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Drittes Buch.

*

Erstes Capitel.

Die Schiffenden kommen nach Portugal und landen bei Belen; sie gehen nach Lissabon, das sie nach zehn Tagen wieder verlassen.


Da unsere Seele in beständiger Bewegung ist, und nur in Gott Ruhe finden kann, der ihr Mittelpunkt ist, und für den sie geschaffen ward, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn unsere Gedanken und Wünsche sich verändern. Wir ergreifen Dies und verlassen Jenes, Eins wird verfolgt und ein Anderes vergessen. Derjenige kommt aber dem Frieden am nächsten und hat den besten Theil erwählt, dessen Verstand sich in keine Irrthümer verwickelt.

Dies sage ich, um den Leichtsinn Arnaldo's zu entschuldigen, mit dem er in einem Augenblick seinen Vorsatz aufgab, sich Auristela's Dienst zu weihen. Doch kann man nicht sagen, daß er ihn aufgab, sondern er stellte ihn nur in den Hintergrund, da das Gefühl der Ehre, welches über alle unsere Handlungen herrschen soll, sich gänzlich seiner Seele bemächtigte. Arnaldo erklärte sich gegen Periander darüber auf der Eremiteninsel, den Abend vor der Abreise. Er flehte ihn auch darum an, (denn wer Etwas bittet, was ihm sehr am Herzen liegt, begnügt sich nicht mit der einfachen Bitte), für seine Schwester Auristela Sorge zu tragen, und sie zu bewahren, damit sie einst Königin von Dänemark werden könne. Denn wenn ihm auch das. Glück in Wiedererlangung seines Reiches nicht günstig wäre, und er in diesem rechtmäßigen Kriege sein Leben verlöre, so solle doch Auristela die Wittwe eines Fürsten heißen und könne dann einen Gemahl erwählen; doch wisse er wohl und habe es oft gesagt, daß sie durch ihren eigenen Werth und ohne daß ein Anspruch auf sie übertragen würde, verdiente, Königin des größten Reiches, geschweige denn von Dänemark zu sein.

Periander dankte ihm für sein Wohlwollen und versprach ihm, für seine Schwester Sorge zu tragen, da sie ihm eben so theuer sei, und er die Pflicht habe, sich ihrer anzunehmen.

Periander sagte Auristela nichts von diesem Gespräch; denn die Lobeserhebungen, die der Liebende seiner Geliebten zollt, müssen von ihm selbst kommen, und nicht als der Auftrag eines Andern erscheinen. Kein Liebender soll seine Dame durch die Schmeicheleien eines Dritten zu gewinnen suchen, und Alles, was er ihr sagt, muß nur von ihm herrühren. Kann er sie nicht besiegen, so benutze er nicht die Begeisterung eines Andern, und ist er selbst nicht außerordentlich schön, so wähle er keinen Ganimed zu seinem Begleiter. Kurz, ich behaupte, daß er vermeiden soll, die eigenen Mängel durch fremde Vorzüge noch mehr ans Licht zu stellen. Diesen Rath hat Periander nicht nöthig, denn die Natur hatte ihn mir jeder Vollkommenheit geschmückt, und an Gaben des Glückes standen Wenige höher als er.

Die beiden Schiffe segelten nach verschiedenen Richtungen mit demselben Winde. Daß Dies geschehen kann, ist eines von den Geheimnissen der Schifffahrt. Sie durchschnitten nicht helles Krystall, sondern azurblaue Wogen. Das Meer war leicht gekräuselt, denn der Wind behandelte es mit Ehrfurcht, und berührte seine Oberfläche nur zart. Das Schiff küßte sanft seine Lippen und flog so leicht darüber hin, daß es kaum die Wellen zu streifen schien. Auf diese Art fuhren sie sicher und ruhig siebzehn Tage fort, ohne daß sie nöthig hatten, die Segel einzuziehen oder herunterzulassen. Gewiß gäbe es für alle Eingeschifften keine größere Freude, als eine solche Fahrt, minderte die beständige Furcht vor dem Sturm nicht dies Vergnügen.

Nach Verlauf dieser Tage rief, beim Anbruch des Morgens, ein Schiffsjunge auf dem Mastkorb:

»Freut euch, ich sehe Land! Land! oder ich sollte vielmehr sagen, ich sehe den Himmel! denn ohne Zweifel sind wir auf der Höhe der weltberühmten Stadt Lissabon.«

Diese Nachricht füllte Aller Augen mit Thränen der Freude, besonders gerührt waren Ricla, die beiden Antonio und Constanza; denn sie glaubten das Land der Verheißung, nach dem sie sich sehnten, schon erreicht zu haben. Antonio umarmte die Seinigen und sprach:

»Jetzt, meine Theuren, werdet ihr lernen, wie ihr Gott dienen sollt, vollständiger mindestens, als ich es euch lehren konnte. Jetzt werdet ihr die herrlichen Tempel sehen, in denen wir Gott anbeten, und die heiligen Gebräuche, mit denen wir ihn verehren. Ja, ihr werdet die christliche Liebe in ihrer Vollkommenheit bewundern. Die vielfachen Hospitäler dieser Stadt werdet ihr besuchen, die nachdrücklich jede Krankheit zu heilen streben, oder doch dem Kranken, durch ihre geistliche Fürsorge das ewige Leben sichern, wenn er das zeitliche verliert. Liebe und Ehrbarkeit reichen sich hier die Hände und leben vereint. Der vornehme Anstand wird hier nicht zum Stolz, und die Tapferkeit nie durch Feigheit befleckt. Alle Einwohner sind liebenswürdig, höflich, freigebig und verliebt; dem alle sind gebildet. Diese Stadt ist zugleich der erste Handelsplatz in Europa; denn hier werden die Schätze des Orients abgeladen und von hier aus durch alle Länder vertheilt. Die Schiffe, welche der Hafen fassen kann, sind nicht zu zählen, und ihre Masten gleichen einem beweglichen Walde. Die Schönheit der Frauen verblendet und entzückt, und die Herrlichkeit der Männer ist das Staunen der Welt. Mit Einem Wort, dies ist das Land, das dem Himmel die meisten und heiligsten Seelen zuführt.«

»Sprich nicht weiter, Antonio,« fiel Periander ihm in die Rede, »und laß noch Etwas für unser Auge; denn der Lobende muß nur vorbereiten und der eignen Anschauung das Meiste überlassen, damit der Betrachtende dann von Neuem erstaunen kann. So steigt das Vergnügen nach und nach und gelangt auf diese Weise zu seinem höchsten Gipfel.«

Auristela war sehr zufrieden, nun bald das feste Land zu betreten, und nicht mehr von Küste zu Küste und von einer Insel zur andern zu schweifen, abhängig von der Unbeständigkeit des Meeres und dem veränderlichen Willen der Winde. Noch mehr freute sie sich aber, als sie hörte, daß sie von dort zu Lande nach Rom gelangen konnte, und nicht nöthig hatte, noch ein Mal zur See zu gehen.

Um die Mittagszeit kamen sie nach Sangian, wo das Schiff untersucht ward, und der Castellan des Schlosses und seine Begleiter, welche bei diesem Geschäft das Schiff bestiegen, staunten über Auristela's Schönheit und Perianders Anmuth, so wie über die seltsame Tracht der beiden Antonio, über das fremdartige Ansehen Ricla's und die Lieblichkeit Constanza's. Sie erfuhren auf ihre Erkundigung, daß alle Fremde wären, und auf einer Wallfahrt nach Rom begriffen.

Periander belohnte die Schiffer, welche sie hergebracht hatten, reichlich, mit dem Golde, was Ricla von der Insel der Barbaren mitgenommen, und was sie in Polykarps Reich mit gemünztem Gelde vertauscht hatten. Die Schiffer wollten noch nach Lissabon gehen, um für die empfangene Summe Waaren einzukaufen.

Der Castellan von Sangian benachrichtigte den Gouverneur von Lissabon, welcher damals in Abwesenheit des Königs der Bischof von Braga war, von der Ankunft der Fremden und von Auristela's Schönheit, pries auch Constanza, deren Liebreiz durch die fremde Tracht mehr erhöht als verdunkelt wurde. Er lobte auch Perianders ritterlichen Anstand und die feine Sitte der Übrigen, die sie eher für Hofleute als Barbaren gelten ließ.

Das Schiff nähte sich dem Ufer und in Belen stiegen sie ans Land; denn Auristela, die mit andächtiger Rührung von dem berühmten Kloster, das dort war, gehört hatte, wollte es sogleich besuchen, um den wahren Gott frei und ungehindert anzubeten, ohne die verkehrten Gebräuche ihrer Heimath.

Das Ufer war mit Menschen bedeckt, welche die Fremden sehen wollten, die sich in Belen ausgeschifft hatten, denn immer läuft die Menge zusammen, wo etwas Fremdartiges zu schauen ist, das die Augen oder die Neugier ergötzt. Die schöne Schaar verließ Belen bald wieder. Ricla, nicht mehr in der ersten Blüthe, fiel auf durch ihre fremdartige Tracht, Constanza war äußerst anmuthig in ihrer Kleidung von Fellen, Antonio der Vater trug Arme und Beine nackt, und den Körper mit dem Fell eines Wolfes bedeckt, Antonio der Sohn zeigte sich ebenso wie der Vater, und trug noch den Bogen in der Hand und den Köcher auf dem Rücken. Periander, war mit weiten Schifferhosen und einem Wams von grünem Sammet bekleidet, und hatte auf dem Kopf eine kleine, oben zugespitzte Mütze, welche die goldnen Ringe seines Haares nicht bedecken konnte. Auf Auristela's Kleide glänzte aller Reichthum des Nordens, die fremdartigste Pracht strahlte von ihrem Gewand und eine himmlische Anmuth aus ihren Zügen. Kurz, Alle zusammen und Jeder einzeln für sich erregten Staunen und Bewunderung bei Allen, die sie sahen; vorzüglich aber glänzte die herrliche Auristela und der edle Periander.

Sie wanderten, von gemeinem Volke, und von Vornehmen umringt, nach Lissabon, und wurden zum Gouverneur geführt, der, verwundert über ihren Anblick, sie immer von Neuem fragte, wer sie wären und wohin sie wollten. Periander hatte sich schon eine Antwort ausgedacht, die er für diese Fragen bereit hielt, welche, wie er voraussah, ihm oft würden gethan werden. Wenn es ihm passend schien, erzählte er seine Geschichte ausführlich, den Namen seiner Eltern jedoch stets verschweigend. So befriedigte er die Fragenden, und sie erfuhren schnell, wenn auch nicht die ganze, doch einen Theil seiner Lebensgeschichte.

Der Vicekönig wies den Fremden eine Wohnung an in einem der ersten Häuser der Stadt, das einem vornehmen Portugiesen gehörte, und es versammelten sich immer eine Menge Menschen, um Auristela zu sehen, denn in der ganzen Stadt sprach man von ihr und ihren Begleitern. Periander hielt es deshalb für angemessen, die Kleidung zu wechseln und statt der fremdartigen Trachten sich mit Pilgerkleidern zu versehen, da die Seltsamkeit der Erscheinung ein Hauptgrund vom Zusammenlaufen des Volkes war, so daß es oft den Anschein hatte, als würden sie vom Pöbel verfolgt. Auch waren Pilgermäntel die angemessenste Tracht bei ihrer Wanderung nach Rom. Alles wurde angeschafft und in wenigen Tagen waren Alle in Pilger umgewandelt.

Als Periander eines Tages aus dem Hause ging, warf sich ein Portugiese vor ihm nieder, rief ihn bei seinem Namen, umfaßte seine Knie und sprach:

»Welch ein Glück, edler Periander, schenkst Du diesem Lande, durch Deine Gegenwart! Erstaune nicht, daß ich Dich bei Namen nenne; denn ich bin einer der Zwanzig, die auf der brennenden Insel die Freiheit erlangten, wo Du sie verloren hattest. Ich war gegenwärtig, als der portugiesische Ritter Manuel de Sosa Coutinno starb, und trennte mich von Dir und den Deinigen in jener Herberge, wo Mauricio und Ladislao, der Gemahl und der Vater Transila's, zu uns kamen. Mein gutes Glück geleitete mich in mein Vaterland, und ich erzählte hier den Verwandten des Don Manuel seinen rührenden Tod. Sie glaubten mir, und hätte ich die Begebenheit auch nicht als Augenzeuge bekräftigen können, sie hätten sie doch für wahr gehalten; denn in Portugal sterben die Menschen sehr oft aus Liebe. Don Manuels Bruder, der sein Vermögen geerbt hat, ließ ihm Todtenmessen lesen, und errichtete ihm, in einer Kapelle, die der Familie gehört, ein Denkmal von weißem Marmor, das er mit einem Epitaph verzierte, als ob jener wirklich darunter begraben sei. Ihr müßt gleich mit kommen, um es anzusehen, denn es ist schön und geschmackvoll, und wird Euch gewiß gefallen.«

Periander glaubte dem Manne, der ihm wahrhaftig schien; auf seine Züge konnte er sich aber nicht besinnen. Er und seine Begleiter gingen mit ihm nach der Kirche, und ließen sich die Kapelle und den Denkstein zeigen, auf dem in portugiesischer Sprache folgende Worte standen, die Antonio der Vater ins Spanische übersetzte.

 

Hier lebt das Angedenken
des früh gestorbenen
Manuel de Sosa Coutinno,
Portugiesischen Ritters.
Er könnte noch leben, wäre er kein Portugiese gewesen.
Er starb nicht durch die Hand eines Spaniers;
Sondern die Liebe tödtete ihn, die Alles vermag.
Frage; seinem Leben nach,
Wanderer,
Und Du wirst seinen Tod beneiden.

 

Periander sah, daß der Mann ihm die Grabschrift mit Recht gelobt hatte; denn die Portugiesen sind sehr sinnreich in dergleichen Dingen. Auristela fragte den Portugiesen, ob die Nonne, welche der Gestorbene geliebt, sich nicht sehr über seinen Tod betrübt habe? und er antwortete: sie sei wenige Tage, nachdem sie die Nachricht vernommen, von diesem Leben zu einem besseren übergegangen; doch wisse man nicht, ob die Strenge ihrer Bußübungen oder der Schmerz über das unerwartete Unglück ihr den Tod gegeben.

Von der Kirche gingen sie zu einem geschickten Maler, dem Periander auftrug, die vorzüglichsten Begebenheiten seiner Geschichte auf einem großen Gemälde darzustellen. Auf der einen Seite zeigte sich die Insel der Barbaren mit dem brennenden Walde, nicht weit davon die Gefängnißinsel und das Floß, auf dem Arnaldo ihn fand, als er ihn in seinem Schiffe aufnahm. Auf der andern Seite war die schneebedeckte Insel, wo der trauernde Portugiese seinen Geist aufgab, und das Schiff, wie Arnaldo's Soldaten es durchlöcherten. Gleich daneben sah man, wie das Boot und die Barke sich trennten. Hier war der Tod Taurisa's und der Kampf ihrer Liebhaber dargestellt, und dort wurde das Schiff voneinander gesägt, in dem Auristela und ihre Begleiter eingeschlossen waren. Auch die liebliche Insel, die Periander im Traume sah, war nicht vergessen, so wie das Laster und die Tugend mit ihren Begleiterinnen. Nahe dabei verschlangen die ungeheuren Fische die beiden Matrosen, und begruben sie in ihren Bauche. Auch das eingefrorne Schiff wurde gemalt, wie es erst erobert ward und Alle sich dann dem König Cratilo ergaben; dann zeigte sich das gewaltige Roß, welches durch Furcht gezähmt und aus einem Löwen in ein Lamm verwandelt wurde. Polykarp's Feste, wo Periander die Preise gewann, wurden im engen Raum nur mit wenig Strichen angedeutet. Kurz, alles Merkwürdige, was er erlebt, war auf diesem Bilde angebracht, bis die Wanderer nach ihrer Ausschiffung in Lissabon erschienen, in denselben Kleidern, die sie damals trugen. Auch Polykarps Palast erschien in Flammen, Clodio, vom Pfeil Antonio's durchbohrt und Zenotia, an einem Mastbaum hängend. Die Eremiteninsel wurde dargestellt, und Rutilio im heiligen Gewande. Dies Bild war wie ein Auszug der ganzen Geschichte, und ersparte ihnen die Mühe, jeden Umstand zu erzählen; denn der junge Antonio zeigte es vor, und erklärte die einzelnen Gegenstände, wenn irgend Jemand die Geschichte wissen wollte. Worin der treffliche Maler seine Kunst am schönsten gezeigt hatte, war in Auristela's Bildniß, und Alle sagten, hier habe er es bewiesen, daß er eine Schönheit malen könne. Und doch hatte er ihr Unrecht gethan; denn Auristela's himmlische Gestalt konnte nur ein göttlicher Gedanke erschaffen, aber keine menschliche Hand nachbilden.

Zehn Tage blieben die Wanderer in Lissabon, und brachten die Zeit damit hin, die Kirchen zu besuchen und ihre Seelen auf den Weg des Heils zu leiten. Darauf reisten sie ab, mit Erlaubniß des Vicekönigs, der sie mit einem Beglaubigungsschreiben versehen hatte, worin ihre Namen und der Zweck ihrer Reise stand. Sie beurlaubten sich von dem portugiesischen Ritter, ihrem Wirth, und von Alberte, dem Bruder des Gestorbenen, der ihnen viele Beweise der Freundschaft gegeben hatte.

So begaben sie sich auf den Weg nach Castilien, reisten aber in der Nacht von Lissabon ab, um nicht bei Tage durch das Zudrängen der Menge gestört zu werden; obwol seit der Veränderung der Tracht das Aufsehen, was sie anfangs erregt, schon sehr nachgelassen hatte.

 


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