Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Wanderer kommen nach Frankreich, und treffen mit einem Diener des Herzogs von Nemours zusammen.
Perpignan war der letzte spanische Ort, den unsere Pilger berührten, die noch mehrere Tage über die seltsame Geschichte der Ambrosia sprachen, deren zartes Alter ihre vielfachen Verirrungen entschuldigte, und deren Tollkühnheit durch die Liebe zu ihrem Gemahl Verzeihung fand. Diese also kehrte, wie wir schon sagten, in ihre Heimath zurück, die Galeeren setzten ihre Reise fort, und unsere Wanderer ebenfalls die ihrige.
In Perpignan rasteten sie in einem Gasthause, vor dessen Thür ein großer Tisch stand, um den sich eine Menge Menschen versammelt hatte, die zwei Männern zusahen,welche würfelten, ohne daß Mehrere am Spiele Theil nahmen. Den Pilgern schien es etwas Ungewöhnliches, daß so viele zusahen und so Wenige spielten. Periander fragte die Umstehenden, wie dies zugehe? und ihm wurde erzählt, daß die beiden Spieler um ihre Freiheit spielten; Der, welcher verliere, müsse sechs Monate für den König rudern, und der Gewinnende bekomme zwanzig Dukaten, welche die Beamten des Königs für den Wagenden ausgesetzt hätten, damit er dein Glück im Spiel versuche.
Für einen der Spieler fiel dieser Versuch schlecht aus; denn er verlor, und es wurden ihm sogleich Ketten angelegt; dem andern aber wurde die Kette abgenommen, mit der sie ihn gefesselt hatten, damit er nicht entwischen solle, wem er verlöre. Wahrlich, ein elende Spiel uns ein trauriges Ungefähr, wo, Gewinn und Verlust so ungleich sind!
Als dies vorüber war, kam ein großer Haufe Menschen auf das Wirthshaus zu. Zwischen ihnen befand sich ein Mann ohne Mantel, in bloßem Wamms; er war aber von feinem Anstand. Fünf oder sechs kleine Kinder begleiteten ihn, von vier bis sieben Jahren, und eine Frau ging neben ihm, die bitterlich weinte. Sie hatte ein Tuch in der Hand, worin Geld war, und rief mit kläglicher Stimme:
»Nehmt euer Geld zurück und gebt mir meinen Mann wieder! denn nicht Schlechtigkeit, sondern die äußerste Noth verleitete ihn dazu, dies Geld anzunehmen. Er hat sich nicht verspielt, sondern verkauft, um auf Kosten seiner Leiden mich und seine Kinder zu erhalten. Ein zu bitterer Unterhalt, eine zu fürchterliche Nahrung für uns!«
»Schweig, Frau,« sagte der Mann, »und behalte das Geld; denn ich will es durch die Kraft meiner Arme ersetzen, die sich eher daran gewöhnen werden, das Ruder als den Spaten zu führen. Ich wollte mich nicht in die Gefahr begeben, das Geld zu verlieren, indem ich darum spielte, um nicht mit meiner Freiheit zugleich euern Lebensunterhalt aufzuopfern«
Dies jammervolle Gespräch, was Mann und Frau führten, wurde fast nicht gehört vor dem Wehklagen der Kinder. Die Gerichtsdiener, welche den Mann fortzogen, sagten ihnen, sie sollten ruhig sein; denn wenn sie auch mehr Thränen vergössen als das Meer Wasser hat, könnten sie dadurch doch dem Vater die Freiheit nicht wiedergeben. Die Kinder aber weinten nur um so stärker und riefen:
»Vater! verlaß uns nicht; den wir sterben Alle, wenn Du fort bist!«
Dies seltsame Schauspiel rührte die Herzen der Pilger, besonders Constanzens, welche die Baarschaft verwaltete. Sie drängten sich durch das Volk, und baten die Gerichtsdiener, Geld von ihnen anzunehmen, und zu thun, als wüßten sie nichts von dem Manne. Sie stellten ihnen das Elend der Familie vor, und wie sie nicht ein Weib zur Wittwe und so viele Kinder zu Waisen machen sollten. Sie wußten endlich so viel zu sagen und so rührend zu bitten, daß das Geld seinem Eigenthümer wieder zugestellt wurde, und dem Weibe ihr Mann, so wie den Kindern der Vater erhalten ward.
Die schöne Constanza, welche reich geworden seitdem sie eine Gräfin war, und deren Gefühl mehr von christlicher Milde, als von dem wilden Zustand ihrer ersten Jugend zeugte, schenkte, mit Beistimmung ihres Bruders, den dürftigen Leuten fünfhundert Goldstücke. So war die arme Familie frei und glücklich, und dankte Gott und den Pilgern für diese unverhoffte Hülfe.
Den andern Tag kamen die Reisenden über die französische Grenze, sie gingen durch Languedoc und gelangten in die Provence, wo sie in einem Wirthshause drei französische Damen antrafen, von so ausgezeichneter Schönheit, daß sie, wäre Auristela nicht zugegen gewesen, wol die Palme verdient hätten. Nach der Pracht zu urtheilen, womit sie bedient wurden, schienen es Frauen von hohem Range zu sein. Als sie die Pilger erblickten, staunten sie ebensowol über die kräftige Gestalt Perianders und Antonio's wie über Auristela's, und Constanza's unergleichliche Schönheit.
Sie riefen die Pilger zu sich, und fingen ein heiteres, freundliches Gespräch mit ihnen an, indem sie sie in spanischer Sprache fragten, wer sie seien? denn sie erkannten die Fremden sogleich als Spanier, und in Frankreich giebt es weder einen Mann noch eine Frau, welche die spanische Sprache nicht lernen.
Unterdeß die Damen sich mit Auristela unterhielten, an diese hatten sie nämlich ihre Fragen gerichtet, entfernte sich Periander und suchte einen Diener auf, den er nach den Namen der Fremden fragte, und wohin sie reisten; denn er hielt sie für sehr vornehme Frauen. Der Gefragte erzählte ihm Folgendes:
»Der Herzog von Nemours ist, wie wir es nennen, von königlichem Geblüt. Er ist ein tapferer, verständiger Ritter, lebt aber gern nach seinem eigenen Geschmack. Vor Kurzem folgte er seinem Vater in der Regierung, und hat sich nun vorgesetzt, sich nicht nach fremdem, sondern nur nach seinem eignen Willen zu vermählen; sollte er auch den größten Vortheilen entsagen, ja selbst dem Befehl des Königs zuwider handeln. Denn er sagt: Ein König kann seinem Vasallen wol ein Weib geben, wenn er will; aber kein Glück, wenn sie ihm nicht gefällt.
Von dieser Grille, Thorheit oder Weisheit, oder wie ihr es nennen wollt, geleitet, hat er seine Diener in alle Provinzen von Frankreich ausgesendet, die ihm eine Frau aussuchen sollen, welche er, wenn sie von hoher Geburt und schön ist, heirathen will. Auf Reichthum achtet er nicht, denn ihm genügt Adel und Schönheit als Mitgift. Er hörte von diesen drei Damen, und sandte mich aus, der ich in seinem Dienste bin, um von einem geschickten Maler, der zugleich mit mir hergekommen ist, ihre Bildnisse fertigen zu lassen. Alle drei sind unabhängig, und sehr jung, wie ihr selbst sehen könnt. Die Größte heißt Deleasir, und hat sehr viel Verstand, ist aber arm. Die Mittlere, mit Namen Belarminia, ist glänzend, sehr witzig und nur mittelmäßig reich. Die Kleinste, Namens Feliz Flora, hat den Vorzug vor jenen, daß sie sehr vermögend ist. Sie kennen die Absicht des Herzogs, und jede von ihnen wäre gern, wie es mir scheint, die Glückliche und Auserwählte. Da sie nach Rom gehen, um das Jubiläum dieses Jahres zu feiern, haben sie ihren Wohnort verlassen, und wollen über Paris reisen, um sich dort mit dem Herzog zu treffen, dem Vielleicht vertrauend, was die Hoffnung ihnen zuflüstert.
Seitdem Ihr, mein Herr Pilger, dies Haus betreten, habe ich aber beschlossen, meinem Gebieter ein Geschenk mitzunehmen, das alle Hoffnungen, welche diese Damen hegen, völlig vernichten wird. Denn ich will meinem Herrn das Bildniß der Pilgerin bringen, die Euch begleitet. Sie ist die alleinige Königin der Schönheit, und ist sie zugleich aus adeligem Blut, so haben die Diener meines Herrn nichts mehr zu thun, und der Herzog kann nichts Höheres wünschen. Sagt mir, Herr, auf Euern Eid, ob diese Pilgerin verheirathet ist, wie sie heißt, und wer ihre Eltern sind?«
Zitternd antwortete Periander auf diese Fragen: »Ihr Name ist Auristela, und sie pilgert nach Rom. Wer ihre Eltern sind, sagt sie nie. Daß sie unverheirathet ist, kann ich Euch versichern, da ich es gewiß weiß; ein anderes Hinderniß aber findet sich darin, daß sie so völlig frei und unabhängig ist, daß sie ihren Willen keinem Fürsten der Erde unterwerfen wird; denn, wie sie sagt, hat sie sich dem König des Himmels geweiht. Und damit Ihr glauben mögt, daß Alles so, ist, wie ich Euch sage, so wißt, daß ich ihr Bruder bin, und ihre geheimsten Gedanken kenne. Folglich würde das Bildniß Euch nichts nützen und nur die Ruhe Eures Herrn stören, wenn er vielleicht das Hinderniß zu überwinden gedächte, was der niedrige Stand meiner Eltern ihm entgegenstellt.«
»Bei alle Dem,« sprach Jener, »will ich das Bild doch mitnehmen, wäre es auch nur der Seltenheit wegen, und um in Frankreich dies neue Wunder der Schönheit bekannt zu machen.«
Der Diener entfernte sich, und Periander wünschte den Ort sogleich zu verlassen; damit der Maler keine Zeit zu Auristela's Bilde haben möge. Bartholomeo zäumte sein Thier wieder auf, und war, wegen dieser Eile, sehr unzufrieden mit Periander. Als der Diener des Herzogs bemerkte, daß Periander sogleich abreisen wollte, ging er zu ihm und sprach:
»Ich möchte Euch wol bitten, mein Herr, noch etwas an diesem Orte zu verweilen, wäre es auch nur bis zum Abend, so hätte der Maler Zeit genug zu dem Bildniß Eurer Schwester. Wenn Ihr aber nicht wollt, so geht in Gottes Namen, denn der Maler hat mir gesagt, obgleich er sie nur einmal gesehen, habe sich ihr Gesicht doch seinem Gedächtniß so eingeprägt, daß er sie eben so gut malen könne, als wenn sie ihm säße.«
Periander verwünschte in Gedanken die Geschicklichkeit des Malers, reiste aber doch mit seinen Gefährten ab, nachdem er sich bei den drei edlen Französinnen beurlaubt hatte. Diese umarmten Auristela und Constanza, und boten ihnen an, bis Rom in ihrer Gesellschaft zu reisen, wenn es ihnen Vergnügen mache. Auristela dankte ihnen in den höflichsten Ausdrücken, sagte aber, ihr Wille hänge von dem ihres Bruders Periander ab, und deshalb könnten weder sie noch Constanza sich länger aufhalten, da ihr Bruder und Antonio, der Bruder Constanzens, abreisen wollten.
So wanderten sie denn weiter, und kamen nach sechs Tagen an einen Ort in der Provence, wo ihnen Etwas begegnete, was das folgende Capitel erzählen wird.