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Zweites Capitel.

Die Pilger beginnen ihre Wanderung durch Spanien, und erleben wunderbare Dinge.


Bei Auristela's zarter Jugend und den noch jüngeren Jahren Constanza's, so wie in dem beginnenden Alter Ricla's, hätten sie wol für eine so lange Reise der Kutschen und mancher Bequemlichkeiten bedurft; aber Auristela's Andacht, die das Gelübde gethan hatte, von dem Orte an, wo sie das feste Land betreten würde, zu Fuße bis Rom zu wallfahrten, entzündete auch die Herzen der übrigen, und Alle, sowol Männer als Frauen, verbanden sich durch ein Gelübde, die Reise zu Fuße zu machen, ja sogar, wenn es nöthig wäre, von Thüre zu Thüre zu betteln. Ricla griff ihren Schatz nun nicht mehr an, und Periander nahm sich vor, Auristela's Diamantkreuz und Perlen nie zu veräußern, sondern zu einem besseren Gebrauch aufzuheben. Nur ein Lastthier kauften sie noch, dem sie das Gepäck, was zu schwer zu tragen war, aufluden, und versorgten sich mit Wanderstäben, die ihnen als Stütze und zugleich als Waffe dienten; es waren nämlich scharfe Stoßdegen darin verborgen. In diesem demüthig christlichen Aufzuge verließen sie Lissabon, welches trauerte, sie zu verlieren; wie man daraus sah, daß noch lange die Menschen sich zahlreich versammelten, und von nichts sprachen, als von der Schönheit und Liebenswürdigkeit der fremden Pilger.

Diese richteten sich so ein, daß sie täglich zwei oder drei Meilen gingen. Sie kamen zuerst nach Badajoz, wo der spanische Corregidor schon Nachricht aus Lissabon von der Ankunft der Pilger erhalten hatte. Es wurde ihnen ein Haus angewiesen, wo auch eine Gesellschaft berühmter Schauspieler wohnte. Diese wollten noch denselben Abend ein Verzeichniß ihrer Schauspiele einreichen und um Erlaubniß bitten, im Hause des Corregidors zu spielen.

Kaum hatten sie Auristela und Constanza gesehen, als auch sie, wie Alle, die ihre Schönheit zuerst erblickten, von Staunen und Bewunderung hingerissen wurden. Keiner war aber so entzückt wie ein Dichter, der die Schauspieler begleitete, sowol um die alten Stücke zu bearbeiten, als um neue für sie zu schreiben. Ein Geschäft, das mehr Scharfsinn erfordert als Ehre bringt, und mehr Mühe kostet als Vortheil verschafft. Aber die wahre Dichtkunst ist rein wie klares Wasser, und läutert auch einen unreinen Stoff; sie gleicht der Sonne, die durch alle Nebel dringt, ohne etwas von ihrer Klarheit zu verlieren; sie ist eine Kunst, die so viel werth ist, als sie geschätzt wird; ein durchdringender Blitzstrahl ist sie, der nicht zündet, sondern erleuchtet; ein wohlgestimmtes Instrument, welches die Seele erfreut, indem es sie reinigt und belehrt.

Doch, zu meiner Erzählung zurückkehrend, sage ich, daß dieser Dichter, den die Noth gezwungen hatte, den Parnaß und die castalische Quelle mit Wirthshäusern und stehendem oder fließendem Wasser auf den Landstraßen zu vertauschen, Derjenige schien, den Auristela's Schönheit am meisten zur Bewunderung hinriß; und sogleich war es in seinen Gedanken eine ausgemachte Sache, Keine passe besser zur Schauspielerin, ehe er noch wußte, ob sie der spanischen Sprache mächtig sei. Ihre schlanke Gestalt, so wie ihr Anstand schien ihm wie dazu geschaffen, und seine Phantasie zeigte sie ihm schon im kurzen, männlichen Kleide und im Gewand einer Nymphe. Dann schmückte er sie wieder mit einem Königsmantel; ja selbst in komischen und alten Rollen stellte er sie sich vor. Immer erschien sie ihm, ehrwürdig oder heiter, klug und fein, und im höchsten Grade anständig; Eigenschaften, die sich nur selten, selbst in einer schönen Schauspielerin, vereinigen.

Wahrlich! die Einbildungskraft eines Dichters schwingt sich hoch und durchbricht leicht tausend Schwierigkeiten. Auf schwachem Grunde erhebt er einen hohen Bau; Alles glaubt er schon vollendet, Alles dünkt ihm leicht und eben, so daß er immer reich an Hoffnung, wenn auch arm an Glücksgütern ist. Diese Wahrheit bestätigte auch unser Dichter, als er das große Bild betrachtete, auf welchem Perianders Wanderungen gemalt waren. Der Poet war sogleich in der größten Aufregung, und es ergriff ihn ein mächtiges Verlangen, aus allen diesen Begebenheiten ein Schauspiel zu verfassen; er wußte nur noch nicht, ob er es Komödie, Tragödie, oder Tragikomödie betiteln sollte, denn wenn er auch den Anfang erfuhr, so waren ihm doch die Mitte und der Schluß verborgen, da Periander und Auristela ihr Ziel noch nicht erreicht hatten, das, glücklich oder unglücklich, erst den Namen dieses über sie geschriebenen Werkes bestimmen mußte. Was ihn noch mehr beunruhigte, war der Zweifel, wie er einen komischen, rathgebenden Diener anbringen solle, bei der Meerfahrt und zwischen den vielen Inseln, zwischen Schnee und Feuer. Doch gab er es, ungeachtet dieser Schwierigkeiten, nicht auf, das Werk zu Stande zu bringen und den Bedienten einzuflicken, allen Regeln der Dichtkunst und des Schauspiels zum Trotz.

Unterdeß er diesen Plan von allen Seiten beleuchtete, fand er auch Gelegenheit, mit Auristela zu sprechen und ihr seinen Wunsch zu eröffnen, indem er ihr rieth, den Stand der Schauspielerin zu erwählen. Er versicherte ihr, wenn sie nur zweimal aufgetreten wäre, würde sie schon mit Reichthum überschüttet sein; denn die Fürsten der gegenwärtigen Zeit wären wie Kunstwerke der Alchemie, die zum Kupfer wird, wenn sie Kupfer, und zu Gold wird, wenn sie Gold berührt. Gewöhnlich wende sich aber ihr Herz den Nymphen des Theaters zu, diesen Göttinnen und Heldinnen, diesen nachgemachten Königinnen und scheinbaren Bauermägden. Er versprach ihr, wenn zu ihrer Zeit bei Hofe gespielt würde, solle sie in Goldstoff gekleidet auftreten, weil alle Ritter und Edelleute wetteifern würden, ihr die schönsten Anzüge zu Füßen zu legen. Er. schilderte ihr das lustige Leben auf Reisen, wo ihr gewiß immer zwei oder drei verkleidete Ritter folgen würden, um ihr Diener und Liebhaber zugleich zu sein.

Über Alles pries er aber die Ehre und den Ruhm, den sie in den ersten Rollen, die ihr nicht entgehen könnten, erringen würde. Endlich schloß er mit der Versicherung, kein Sprichwort sei wahrer als das alte spanische, das von den schönen Schauspielerinnen sagt: Sie tragen Geld und Ehre in einem Sack davon.

Auristela antwortete: ›Von alle Dem, was er ihr gesagt, habe sie kein Wort verstanden, denn, wie er bemerken könne, sei sie der spanischen Sprache nicht kundig; und hätte sie ihn auch verstanden, so wären ihre Absichten doch auf etwas Anderes gerichtet, das, wenn auch nicht so angenehm, doch geziemender für sie sei.‹

Der Dichter gerieth über Auristela's kurze Erklärung in Verzweiflung, denn er sah sich vom Gipfel seiner Thorheit herabgestürzt, und das Rad seiner Eitelkeit und Narrheit zerbrochen.

Am Abend wurde im Hause des Corregidor ein Stück aufgeführt, der, da er von der Ankunft der schönen Pilger gehört hatte, sie zu sich einladen ließ, um das Schauspiel zu sehen; denn er wünschte ihnen eine Gefälligkeit zu erzeigen, weil man ihm so viel Gutes von ihnen aus Lissabon gemeldet hatte.

Periander nahm mit Auristela's Bewilligung die Einladung an, da Antonio der Vater es billigte, von dem., als dem Ältesten, sie sich in Allem leiten ließen.

Beim Corregidor waren viele Damen aus der Stadt versammelt, und als Auristela, Ricla und Constanza, von Periander und den beiden Antonio begleitet, eintraten, staunten Alle über die Schönheit und Anmuth der fremden Pilger, die durch ihre Liebenswürdigkeit und ihren Anstand bald das Wohlwollen der ganzen Versammlung gewannen, und es wurden ihnen fast die ersten Plätze bei der Vorstellung angewiesen.

Die Geschichte von Cephalus und Procris wurde dargestellt, in der sie eifersüchtiger erschien, als sich ziemte, und er weniger Verstand zeigte, als ihm nöthig gewesen wäre, so schoß er den Pfeil ab, der ihr das Leben und ihm das Glück für immer raubte. Die Verse klangen außerordentlich schön, und die Dichtung war, wie es hieß, von Juan de Herrera de Gamboa, dem man den Spitznamen des Ausgedörrten gegeben hatte, und dessen Geist sich bis zu den höchsten Sphären der Poesie aufschwang.

Als das Schauspiel geendigt war, sprachen die Damen viel von Auristela's Schönheit, die sie so ausgezeichnet fanden, daß sie ihr den Namen gaben: Vollkommenheit ohne Makel. Die Männer sagten Dasselbe von Periander, und auch Constanza und ihr stattlicher Bruder erhielten das gebührende Lob.

Drei Tage blieben die Pilger in dieser Stadt, der Corregidor bewirthete sie anständig und seine Gemahlin beschenkte mit königlicher Freigebigkeit Auristela und die übrigen, die ihr ihre Dankbarkeit bezeigten und versprachen, wo sie auch sein möchten, ihr Nachricht von ihrem Schicksal zu geben.

Von Badajoz nahmen sie den Weg nach Guadalupe; sie legten täglich fünf Meilen zurück, und als sie so drei Tage gewandert waren, überraschte sie die Nacht am Fuße eines Berges, der mit Eichen und andern wilden Bäumen bedeckt war. Es war gerade in der Zeit des Aquinoctiums, wo weder die Hitze drückend noch die Kühlung schädlich zu werden pflegt, und es ließ sich also zur Noth die Nacht eben so gut im freien Felde als in einem Flecken zubringen. Aus dieser Ursache und weil sich in der Nähe keine Wohnungen zeigten, schlug Auristela vor, bei einigen Hirtenfeuern, die sie in der Ferne sahen, auszuruhen.

Auristela's Rath, wurde befolgt, und kaum waren sie einige hundert Schritt in den Wald hinein gegangen, so verbreitete sich eine solche Dunkelheit, daß sie ihren Weg nicht mehr unterscheiden konnten, und nichts sahen, als die von den Hirten angezündeten Feuer, nach denen sie nun ihre Schritte lenkten. Die Finsterniß der Nacht und ein herannahendes Geräusch hemmte sie auf ihrem Wege, und der junge Antonio bereitete schon seinen Bogen, der sein beständiger Begleiter war. Ein Mann zu Pferde nahte sich, dessen Gestalt sie nicht unterscheiden konnten, und der sie fragte:

»Seid ihr hier zu Hause, ihr guten Leute?«

»Nein, gewiß nicht,« antwortete Periander, »wir kommen von weit her, und sind fremde Pilger, die nach Rom, und jetzt erst nach Guadalupe gehen.«

»Wenn sich auch in fremden Ländern,« sprach der Reiter, »Menschenliebe und Artigkeit findet, so trifft man auch allenthalben fühlende Herzen.«

»Warum nicht?« erwiederte Antonio. »Wenn Ihr, Herr, wer Ihr auch sein möget, unsrer Hülfe bedürfet, so werdet Ihr sehen, daß Ihr Euch nicht getäuscht habt.«

»So nehmt denn,« sagte der Reiter, »nehmt, ihr guten Leute, diese goldne Kette, die wol zweihundert Goldstücke werth ist, und empfanget hier zugleich ein unschätzbares Kleinod, mir wenigstens ist es mehr werth als aller Reichthum der Welt, und bringt es in der Stadt Truxillo einem der beiden Ritter, die dort und überall wohl bekannt sind. Der eine heißt Don Francisco Pizarro und der andere Don Juan de Orellana, Beide sind frei und unvermählt, Beide reich und großmüthig.«

Bei diesen Worten reichte er Ricla, die als eine mitleidige Frau näher getreten war, ein kleines Kind, das jetzt anfing in weinen; es war in Tücher eingehüllt, an denen sie aber jetzt nicht unterscheiden konnten, ob sie prächtig oder dürftig waren.

»Sagt einem von diesen Rittern,« fuhr Jener fort, »daß sie das Kind verpflegen, bald sollen sie erfahren, wem es angehört, so wie die Unfälle, die zum Glück ausschlagen können, so wie es in den Händen jener Männer ist. Auch ihr verzeiht mir; denn meine Feinde verfolgen mich. Sollten sie hierher kommen und euch fragen, ob ihr mich gesehen habt, so sagt: Nein; denn euch kann es nichts schaden, mich zu verleugnen. Dünkt es euch aber besser, so könnt ihr ihnen auch berichten, wie drei oder vier Reiter hier vorbeigekommen wären und gerufen hätten: Nach Portugal! nach Portugal! Und nun lebt wohl! denn ich kann nicht länger verweilen, und reitet schon die Furcht mit scharfen Sporen, so sind die der Ehre noch viel schärfer.«

Nach diesen Worten drückte er die seinigen dem Roß in die Seiten und flog davon wie ein Pfeil; kehrte aber noch einmal wieder um, und sprach: »Das Kind ist noch nicht getauft.« Darauf setzte er eilig seinen Weg fort.

Da standen nun unsere Pilger im Walde, Ricla hielt das Kind in den Armen, Periander trug die Kette um den Hals, der junge Antonio hatte noch seinen Bogen gespannt und der alte den Stoßdegen halb aus der Scheide gezogen, Auristela war verwirrt und erstaunt über die seltsame Begebenheit.

Endlich faßten sie den Entschluß, der Hütung der Hirten so schnell als möglich zuzueilen, wo sie vielleicht Mittel finden würden, dem neugebornen Kinde einige Nahrung zu reichen, an dessen geringem Gewicht und schwachem Weinen sich erkennen ließ, daß es das Licht vielleicht erst vor einigen Stunden erblickt hatte.

Sie suchten im Walde weiter vorzudringen, und kaum hatten sie mit häufigem Fallen und Stolpern die Hütung erreicht, so nahte sich, noch ehe die Pilger um Obdach bitten konnten, ein Weib den Hirten; sie weinte heftig und war sehr betrübt, schien auch schon lange geweint zu haben; denn ihre Stimme war schwach und sterbend. Sie war halb entkleidet, aber die Gewänder, welche sie bedeckten, waren kostbar und zeigten, daß sie von vornehmem Stande sein mußte. Sie gab sich Mühe, ihr Gesicht zu verhüllen, aber bei dem Schein des Feuers zeigte sich doch, daß sie eben so schön als jung war, und Ricla, die sich darauf verstand, schätzte ihr Alter auf sechzehn oder siebenzehn Jahre. Die Hirten fragten sie, ob sie verfolgt würde, oder ob sie sonst einer schleunigen Hülfe bedürfe? und das klagende Geschöpf erwiederte:

»Das Erste, was ihr für mich thun könnt, ist, mich unter die Erde zu. verbergen, ich meine, mich so zu verstecken, daß Keiner, der mich sucht, mich finden kann. Und dann mögt ihr mir einige Nahrung reichen, denn aus Schwäche entweicht mir die Seele.«

»Unser Eifer Euch zu dienen, wird Euch beweisen, daß wir christliche Liebe haben,« sprach ein alter Hirt und eilte zu einer großen Eiche, welche hohl war, und in deren Öffnung er weiche Felle von Ziegen und Schafen legte, die mit dem größeren Vieh geweidet wurden. Er machte eine Art von Bett, das für den Augenblick dem dringendsten Bedürfniß abhalf; dann nahm er die Weinende in seine Arme und trug sie auf das Lager, worauf er sie so gut bewirthete wie er konnte. Er gab ihr in Milch eingeweichtes Brot, auch Wein reichten ihr die Hirten, sie wollte ihn aber nicht annehmen. Dann wurden noch Felle vor der Höhlung des Baumes aufgehängt, um die feuchte Nachtluft abzuhalten.

Ricla hatte Alles mit angesehen und plötzlich fiel es ihr ein, diese Frau könne wol die Mutter des Kindes sein, das sie in den Armen trug. Sie nahte sich dem mitleidigen Hirten und sprach:

»Guter Mann, setze Deiner Wohlthätigkeit noch keine Schranken und wende sie auch auf dies arme Würmchen, das ich in den Armen halte, damit es nicht verschmachte.«

Sie. erzählte nun noch mit wenigen Worten, wie ihr das Kind übergeben worden sei, und der gute Alte erfüllte, ohne Etwas zu erwiedern, ihre Bitte. Er rief einen der andern Hirten und befahl ihm, das Kind zu nehmen, es in die Hürde zu tragen, wo die Ziegen eingesperrt wären, und es dort an einer Ziege saugen zu lassen.

Kaum war das Kind fortgetragen und der letzte Laut seines Geschreies verhallt, als ein Trupp Reiter auf die Hütung zugesprengt kam, die nach der kranken Frau und dem Ritter mit dem Kinde fragten. Da sie aber von Dem, was sie wissen wollten, nichts erfuhren, ritten sie in großer Eile weiter, worüber die hülfreichen Landleute nicht wenig erfreut waren.

Die Pilger brachten die Nacht besser hin als sie erwartet hatten, und die Hirten freudiger, mit ihren liebenswürdigen Gästen.

 


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