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Gespräch Perianders mit Auristela.
Unsere wandernde Gesellschaft stritt darüber, ob die Ehe der Isabella Castrucho, die durch so viele Kunstgriffe erschlichen war, gültig sei, oder nicht. Periander behauptete: Ja, sie sei es; es komme ihnen auch nicht zu, über diesen Fall zu entscheiden. Was ihm hingegen mißfallen hatte, war die Vereinigung der Taufe, der Trauung und des Begräbnisses, so wie die Unwissenheit des Arztes, der Isabella's Verstellung nicht erkannt hatte, noch die Gefahr, in der der Oheim sich befand.
Die Pilger erinnerten sich oft im Gespräch ihrer überstandenen Gefahren, und Croriano und Ruperta hörten ihnen sehr aufmerksam zu; sie hätten gern gewußt, wer Periander und Auristela, so wie Antonio und Constanza waren. Stand und Namen der drei französischen Damen kannten sie, seit ihrem ersten Zusammentreffen.
Mit ziemlich starken Tagereisen gelangten sie nach Aquapendente, einer Stadt nicht weit von Rom, und ehe sie sich dem Orte näherten, gingen Periander und Auristela etwas voraus, um von den Übrigen nicht gehört zu werden, und Periander begann folgender Weise zu sprechen:
»Dir ist es bekannt, o meine Herrin, daß die Ursachen, welche uns bewogen, unser Vaterland und unsere Ruhe zu verlassen, gerecht und unausweichlich waren. Schon fächelt die römische Luft unser Angesicht, und die Hoffnung, die unser Leben bisher erhielt, fängt an sich in der Seele zu regen. Schon darf ich wähnen, das lang ersehnte Glück endlich mein zu nennen. Denke nach, Geliebte, und kehre noch einmal mit Deinen Gedanken zurück, bis zu dem ersten Augenblick. Erforsche Dein Inneres und frage Dich: ob Dein Wille noch in seiner ganzen Festigkeit beharrt, und beharren wird, nachdem Du Dein Gelübde gelöst hast? Ich zweifle nicht daran; denn Dein königliches Blut wird sich nie durch trügerische Verheißungen oder doppelsinnige That erniedrigen. Von mir kann ich Dir versichern, o schöne Sigismunda, daß dieser Periander, den Du vor Dir siehst, noch derselbe Persiles ist, den Du im Hause des Königs, meines Vaters, sahest; derselbe, der Dir sein Wort gab, Dein Gemahl zu werden, dort im Palast seines Vaters, und es auch in den Wüsten Libyens erfüllen würde, wenn das Schicksal uns dahin verschlüge.«
Auristela sah Periander lange aufmerksam an; denn sie war sehr verwundert, daß er an ihrer Treue zweifeln konnte. Endlich sagte sie:
»Eine unerschütterliche Festigkeit, o Persiles, habe ich in meinem ganzen Leben bewiesen. Vor zwei Jahren schenkte ich Dir meine Liebe, nicht gezwungen, sondern aus freiem Willen; und meine Treue ist noch so fest und rein, wie den ersten Tag, da ich Dich zum Gebieter meines Herzens erkor; meine Liebe ist, wenn sie zunehmen konnte, unter den vielen Leiden, die wir miteinander erduldet, beständig gewachsen. Für Deine mir bewahrte Treue werde ich Dir meine Dankbarkeit dadurch beweisen, daß ich, so wie ich mein Gelübde erfüllt habe, Dein Hoffen in Gewißheit zu verwandeln gedenke. Aber sage mir: Was wollen wir thun, wenn das heilige Band uns verknüpft hat, und wir ein Joch der Liebe tragen? Weit entfernt sind wir von unserm Vaterlande, Niemand kennt uns hier in der Fremde, und wie ein schwacher Epheu sehen wir uns hier, in unserer Bedrängniß, aller Stütze beraubt. Ich sage dies nicht, weil es mir an Muth fehlt, alle Mühseligkeiten der Welt zu ertragen, wenn ich mit Dir vereinigt bin; sondern nur, weil jeder Mangel, den Du erduldest, mir das Herz durchschneidet. Bis jetzt, oder doch wenigstens bis vor kurzer Zeit, litt ich in meiner Seele allein; aber von jetzt an werde ich jedes Leiden in zwei Seelen fühlen, in der meinigen und in Dir; obwol ich Unrecht habe, sie zwei Seelen zu nennen, denn sie sind ja nur eine.«
»Bedenke, meine Theure,« antwortete Periander, »daß es dem Menschen nicht möglich ist, sein Geschick selbst zu erbauen; obwol es heißt: Jeder ist seines Glückes Schmidt. Deshalb kann ich Deine Frage, was wir thun werden, wenn unser Geschick vereinigt ist, jetzt noch nicht beantworten. Sind wir nur erst auf ewig und unzertrennlich verbunden, so wird uns ja wol die Erde Früchte bieten, die uns ernähren, eine Hütte, die uns aufnimmt, und ein Kleid, das uns bedeckt. Denn dem Glück zwei vereinigter Seelen, die, wie Du sagtest, nur eine Seele sind, ist keine andere Lust zu vergleichen; und ein goldgeschmückter Palast kann ihre Freude nicht erhöhen. Es wird uns nicht an Mitteln fehlen, der Königin, meiner Mutter, Nachricht von unserm Aufenthalte zu geben, und sie wird nicht säumen, uns Hülfe zu verschaffen. Während Dessen kann das Kreuz von Diamanten, was Du hast, und die beiden unschätzbaren Perlen uns aus jeder Noth helfen. Ich besorge nur, wenn wir uns dieser Kleinodien entäußern, werden wir ebenfalls der Verborgenheit, in der wir leben, entsagen müssen; denn wer wird es glauben, daß Kostbarkeiten von solchem Werth unter einem schlechten Pilgerkleide verborgen sein können?«
Weil die Gefährten ihnen nachgekommen waren, endigte hier daß Gespräch, das erste, was sie je über ihre Angelegenheiten geführt; denn Auristela's Ehrbarkeit war so groß, daß Periander nie Gelegenheit finden konnte, sie allein zu sprechen. Durch diese Zurückhaltung und beständige Aufmerksamkeit hatten sie es erlangt, von Allen, die sie kannten, für Geschwister gehalten zu werden. Nur in dem verderbten, jetzt gestorbenen Clodio war die Bosheit so überwiegend, daß er das wahre Verhältniß argwöhnte.
Den Abend kehrten sie, eine Tagereise vor Rom, in einem Gasthause ein; und da ihnen in ihren Herbergen schon oft seltsame Abenteuer begegnet waren, so trafen sie auch hier auf eins, von dem ich nicht weiß, ob man es so nennen kann.
Indem sie am Tische saßen, welchen die Sorgfalt des Wirthes und die Geschäftigkeit seiner Diener reichlich mit Speisen besetzt hatte, kam aus einem andern Zimmer ein stattlicher Pilger, der unter dem linken Arm ein Schreibzeug, und ein Blatt Papier in der Hand trug, Nachdem er alle Anwesenden anständig begrüßt hatte, sagte er in spanischer Sprache:
»Dieser Pilgermantel, mit dem ich bekleidet bin, legt Dem, der ihn trägt, die Verpflichtung auf, um Almosen zu bitten, und deshalb muß auch ich euch darum ansprechen. Es ist aber ein Almosen ganz neuer und ungewöhnlicher Art, durch das ihr mich, ohne mir einen Edelstein oder irgend eine Kostbarkeit zu verehren, dennoch reich und zufrieden machen werdet. Ich, meine Herrschaften, bin ein seltsamer Mensch: über die eine Hälfte meiner Seele herrscht Mars, und die andere regieren Merkur und Apollo. Einige Jahre meines Lebens habe ich den Waffen gewidmet; einige aber, und zwar die reiferen, den Wissenschaften. Im Kriege habe ich mir einen guten Namen erworben, und unter den Schriftstellern werde ich zuweilen mit genannt. Ich habe einige Bücher drucken lassen, die von den Ungelehrten nicht als schlecht verdammt worden sind, und von denen die Verständigen nicht geleugnet haben, daß sie zu den besseren gehörten. Da die Noth, wie man sagt, die beste Lehrmeisterin sein und den Geist schärfen soll, so ist der meinige, der einen gewissen Hang zum Phantastischen und Neuen hat, auf eine seltsame Erfindung gerathen. Ich habe mir nämlich vorgenommen, auf fremde Kosten ein Buch herauszugeben. Die Mühe sollen, wie gesagt, Andere übernehmen, und der Vortheil mir zufallen. Das Buch soll den Titel führen: Blumenlese fremder Sentenzen, und soll in dieser Form bedeutende Wahrheiten zu Tage fördern. Wenn mir auf der Landstraße, oder an irgend einem andern Orte, eine Person begegnet, in deren Äußerem ich Spuren des Verstandes, oder der Bildung zu entdecken meine, so bitte ich sie, mir auf mein Papier irgend einen witzigen Einfall, oder eine scharfsinnige Sentenz, die ihr eben beikömmt, aufzuschreiben. Auf diese Art habe ich schon über dreihundert Aphorismen gesammelt, die alle verdienen gelesen und gedruckt zu werden. Auch will ich mir keinesweges den Ruhm davon zueignen; denn bei jedem Satz wird der Autor, der mir seine Unterschrift gibt, genannt. Dies ist das Almosen, um das ich bitte, und das ich höher schätze als alles Gold der Welt.«
»Herr Spanier,« sagte Periander, »laßt ums einige Proben Dessen hören, was ihr verlangt, damit wir uns danach richten können. Alsdann wollen wir Euch dienen, so gut unsere Talente es vermögen.«
»Heute früh,« erwiederte der Spanier, »kam ein spanischer Pilger mit einer Pilgerin hier an. Sie reisten gleich wieder weiter, ohne sich aufzuhalten; ich gab ihnen aber doch, da sie Spanier waren, meine Wünsche zu erkennen, und die Frau sagte mir, ich möge, da sie nicht schreiben könne, in ihrem Namen aufsetzen:
›Ich will lieber böse sein, mit dem Vorsatz mich zu bessern, als gut, mit der Absicht Böses zu thun.‹
Sie befahl mir darunter zu setzen: Die Pilgerin aus Talavera. Der Mann konnte auch nicht schreiben, und dictirte mir Folgendes:
›Es gibt keine schwerere Last, als ein leichtsinniges Weib.‹
Ich unterzeichnete für ihn: Bartholomeo der Manchaner. Von dieser Art sind die Aphorismen, um die ich bitte. Und die, welche ich von dieser edeln Gesellschaft zu erhalten hoffe, werden so sein, daß sie alle übrigen verdunkeln, und den Schmuck und Glanz meines Buches ausmachen werden.«
»Wir verstehen wie es gemeint ist,« sprach Croriano, indem er dem Pilger das Blatt und das Schreibzeug abnahm, und ich will der Erste sein, der sich dieser Verpflichtung unterzieht. Er schrieb:
›Der in der Schlacht gefallene Krieger ist schöner, als der durch die Flucht gerettete.‹
Er unterzeichnete mit seinem Namen Croriano. Periander nahm nun die Feder und schrieb:
›Glücklich ist der Krieger, wenn er weiß, daß sein Fürst ihn kämpfen sieht.‹
Er unterzeichnete und Antonio folgte ihm und schrieb:
›Der im Kriege erworbene Ruhm, da er mit eisernen Spitzen auf Stahl eingegraben wird, ist dauernder als jeder andere.‹
Er schrieb darunter: Antonio der Barbar.
Da nicht mehr Männer in der Gesellschaft waren, bat der Pilger die Damen, sich nicht auszuschließen.
Ruperta war die Erste und schrieb Folgendes:
›Wenn die Schönheit von der Tugend begleitet wird, so ist sie Schönheit, wenn aber nicht, so heißt sie nur: ein gutes Äußere.‹
Nachdem sie unterzeichnet hatte nahm Auristela die Feder und schrieb:
›Die beste Mitgift, die eine vornehme Frau haben kann, ist die Tugend; denn Schönheit und Reichthum werden von der Zeit zerstört, und durch das Schicksal geraubt.‹
Sie unterzeichnete und Constanza folgte ihr mit dem Spruch:
›Nicht nach eignem, sondern nach fremdem Willen soll das Weib den Gatten wählen.‹
Sie setzte ihren Namen darunter, und Feliz Flora schrieb:
›Vieles müssen wir thun, weil das Gesetz des Gehorsams uns dazu verpflichtet; aber noch weit öfter folgen wir der Macht der Leidenschaft.‹
Belarminia folgte ihr mit dem Satz:
›Das Weib soll dem Hermelin gleichen, und lieber Alles ertragen, als ihre Reinheit beflecken.‹
Sie unterzeichnete mit ihrem Namen, und Deleasir schrieb, als die Letzte:
›Über alle Handlungen des Lebens herrscht das gute oder böse Geschick; über keine aber mehr, als über die Verheirathung.‹
Dies schrieben unsere Damen und unsere Pilger.
Der Spanier war äußerst erfreut darüber und sehr dankbar. Periander fragte ihn, ob er nicht einige seiner Aphorismen auswendig wisse, und er antwortete: Er wisse nur Eines, das ihm wegen der Unterschrift Dessen, der es geschrieben, großes Vergnügen gemacht habe, es lautete:
›Wünsche nichts, so bist Du der reichste Mann auf der ganzen Welt.‹
Die Unterschrift war: Diego de Ratos, der bucklichte Schuhflicker von Tordesillas, Flecken in Alt-Castilien, nicht weit von Valladolid.
»Bei Gott!« rief Antonio, die Unterschrift ist lang und ausführlich, der Spruch hingegen der kürzeste und gehaltreichste, den man sich denken kann; denn gewiß entbehren wir nur Das, was wir uns wünschen, und der, welcher keinen Wunsch hat, entbehrt gar nichts, und ist also der reichste Mann auf der Welt.«
Einige andere Aphorismen sagte ihnen der Spanier noch, und diese Unterhaltung würzte das Gespräch und die Mahlzeit. Der Pilger setzte sich mit zu Tische, und sagte unter Anderm:
»Ich werde das Privilegium, mein Buch zu drucken, keinem Buchhändler in Madrid geben, und wenn er mir auch zweitausend Ducaten für das Buch böte; denn sie wollen dort Alle das Privilegium umsonst haben, oder so wenig dafür geben, daß der Autor keinen Vortheil davon hat. Freilich kaufen sie zuweilen ein Privilegium, und drucken ein Buch, durch das sie reich zu werden hoffen, und verlieren hernach sowol Geld als Mühe. Aber dies Buch von den Sentenzen trägt es an der Stirn geschrieben, daß es eben so gut als vortheilhaft sein muß.«