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Periander und Antonio genesen von ihren Wunden. Die Pilger setzen ihre Reise in Begleitung der drei französischen. Damen fort, Antonio rettet Feliz Flora aus einer großen Gefahr.
Wenig fruchteten die verständigen Reden der drei französischen Damen bei Auristela und Constanza in ihrem tiefen Schmerz; denn ein eben erlebtes Unglück wird nicht durch Trostgründe gemildert. Das Leid und Unheil, das plötzlich auf uns einbricht, läßt im Anfang durchaus keinen Trost zu, wäre er auch noch so wohlmeinend. Ein Geschwür verursacht große Schmerzen, bis es sich erweicht, und es erweicht sich nur nach und nach, bis es reif geworden. So ist es auch nicht rathsam, während des Weinens und Jammerns und so lange der Gegenstand des Kummers dem Leidenden noch vor Augen ist und ihm Seufzer und Thränen auspreßt, ihm durch starke Mittel zu Hülfe zu kommen.
Laßt Auristela ruhig weinen und Constanza noch einige Zeit jammern; denn Beide verschließen ihr Ohr jedem Troste. Wir wollen indeß der schönen Claricia zuhören, die uns die Ursach von ihres Gemahls Domicio Wahnsinn mittheilt.
Sie erzählte: Domicio sei, bevor er sich mit ihr verheirathete, in eine Verwandte verliebt gewesen, die sich bestimmte Hoffnung gemacht habe, seine Gemahlin zu werden. »Doch verfehlte sie dies Ziel,« sprach Claricia, »und dadurch ward ihr Mißgeschick für immer bestimmt. Lorena, so hieß Domicio's erste Geliebte, verbarg den Zorn, der durch seine Verheirathung mit mir in ihr geweckt wurde, so gänzlich, daß sie ihm im Gegentheil allerlei Geschenke übersandte, die mehr seltsam und blendend als kostbar waren. Unter andern schickte sie ihm einst, wie dem Herkules die hinterlistige Dejanira, einige Hemden von der feinsten Leinwand, und schön ausgenäht. Kaum hatte mein Gemahl eins dieser Hemden angelegt, so verlor er die Besinnung, und lag zwei Tage wie todt; obwol das Hemd ihm gleich wieder ausgezogen ward, weil wir glaubten, eine Sclavin der Lorena, die für eine Zauberin galt, habe es behext. Mein Gemahl kam wieder zu sich, aber seine Sinne waren so gestört und verwildert, daß Alles, was er that, die Spuren des Wahnsinns trug. Dabei war seine Tollheit nicht sanft, sondern wild, grausam und rasend, so daß wir gezwungen waren, ihn an Ketten legen zu lassen. Neulich kam ich in jenen Thurm, da riß er sich wüthend von den Banden los, stürzte auf mich zu, und warf mich durch das Fenster hinab. Aber Gott rettete mich durch meine weiten Kleider oder vielmehr durch seine unermüdliche Güte und Barmherzigkeit, die sich stets der Unschuldigen annimmt. Der Pilger bestieg darauf den Thurm, um ein Mädchen zu retten, die der Wahnsinnige eben hinabstoßen wollte, und zwei kleine Kinder, die in dem Thurm waren, und die er ohne Zweifel auch heruntergeschleudert hätte. Aber das Schicksal hatte es anders beschlossen; denn der Graf und der Pilger schmetterten auf den Boden nieder, und der Graf empfing noch eine tödtliche Wunde durch ein Messer, das der Pilger in der Hand hielt und wahrscheinlich Domicio entrissen hatte, der aber auch ohne diese Wunde den Tod durch den schrecklichen Fall gefunden hätte.«
Periander lag noch immer bewußtlos im Bette, und war von Ärzten umgeben, die alle tauglichen Mittel anwandten, ihm die ausgerenkten Glieder wieder einrichteten und ihm heilsame Tränke einflößten. Endlich fingen seine Pulse wieder an zu schlagen, und er erkannte einige der Personen, die bei ihm waren, Auristela zuerst, der er mit schwacher, kaum hörbarer Stimme sagte:
»Schwester, ich sterbe standhaft im katholischen Glauben und in Deiner Liebe.«
Mehr sprach er nicht weil er nicht die Kraft dazu hatte.
Antonio's Wunde ward gereinigt, und als die Chirurgen sie untersucht, brachten sie seiner Schwester die freudige Nachricht, die Verletzung sei zwar tief, aber nicht gefährlich. Feliz Flora und Constanza vergalten den Chirurgen diese Botschaft mit reichen Geschenken, die auch ohne Umstände angenommen wurden; denn diese Leute sind in dem Punkt nicht sehr ängstlich.
Einen Monat ungefähr dauerte es, ehe die Kranken sich wieder erholten, und die Französinnen verließen sie nicht während dieser ganzen Zeit, so groß war die Freundschaft, die sie mit Auristela und Constanza geschlossen hatten, und das Vergnügen, das ihr kluges Gespräch und das ihrer Brüder ihnen gewährte. Feliz Flora vorzüglich wollte nicht von Antonio's Lager weichen, denn sie liebte ihn mit einer zarten, aus Wohlwollen und Dankbarkeit entsprungenen Liebe.
Auch für den ertheilten Schutz wünschte sie sich erkenntlich zu zeigen, da sein Pfeil sie aus den Händen Rubertino's befreite, der, wie Feliz Flora erzählte, ein Ritter war und Herr eines Schlosses, das in der Nähe des ihrigen lag. Dieser Rubertino hatte sie schon seit lange, nicht mit einer edeln, sondern mit einer lasterhaften Liebe verfolgt, und sie bestürmt, seine Gemahlin zu werden. Sie kannte aber aus langer Erfahrung und durch den Ruf, der selten lügt, Rubertino als grausam, wild, veränderlich und lasterhaft, und wollte seine Bitten nie anhören. Deshalb war er nun, wie sie meinte, auf die Straße ausgezogen, um sie zu entführen, und mit Gewalt von ihr zu erzwingen, was seine Bewerbungen nicht erlangen konnten. Antonio's Pfeil hatte alle seine grausamen, boshaften Vorsätze durchschnitten, und dies bewog sie, Diesem ihre Dankbarkeit zu beweisen.
Als die Kranken sich endlich wiederhergestellt sahen, und die erneute Kraft ihre Genesung bezeugte, kehrte auch der Wunsch bei ihnen zurück, ihre Reise wieder anzutreten, und sie ließen sich nicht länger davon abhalten, nachdem sie sich mit allem Nöthigen versorgt hatten. Die französischen Damen wollten, wie gesagt, die Pilger nicht verlassen, denen sie jetzt mit noch größerer Achtung, ja selbst mit Ehrfurcht begegneten; denn die Reden, welche Auristela unbedacht in ihrem Schmerz gesprochen, ließen die Fremden ahnen, daß ihre Begleiter von hohem Range sein müßten. Verbirgt sich doch die Majestät zuweilen in Bettlergestalt, und die Hoheit verhüllt sich in Lumpen. Sie betrachteten ihre Freunde von nun an oft mit unsichern Blicken. Nach ihrer einfachen Art zu reisen mußte man sie für Menschen aus dem Mittelstande halten; aber ihre Schönheit und der Adel ihrer Gestalt erhoben sie zu größerer Würde, und so war das Ja oder Nein schwer zu entscheiden.
Die französischen Damen trafen die Einrichtung, daß für jeden Reisenden Pferd angeschafft wurde, denn Perianders Schwäche gestattete ihm noch nicht, seinen Füßen zu vertrauen, und Feliz Flora ließ den wilden Antonio nicht von ihrer Seite weichen.
Indem sie noch viel über Rubertino's Kühnheit sprachen, der nun todt und begraben war, so wie über die seltsame Geschichte des Grafen Domicio, dem die Geschenke seiner Base erst den Verstand und dann das Leben raubten, sich auch noch oft des unerhörten Fluges seiner Frau erinnerten, der mehr wunderbar als glaublich war, setzten sie ihre Reise fort, und kamen eines Tages an einen Fluß, der schwierig zu durchwaten schien. Periander rieth, eine Bücke zu suchen, die Andern stimmten ihm aber nicht bei, und wie eine ganze Heerde furchtsamer Schafe, die in einem engen Raum eingesperrt sind, von Muth beseelt wird, wenn eins davon durch die Umzäunung bricht, so war es auch hier. Belarminia wagte sich mit ihrem Pferde in den Fluß, und die Übrigen folgten ihr, indem Periander an Auristela's Seite blieb, und Antonio Feliz Flora und seine Schwester Constanza geleitete. Das Schicksal wollte aber, daß Feliz Flora nicht ohne Gefahr über den Fluß kam; die schnelle Strömung des Wassers machte sie schwindeln, und ohne sich halten zu können, sank sie vom Pferde in die Wellen. Mit unglaublicher Schnelligkeit sprang der behende Antonio ab, und trug sie, wie eine zweite Europa, auf seinen Schultern an das jenseitige Ufer. Sie dankte ihm für seine schleunige Hülfe und sprach:
»Du bist sehr höflich, Spanier.« Worauf er antwortete:
»Meine Höflichkeit würde mir lieber sein, wenn sie nicht stets Deiner Gefahr entspränge; so aber betrübt sie mich mehr, als sie mich erfreut.«
Kurz, die schöne Schaar, wie ich sie oft nenne, kam glücklich über den Fluß, und übernachtete in einem Landhause, das zugleich eine Herberge war, Und wo sie alle Bequemlichkeiten fanden. Was ihnen hier begegnete, fordert aber, einen andern Vortrag und ein neues Capitel.