu singen; denn hier übertraf er sich selbst in seinen Eclogen. Hier tönte seine Hirtenflöte, und die Wellen dieses Stromes flossen nicht weiter, die Blätter dieser Bäume hörten auf zu rauschen, die Winde hemmten ihren Athem und die Bewunderung seiner Gedichte verbreitete sich in allen Zungen und über alle Völker der Erde. Seid mir gegrüßt, krystallene Fluthen und vergoldete Ufer. Doch nein, nicht vergoldet, sondern von reinem Golde seid ihr. Nehmt einen armen Pilger freundlich auf, der euch schon aus der Ferne verehrte, und euch jetzt begrüßt.«

Indem er nun die große Stadt Toledo erblickte, rief er aus: »O du dunkles Felsgestein! Spaniens Ruhm und Glanz seiner Städte! Viele Jahrhunderte hast du die Reliquien der tapfern Gothen aufbewahrt, um ihren todten Ruhm wieder zu erwecken. Du leuchtest als ein klarer Spiegel des wahren, katholischen Glaubens. Sei mir gegrüßt, heilige Stadt! und nimm die Pilger auf, welche zu Dir wallfahren.«

So sprach Periander, und der alte Antonio hätte wol etwas Ähnliches noch eher sagen können, doch er verstand es nicht, sich so gut auszudrücken. Das Lesen gibt oft einen deutlicheren Begriff von den Dingen als die eigne Anschauung; denn wer mit Aufmerksamkeit liest, wird über das Gelesene viel zu denken finden; wer aber ohne Aufmerksamkeit sieht, wird nicht zum Nachdenken angeregt, und deshalb ist das Lesen belehrender als das Sehen.

Kaum hatte Periander seine Rede geendigt, so ertönte eine fröhliche Musik vielfacher Instrumente; die Klänge verbreiteten sich durch die Thäler, die die Stadt umgeben, und die Pilger sahen nun eine Schaar auf sich zukommen, die nicht aus bewaffneten Kriegern, sondern aus verschiedenen Haufen der schönsten Mädchen bestand, die wie Sterne leuchteten. Sie waren als Bäuerinnen gekleidet, und trugen Schnüre und glänzende Schaustücke um den Hals. Dieser Schmuck von Korallen und Silbermünzen verschönte sie mehr, als Perlen und Gold, das sie nicht an der Brust, wohl aber auf dem Kopfe trugen; denn Alle hatten langes, röthliches Haar, glänzend wie das feinste Gold; es hing losgebunden über ihre Schultern, und wurde nur durch einen Kranz duftender Blumen zusammengehalten. Sie strahlten lieblicher im Glanz der Sonne, als wären sie in blauen Taffet von Cuenca, in mailändischen Brocat oder florentinischen Atlas gekleidet gewesen, und ihr ländlicher Putz verschönte sie mehr, als der Glanz städtischer Pracht gethan hätte, denn eine ehrbare Mäßigkeit und reizende Sauberkeit war ihre Zierde. Alles duftete von Blumen und leuchtete von Rosen. Freude und Ehrbarkeit beflügelten, und mäßigten zugleich ihren Schritt. So bewegten sie sich tanzend in mannichfachen Verschlingungen, vom Ton der Instrumente begleitet.

Jede einzelne Schaar wurde zu beiden Seiten von Schäfern eingeschlossen, die in weiße Leinwand gekleidet waren und bunte Tücher um den Kopf trugen; diese waren ihre Verwandte, Nachbarn und Freunde, aus demselben Orte. Sie spielten auf Flöten, Tamburins, Lauten, Hoboen und kleinen Harfen; alle diese Töne bildeten eine liebliche, erfreuliche Harmonie.

Als eine dieser tanzenden Schaaren sich den Pilgern nahte, faßte ein Mann, der unter den Zuschauern stand, und wie sich hernach zeigte, Alcalde des nächsten Ortes war, eine der Mädchen am Arm und rief, indem er sie von oben bis unten betrachtete, mit zorniger Stimme und drohender Geberde:

»Ha ha! Tozuelo, Tozuelo! so hast Du denn aller Scham entsagt! Ist dies ein Tanz, der entweiht werden darf? Ist dies nicht ein Fest, das heilig gehalten werden soll? Ich begreife nicht, wie der Himmel dergleichen Abscheulichkeiten dulden kann, und geschieht Dies mit Einwilligung meiner Tochter Clementa Cobenna, so sollen, bei Gott! die Tauben mich hören.«

Kaum hatte der Alcalde diese heftige Rede gehalten, so nahte sich ihm ein andrer Alcalde und sprach:

»Pedro Cobenno, wenn die Tauben Euch hören, so könnt Ihr Wunder thun. Begnügt Euch damit, daß wir Euch hören, und sagt mir, wodurch mein Sohn Tozuelo Euch beleidigt hat; denn hat er gegen Euch gefehlt, so gehöre ich zur Justiz, und werde ihn zur Rechenschaft ziehen.«

»Das Vergehen,« erwiederte Cobenno, »ist augenscheinlich; Ihr seht ja, daß er, ein Mann, sich als Frau verkleidet hat, und was noch ärger ist, als eine der Jungfrauen beim Feste seiner Majestät. Urtheilt selbst, Alcalde Tozuelo, ob dies eine bloße Kinderei ist; denn ich fürchte, meine Tochter Cobenna ist nicht weit. von hier, und diese Kleider, die Euer Sohn trägt, scheinen mir die ihrigen zu sein. Ich möchte nicht, daß der Teufel hier sein Spiel triebe, und sie ohne unser Mitwissen, und ohne den Segen der Kirche vereinigte; denn diese Schelmereien und Heimlichkeiten nehmen immer ein übles Ende, und geben dem geistlichen Gericht Etwas zu verdienen, das sich nicht mit Wenigem abspeisen läßt.«

Alle blieben stehen, den Zank mit anzuhören, und eine Bäuerin antwortete für Tozuelo:

»Wenn Ihr die Wahrheit wissen wollt, meine Herren Alcalden, so muß ich Euch sagen, daß Maria Cobenna eben so gut mit Tozuelo verheirathet ist und er mit ihr, wie meine Mutter mit meinem Vater, und mein Vater mit meiner Mutter. Aber sie ist jetzt guter Hoffnung und kann nicht springen und tanzen. Verheirathet sie miteinander, und laßt den Teufel alle Zwietracht holen; und wem Gott Etwas gibt, dem mag es Sanct Peter segnen.«

»Bei Gott! Du hast recht, Tochter!« rief der alte Tozuelo. »Beide sind sich gleich; wir sind alte Christen, der Eine wie der Andere, und das Vermögen kann mit demselben Maß gemessen werden.«

»In Gottes Namen!« erwiederte Cobenno. »Ruft meine Tochter her, sie wird die Sache bald ins Reine bringen; denn sie hat den Mund auf der rechten Stelle.«

Die Cobenna, welche in der Nähe war, kam herbei und sprach ohne Scheu: »Ich bin nicht die Erste und werde auch nicht die Letzte sein, die strauchelte und in diese Lage gerieth. Tozuelo ist mein Mann, ich bin seine Frau, und Gott wird uns verzeihen, wenn unsere Eltern es auch nicht thun wollen.«

»Ich will Dir verzeihen, Tochter,« sprach der Vater; »aber Du solltest Dich schämen und nicht so unvernünftig reden. Nun, es ist einmal geschehen und nicht mehr zu ändern. Wenn es dem Alcalden Tozuelo gefällig ist, so wollen wir die Sache sogleich in Ordnung bringen und das Fest soll nicht länger gestört werden.«

»Wahrhaftig,« sagte das Mädchen, die vorhin gesprochen hatte, »der Alcalde Cobenno redet wie ein verständiger alter Mann. Laßt diese Kinder sich die Hände geben, wenn sie es noch nicht gethan haben, und die heilige Kirche, unsere Mutter, wird sie durch ihren Segen verbinden. Wir aber wollen unsern Tanz bis zu jener Ulme fortsetzen, denn dergleichen Kindereien müssen das Fest nicht stören.«

Der alte Tozuelo stimmte dem Mädchen bei, die jungen Leute gaben sich die Hände, der Streit war geendigt und der Tanz wurde fortgesetzt. Würde jeder Proceß so schnell ausgeglichen, so müßten die thätigen Federn der Gerichtsschreiber alle vertrocknen.

Periander, Auristela und die übrigen Pilger hatte diese Überraschung der beiden Liebenden sehr ergötzt, und sie staunten über die Schönheit der Bauermädchen; denn keine gab der andern Etwas nach, und Alle schienen vollkommen.

Periander beschloß, nicht bis Toledo zu gehen, da der alte Antonio ihn darum bat, den das Verlangen spornte, seine Heimath und seine Eltern wiederzusehen, die nicht weit von dort ihren Wohnort hatten. Auch meinte er, um alle Herrlichkeiten der großen Stadt zu betrachten, würde mehr Zeit erforderlich sein, als ihre Eile ihnen gestattete.

Aus derselben Ursache wollten sie auch nicht über Madrid reisen, wo der Hof damals war; denn sie fürchteten, irgend ein neues Hinderniß könne ihre Wanderschaft aufhalten. Die alte Pilgerin bestärkte sie in diesem Vorsatz, indem sie meinte: in der Residenz gäbe es gewisse Kleinheiten, die man für Söhne der Großen hielte, und, wie unflügge sie auch wären, schössen sie doch falkenartig beim Schellenklang jeder schönen Frau nieder, von welchem Stande sie auch sei; denn das böse Gelüst sieht nicht auf den Rang, sondern auf die Schönheit. Antonio, der Vater, sagte darauf:

»So wird es nöthig sein, daß wir uns der List bedienen, welche die Kraniche anwenden, wenn sie nach andern Gegenden ziehen. Sie müssen nämlich über den Berg Limabo wegfliegen, wo große Raubvögel sitzen und warten, um sie zu fangen. Die Kraniche kennen aber diese Gefahr, fliegen in der Nacht vorbei und halten Steine im Schnabel, damit sie nicht schreien können, und so unbemerkt durchkommen. Wir thun am besten, dem Laufe dieses schönen Flusses zu folgen; so lassen wir die Stadt zur Rechten, und sparen uns die Freude, sie zu sehen, auf eine andere Zeit. Auf diesem Wege kommen wir nach Ocanna, und dann nach Quintanar, meiner Vaterstadt.«

Als die Pilgerin die Anordnung hörte, die Antonio getroffen, zog sie es vor, den Weg fortzusetzen, der ihren Absichten mehr entsprach. Die schöne Ricla gab ihr zwei Goldstücke als Almosen, und die Pilgerin nahm Abschied und dankte Allen für ihre Freundlichkeit.

Unsere Pilger kamen durch Aranjuez, das, am reizendsten im Frühling, sie sehr durch seine Schönheit ergötzte. Sie sahen hier lange, ganz gerade Straßen, zu beiden Seiten mit den mannichfachsten, schönsten Bäumen besetzt, deren frisches Grün leuchtete wie Smaragd.

Sie sahen auch, wie die beiden berühmten Flüsse Karama und Tajo sich hier unter Küssen und Umarmungen vereinigten, und betrachteten zugleich die Wasserkünste. Dann bewunderten sie die schöne Anlage, der Gärten, und die Mannichfaltigkeit der Blumen, so wie die mit Fischen erfüllten Teiche und die reichen Baumgärten, wo die Bäume so mit Früchten beladen waren, daß sie ihre Zweige auf die Erde stützten, um sich die Last zu erleichtern. Periander meinte, dieser Ort sei nicht mit Unrecht in der ganzen Welt berühmt.

Sie gingen von da nach Ocanna, wo Antonio erfuhr, daß seine Eltern noch lebten, und auch andere Nachrichten einzog, die ihm erfreulich waren und die wir sogleich mittheilen werden.

 


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