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Sechstes Capitel.

Die Pilger sehen ihre Reise fort, und begegnen einer alten Pilgerin und einem Polen, der ihnen seine Geschichte erzählt.


Vier Tage blieben die Pilger in Guadalupe, und sahen Einiges von den Herrlichkeiten des berühmten Klosters; nur Einiges, denn Alles hatten sie in so kurzer Zeit nicht sehen können. Dann reisten sie nach Truxillo, wo sie von den edeln Rittern Don Francisco Pizarro und Don Juan de Orellana gastfrei aufgenommen wurden. Sie sprachen viel über Feliciana's Schicksal, und priesen ihren Verstand nicht weniger als ihre schöne Stimme, lobten auch das kluge Verfahren ihres Vaters und Bruders. Auristela erzählte von den freundlichen Anerbietungen, die Feliciana ihr beim Abschiede gemacht.

Zwei Tage blieben sie in Truxillo und wanderten dann nach Talavera, wo eben die Vorbereitungen zu dem großen Feste gemacht wurden, welches sie dort Monda nennen. Diese Feier schreibt sich noch aus der heidnischen Zeit her, lange vor Christi Geburt, und die Christen haben es von allem Anstößigen und Abergläubigen gereinigt. Die Heiden feierten es zu Ehren der Göttin Venus; jetzt wird es aber zum Lobe und zur Verherrlichung der Jungfrau der Jungfrauen begangen. Die Pilger nahmen sich erst vor, die Feierlichkeiten abzuwarten; um sich aber nicht allzulange auf dem Wege aufzuhalten, gingen sie weiter, ohne ihre Neugierde befriedigt zu haben.

Als sie sechs Meilen von Talavera zurückgelegt hatten, sahen sie in geringer Entfernung vor sich eine Pilgerin von einem höchst seltsamen Äußeren. Sie war ganz allein, und die Wanderer hatten nicht nöthig, ihr zuzurufen, sie möge sie erwarten; denn sie setzte sich auf den grünen Rasen einer kleinen Wiese nieder, entweder von der Lieblichkeit des Platzes eingeladen, oder von ihrer Müdigkeit dazu gezwungen. Als die Pilger ihr näherkamen, erblickten sie eine so seltsame Gestalt, daß wir sie beschreiben müssen. Ihre Jahre schienen die Grenzen der Jugend schon überschritten zu haben und dem Greisenalter zu nahen, ihr Gesicht konnte kaum für ein Gesicht gelten; denn selbst das Auge eines Lynceus hätte keine Nase darin entdecken können, da diese so klein und platt war, daß man sogar mit einer Zange nichts davon hätte fassen mögen. Die Augen ragten weit mehr als die Nase aus dem Kopfe hervor. Ihr Anzug bestand aus einem groben, zerrissenen Pilgermantel, der bis auf die Füße herabfiel, darüber trug sie einen runden Kragen, auf der Hälfte mit Leder besetzt, welches aber so zerstückt und zerrissen war, daß man nicht unterscheiden konnte, ob es einst Corduan oder Kalbleder gewesen. Sie war mit einem Strick von Pfriemengras umgürtet, der aber so dick und plump war, daß er eher einem Schiffstau, als dem Gurt einer Pilgerin glich. Das Tuch, womit sie ihren Kopf umwickelt hatte, war grob, aber weiß und rein, darüber trug sie einen alten Hut ohne Schnüre oder andern Zierrath, und aus Hanf geflochtene, aber ganz zerrissene Sohlen. Sie stützte sich auf einen Stock, der oben gekrümmt war wie ein Hirtenstab und unten eine eiserne Spitze hatte. An ihrer linken Seite hing eine Kürbisflasche von mehr als mittelmäßiger Größe, und ihr Nacken beugte sich unter einem Rosenkranz, an dem die Paternoster größer waren als die Kugeln eines Billards. Kurz, dies Weib erschien durchaus bußfertig und armselig; war aber, wie sich hernach zeigte, auch durch und durch bösartig.

Die Wanderer grüßten sie, da sie ihr näher kamen, und sie erwiederte ihren Gruß mit einer Stimme, wie sie sich von einer so platten Nase erwarten ließ, und die mehr näselnd als wohlklingend war. Sie fragten sie dann, wohin sie wandere und welche Pilgerfahrt sie gelobt habe. So im Gespräch und von der Anmuth des Platzes gelockt, setzten sie sich zu der Fremden, ließen das Lastthier, das Kleider, Speisen und Getränke trug, grasen, und hielten ihre Mahlzeit, zu der sie auch die Zerlumpte freundlich einluden; die ihre Frage mit folgenden Worten beantwortete:

»Meine Wallfahrten sind solche, wie viele Pilger sie machen; ich meine die, durch welche sie ihren Müßigang am bequemsten beschönigen können. Und so muß ich euch denn sagen, daß ich jetzt nach der großen Stadt Toledo gehe, um das heilige Bildniß del Sagrario zu besuchen. Von da will ich zum Jesuskindlein de la Guardia wandern. Nachher denke ich von meinem Wege abzuschweifen, wie ein norwegischer Falke, um mich mit der heiligen Veronica von Jaen zu besprechen, bis der letzte Sonntag im April herangekommen ist, wo mitten in der Sierra Morena, drei Meilen von Andujar, das Fest unserer lieben Frau vom Haupt gefeiert wird. Dies Fest ist in allen entdeckten Theilen der Erde berühmt, wie ich mir habe sagen lassen, so daß weder die ehemaligen Feste der Heiden, von denen die Monda in Talavera sich herschreibt, noch irgend ein anderes jemals schöner gewesen sind. Könnte ich es nur, so wie ich es im Gedächtniß habe, vor euch hinstellen, und es euch mit Worten malen, so würdet ihr verstehen und einsehen, wie recht ich habe, es zu loben; aber das ist eine Aufgabe für einen besseren Verstand als der meinige. In dem herrlichen Palast zu Madrid, im Hause des Königs, ist dies Fest in einer Gallerie ganz natürlich abgemalt. Da seht ihr den Berg oder vielmehr die Klippe, auf deren Gipfel das Kloster liegt, worin ein heiliges Bild aufbewahrt wird, das sie die Mutter Gottes vom Haupte nennen. Diesen Namen hat es von dem Felsen, auf dem es wohnt, der ehemals das Haupt genannt wurde, weil er ganz frei und einzeln mitten in einer Ebene steht, abgesondert von den Bergen und Felsen, die ihn umgeben. Er ist ungefähr eine Viertelmeile hoch, und hat eine halbe im Umkreis. Dieser schöne, freie Berg bleibt immer frisch und grün, denn er wird von dem Flusse Xandula umspült, der ihn mit seinem Wasser tränkt und wie aus Ehrfurcht den Saum seines Kleides küßt. Die Lage, der Fels, das Bild, die, vielen Wunder, welche dort geschehen, und die zahllosen Menschen, die von fern und nah hinzuströmen, so wie der feierliche Tag, von dem ich euch sagte, machen den Ort berühmt in der ganzen Welt und verehrt in Spanien, über alle Städte, von denen schon in den ältesten Zeiten gesprochen wurde.«

Die Wanderer waren erstaunt über die Erzählung der neuen Bekannten und alten Pilgerin. Es stieg in ihrer Seele das Verlangen auf, sie zu begleiten, um alle diese Herrlichkeiten zu sehen; aber der Wunsch, ihre Reise zu vollenden, gab keinem andern Gedanken Raum.

»Wohin ich dann pilgern werde,« fuhr die Fremde fort, »weiß ich noch nicht; aber ich bin gewiß, es wird mir nicht an Gelegenheit fehlen, müßig zu gehen und meine Zeit hinzubringen; denn das ist, wie ich schon gesagt habe, der Zweck vieler Pilger.«

Antonio der Vater sprach darauf: »Mir scheint, Frau Pilgerin, daß Euch das Pilgern nicht sehr bekommt.«

»Doch,« antwortete Jene; »denn ich weiß, es ist ein heiliger und löblicher Gebrauch, der auch immer in der Welt bestand und bestehen wird. Aber auf die gottlosen Pilger bin ich schlecht zu sprechen, die mit der Heiligkeit Wucher treiben, und aus löblichen Anstalten einen schändlichen Gewinn ziehen. Ich meine jene, die den wahrhaft Bedürftigen das Almosen stehlen. Doch ich schweige, obwol ich noch viel davon zu sagen wüßte.«

Indem sahen die Pilger auf der großen Straße einen Mann zu Pferde kommen. Als er in ihrer Nähe war, und den Hut ab nahm, sie zu grüßen, trat das Pferd mit dem einen Fuße in ein Loch, und stürzte mit dem Reiter nieder, der einen bösen Fall that. Alle liefen herzu, um dem Reisenden beizustehen, von dem sie glaubten, er müsse übel zerschlagen sein. Der junge Antonio ergriff das Pferd, welches ein mächtiger Hengst war, am Zügel. Die Andern halfen dem Manne wieder auf und gaben ihm frisches Wasser zu trinken, was in solchen Fällen das Beste ist. Der Gestürzte erholte sich schneller wieder, als man hätte glauben sollen, und sie sagten ihm, er könne ohne Gefahr wieder aufsteigen und seinen Weg fortsetzen, der Reisende erwiederte aber:

»Vielleicht, meine Herren Pilger, hat das Schicksal es so gefügt, daß ich an diesem Platze vom Pferde fiel, um mich aus den Gefahren zu erretten, in welche die Einbildungskraft meine Seele verstrickt. Obwol ihr mich nicht darum befragt, so muß ich euch doch sagen, daß ich ein Ausländer bin, nämlich ein Pole. Schon als Knabe verließ ich mein Vaterland und ging nach Spanien, dem Zufluchtsort der Fremden und dem Sammelplatz aller Nationen. Ich diente mehreren Spaniern und lernte die Sprache, so gut wie ihr sie jetzt von mir hört. Da mich aber die Begierde ergriff, welche so viele Menschen umhertreibt, auch andere Länder zu besuchen, so begab ich mich nach Portugal, um die große Stadt Lissabon zu sehen, und denselben Abend als ich angekommen, begegnete mir Etwas, von dem es zu verwundern ist, wenn ihr es glaubt, und das ihr meinetwegen auch für erdichtet halten mögt, obgleich die Wahrheit immer einen sichern Stützpunkt hat, wenn sie auch nur auf sich selbst beruht.«

Periander, Auristela und die übrigen Gefährten waren verwundert über diese unvorbereitete, aber gut vorgetragene Rede des vom Pferde gefallenen Reisenden; aber sie hörten ihm mit Vergnügen zu, und Periander bat ihn fortzufahren und ihnen Das mitzutheilen, was ihm begegnet war, denn er verspräche ihm, daß sie Alles glauben wollten, weil sie eben so in der Höflichkeit wie in vielfachen Erfahrungen bewandert wären. Durch dies Versicherung ermuthigt fuhr der Reisende fort:

»Da ich also den ersten Abend in Lissabon in eine der Hauptstraßen einbog, um eine bessere Herberge zu suchen, da diejenige, in welcher ich abgestiegen war, mir mißfiel, mußte ich durch einen engen und nicht sehr reinlichen Durchgang gehen. Hier begegnete mir ein Portugiese, der in einen Mantel gehüllt war, er stieß mich mit solcher Gewalt aus dem Wege, daß ich auf den Boden fiel. Die Beleidigung reizte meinen Zorn; ich vertraute die Rache dem Schwerte und griff den Portugiesen an, der sich mit großer Tapferkeit und Geschicklichkeit vertheidigte. Die dunkle Nacht, das blinde Glück und mein noch blinderes Geschick lenkte die Spitze meines Degens gerade gegen das Auge meines Feindes, er wollte sich wenden, stürzte aber zur Erde und sein Geist entfloh, Gott weiß wohin.

Ich war entsetzt, Flucht schien wir die einzige Rettung, doch wußte ich nicht, wo ich mich verbergen sollte. Da ich glaubte, den Tritt herannahender Menschen zu hören, gab mir die Furcht Flügel an die Füße, und ich rannte mit wankenden Schritten die Gasse hinab, um einen Schlupfwinkel zu suchen und mein Schwert vom Blute zu reinigen, damit mich die Gerichtsdiener, wenn sie mich ergriffen, nicht mit dem deutlichen Zeichen meines Verbrechens fänden.

Indem ich so einherschwankte, halb ohnmächtig vor Angst, sah ich Licht in einem großen Hause und stürzte in die Thüre, ohne eigentlich zu wissen in welcher Absicht. Unten fand ich einen offnen Saal, der reich verziert war, ich ging weiter, in ein ebenfalls schön geschmücktes Zimmer, und von dem Licht gelockt, das in einem zweiten Zimmer brannte, trat ich auch in dieses, und sah eine Frau in einem prächtig verzierten Bette liegen, die sich erschrocken aufrichtete und mich fragte: wer ich sei? was ich suche? wohin ich wolle und wer mir die Erlaubniß gegeben habe, mit solcher Unverschämtheit hier einzudringen? Ich erwiederte:

›Sennora, auf alle diese Fragen weiß ich nichts zu antworten, als daß ich ein Fremder bin, und, wie ich glaube, einen Menschen auf der Gasse erstochen habe, dessen Tod ich aber mehr seinem Unglück und seinem Übermuth als meiner Schuld zuschreiben kann. Ich bitte Euch um Gottes und um Eurer selbst willen, schützt mich vor der Wuth der Gerichtsdiener, die mich verfolgen, wie ich glaube.‹

›Seid Ihr ein Spanier?‹ fragte die Dame in portugiesischer Sprache.

›Nein, Sennora,‹ antwortete ich. ›Ich hin ein Fremder, und mein Vaterland ist weit von hier.‹

»‹Und wäret Ihr auch tausendmal ein Spanier,‹ erwiederte sie, ›doch würde ich Euch schützen, und ich will Euch retten, wenn ich kann. Steigt über mein Bett weg und hebt die Tapete auf, da werdet Ihr eine Vertiefung in der Wand finden, darin verbergt Euch und haltet Euch ruhig; denn wenn die Gerichtsdiener kommen, werden sie die Ehrfurcht gegen mich nicht verletzen, und glauben, was ich ihnen sage.‹

Ich that, was sie mir befahl, erhob die Tapete und fand die Vertiefung. Ich drückte mich hinein, zog den Athem an und empfahl mich Gott, so gut ich in meiner Angst konnte. Indem kam ein Diener des Hauses hereingestürzt und schrie:

›Gebieterin! Don Duarte, unser Herr, ist erschlagen, hier bringen sie ihn, mit einem Degen das rechte Auge durch und durch gestoßen. Den Thäter weiß man nicht, noch die Ursach des Streits, bei dem kaum Degengeklirr ist gehört worden; nur hat ein Knabe ausgesagt, er habe einen Menschen in dies Haus fliehen sehen.‹

›Das war gewiß der Mörder,‹ antwortete die Dame, ›und er soll uns nicht entschlüpfen. Wehe mir! wie oft habe ich schon gefürchtet, mein Sohn würde mir so, als Leiche gebracht werden! denn sein stolzer Übermuth ließ ein solches Unheil ahnen.‹

Vier Männer trugen den Getödteten herein, und legten ihn auf den Boden, vor die Augen der betrübten Mutter, die mit einer von Thränen erstickten Stimme sprach:

›O Rachedurst, wie erschütterst Du mein Innerstes! aber ich will Dich nicht befriedigen und mein gegebenes Wort treulich halten. Und doch! der Kummer bricht mir das Herz!‹

Bedenkt nun, meine Freunde, mein Gefühl, da ich die betrübten Reden der Mutter vernahm; denn ich war überzeugt, der Anblick des ermordeten Sohnes würde ihr tausend Dolche reichen, um Rache an mir zu nehmen; und es war deutlich, wie sie nicht mehr daran zweifelte, ich sei der Mörder ihres Sohnes. Aber was konnte ich in dieser Lage Anderes thun, als ruhig bleiben und hoffen, selbst wo Alles verloren schien? Nun traten auch die Gerichtspersonen in das Zimmer, und einer von ihnen sprach mit großer Ehrerbietung zu der Dame:

›Durch die Aussage eines Knaben geleitet, welcher anzeigt, der Mörder dieses Ritters sei in dies Haus geflüchtet, haben wir uns erkühnt hereinzukommen.‹

Nun war ich auf das Äußerste gespannt, was die trauernde Mutter antworten würde; ihre Rede aber zeugte von ihrer großen Seele und ihrer christlichen Frömmigkeit, denn sie erwiederte:

›Der Mensch mag vielleicht im Hause sein; in diesem Zimmer aber ist er nicht. Sucht ihn, wenn ihr wollt; obgleich ich Gott bitte, daß ihr ihn nicht finden möget, denn der Mord sühnt sich nicht durch einen zweiten Mord, vorzüglich wenn die Verschuldung nicht aus Bosheit entsprang.‹

Die Gerichtspersonen entfernten sich, um das Haus zu durchsuchen, und mein fast entflohener Geist kehrte wieder zu mir zurück. Die Dame befahl, die Leiche des Sohnes wegzutragen, damit sie eingekleidet, und Alles zum Begräbniß bereitet würde. Darauf verlangte sie allein zu bleiben, da es ihr zu schmerzlich sei, Trost oder Beileidsbezeigungen von Verwandten, Freunden und Bekannten anzunehmen, die sich schon im Hause versammelten. Als Alle sich entfernt hatten, rief sie eine Dienerin, die, wie es schien, ihre Vertraute war: dieser sagte sie Etwas in das Ohr und entließ sie dann auch, indem sie ihr befahl, die Thüre hinter sich zu verschließen. Nachdem dies geschehen war, richtete die Frau sich im Bette auf, fühlte nach der Tapete hinauf, legte mir die Hand auf das Herz, dessen schnelle Schläge von der Angst zeigten, die es durchbebte; als sie dies fühlte, sprach sie mit schwacher, von Schmerz gebrochener Stimme:

›Mensch, wer Du auch sein magst, Du siehst, wie Du mir das Leben meiner Seele, und das Licht meiner Augen geraubt hast, ja Alles, was mich noch in dieser Welt beglückte. Weil ich aber denke, daß Du es nicht vorsätzlich thatest, so soll mein gegebenes Wort die Rachsucht überwinden, und damit ich das Versprechen, was ich Dir gab, als Du zu mir flüchtetest, Dich zu retten, erfüllen könne, thue jetzt was ich von Dir verlange. Bedecke Dein Gesicht mit beiden Händen, auf daß ich, wenn ich vielleicht gegen meinen Willen die Augen öffne, Dich nicht sehe; so verlaß Deinen Versteck und folge meiner Dienerin, die alsbald zurückkommen wird; sie soll Dich auf die Gasse geleiten, und Dir hundert Goldstücke reichen, damit Du für Deine Sicherheit sorgen kannst. Du bist hier fremd, und Niemand kann Dich an irgend einem Zeichen wiedererkennen, deshalb beruhige Dich, denn eine unmäßige Furcht pflegt wol zur Entdeckung des Verbrechers zu führen.‹

Das Mädchen, kam zurück. Ich verließ meinen Versteck, indem ich mir das Gesicht mit der Hand bedeckte. Um meine Dankbarkeit zu bezeigen, kniete ich am Fuße des Bettes nieder, dessen Decke ich tausendmal küßte, dann folgte ich der Dienerin, die schweigend meinen Arm ergriff und mich durch die Hinterthür in den Garten, und von da im Dunkeln auf die Gasse führte.

Das Erste, was ich nun that, war, meinen Degen abzuwischen, dann ging ich mit langsamen Schritten weiter, und kam in eine andre große Straße, wo ich meine Herberge wieder erkannte und ruhig in das Haus trat, als sei mir weder Böses noch Gutes begegnet. Der Wirth erzählte mir den Mord des Ritters, indem er mit großen Worten dessen angesehene Familie, wie seine stolze Gemüthsart schilderte. Deshalb glaube man auch, fügte er hinzu, er habe irgend einen geheimen Feind gehabt, und dadurch sei dies Unheil über ihn gekommen.

Ich brachte die Nacht damit hin, Gott für die empfangene Gnade zu danken, und den christlichen Heldenmuth sowol, als die wunderbare Fassung der Dame Guiomar de Sosa zu bewundern; denn wie ich hörte, war dies der Name meiner Wohlthäterin. Ich ging den Morgen an den Strom, und sah dort ein Boot, das mit Menschen erfüllt war, die sich in einem großen Schiffe, das in Sangian vor Anker lag und für Ostindien bestimmt war, einschiffen wollten. Ich kehrte noch einmal in meine Herberge zurück, verkaufte mein Pferd dem Wirthe und machte Alles, was ich bei mir hatte, zu Gelde. Dann ging ich wieder zu dem Strom und der Barke und war des folgenden Tages schon außer dem Hafen, auf dem großen Schiffe, das mit vollen Segeln über das Meer strich.

Funfzehn Jahre blieb ich in Indien, wo ich Kriegsdienste nahm, und viele tapfere Portugiesen waren meine Kameraden. Hier habe ich Dinge erlebt, aus denen ich eine eben so unterhaltende als wahrhafte Geschichte zusammensetzen könnte. Am merkwürdigsten waren mir die Kriegsthaten der in diesen Regionen unüberwindlichen portugiesischen Nation, die eines ewigen Gedächtnisses würdig sind, jetzt und in allen Jahrhunderten.

Ich erwarb einiges Geld, nebst Perlen und andern Kostbarkeiten, die von großem Werth sind und leicht fortzubringen, und als mein General nach Lissabon zurückkehrte, benutzte ich die Gelegenheit und begleitete ihn. Von da wollte ich wieder in meine Heimath gehen; vorher aber die größten und vornehmsten Städte in Spanien besuchen. Ich verwandelte meine Schätze in Geld und Verschreibungen, was mir für die Reise das Zweckmäßigste schien. Zuerst wollte ich Madrid besuchen, wohin der große Philipp der Dritte kürzlich sein Hoflager verlegt hatte; aber das Schicksal schien es müde zu sein, das Schiff meines Glückes mit günstigem Winde über das Meer des menschlichen Lebens zu treiben, und ließ es auf eine Sandbank laufen, wo es scheiterte. Es führte mich nämlich eines Abends nach Talavera, einem Ort nicht weit von hier, ich stieg in einer Herberge ab, die für mich keine Herberge, sondern ein Grab war, indem ich dort meine Ehre zu Grabe trug.

O unüberwindliche Macht der Liebe! ich meine einer unvernünftigen, unüberlegten, lasterhaften und nichtswürdigen Liebe, wie schnell überwältigst Du einen redlichen Sinn, einen reinen Willen und vernünftige Vorsätze! So wisset denn, daß, als ich mich in diesem Hause befand, von ungefähr ein Mädchen hereinkam, die etwa sechzehn Jahre alt sein mochte, ich wenigstens schätzte sie so, obwol ich nachher erfuhr, daß sie schon zweiundzwanzig war. Sie hatte nichts an als einen wollenen Rock und ein Mieder, beides von Tuch, aber höchst reinlich; die Haare trug sie aufgeflochten. Als sie an mir vorüberging, war es mir, als empfände ich den Duft einer blühenden Wiese im Monat Mai, und alle Wohlgerüche Arabiens schienen mir nicht so lieblich. Sie ging zu einem Aufwärter des Gasthauses, sagte ihm Etwas ins Ohr, erhob dann ein schallendes Gelächter, verließ die Herberge wieder und ging in ein Haus gerade gegenüber.

Der Aufwärter lief ihr nach und konnte sie zwar nicht mehr ergreifen, gab ihr aber noch einen Fußtritt, der sie mit Gewalt in die Thür jenes Hauses schleuderte. Dies sah eine Magd im Wirthshause und sprach voll Zorn zu dem Diener:

›Bei Gott, Alonso, Du thust übel, und Luisa verdient nicht, daß Du sie mit Fußtritten mißhandelst.‹

›Sie soll noch viele von mir bekommen, wenn ich das Leben behalte,‹ rief Alonso. ›Sei ruhig, meine gute Martina; denn gegen diese überlästigen Dirnen muß man sich mit Händen und Füßen wehren.‹

Nach dieser Antwort ging er fort und ließ mich mit Martina allein, die ich fragte, was denn dies für eine Luisa sei? und ob sie verheirathet sei oder ein Mädchen?

›Noch ist sie unverheirathet,‹ erzählte Martina; ›aber sie ist mit diesem Alonso verlobt, der eben wegging, und weil ihre und seine Eltern die Heirath gemacht haben, schlägt Alonso sie schon als Bräutigam, wo er sie sieht, und tritt sie mit Füßen, so oft es ihm einfällt; aber sie verdient es auch fast immer, denn wenn ich Euch die Wahrheit sagen soll, so ist diese Luisa etwas übermüthig und ein klein wenig zu lustig und leichtfertig. Ich habe es ihr oft genug gesagt, es nutzt aber nichts, und sie folgt ihrer Lust, sollte es ihr auch das Leben kosten. Denn wahrlich, die beste Mitgift, die ein Mädchen ihrem Bräutigam bringen kann, ist die Ehrbarkeit. Gott lohne es meiner Mutter, die hielt mich scharf und ließ mich die Gasse nicht sehen, nicht einmal durch's Schlüsselloch. Vor die Thüre gehen, daran war nicht zu denken; denn sie sagte immer: Das Weib und die Henne nun, Ihr kennt das Sprichwort wol.‹

›Sage mir doch, Martina,‹ fiel ich ihr ins Wort, ›wie bist Du denn aus diesem strengen Noviciat in's freie Leben eines Wirthshauses gerathen?‹

›Darüber ließe sich viel sagen,‹ erwiederte sie. Und auch ich könnte Manches noch umständlicher erzählen, wenn der Schmerz, den ich im Herzen trage, es zulassen wollte.«

 


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