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Zwanzigstes Capitel.

Isabella Castrucho erzählt,, wie sie sich aus Liebe zu Andrea Marulo gestellt habe, als sei sie besessen.


Die Gasthäuser in Lucca sind so groß, daß sie eine ganze Compagnie Soldaten aufnehmen könnten. In einem derselben wohnten unsere Pilger. Die Wachen am Thore hatten sie hingeführt, und dem Wirthe übergeben, der für sie einstehen mußte bis den folgenden Tag, oder bis wieder abreisten.

Als sie in das Haus traten, sah Ruperta einen Arzt herauskommen, das schien er ihr wenigstens nach seiner Tracht. Dieser sprach zur Wirthin, denn dafür hielten sie die ihn begleitende Frau:

»Ich komme nicht damit aufs Reine, ob dies Mädchen wahnsinnig oder besessen ist, und um nicht zu fehlen, möchte ich sagen, sie ist wahnsinnig und besessen. Bei alle Dem hoffe ich aber doch, sie zu heilen, wenn ihr Oheim nur eine Zeit lang hier bleiben will.«

»Mein Gott!« rief Ruperta, »in ein Haus von Wahnsinnigen und Besessenen hat man uns gebracht! Wahrhaftig, wollt ihr meinem Rathe folgen, so setzen wir den Fuß nicht über die Schwelle.«

Hierauf sagte die Wirthin: »Euer Excellenz (denn so sagt man in Italien statt Euer Gnaden) können ohne Furcht hier absteigen; denn hundert Meilen weit würden die Menschen kommen, wenn sie wüßten, was in diesem Hause zu sehen ist.«

Alle stiegen von den Thieren, und Auristela und Constanza, die die Rede der Wirthin gehört hatten, fragten diese, was denn hier so Merkwürdiges zu sehen sei?

»Kommt mit mir,« erwiederte die Wirthin; »denn wer gesehen hat, was ich sah, wird auch sagen, was ich sagte.«

Sie ging voran, die Andern folgten ihr, und sie zeigte ihnen in einem reich verzierten Bette ein wunderschönes Mädchen, von sechzehn oder siebzehn Jahren.

Die Arme waren ihr kreuzweis am obern Ende des Bettes fest gebunden, so daß sie sie gar nicht bewegen konnte, und zwei Frauen, die ihre Pflegerinnen schienen, wollten eben die Füße anbinden. Die Kranke sprach aber:

»Es ist genug, wenn ihr mir die Arme bindet, denn alle übrigen Glieder sind mir durch die Fesseln des Anstandes gebunden.«

Sie wandte sich darauf zu den Pilgerinnen und sprach: »Himmlische Gestalten, menschgewordene Engel, ihr kommt wol, mir Gesundheit zu bringen? Denn von einer so schönen Erscheinung und einem so christlichen Besuch läßt sich nichts Anderes erwarten. Um euer selbst willen, und das ist genug gesagt, bitte ich euch, befehlt, daß sie mich losbinden; habe ich mich nur vier oder fünf Mal in den Arm gebissen, so werde ich ruhig sein, und mir weiter nichts zu Leide thun; denn ich bin nicht so toll wie ich scheine, und Der, welcher mich plagt, ist nicht so grausam, zu gestatten, daß ich zu tief einbeiße.«

»Du, meine arme Nichte!« sagte ein alter Mann, der in das Zimmer kam, wie quält Dich Der, von dem Du sagst, er sei nicht grausam! Empfiehl Dich Gott, Isabella, und versuch Etwas zu essen, nicht Dein schönes Fleisch, sondern das was Dein Oheim, der Dich so herzlich liebt, Dir bringen wird. Alles, was in der Luft fliegt, was im Wasser schwimmt und was die Erde hervorbringt, will ich herbeischaffen; denn durch Deinen großen Reichthum und meine Sorgfalt kannst Du Alles haben.«

Die Kranke erwiederte: »Laßt mich allein mit diesen Engeln. Mein Feind, der böse Geist, flieht vielleicht von mir, weil er sich vor ihnen fürchtet.«

Sie deutete nun mit dem Kopfe an, Auristela, Constanza, Rupert und Feliz Flora möchten bei ihr bleiben, und verlangte, alle übrigen sollten sich entfernen, was sie auch auf die Bitte und den Befehl des alten, kummervollen Oheims thaten. Von ihm erfuhren die Pilger, dies sei die grüngekleidete Dame, die ihnen vorbeiritt, als sie die Höhle des weisen Spaniers verlassen hatten, und von der der zurückbleibende Diener ihnen erzählte, sie heiße Isabella Castrucho, und solle sich in Neapel vermählen.

Kaum hatten sich Alle wegbegeben, so schaute die Kranke nach allen Seiten um, und sagte, sie möchten nachforschen, ob auch Niemand weiter im Zimmer sei, als die von ihr bezeichneten Personen. Ruperta untersuchte alle Winkel und versicherte ihr, es sei Niemand da, als Die, welche sie sähe. Isabella richtete sich nun, so gut sie konnte, im Bette auf, sie schien sprechen zu wollen; ihre Stimme ward aber durch einen so tiefen Seufzer gebrochen, daß es klang, als wolle die Seele, sich aus ihrer Brust losreißen. Darauf streckte sie sich wieder im Bette aus, und versank in eine so tiefe Ohnmacht, daß kein Zeichen des Lebens mehr an ihr zu bemerken war, und die erschreckten Frauen nach Hülfe riefen und Wasser begehrten, um Isabella's Angesicht zu benetzen, deren Seele schon auf den Lippen zu schweben schien.

Der bestürzte Oheim eilte herbei, ein Kreuz in der einen, und einen Sprengwedel mit Weihwasser in der andern Hand. Zwei Priester begleiteten ihn, die, weil sie glaubten das Mädchen sei vom bösen Geist besessen, immer in ihrer Nähe bleiben mußten. Die Wirthin brachte Wasser, das Gesicht wurde der Kranken besprengt, sie kam wieder zu sich und sprach:

»Diese Anstalten sind für jetzt unnütz; bald werde ich aufstehen, aber nicht wann ihr wollt, sondern wenn es mir gut dünken wird; und nicht eher, als bis Andrea Marulo, der Sohn des Juan Baptista Marulo, eines Edelmannes in dieser Stadt, herkommt. Dieser Andrea studirt jetzt in Salamanca, und weiß nichts von allen diesen Vorfällen.«

Diese Reden bestätigten alle Gegenwärtigen in der Meinung, daß Isabella besessen sei; den sie konnten nicht begreifen, woher sie Etwas von Juan Baptista Marulo und von seinem Sohn Andrea wisse. Demungeachtet lief gleich Einer zum genannten Juan Baptista Marulo hin, um ihm zu erzählen, was die schöne Besessene von ihm und seinem Sohne gesagt habe.

Diese bat wieder, man möge sie mit Denen, die sie zu ihrer Gesellschaft ausersehen hatte, allein lassen. Die Priester lasen das Evangelium über sie, und thaten ihr dann ihren Willen, eifrig das Zeichen erwartend, das sie geben würde, wenn der böse Geist sie freigelassen; denn sie wären fest von ihrer Besessenheit überzeugt. Feliz Flora nahm nun wieder die Untersuchung des Zimmers vor, verschloß die Thüre dann, und sprach zu der Kranken:

»Wir sind allein. Befiehl nun, was weiter geschehen soll.«

»Was ich verlange,« antwortete Isabella, »ist, daß ihr die Bänder löst; denn sind sie auch weich, so quälen sie mich doch, weil ich mich nicht rühren kann.«

Die Frauen thaten schnell, was die Kranke begehrte, Isabella setzte sich aufrecht im Bette hin, faßte Auristela mit der einen, und Ruperta mit der andern Hand, und bat Constanza und Feliz Flora, sich auch auf den Rand ihres Bettes zu setzen. Von diesem schönen Kreise eingeschlossen, begann sie mit leiser Stimme und thränenden Augen folgender Gestalt:

»Ich bin die unglückliche Isabella Castrucho, die von ihren Eltern mit dem Adel, von dem Glücke mit Reichthum und von der Natur mit einiger Schönheit begabt ward. Meine Eltern sind in Capua, ich aber bin in Spanien geboren, wo ich im Hause dieses meines Oheims aufwuchs und erzogen ward, der am Hofe des Kaisers lebte.

Aber, wehe mir! Weshalb will ich den Strom meiner Leiden bis zur Quelle verfolgen? Ich war also im Hause meines Oheims, da meine Eltern gestorben waren, die mich ihm als meinem Vormund übergeben und anempfohlen hatten.

Einst kam ein junger Mann in die Residenz, den ich in der Kirche sah, und so lange betrachtete. – Doch bitte ich euch, meine Damen, mich deshalb nicht für leichtsinnig zu halten; und wenn ihr bedenkt, daß ich ein Mädchen bin, werdet ihr auch nicht so streng sein. Ich sage also: ich sah ihn in der Kirche, und zwar so, daß ich ihn nachher zu Hause allenthalben vor mir sah; denn sein Bild hatte sich meinem Herzen so tief eingeprägt, daß ich es nicht mehr aus meinem Gedächtniß vertilgen konnte Endlich ersann ich Mittel, um zu erforschen, wer dieser Mann sei, von welchem Stande, was er bei Hofe wolle und wohin er gehen werde. Alles, was ich erfuhr, war, daß er Andrea Marulo hieß, und der Sohn des Juan Baptista Marulo war, eines Edelmannes in dieser Stadt, von altem Adel, aber nicht reich, und daß er nach Salamanca gehen wolle, um zu studiren.

Sechs Tage blieb er in Madrid, und in dieser Zeit fand ich Mittel, ihm zu schreiben, ihm meinen Namen zu entdecken, und wie groß mein Vermögen ist. In wie fern ich schön zu nennen sei, fügte ich hinzu, davon könne ihn mein Anblick in der Kirche überzeugen. Ich schrieb ihm auch, daß ich erfahren hätte, wie mein Oheim mich mit einem seiner Neffen verheirathen wolle, damit das Vermögen in der Familie bleibe; dieser Mann passe aber gar nicht für mich, was auch wirklich wahr ist. Ich sagte ihm ferner, durch mich böte die Gelegenheit ihm ihr Stirnhaar dar, er möge es ergreifen und sich durch Versäumniß nicht eine zu späte Reue zuziehen. Er möge aber aus meinem Entgegenkommen keinen Vorwand nehmen, mich gering zu achten.

Er antwortete mir darauf: er habe mich sehr oft in der Kirche gesehen, und meine Schönheit allein, auch ohne den Schmuck des Adels und des Reichthums, mache mich würdig, Gebieterin der Welt zu werden. Er bitte mich, einige Zeit fest in meiner Liebe zu beharren, wenigstens bis er einen Freund nach Salamanca begleitet habe, der mit ihm aus seiner Vaterstadt abgereist sei, um dort zu studiren.

Ich antwortete ihm: ich würde dies ohne Zweifel thun, denn in mir sei die Liebe weder übereilt noch unbesonnen, die schnell entsteht, und eben so schnell wieder stirbt.

Die Ehre zwang ihn damals, sich von mir zu entfernen, da er dem Freunde sein Wort gegeben hatte. Er schied mit Thränen. Ich sah es, wie er weinte, als er durch meine Straße ging, am Tage der Abreise. Er verließ mich nicht, obwol er sich entfernte, ich begleitete ihn, obwol ich zurückblieb.

Des andern Tages – wer sollte es glauben? Welche Schleichwege geht das Unglück, um seine Beute desto sicherer zu erhaschen? Des andern Tages also beschloß mein Oheim nach Italien zurückzukehren. Ich fand keine Ausflucht, und daß ich mich krank stellte, half mir nichts; denn Puls und Gesichtsfarbe bezeugten meine Gesundheit.

Mein Oheim hielt mich also nicht für krank, sondern meinte, aus Mißvergnügen mit der beabsichtigten Heirath suche ich einen Vorwand, um nicht abzureisen.

Ich hatte noch Zeit, Andrea zu schreiben, was vorgefallen war, und daß ich gezwungen sei, mich zu entfernen; ich wolle es aber so einzurichten suchen, daß wir über Lucca reisten, und mich dort anstellen, als sei ich besessen, damit er durch diesen Kunstgriff Zeit gewinnen möchte, Salamanca zu verlassen und auch nach Lucca zu kommen, wo ich mich meinem Oheim und der ganzen Welt zum Trotz mit ihm vermählen wolle. Von seiner Pünktlichkeit hänge also mein Glück ab, und auch das seinige, wenn er sich nicht undankbar zeigen wolle.

Ist der Brief in seine Hände gekommen, und daran zweifle ich nicht, da ich einen sichern Boten wählte, so muß er in drei Tagen hier sein. Ich habe für mein Theil gethan, was ich konnte, und mein Körper ist wirklich von einer ganzen Legion Teufeln erfüllt, denn ein Quentchen Liebe in der Seele thut dieselbe Wirkung, wenn die Hoffnung ihr von fern höhnende Gesichter schneidet.

Dies, meine Damen, ist meine Geschichte, dies mein Wahnsinn und meine Krankheit. Die Gedanken der Liebe sind die bösen Geister; die mich plagen, und ich leide Hunger, weil ich Sättigung hoffe. Bei alle dem verfolgt mich aber der Zweifel; sagt doch in Castilien das Sprichwort: Dem Unglücklichen erfriert der Bissen zwischen der Hand und dem Munde.

Thut mir nun die Liebe, meine Lüge wahrscheinlich zu machen und meine Worte zu bekräftigen, und beredet meinen Oheim, daß er, sofern ich nicht genese, die Abreise noch einige Tage aufschiebt. Vielleicht vergönnt mir der Himmel, in diesem Zwischenraum Andrea und mein Glück hier zu finden.«

Ob die Zuhörerinnen sich über Isabella's Geschichte wunderten, ist keine Frage; denn einer solchen Erzählung folgt das Erstaunen und bemächtigt sich der Seelen aller Derer, die sie hören. Ruperta, Auristela, Constanza und Feliz Flora versprachen Isabella, ihre Absichten zu unterstützen und Lucca nicht eher zu verlassen, als bis ihr Schicksal sich entschieden habe, was nicht lange mehr dauern konnte.

 


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