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Fünftes Capitel.

Durch Croriano's Vermittelung werden Bartholomeo und die Talavererin, die zum Tode verurtheilt waren, wieder in Freiheit gesetzt.


Die beiden eifersüchtigen Liebhaber, deren Hoffnungen nur auf Luft gebaut waren, nahmen von ihren beiden Freunden Abschied, mit dem Vorsatz, ihren Ungestüm zu zügeln und die Kränkung zu vergessen, bis Auristela sich für Einen von ihnen erklärt haben würde; indem ein Jeder hoffte, die Entscheidung werde zu seinen Gunsten ausfallen; denn der Eine bot ihr ein Königreich, der Andere ein großes Herzogthum, und solche Geschenke, meinten sie, könnten auch die größte Festigkeit erschüttern und jeden Vorsatz schwankend machen, es sei natürlich, nach Größe zu streben und sich gern zu einem höheren Range emporzuschwingen; vorzüglich in den Frauen sei ein solcher Wunsch vorherrschend.

Alle diese Dinge kümmerten aber Auristela wenig; denn ihre Gedanken waren in jeder Stunde einzig darauf gerichtet, Das vollkommen zu lernen und zu erkennen, was zum Heil ihrer Seele gereichte; da sie in einem weit entlegenen Lande geboren war, wo der wahre katholische Glaube nicht in seiner völligen Reinheit gelehrt wurde, so fühlte sie das Bedürfniß, hier an der Quelle zu schöpfen.

Als Periander sich von Arnaldo trennte, nahte sich ihm ein Spanier und sagte:

»Wenn die Zeichen nicht trügen, und Euer Gnaden ein Spanier sind, so ist dieser Brief für Euch.«

Er reichte Periander zugleich einen Brief, dessen Aufschrift lautete: An den erlauchten Sennor Antonio de Villasennor, mit Zunamen genannt der Barbar. Periander fragte den Mann, wer ihm den Brief gegeben, und der Überbringer antwortete: er habe ihn von einem Spanier bekommen, der in einem Gefängniß, das Torre de nova heiße, festsitze, und als Mörder zum Strange verurtheilt sei, nebst seiner Begleiterin, einem schönen Weibe, das die Talavererin genannt werde. Periander erkannte alsbald den Schreiber und errieth sein Verbrechen; er sprach zum Bringer des Briefes:

»Dies Schreiben ist nicht an mich, sondern an den Pilger gerichtet, den Ihr da kommen seht.«

So war es auch; denn eben nahte Antonio sich Periandern, der ihm den Brief übergab, und in das Haus tretend, lasen sie gemeinschaftlich Folgendes:

»Ein schlechter Anfang muß immer zu einem schlechten Ende fuhren. Wer einen lahmen Fuß hat, muß hinken, wenn auch der andere gesund ist, und gute Sitten kann Der nicht lernen, der in böser Gesellschaft lebt. Die, welche ich mit mir nahm, aber nicht hätte mitnehmen sollen, die Talavererin meine ich, hat mich und sie so weit gebracht, daß wir alle Beide unwiderruflich zum Galgen verurtheilt sind. Der Mensch, welcher sie aus Spanien entführte, sah sie hier in Rom in meiner Gesellschaft; das verdroß ihn, und er schlug sie in meiner Gegenwart. Ich bin nun kein Freund von solchen Späßen, und nehme keine Beleidigung geduldig hin. Ich vertheidigte also das Mädchen; wir kamen hart aneinander, und ich erschlug meinen Gegner mit trocknen Schlägen. Indem ich mich davonmachen wollte, kam ein anderer Pilger, der in dieser Manier auch anfing das Maaß von meinem Rücken zu nehmen. Das Mädchen sagte, Der, welcher mich prügelte, wäre eigentlich ihr Mann, ein Pole, mit dem sie sich in Talavera verheirathet hätte; und da sie fürchtete, wenn er mit mir fertig geworden, würde er bei ihr anfangen, denn sie hatte ihn schwer gekränkt: so nahm sie ohne weitere Umstände ein Messer, deren sie immer zwei in ihrem Gürtel führte, ging sachte zu ihm, und stach ihm so geschickt damit in die Nieren, daß er mehrere Wunden bekam, für die er keinen Feldscheer mehr nöthig hatte. So endigten in demselben Augenblick der Liebhaber durch Stockschläge und der Ehemann durch Dolchstiche ihre irdische Laufbahn. Wir wurden sogleich ergriffen und in diesen Kerker geschleppt, wo wir sehr gegen unsern Willen bleiben mußten. Sie verhörten uns, und wir bekannten unser Verbrechen, denn wir konnten es nicht leugnen, und ersparten uns auch dadurch die Folter, welche sie hier zu Lande Tortur nennen. Der Proceß wurde schneller geführt als wir es wünschten, und damit geschlossen, daß wir Beide zur Verbannung verurtheilt wurden, nämlich aus diesem Leben in ein anderes; ich meine eigentlich, Sennor, wir sind zum Hängen verdammt, worüber meine Talavererin so außer sich ist, daß sie sich gar nicht fassen kann. Sie küßt Euer Gnaden die Hände, so wie meiner Gebieterin Constanza, dem Herrn Periander und der Sennora Auristela, und läßt ihnen sagen, sie wollte, sie wäre frei, und könnte zu ihnen in ihr Haus kommen, um ihnen dort die Hände zu küssen; sie fügt hinzu, wenn die unvergleichliche Auristela nur wollte und geruhen möchte, sich unserer anzunehmen, so würden wir bald frei sein; denn was kann ihre himmlische Schönheit bitten und nicht erlangen, und wäre es von der Grausamkeit selbst? Sie meint ferner, daß, wenn Euer Gnaden auch unsere Begnadigung nicht erlangen könnten, so würden sie es doch wol dahin bringen, daß der Ort der Hinrichtung verändert, und wir nicht in Rom, sondern in Spanien zum Tode gebracht würden; denn das Weibsen hat gehört, hier würden die Verbrecher gar nicht mit geziemendem Anstande aufgehängt, sie müssen nämlich zu Fuße gehen, und es sind fast gar keine Zuschauer dabei, und so betet kaum Einer ein Ave Maria für sie, besonders wenn es Spanier sind, die gehängt werden. Sie möchte nun freilich gern, wenn es möglich wäre, in ihrem Vaterlande und unter ihren Angehörigen sterben, wo ein Anverwandter nicht fehlen würde, der ihr aus Mitleiden die Augen zudrückte. Ich, für mein Theil, sage Dasselbe, denn ich nehme gern Vernunft an. Ich bin sehr verdrüßlich in diesem Gefängniß, denn die vielen Wanzen, die hier sind, fallen mir so zur Last, daß ich wollte, sie holten mich morgenden Tages zum Galgen ab. Ich muß Euer Gnaden noch benachrichtigen, daß die Richter hier zu Lande denen in Spanien nichts nachstehen; sie sind alle höflich und Freunde vom Geben und Nehmen, wenn es ehrlich zugeht; und wenn Niemand da ist, der auf Gerechtigkeit dringt, so lassen sie sich wol zur Barmherzigkeit hinlenken. Wenn diese in den edlen Herzen meiner gnädigen Herrschaften regiert, und wer wird daran zweifeln, so kann sie bei uns Gelegenheit finden, sich zu offenbaren: wir sind in einem fremden Lande, im Gefängniß, von Wanzen und andern ekelhaften Thieren zerbissen; denn obwol sie klein sind, gibt es ihrer doch viele, und sie machen um eben so viel Verdruß, als wenn sie groß wären. Überdies haben uns schon fast nackt ausgezogen und in die allervollkommenste Noth gebracht alle die Kläger, Advocaten und Schreiber, vor denen Gott der Herr uns bewahren möge, durch seine unendliche Barmherzigkeit. Amen.

In Erwartung einer, wie wir hoffen, günstigen Antwort, verharren wir, mit so großer Ungeduld wie die jungen Störche auf dem Dache auf die Nahrung warten, die ihre Mutter ihnen bringt.

Die Unterschrift war: Der unglückliche Bartholomeo, der Manchaner.

Der Brief ergötzte die beiden Freunde eben so sehr, wie die Drangsal ihres ehemaligen Dieners sie bekümmerte. Sie gaben dem Überbringer des Briefes die mündliche Antwort an den Gefangenen mit: Er möge gutes Muthes sein, und nicht an seiner Rettung verzweifeln; denn Auristela und die übrigen würden Alles versuchen, was Geschenke und Verheißungen ausrichten könnten.

Sie überlegten auch sogleich, was zu thun sei, um dem Armen beizustehen. Zuerst wollte Croriano zum französischen Gesandten gehen, der sein Freund und Anverwandter war, damit dieser es auswirke, daß die Hinrichtung nicht sogleich vollzogen, und also Zeit zu Fürbitten und Verwendungen gewonnen würde.

Antonio wollte an Bartholomeo schreiben, weil er hoffte, alsdann von ihm noch einen, eben so ergötzlichen Brief zu erhalten wie der erste; als er aber diesen Vorsatz Auristela und seiner Schwester Constanza mittheilte, riethen sie ihm, dies zu unterlassen; sie meinten, mit Bekümmerten müsse man keinen Scherz treiben, und ein solcher Brief könne vielleicht die Angst des Armen vergrößern. Sie übergaben endlich dies ganze Geschäft der Fürsorge Croriano's und Ruperta's, seiner Gemahlin, die es auch so angelegentlich betrieben, daß Bartholomeo und die Talavererin schon nach sechs Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt waren; denn wo Gunst und Geschenke den Weg bahnen, da werden Felsen hinweggeräumt und Berge geebnet.

 

Während dieser Zeit unterrichtete sich Auristela vollkommen in Allem, was ihr in der wahren katholischen Religion noch dunkel war, oder was sie in ihrem Vaterlande nur mangelhaft gelernt hatte. Sie erhielt bei den Pönitentiariern den vollständigsten Unterricht, wo sie auch ihre Generalbeichte ablegte, und ihre Sehnsucht völlige Befriedigung fand. Die Pönitentiarier erklärten ihr auf die faßlichste Weise alle Geheimnisse unserer heiligen Religion.

Sie begannen mit dem Neid und Stolz des Lucifer und seinem Sturz, zusammt dem dritten Theil der Gestirne, die mit ihm in den Abgrund fielen. Ein Sturz, der die Thronen des Himmels erledigte, welche diese entarteten Engel durch thörichte Schuld einbüßten. So schuf also Gott, um die Zahl der gefallenen Himmelsbürger wieder zu ersetzen, den Menschen, dessen Seele mit allen Fähigkeiten begabt ist, um die Herrlichkeit zu erringen, welche die gefallenen Engel verloren. Dann erklärten sie ihr die wahre Ansicht von der Erschaffung der Welt und des Menschen; so wie von dem heiligen Liebesgeheimniß der Incarnation. Mit einem Lichte, heller als das der Vernunft, erleuchteten sie etwas die unerforschliche Tiefe der heiligsten Dreifaltigkeit. Sie erzählten, wie es sich geziemt: daß die zweite göttliche Person, der Sohn nämlich, Mensch geworden sei, um, als Mensch für den Menschen zu büßen, und als Gott Gotte die Schuld zu zahlen. Denn diese Vereinigung zweier Naturen war allein fähig, der Gerechtigkeit Gottes für die unendliche Schuld genug zu thun, da die Genugthuung unendlich sein mußte, wie Gott, und der endliche Mensch sie nicht leisten konnte aus eigner Kraft; Gott aber war unfähig zu leiden, und so konnte nur durch die Vereinigung beider Naturen die endlose Schuld getilgt werden. Sie sprachen ihr von dem Tode des Erlösers und von seinen Leiden, von seiner Erscheinung in der Krippe bis zu seiner Kreuzigung. Sie machten ihr deutlich die Kraft der heiligen Sacramente, und bezeichneten ihr als die zweite Rettung aus dem Schiffbruch die Buße, ohne die es unmöglich ist, die Thür des Himmels wieder zu öffnen, wenn sie durch die Sünde geschlossen ward. Sie zeigten ihr Jesus Christus, als lebendigen Gott, sitzend zur Rechten des Vaters im Himmel, und eben so lebendig und wesentlich auf Erden verweilend, im heiligsten Sacrament, dessen geheimnißvolle Gegenwart nicht zertheilt oder getrennt werden kann. Denn eine der größten Eigenschaften Gottes, obwol alle einander gleich sind, ist die, daß er zur selben Stunde an allen Orten sein kann, mit Wirkung, Wesenheit und Gegenwart. Sie sprachen ihr von der unfehlbaren Wiederkunft des Herrn, auf den Wolken des Himmels, um die Welt zu richten. Auch von dem unerschütterlichen Grunde der Kirche, gegen welche die Pforten, oder, um richtiger zu reden, die Mächte der Hölle nichts vermögen. Sie erklärten ihr die Gewalt des heiligen Vaters, der Statthalter Gottes auf Erden ist, dem die Schlüssel des Himmels über geben sind.

Endlich blieb ihnen nichts mehr zu sagen, und Auristela und Periander hatten Alles gelernt, was ihnen zu wissen nöthig war. Dieser Unterricht entzückte ihre Seelen so sehr, daß sie oft glaubten, nicht mehr auf der Erde zu sein, sondern durch alle Himmel zu wandeln, weil nur dort ihre Gedanken einheimisch waren.

 


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