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Das Haus geräth in Brand. Ein Astrologe, Namens Soldino, rettet die Pilger aus dem Feuer, und bringt sie in seine Höhle, wo er ihnen ein glückliches Geschick verkündigt.
Als Alle noch beisammen waren, trat ein Mann in das Haus, der, nach seinem langen, weißen Bart, über achtzig Jahre alt zu sein schien. Er war nicht wie ein Mönch, und auch nicht wie ein Pilger gekleidet, und hatte doch Ähnlichkeit von Beiden. Sein Kopf war unbedeckt, auf dem Scheitel kahl und glatt geschoren, und ringsum mit langen, schneeweißen Haaren geschmückt. Den gebeugten Körper stützte er auf einen gewundenen Stab. Seine ganze Erscheinung kündigte einen würdigen Greis an, dem Verehrung gebührte. Kaum hatte ihn auch die Frau des Hauses erblickt, so fiel sie vor ihm auf die Knie und sprach:
»Vater Soldino, ich werde diesen Tag unter die glücklichsten meines Lebens zählen, da ich gewürdigt bin, Dich in meinem Hause zu sehen; denn Du kommst nie zu mir, daß es mir nicht zum Heile gereicht.«
Die Frau wandte sich darauf zu den Umstehenden und fuhr fort: »Dies ehrwürdige, schneebedeckte Haupt, dies reine, belebte Marmorbild, das ihr hier blickt, meine Herren, ist der berühmte Soldino, dessen Ruhm sich nicht nur durch ganz Frankreich, sondern in Allen Ländern der Erde verbreitet hat.«
»Unterlaß das Loben, gute Frau,« entgegnete der Greis; »denn zuweilen entspringt ein guter Ruf aus einer bösen Lüge. Nicht beim Eingang, sondern beim Ausgang weiß man, was an dem Menschen ist. Eine Tugend, die sich nicht bis ans Ende bewährt,, ist nicht Tugend; sondern Laster. Ich will mich aber bestreben, die gute Meinung, welche Du von mir hast, zu verdienen. Achte heut auf Dein Haus; denn durch diese Hochzeit und die daraus entsprungene Fröhlichkeit wird sich ein Feuer entzünden, das beinah das ganze Haus verzehren wird.«
Croriano sprach zu Rupert; »Dieser muß ein Magier oder Prophet sein, da er das Zukünftige verkündet.«
Der Greis hatte diese Worte gehört, und sagte: »Ich bin kein Magier oder Prophet, sondern ein Astrologe, und diese Wissenschaft macht, wenn sie recht geübt wird, beinahe zum Propheten. Glaubt mir nur dies Mal. Verlaßt dies Haus und kommt mit mir in meine Wohnung, diese ist ein Wald, nicht weit von hier, der euch, wenn auch eine weniger bequeme, doch eine nicht so unsichere Herberge sein wird.«
Kaum hatte er ausgesprochen, so stürzte Bartholomeo, Antonio's Diener, in das Zimmer und schrie: »Es brennt in der Küche! Der große Holzvorrath, der dicht daneben aufgestapelt war, ist in Brand gerathen, und es ist ein Feuer, daß ich glaube, das ganze Meer könnte es nicht löschen.«
Nun hörte man auch das Geschrei der übrigen Diener, und das Geknatter des Feuers bestätigte, was Bartholomeo gesagt hatte. Ein augenscheinliches Zeichen bewies, wie richtig die Vorhersagung Soldino's gewesen. Ohne zu untersuchen, ob das Feuer noch wieder gelöscht werden könne, faßte deshalb Periander Auristela in seine Arme und sprach zu Soldino:
»Herr, geleite uns in Deine Wohnung, denn daß in dieser keine Sicherheit mehr für uns ist, sehen wir deutlich.«
Antonio ergriff die Hand seiner Schwester Constanza und die der französischen Dame Feliz Flora; Deleasir und Belarminia schlossen sich ihnen an; die reuige Sünderin aus Talavera hielt sich an Bartholomeo's Kleide fest, dieser faßte den Strick eines Esels, und so folgten Alle dem weisen Soldino, von den Neuvermählten und der Wirthin begleitet, die seine Prophetengabe schon aus der Erfahrung kannte. Der Greis geleitete sie, obwol mit langsamen Schritten.
Die übrigen Leute im Wirthshause hatten Soldino's Rede nicht gehört, und blieben zurück, um das Feuer zu löschen; bald aber sahen sie, daß ihre Mühe vergeblich war, das Haus brannte den ganzen Tag, und wären sie nicht noch vor der Nacht auch in den Wald geflüchtet, so wäre kaum ein Einziger entkommen, um von dem schrecklichen Brande zu erzählen.
Soldino führte seine Begleiter in den Wald, wo sie bald bei einer, nicht sehr geräumigen Einsiedelei anlangten, innerhalb derselben war eine Thür, die zu einer finstern Höhle zu führen schien. Ehe sie die Einsiedelei betraten, sprach Soldino zu allen Übrigen, die ihm gefolgt waren:
»Der friedliche Schatten dieser Bäume ist für euch ein prachtvolles Dach, und der Rasen dieses grünen Bodens ein weiches, wenn auch nicht weißes Bett. Diese Herrschaften will ich mit mir in meine Höhle nehmen, weil es sich also geziemt, nicht weil sie dort prächtiger wohnen werden.«
Der Alte führte nun Periander, Auristela, Constanza, die drei französischen Damen, Ruperta, Antonio und Croriano hinein; eine große Menge Menschen blieb aber noch im Walde. Er begab sich mit ihnen in die Höhle, und verschloß die Thür, die zur Höhle führte, und die äußere Thür der Einsiedelei.
Als Bartholomeo und die Talavererin sahen, daß sie nicht zu den Auserwählten und von Soldino Berufenen gehörten, machten sie mit einander den Anschlag, entweder weil sie unzufrieden waren, oder von ihrer leichtsinnigen Gemüthsart dazu verleitet, und weil sie fanden, daß ihre Charaktere zu einander stimmten, Bartholomeo solle seine Herrschaft verlassen, und Luisa ihre Bekehrung aufgeben. Sie erleichterten den Esel um zwei Pilgeranzüge. Die Dame setzte sich auf das Thier, der Ritter ging zu Fuße, und so machten sie sich davon. Sie dachte nicht mehr an die mitleidigen Damen, und er nicht an seinen liebevollen Herrn; denn sie wollten nach Rom reisen, so gut wie die Andern.
Ich habe schon einmal gesagt, daß alle auch wahrscheinlichen Begebenheiten in der Geschichte erzählt werden müssen; denn ob sie gleich allen Werth verlieren, wenn sie keinen Glauben finden; ziemt es dem Geschichtschreiber doch, stets die Wahrheit zu sagen, mag sie als solche aufgenommen werden oder nicht.
Der, welcher diese Geschichte geschrieben hat, befolgt diesen Grundsatz und berichtet, daß Soldino, von der ganzen Schaar der Damen und Ritter begleitet, in jener dunkeln Höhle eine Treppe hinunterstieg. Als sie achtzig Stufen hinabgegangen waren, erblickten sie wieder den hellen Himmel, und befanden sich auf einem weiten, lieblichen Anger, der Auge und Seele erquickte. Soldino stellte seine Begleiter in einen Kreis um sich her und sprach:
»Meine Freunde, was ihr seht, ist keine Zauberei, und die Höhle, durch welche wir heruntergestiegen sind, ist nur ein kürzerer Weg, der in dies Thal führt, worin ihr euch befindet, und das eine Meile von hier einen freien, bequemen Eingang hat. Ich erbaute die Einsiedelei, und grub mit eignen Händen und unsäglicher Mühe die Höhle auf, um mir einen Durchgang in dies Thal zu öffnen, dessen Früchte und klares Wasser mir reichlichen Unterhalt gewähren.
Hier fand ich, dem Streit entfliehend, den Frieden. Für den Hunger, der mich droben in der Welt peinigte, wenn man jenen Aufenthalt dort Welt nennen kann, fand ich hier Sättigung. Hier umgeben mich, statt der Fürsten und Monarchen, die in der Welt gebieten und denen ich diente, diese stummen Bäume, die demüthig sind in ihrer Höhe und Pracht. Die Verkennung der Kaiser und der Hohn ihrer Diener tönt hier nicht in meine Ohren. Hier ist keine Dame, die mich verschmäht, kein Diener, der mir untreu dient. Hier bin ich Herr meiner selbst. Hier halte ich meine Seele in meiner Hand, und lenke meine Gedanken und Wünsche auf dem geraden Wege zum Himmel. Das Studium der Mathematik habe ich hier vollendet, den Lauf der Gestirne und die Bewegungen der Sonne und des Mondes beobachtet, und Dinge dadurch entdeckt, die mich erfreuen, und andere, die mich betrüben; denn sind sie auch noch nicht geschehen, so werden sie doch so gewiß eintreffen, wie das Morgen auf das Heute folgt.
Ha! ich sehe es, als erblickte ich es mit leiblichen Augen, wie ein tapferer Jüngling aus dem Hause Austria entsprossen, einem Seeräuber das Haupt abschlägt. Don Juan de Austria (1547-78) war der außereheliche Sohn Kaiser Karls V. und der bürgerlichen Regensburger Gürtlerstochter Barbara Blomberg. Als Befehlshaber der spanischen Flotte besiegte er in der Seeschlacht von Lepanto gegen die Osmanen (7. Oktober 1571). 1573 brach er mit der spanischen Flotte von Neapel nach Nordafrika zum Kampf gegen die dortigen – mit den Türken verbündeten – Piraten auf. Ihm gelang die Eroberung von Tunis, das jedoch bald darauf wieder von den Türken zurückerobert wurde. ( Anm.d.Hrsg.) O! könntet ihr ihn doch sehen, wie ich ihn sehe! Fahnen stürzt er in die Fluthen, den halben Mond überschüttet er mit Schmach, die Roßschweife reißt er zu Boden. Schon brennt die Flotte, und zerhauene Leichen stürzen ins Meer. Doch, wehe mir! wie betrübt mich ein anderer gekrönter Jüngling! Don Sebastian (1554-78), König von Portugal, durch seine Mutter Johanna nicht ein Neffe Karls V., sondern ein Enkel. Der Tod Sebastians in der am 4. August 1578 in Afrika stattgefundenen Schlacht von Alcácer-Quibir (in der das portugiesische Heer vernichtend geschlagen wurde) hatte die Folge, dass Portugal unter die Herrschaft Philipps II. von Spanien fiel. ( Anm.d.Hrsg.) Er liegt auf dem dürren Sand, von tausend Mohrenlanzen durchbohrt. Der eine ist der Neffe und der andere der Sohn jenes ruhmvollen Kriegshelden, des nie genug zu preisenden fünften Karl, dem ich viele Jahre gedient habe, und dem ich gedient hatte, so lange mein Leben währt, wollte ich nicht den irdischen Kriegsdienst mit dem Himmlischen vertauschen.
Hier lebe ich, und ohne Bücher, nur durch die Wissenschaft, die ich mir in der Einsamkeit erworben, belehrt, sage ich Dir, o Croriano, und daß ich Deinen Namen weiß, ohne Dich je gesehen zu haben, Das wird meinen Worten bei Dir Glauben verschaffen, Du wirst lange und beglückt mit Deiner Ruperta leben. Dir, Periander verspreche ich einen guten Erfolg Deiner Pilgerschaft. Auristela, Deine Schwester, wird es bald nicht mehr sein, ohne deshalb das Leben zu verlieren. Dir, Constanza, verkünde ich, Du wirst von der Gräfin zur Herzogin aufsteigen, und Dein Bruder Antonio zu dem Range, den seine Tapferkeit verdient. Diese französischen Damen werden zwar Das nicht erlangen, was sie jetzt wünschen, aber ein anderes Glück finden, das ihnen Ehre und Zufriedenheit gewähren wird. Daß ich das Feuer vorausgesagt, und eure Namen weiß, ohne euch jemals gesehen zu haben; daß ich eine Schlacht beschrieb, ehe sie geschlagen ward: alles Dies mag euch bewegen, mir zu glauben, wenn ihr wollt. Auch wenn ihr sehen werdet, wie es wahr ist, daß euer Diener Bartholomeo mit dem Lastthier und der Castilianerin davongegangen ist, und euch unberitten gelassen hat. Verfolgt ihn nicht, denn ihr findet ihn doch nicht wieder; das Weib aber gehört mehr der Erde als dem Himmel an, und wird, trotz eurer Ermahnungen, ihren Gelüsten folgen.
Ich bin ein Spanier, und dies verpflichtet mich, höflich und wahrhaftig zu sein. Mit Höflichkeit biete ich euch an, Alles was dies Thal mir bietet, und mit Wahrhaftigkeit die Erfahrungen, die ich gesammelt habe. Wenn ihr euch darüber wundert, einen Spanier in diesem fremden Lande zu finden, so bedenkt, daß manche Örter auf der Erde heilsamer sind als andere, und dieser, an dem wir uns befinden, ist es für mich, mehr als irgend einer. Die Meiereien, Landhäuser und Flecken hier herum werden von frommen Katholiken bewohnt. So oft es sich geziemt, empfange ich die heiligen Sacramente; und was diese Felder zum Unterhalt des menschlichen Lebens nicht darbieten, suche ich in der Ferne. Dies ist das Leben, das ich führe, und von dem ich zu dem ewigen aufzusteigen hoffe.
Für jetzt aber nichts mehr; sondern laßt uns wieder hinaufgehen, und dem Körper einige Nahrung reichen, nachdem wir hier unten die Seele erquickt haben.«